Hintergrund: Revolutionäre Aktionszellen, »Für unsere Klasseninteressen«

Tarnumschlag der »radikal« Nr. 162, Winter 2009/2010
Erstveröffentlicht: 
16.07.2013

»Für unsere Klasseninteressen«. - Wer sind überhaupt die RAZ und die RL? Und warum wird deswegen ermittelt?

 

Die Revolutionären Aktionszellen sind Ende 2009 mit einem nächtlichen Brandanschlag auf eine Arbeitsagentur zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung getreten. Sie verstehen sich als klandestin-militante und sozialrevolutionäre Gruppe. Innerhalb von knapp anderthalb Jahren verübten sie Brandanschläge gegen fünf Objekte in Berlin – der letzte liegt schon über zwei Jahre zurück. Es handelte sich dabei um symbolische Aktionen mit einem verhältnismäßig geringen Sachschaden. Die RAZ will mit ihren Aktionen zu Eigeninitiative und Gegenwehr ermuntern, die »nicht dem Diktat der friedfertigen ›demokratischen‹ Konfliktaustragung folgen«.

 

Die Revolutionären Aktionszellen sehen sich an der Seite der Lohnabhängigen und jener, »die als ›industrielle Reservearmee‹ in den Statistiken geparkt werden«. Dementsprechend nahmen sie Institutionen in den Fokus, die, so die RAZ, »sich über unser Existenzrecht hinwegsetzen und uns in den sozialen Abgrund stürzen wollen« – zum Beispiel durch die Agenda 2010, durch verschärfte Sanktionen bei Zahlung von Sozialleistungen, durch Gentrifizierung, steigende Mieten und die Vertreibung aus Wohnungen. Texte der RAZ erschienen im Internet und in der Zeitschrift »radikal«, die seit Sommer 2009 von dem Redaktionskollektiv Revolutionäre Linke (RL) konspirativ herausgegeben wird. Insgesamt fünf Ausgaben sind bis Winter 2011/2012 erschienen.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) hat sich für die Ermittlungen zuständig erklärt und führt ein Verfahren nach Paragraf 129 StGB wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gegen derzeit neun Personen. Am 22. Mai 2013 fanden in insgesamt 21 Objekten in Berlin, Magdeburg und Stuttgart Polizeirazzien statt, darunter Wohnungen der Beschuldigten, ihrer Lebensgefährten und Arbeitskollegen, ein Büro der Falken in Stuttgart und ein soziales Zentrum in Magdeburg. Einer der Betroffenen befand sich im Offenen Vollzug und wurde am 22. Mai in die JVA Berlin-Tegel verlegt.

 

 

Chronik: Aktionen gegen Agenda 2010, gegen Razzien in Buchläden und Zwangsräumungen

30. Dezember 2009, Agentur für Arbeit, Berlin-Wedding

Im dritten Jahr der Wirtschaftskrise und fünf Jahre nach Einführung von Hartz IV verüben die RAZ ihren ersten Anschlag auf ein Jobcenter im Stadtteil Wedding. In ihrer Anschlagserklärung wenden sie sich gegen die Agenda 2010 und die angekündigten Verschärfungen durch die Jobcenter.

4. Februar 2010, Haus der Wirtschaft, Berlin-Charlottenburg
Nur fünf Wochen später folgt der zweite Anschlag zum gleichen Thema. In den Tagen zuvor hat der Vorsitzende der fünf Wirtschaftsweisen und Berater der Bundesregierung, Professor Wolfgang Franz, den Vorschlag in die Debatte gebracht, die Sozialleistungen für Hartz-IV-Bezieher zu kürzen, um diese zur Arbeit zu zwingen. Auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Roland Koch, fordert eine Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger. Die RAZ bezeichnen die staatlichen und behördlichen Pläne als »Klassenkampf von oben«.

 

18. November 2010, Bundesinnenministerium, Außenstelle Bundeshaus, Berlin-Wilmersdorf
Der Berliner Hauptsitz des Bundesverwaltungsamtes, wo die Bundesakademie für öffentliche Verwaltung untergebracht ist, ist das Ziel des dritten RAZ-Anschlags, der zeitgleich zur Innenministerkonferenz stattfindet. Die RAZ wählte diesen Ort aus, weil diese Einrichtung des Ministeriums »Teil des institutionellen Geflechts der Repressions- und Ideologieapparate« der Bundesrepublik sei. – In den Wochen davor war es in Berlin und München wiederholt zu Razzien in linken Buchläden gekommen und zu Beschlagnahme linker Zeitschriften und Broschüren. Diese Durchsuchungswelle bewegt nicht nur die RAZ. Ein Solidaritätsaufruf der Kampagne »unzensiert lesen«, wird in dieser Zeit von über 1400 Personen und Gruppen unterzeichnet.

Im März 2011 verschickt die RAZ 8mm-Patronen an den neuen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), den stellvertretenden Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum und den Extremismusforscher Uwe Backes. In ihrem dazugehörigen Kommuniqué bezeichnet die RAZ diese Personen als ausgewählte Protagonisten der staatlichen Repressionswelle der vergangenen Monate und Jahre. Sie beziehen sich dabei auf die Staatsschutzprozesse gegen deutsche und ausländische Linke, den internationale Einsatz von Polizeispitzeln, die Kriminalisierung linker Medien, die Räumung von linken Hausprojekten, die Beugehaftandrohung gegen ehemalige Mitglieder der RAF im Prozess gegen Verena Becker sowie auf tödliche Polizeischüsse und den Mord an Oury Jalloh, der in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte.

 

27. April 2011, Zentrales Mahngericht Berlin-Brandenburg in Berlin-Wedding und Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Berlin-Mitte
Wenige Tage vor dem 1. Mai trifft es mit dem Mahngericht – Arbeitsplatz von Gerichtsvollziehern – und der kommunalen Einrichtung der Stadtumstrukturierung weitere Akteure des »Klassenkampfs von oben«. Die Umstrukturierungsprozesse im städtischen Wohngebiet treffen vor allem sozial schwache und migrantische Mieter. Auch dieses Thema bewegt viele. Etwa ein Jahr später gründet sich in Berlin das Bündnis »Zwangsräumung verhindern«.

Die letzte bekannte Wortmeldung der RAZ liegt inzwischen zwei Jahre zurück. Im Juni 2011 beteiligte sich die RAZ mit einem schriftlichen Diskussionsbeitrag am »Kongress für autonome Politik« in Köln. Die Vorbereitungsgruppe hatte unter dem Motto »Wir stehen dazu: Militanz« zu einer Debatte über Perspektiven militanter Praxen eingeladen. Zu einer lebendigen Diskussion kam es jedoch nicht. Autonome aus Rhein-Main zogen ein vernichtendes Resümee: »Die Sprachlosigkeit und das Nichtverhalten im Anschluss an den Kongress spiegelt die allgemeine Atmosphäre aus Köln ganz gut wieder.« Womöglich hat sich die RAZ von dieser Stimmung anstecken lassen.

http://soligruppe.blogsport.eu

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nicht dem diktat der "friedfertigen demokratischen" konfliktaustragung folgen - o.k. einverstanden, andere formen der konfliktbewältigung? aber was dann folgt ist das alte prinzip der strafe und rache --- da ist nichts "revolutionäres" dran, allenfalls ne "reaktion" mit ähnlichen mitteln -- ja ja, bla blah, die anderen sind viel böser ....

Danke an neues deutschland für diese Infos.