Was eigentlich nur als sogenannter Sprungtermin zur Wahrung formaler Fristen im laufenden Prozess gegen einen Kieler Antifaschisten im Zusammenhang mit den Gegenaktivitäten zum Hamburger Naziaufmarsch am 2. Juni 2012 angelegt war, endete vor dem Amtsgericht Hamburg-St. Georg heute am 9. August 2013 binnen weniger Minuten überraschend mit der Einstellung des Verfahrens nach §153a StPO. Sowohl Richterin und Staatsanwaltschaft, als auch der Anwalt des Angeklagten stimmten dieser unter der Auflage einer Zahlung von 500€ an die Arbeitsgemeinschaft Neuengamme, der Interessenvertretung ehemaliger Häftlinge des KZ Neuengamme, ihrer Angehörigen und Hinterbliebenen, zu.
Hintergrund des Prozesses, der am 26. Juli 2013 mit dem de facto einzigen Verhandlungstag begonnen hatte und von Protestaktionen antifaschistischer und Antirepression-Gruppen begleitet worden war, an denen sich an einem Freitagmorgen etwa 100 solidarische Menschen beteiligt hatten, war ein nach Zeugenaussagen dreier Polizisten am Abend des 2. Juni 2012 nahe des Hamburger Hauptbahnhofes vermeintlich erfolgter Angriff des Angeklagten auf einen der ihrigen. Beobachter_innen zufolge war es jedoch der Angeklagte selbst gewesen, der während eines rechtswidrigen Einkesselungsversuchs antifaschistischer Demonstrant_innen durch Angehörige einer Brandenburger Bereitschaftspolizeieinheit niedergeschlagen, brutal festgenommen und verletzt wurde. Auch entgegen dieser Tatsache erhielt der Betroffene Anfang des Jahres schließlich einen Strafbefehl unter dem Vorwurf der "Körperverletzung" und des "Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte". Dem eingelegten Widerspruch folgte die heute zu Ende gegangene Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht St. Georg.
Sowohl
die Unterstützer_innen außerhalb des Gerichtssaals, wie auch der 
Anklagte selbst in seiner Prozesserklärung hatten immer wieder betont, 
dass das vordergründige Anliegen der Prozessführung darauf abziele, 
brutale Polizeieinsätze wie dem in Hamburg am 2. Juni 2012, die mit der 
üblicherweise anschließend inszenierten medialen Hetze und der 
strafrechtlichen Verfolgung von Antifaschist_innen in keinen kausalen 
Einklang zu bringen sind, nicht unwidersprochen im Raum stehen zu lassen
und stattdessen den Kampf um die Deutungshoheit der Geschehnisse 
politisch und juristisch zu führen. Ziel war es gewesen, durch die 
öffentliche Begleitung, die politische Einordnung und eine offensive 
Verteidigungsstrategie in die strukturell ungleichen Machtverhältnisse 
vor Gericht einzugreifen und die polizeiliche Darstellung der Ereignisse
in ihrer Glaubwürdigkeit zu beschädigen. Zur juristischen 
Wahrheitsfindung im bürgerlichen Sinne habe man jedoch nicht beitragen 
wollen, weshalb der Angeklagte die Aussage verweigert hatte. 
Dass
der Prozess nun entgegen ursprünglicher Erwartungen mit einer 
Einstellung endete, werten der Angeklagte und seine Unterstützer_innen 
als Hinweis darauf, dass diese Strategie aufgegangen ist. Dass die 
Anklage den billigen Hintergrund gehabt habe, dass die am Einsatz beteiligten 
Beamten die Tatsache ihres brutalen Übergriffs mit einer 
prophylaktischen Anzeige unter umgekehrten Vorzeichen verwässern 
wollten, sei während des Prozesses allzu offensichtlich geworden. Die 
schwache Polizeilegende sei nicht mehr ohne Weiteres als Begründung für 
eine Verurteilung aufrecht zu erhalten gewesen, weshalb die Option der 
einvernehmlichen Einstellung des Verfahrens überhaupt auf den Tisch 
gekommen sei. Auch wenn es bedauerlich sei, dass die zwei noch nicht 
gehörten Brandenburger Polizeizeugen sich nun nicht mehr zu ihrer 
gewalttätigen Festnahmepraxis werden äußern müssen, was sicherlich noch 
das eine oder andere interessante Detail über den Normalzustand des 
deutschen Polizeiwesens ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hätte, sei
das Ergebnis der Prozessarbeit zufriedenstellend. Auch wenn der 
Angeklagte die Spende sicherlich lieber aus freien Stücken getätigt 
hätte: Kein Cent gehe in irgendwelche Staatskassen, sondern komme der 
Aufrechterhaltung des Gedenkens an die Verbrechen Nazi-Deutschlands zu 
Gute. Und der betroffene Genosse sei im wahrsten Sinne des Wortes mit 
einem blauen Auge davon gekommen - alles in allem demnach eine gute 
Bilanz! 
Der Angeklagte und seine Unterstützer_innen danken 
allen, die den Prozess solidarisch begleitet haben und hoffen, dass die 
insgesamt positive Wendung des Verfahrens andere Betroffene staatlicher 
Repression dazu ermutigt, kämpferisch und politisch mit Strafbefehlen, 
Bußgeldern und Prozessen umzugehen und nicht im stillen Kämmerlein jede 
staatliche Frechheit zu schlucken.
Solispaziergang zum Gericht am 26.7.2013



Frage
Warum wurde diese Auflage akzeptiert und die Staatsmacht nicht bis zum Freispruch vorgeführt?
Das sieht für mich schon fast wie ein Schuldeingeständnis aus...
War das von der Roten Hilfe gewollt?
versuch einer antwort
Sowas kann auch bös nach hinten losgehen, insbesondere dann, wenn das gericht dem genossen die ablehnung der einstellung übel nimmt. darüber hinaus sind gerichtsverfahren für die betroffenen häufig ein äußerst anstrengender zustand, der kräfte zehrt, wenn dazu noch die angst vor einer verurteilung kommt, finde ich es sehr gut nachvollziehbar dieser einstellung zuzustimmen. darüber hinaus gehen 500€ ja scheinbar an eine gute sache.