Vor allem der Tagesspiegel berichtet heute sachlich aber lückenhaft über die gestrige Demo am Flughafen Schönefeld. Hier der persönliche Gegenbericht eines Teilnehmenden.
Hintergrund: Aus Wien erreichte uns die Nachricht, dass rund 20 pakistanische Staatsangehörige, die seit Monaten für ihr Recht auf Asyl gekämpft hatten, bei einem Routinebesuch auf der Polizeiwache hinterrücks verhaftet worden waren. Sie wurden dann von jeglicher Kommunikation mit Unterstützer_innen und Anwält_innen abgeschnitten und Stück für Stück abgeschoben.
Da die Personen keine Pässe hatten und ohne gesicherte Identität keine Abschiebung stattfinden kann, wurden sie mit illegalen Mitteln von Mitarbeitern der österreichischen Ausländerbehörde identifiziert. Mitarbeiter holten einfach Unterschriften auf deutschsprachigen Formularen von mutmaßlichen "Familienangehörigen" der Refugees in Pakisten ein. Somit galten sie als identifiziert. Anscheinend gehts manchmal auch ganz unbürokratisch. Die Abzuschiebenden werden abgeschottet, Anwält_innen können nachträglich keinen Kontakt mehr zu ihnen aufnehmen und ihr Haftort wird auch auf Nachfrage nicht preisgegeben.
Eine Gruppe von drei bis sechs Geflüchteten sollte per Bus oder Flugzeug nach Tegel gebracht werden, um dort nach Doha und schließlich nach Lahore abgeschoben zu werden. Andere sollten nach Mailand und direkt in den Dublin-II-Staat Ungarn transportiert werden. Unter Anleitung der EU-Koordinationsbehörde Frontex können die Staatspolizeien Geflüchtete nun ganz leicht untereinander austauschen.
Ich habe schon mehrere illegale Abschiebungen erlebt. Außer massivem Protest am Ort gibt es kaum Alternativen, denn die Behörden arbeiten so schnell und verdeckt, das selten Zeit für konventionelle Rechtsmittel bleibt. Sobald der/die Abgeschobene außer Landes ist, kann man zwar gerne klagen gehen, aber dann ist es einfach zu spät. Aus diesem Grund folgte ich gestern dem Aufruf zur Demo am Flughafen Tegel.
Ablauf: Vor Ort gab es etwa drei Gruppen, die sich friedlich versammelten. Eine vor dem Abflugterminal, eine vor der Abschiebestation und eine auf der Zufahrtsstraße. Die Teilnehmenden waren vor allem junge Stundent_innen.
Die Polizei ging taktisch, brutal, eskalativ vor. Ich selbst war bei der Straßenblockade dabei. Die eigentliche Blockade dauerte keine 20 Minuten. Die Demo war angemeldet. Nachdem der Anmelder uns aufrief, die Blockade zu beenden, standen wir auf und liefen zum Flughafengebäude, um die anderen Demonstrant_innen zu unterstützen. Die Versammlung wurde zu keinem Zeitpunkt für aufgelöst erklärt.
Die Polizei verfolgte unsere Gruppe bis zu einem langen Autotunnel. Den öffentlichen Verkehr hielten sie soweit entfernt, dass niemand sehen konnte was in diesem Tunnel geschah. Unsere Gruppe hatte zu diesem Zeitpunkt ca. 30 Personen. Dann prügelten die schwer befaffneten Polizist_innen wahllos auf uns ein und drängten die gesamte Gruppe an die Wand. Es war dunkel im Tunnel, wir riefen laut unsere Parolen, um uns nicht einschüchtern zu lassen.
Blutjunge Azubis umzingelten uns. Ein Dutzend Einsatzwagen kamen hinzu; in zehn Minuten war der ganze Tunnel voller Polizist_innen in Kampfmontur. Ohne Angabe von Gründen wurden wir - Teilnehmende einer angemeldeten Versammlung - gezwungen unsere Personalien zu zeigen. Das wurde uns aber nicht etwa freundlich aber bestimmt mitgeteilt, nein, die gepanzerten Brutalos griffen sich einfach gezielt die ersten "ausländisch" aussehenden Menschen aus der Gruppe. Schnell lenkten einige von uns ein, um das Gerangel zu beenden. Sie riefen: "Kein Widerstand, das macht keinen Sinn, lasst euch verhaften." Also ließen wir uns einzeln in die Polizeiwagen führen.
Nun kann man sich vorstellen, dass eine Personalienfeststellung für 30 Menschen lange dauert. Wir standen bestimmt drei Stunden im Sturmregen, bis die letzten Aktivist_innen frei waren. Die Straßenblockade wurde also zu 80% von der Polizei verursacht. Hätten sie uns ziehen lassen oder wenigstens vernünftig mit unserem Veranstalter kommuniziert, wäre die Demo friedlich verlaufen und die Straße nach 30 Minuten wieder frei gewesen. Wahrscheinlich hätten wir ihnen unsere Ausweise noch auf dem Silbertablett serviert. So wurde aber die gesamte Flughafenzufahrt von 19 bis 22 Uhr lahmgelegt und mehrere Menschen wurden durch brutale Polizist_innen verletzt. Das vom Tagesspiegel verbreitete Gerücht, jemand hätte versucht, einem Beamten die Waffe aus dem Halfter zu ziehen ist nichts weiter als das. Woher soll denn ein_e 20 jährig_e Soziologiestudent_in (augenscheinlich der Durchschnitt der Teilnehmenden) wissen, wie man eine Waffe benutzt? Welche Gefahr soll denn bitte von ein paar langhaarigen Neu-Kreuzbergern ausgehen?
Als wir auf die Festgehaltenen warteten, wurden wir immer wieder von Fluggästen angepöbelt. Ein süddeutsch-mittelständisch aussehender Anzugträger, wünschte sich, wir sollten ins Lager abgeschoben werden. Ein baumhoher Bodybuilder schubste eine Frau die ein Plakat hielt beim vorbeigehen brutal zur Seite.
Gegen 21 Uhr kamen noch vier weitere Einsatzwagen an, in denen ca. 25 Aktivist_innen saßen, die direkt vor der "Rückführungsabteilung" festgenommen worden waren. Diese Abteilung befindet sich auf der Nullebene des Flughafens, in Nähe der Parkplätze und wird von den Gästen kaum gesehen. Ebenso wie bei unserer Festsetzung im Tunnel, hatte die Polizei diese abgelegene Stelle genutzt, um Gewalt gegen die Protestierenden einzusetzen und sie grundlos zu verhaften. Nur die Anwesenheit einiger engagierter Pressefotografen konnte schlimmere Exzesse verhindern.
Das ist mein dritter oder vierter brutaler Polizeieinsatz in diesem Sommer. Die Einsatzkräfte interessieren sich einen Dreck für die Dienstvorschriften, das Versammlungsgesetz oder die Sicherheit von Demonstrierenden und Passant_innen. Immer wieder gibt es unnötige Verletzte und Festnahmen. Ich fühle mich von diesen Menschen weder beschützt noch sehe ich mich als Bedrohung für die Allgemeinheit, auch wenn in "linke Krawallos" in den regierungstreuen Medien immer wieder als Terroristen diffamiert werden. Allerdings sehe ich die latent faschistische Allgemeinheit als Bedrohung. Die Hetzpresse, die Prügelbullen und die "bürgerliche Mitte" kultivieren den Faschismus, füttern seine Gährung, holen den ungeliebten Balg von der Straße und drängen ungehorsame Zivilist_innen in die Radikalität.
Fazit: Mit der Freiheit ists vorbei, bedankt euch bei der Polizei. Air Berlin verdient sein Geld mit Abschiebung in alle Welt. Rot, braun, grün oder weiß - es bleibt immer der gleiche Scheiß.
ergänzung
Meine persönliche Wahrnehmung von den Aktionen is etwas anders, so ist das aber eben mit Eindrücken, die können unterschiedlich sein. Wichtig ist aber, dass gestern keine Abschiebung stattfand!!! Und viele Menschen - auch dank Tagesspiegel - erfahren haben, wie sie als Passagier im Flugzeug Deportationen verhindern können. Der normale Flughafenverkahr war für mehrere Stunden lahmgelegt und einige Reisende haben sich durchaus positiv gezeigt. Meines Wissens gab es keine Festnahmen, es wurden keine Leute mit auf die Wache genommen. Und die Menschen von der "Tunnelblockade" sollten alle keine Anzeige (zumindest nicht wegen Nötigung) bekommen, weil die Bullen vergessen haben, die Demo offiziell per Durchsage (dreimal nötig) aufzulösen, bevor sie kesselten und Personalien aufnahmen. Es waren mehrere hundert solidarische Menschen an den Aktionen beteiligt und die geplante Deportation ist für den Flughafen und Qatar Airways recht teuer und unangenehm geworden, hoffentlich überlegen sie es sich das nächste Mal anders! Aber eine verschobene Deportation heißt noch lange nicht Freiheit für die Gefangenen und wir sollten weiter dagegen mobilisieren und demonstrieren! Solidarität mit allen Geflüchteten!!! Bis alle frei sind!!!
mehr Infos: asylstrikeberlin.wordpress.com
Viele Fragezeichen
Also uns haben sich gestern so einige Fragen gestellt. Und zumindest bei mir werden einige der Fragezeichen heute immer größer.
Dass Menschen Ereignisse unterschiedlich wahrnehmen - geschenkt - allerdings muss ich leider bei einer Sache vehement widersprechen:
Es bringt nichts, jede kleine Bullenaktion zu skandalisieren. Bei der Polizeiaktion unten ging es (zumind. bis wir weg waren) auf beiden Seiten relativ entspannt und friedlich zu. Weiterhin wurde niemand "verhaftet", (soweit wir wissen), sondern die Menschen wurden dort weggefahren, um es den Schweinen einfacher zu machen, ihren Platzverweis durchzusetzen.
So nun aber mal zum eigentlichen Anlass meines Schreibens:
Könnten die Menschen von asylstrikeberlin mal bitte klarstellen, wie und woher sie welche Informationen haben? Es gab gestern leider ein totales Informationslag, praktisch alle Menschen, die wir trafen, vermissten eine koordinierte Informationsstelle. Weiterhin widersprechen sich heute Medien-, Bullen- und Aktivist_innenaussagen ganz erheblich. Ich würde also persönlich echt gerne wissen, wie ihr Informationen verifiziert.
Unsere Motivation nach gestern und heute, demnächst wieder spontanen Aufrufen zu folgen, ist momentan jedenfalls angeschlagen.
Das lässt sich aber mit Dialog auch wieder ändern. Also lasst uns bitte drüber reden, wie so etwas das nächste Mal koordinierter laufen kann (Twitter/Ticker).
Zur Manövertaktik: Warum wurde vorher dazu aufgerufen die Straße zu blockieren? Das machte angesichts des "Rückführungstores" wenig Sinn und war - mit Recht - schwer vermittelbar.
Und bei dem Weg: Heute und immer - gegen Selbstverherrlichung, für eine realistische Aktionsauswertung und gegen unverifizierte Selbstbejubelei.
noch mehr Fragen an gestern
Ich bin froh dass der letze Beitrag Fragen und Kritik äußert!
Ich fühlte mich wie im falschen Film gestern. Ich finde es super dass es keine Abschiebungen gab. Unklar ist, ob wir sie verhindert haben.
Meine Fragen an gestern:
1. Warum waren es immerwieder dieselben wenigen Leute, die Informationen hatten, förmlich besaßen, und sie weitestgehend unter sich austauschten während der große Rest der anwesenden Protestierenden nix mitbekam und im Unwissen und Intransparenz gehalten wurde?? Ich bin super verärgert darüber, weil mir diese Kämpfe total wichtig sind und ich aber bei so einer Inforamtionspolicy extrem behindert bin im Kämpfen und wir Leute gefährdet haben durch Unterinformierung und fehlende Absprachen/Koordinierung.
2. War irgendwas von den Blockade Aktionsideen vorher wirklich überlegt worden? Die allermeisten Anwesenden wirkten auf mich total verpeilt, unkoordiniert, ahnungslos, was sicher mit der Information- und Koordinationssperre zusammenhing.
3. Was sollte die Straßenblockade zu dreißgst? Hat irgendwer ernsthaft damit gerechnet, den Wagen mit den abzuschiebenden Refugees aufhalten zu können? Ist es eine gute Idee, Leute als Kollateralschaden hinzunehmen, die ihren Flug kriegen müssen und der politisch coolsten und wichtigsten Aktion, die das gefährdet, nichts abgewinnen könnten? Im Übrigen hat der Flughafen eine weitere kleine Zufahrtstraße..
4. Warum sind Leute scharenweise Cops in die Hände gelaufen während andere wie auf dem Präsentierteller in gut sichtbaren großen Gruppen ewig am selben Ort rumstanden?
5. Warum haben sich manche im Angesicht von mehreren Riot Cops gewehrt und dadurch extra aggressives Verhalten seitens der Cops auf sich gezogen? Denkt irgendwer dass sich gegen mehrere Riot Cops zu wehren was Gutes bringt??
Don´t get me wrong: Ich bin ABSOLUT für Widerstand gegen alle Formen von Asylunrecht. Bleiberecht für alle! Überall!
Aber so können wir nicht lange kämpfen.
Es gab zwar keine Festnahmen, aber es sind Leute in der Straßenblockade geprügelt und gepfeffert worden. Vor den Toren zum Abschiebegefägnis standen Leute 3 Stunden im teils prasselnden Regen. Ich gehe davon aus, dass manche im Tunnel krass psychisch was durchgemacht haben, mit möglichen Folgen.
GEIL, dass es diese Proteste gibt und es gibt für mich keine Alternative zum weiter dagegen protestieren - aber nicht so!
Für selbstkritischen und selbstanerkennenden Umgang!
ergänzung
vielleicht ist es nicht der perfekteste ort, strategien zu diskutieren. aber die kritik wird von uns ernst genommen. es war in disesm zusammenhang der dritte versuch (zumindest der 2. war nachweisbar erfolgreich und die person ist jetzt in freiheit! http://asylstrikeberlin.wordpress.com/2013/07/28/pm-26-07-2013-netzwerk-...), eine abschiebung zu verhindern, viel erfahrung gibt es also noch nicht und tips und unterstützung sind mehr als willkommen!!! das problem bei abschiebung sind natürlich der mangel an verläßlichen informationen. die infos über die geplante abschiebung kamen von unterstützer_innen aus wien und pakistan und zwar erst am sonntag/montag, in der kurzen zeit haben einige menschen einiges versucht in erfahrung zu bringen, trotzdem gab es bis montag keine gesicherten infos, kein kontakt zu den gefangenen. vieles beruhte auf vermutungen und beobachtungen (z.B. ein großaufgebot von bullen an der autobahnabfahrt nach tegel, was uns vermuten ließ, dass sie dort zu eskorte bereitstehen). was relativ sicher war wurde auf dem blog veröffentlicht und es gab eine infotelefonnummer, die wurde aber kaum in anspruch genommen.
ich persönlich erwarte, dass menschen sich selber gedanken machen können, welche aktionen sinnvoll sind oder sinnvoller und die werden dann nicht öffentlich angekündigt, sondern einfach durchgeführt. innerhalb der blockade gab es kurzzeitig die möglichkeit weiteres vorgehen zu diskutieren, was auch getan wurde. der tumult auf der zufahrtsstraße hat aufsehen erregt (auch negativ, tut mir leid wir die urlauber_innen!), weswegen die versuchte (?) abschiebung am nächsten tag in den medien war, neben den infos, wie passagiere eine deportation verhindern können. ich werte das auch als erfolg. auch das es teuer wird für flughafen und airline.
und in der tat wissen wir nicht, ob eine abschiebung verhindert wurde, nur dass keine stattfand. nicht zu handeln, wenn nicht genau klar ist, was die behörden planen (wird selten der fall sein) ist für mich keine alternative. die blockade auf der zufahrtsstraße und auch den sinn der andern aktionen sollten wir diskutieren! wenn ihr dran teilnehmen wollt, erfahrt ihr ort und zeit für die nächsten plena des aktionsbündnisses auf dem offenen plenum am oranienplatz (mittwochs 17 uhr, sonntags 14 uhr).
was mir fehlt in den aktionen ist die unterstützung von menschen und gruppen mit mehr erfahrung und die breite solidarität der linken berliner szene!