Im Zusammenhang mit der aktuellen Protestwelle in der Türkei machen verschiedene Vergleiche in der linken Bewegung die Runde. Nach Beginn der Proteste in der Türkei, die von der Polizei brutal bekämpft wurden, ist das Vorgehen der Polizei oft mit den zeitgleichen Ereignissen bei Blockupy in Frankfurt verglichen worden. Nachdem dieser Vergleich abgeflaut ist, macht nun ein neuer die Runde: der Vergleich zwischen der heutigen Türkei mit dem nationalsozialistischen Deutschland. Wir finden beide Vergleiche daneben: der eine verharmlost die Situation in der Türkei, der andere dramatisiert sie. Mit diesem Text möchten wir stattdessen eine realistische Betrachtung der Ereignisse in Frankfurt und der Türkei einfordern.
Nachdem in Istanbul der Protest im Gezi-Park am 31. Mai von der türkischen Polizei niedergeschlagen wurde und sich eine landesweite Protestbewegung formierte, fand am 1. Juni in Frankfurt am Main die Abschlussdemonstration des diesjährigen Blockupy-Events statt. Der linksradikale Teil der Frankfurter Demonstration wurde von der Polizei eingekesselt, es wurde Pfefferspray gegen die DemonstrantInnen eingesetzt, und es gab viele verletzte DemoteilnehmerInnen. Die Menschen in Frankfurt mussten bis in die Nacht im Kessel ausharren, und bis hin zur konservativen „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) wurde der Polizeieinsatz kritisiert. Auch für uns waren die Bilder aus Frankfurt alarmierend, so dass wir es wichtig finden, dass die Geschehnisse weiter von einer breiten Öffentlichkeit thematisiert werden.
Schon am Abend des 1. Juni machten Vergleiche zwischen den Gewaltorgien der türkischen Polizei und den Ereignissen in Frankfurt die Runde. Die ersten gemeinsamen Soli-Demos für #Occupygezi und Blockupy wurden organisiert. Die OrganisatorInnen der Demonstrationen, die beide Ereignisse zeitgleich thematisieren wollten, stammten zum Großteil aus der herkunftsdeutschen Linken. Teilweise hängten sie sich mit ihrem Vorhaben an geplante Demonstrationen, die sich mit den Protesten in der Türkei solidarisieren wollten.
Während es sich in der Türkei um einen Aufstand verschiedenster Teile der Bevölkerung handelt, der sich direkt gegen die Regierung richtet, demonstrierte in Frankfurt alles, was in der hiesigen Linken Rang und Namen hat, um die Ablehnung der herrschenden Verhältnisse auf die Straße zu tragen. Solche Events mögen sinnvoll sein, um linken Positionen zu einer größeren Beachtung zu verhelfen. Sie bleiben allerdings punktuelle Proteste, denen es an gesellschaftlicher Basis fehlt. Der Vergleich zwischen Occupygezi und Blockupy hinkt also schon, wenn mensch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beider Ereignisse betrachtet.
Auch die Polizeieinsätze in der Türkei und in Frankfurt können nicht umstandslos gleichgesetzt werden. Während in der Türkei bereits am 1. Juni das erste Todesopfer unter den DemonstrantInnen zu betrauern war, gab es in Frankfurt zwar auch Verletzungen – diese dürften aber nach einigen Tagen im Krankenhaus auskuriert gewesen sein. Während die türkische Polizei Tränengasgranaten auf die Köpfe von Protestierenden schoss, und wohl teilweise auch scharfe Waffen benutzte, kamen in Frankfurt lediglich Knüppel und Pfefferspray zum Einsatz. Wir haben solche Einsätze selbst schon oft genug erlebt, und können die Wut aller verstehen. Wir verstehen es auch gut, wenn „in der Hitze des Gefechts“ die Bullen mal als Nazis beschimpft werden, oder mensch sich aufgrund von überzogenen Polizeieinsätzen an eine Diktatur erinnert fühlt. Aber wenn eine Demonstration dann vorbei ist, die Aufregung langsam abklingt, und Ruhe für einige Gedanken über das Erlebte da ist, dann sollte doch etwas Einsicht entstehen. Die Bullen sind hier zwar Scheiße, es gibt viele brutale Arschlöcher unter ihnen, aber auch der härteste Polizeieinsatz ist in der Regel nach einigen Stunden vorbei. Wir wollen hier nichts verharmlosen, auch in Deutschland hat die Polizei immer wieder Unschuldige erschossen, Menschen bleibend verletzt oder traumatisiert. Aber der Demoalltag hier sieht trotz einzelner Polizeiübergriffe in aller Regel anders und harmloser aus als die aktuellen Gewaltexzesse in der Türkei.
Ein anderer Vergleich, der noch stärker von fehlendem politischem Einschätzungsvermögen gekennzeichnet ist, ist der Vergleich zwischen Erdoğan und Hitler. NS-Vergleiche sind in der deutschen Gesellschaft und auch in „der Linken“ ein alter Hut. Ob Ulrike Meinhof vom Gefängnis als Auschwitz berichtet, oder die ehemalige SPD-Ministerin Däubler-Gmelin George W. Bush mit Hitler vergleicht – immer wieder werden diese Peinlichkeiten geäußert. Aktuelle Geschehnisse immer wieder mit dem Nationalsozialismus zu vergleichen, ist erstens ein Schlag ins Gesicht der Millionen Opfer der NS-Herrschaft, und zweitens auch historisch betrachtet totaler Unfug. Der Nationalsozialismus hatte Eigenarten, die in dieser Form bisher einmalig sind. Insbesondere die Ermordung der Jüdinnen und Juden in Europa markiert einen wichtigen Unterschied des Nationalsozialismus zu anderen diktatorischen Regimes. Insofern kann der Nationalsozialismus nicht einfach als eine bloße Variante des Faschismus betrachtet werden. Eine Analyse des Nationalsozialismus, die die Auseinandersetzung mit der Shoa nicht mit einbezieht, ist undenkbar. Dies mitbedacht sollte klar sein, warum es keinen Sinn ergibt, die Taten eines jeden Diktators, dessen Taten gerade im Fokus der Öffentlichkeit stehen, mit dem Nationalsozialismus zu vergleichen. Davon einmal ganz abgesehen, bringt es die Analyse aktueller Geschehnisse nicht voran, alles und jedes wahllos mit Hitler und dem Nationalsozialismus gleichzusetzen. Schweinereien, die aktuell passieren, können ohne NS-Vergleich und für sich selbst genommen oft besser und realistischer kritisiert werden.
Also muss die Frage erlaubt sein, warum kommt es immer wieder zu den Vergleichen? Wir denken, oftmals werden solche Vergleiche aus Unwissenheit und den starken Eindrücken des Erlebten getätigt. Ein zweiter Punkt ist vielleicht das Bedürfnis, Teil einer größeren Bewegung zu sein, die Geschichte schreibt, und dabei das Gefühl zu haben, an etwas wichtigem mitzuwirken. Beides ist verständlich, vernebelt aber den realistischen Blick auf das Ausmaß von Polizeigewalt und auf den aktuellen Stand der linken Bewegung. Deshalb halten wir es für notwendig, erste Eindrücke von der Demo und das Bedürfnis, Teil von etwas großem und wichtigem zu sein, kritisch zu reflektieren, um zu einer realistischen Einschätzung zu gelangen.
Was bewirkt der NS-Vergleich in der aktuellen Situation? Einerseits, leistet er – vielleicht sogar ungewollt – einer Abwehr der deutschen Schuld an einem einmaligen Verbrechen Vorschub. Wenn Hitler = Erdoğan ist, dann kann das, was in Deutschland geschehen ist, ja gar nicht so schlimm gewesen sein. Die industrielle Vernichtung von Menschen bleibt aber eine historische Einmaligkeit. Der Vergleich von Hitler und Erdoğan und die Darstellung der Türkei als neues Naziregime spielen allerdings auch noch auf einer anderen Ebene eine Rolle. Sie spielen konservativen, und islamfeindlichen Strömungen in der hiesigen Politik in die Hände. Diese können sich erstens auch als geschichtlich geläutert inszenieren, wenn Sie eine Zusammenarbeit mit der Türkei ablehnen. Zweitens können sie auf diese Weise einen EU-Beitritt der Türkei weiter in die ferne Zukunft verschieben und die seit Jahrzehnten fortgesetzte Hinhaltetaktik der EU gegenüber der Türkei weiter fortsetzen. Die Abwehr gegen einen EU-Beitritt der Türkei speist sich jedoch nicht aus Besorgnis über einen Mangel an Demokratie und Menschenrechten – wenn dies der Fall wäre, müssten dieselben z.B. auch das brutale Grenzregime der EU oder antidemokratische und antisemitische Entwicklungen im EU-Mitgliedsstaat Ungarn kritisieren. Vielmehr geht es dabei darum, die Türkei als islamisch geprägtes Land nicht in die EU aufzunehmen, sowie um die Sorge davor, dass TürkInnen ungehindert in die EU einreisen könnten. Für die Menschen in der Türkei und für türkischstämmige Personen in Deutschland hat dies ganz praktisch negative Auswirkungen, z.B. bei Reisen zwischen Türkei und EU. Die Darstellung der Türkei als Widergänger des NS-Regimes ist also nicht nur inhaltlicher Schwachsinn, sondern spielt auch realpolitisch denen in die Hände, die rassistisch gegenüber TürkInnen eingestellt sind.
Wir möchten daher alle auffordern, auf dämliche Vergleiche aller Art zu verzichten. Ein plumper Vergleich trägt nichts zu einer realistischen und damit auch politisch nutzbaren Analyse der Situation bei, sondern richtet im Gegenteil nur Schaden an. Abschließend möchten wir noch mitteilen, dass wir uns auch nicht sicher sind, was der richtige Ausdruck für die aktuelle Politik der türkischen Regierung ist. Erdoğan ist mit Sicherheit autoritär, und seine Selbstinszenierung erinnert an einige Diktatoren. Auch für den Einsatz der türkischen Polizei mag die Bezeichnung „faschistoid“ angemessen sein. Ob in der Türkei gerade eine Diktatur entsteht, und wie diese zu bezeichnen wäre, kann aber nur die Zukunft zeigen.
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Wir freuen uns über Diskussionen zum Text.
polizeigewalt
Polizeigewalt ist nun mal Polizeigewalt, in jedem Land auf der Welt.
Vergleiche
Der Vergleich Frankfurt - Türkei zielt meines Erachtens nicht auf den Umfang der Proteste oder die Brutalität der Repression ab, sondern auf die Tatsache, dass überall Kritik, sobald sie auf die Herrschenden zu bedrohlich wirkt oder ihre Interessen aktiv gefährdet mit Repression bedacht wird. Dabei versuchen die Herrschenden genau das Maß an Repression zu wählen, das sie für nötig erachten, um die Kritisierenden mundtot zu machen oder ihre Interessen dennoch durchzusetzen.
In Frankfurt war das Ziel des Polzeieinsatzes möglicherweise eine systemkritische Demo zu verhindern, Demonstrierende für die Zukunft einzuschüchtern, Polizeitaktien und die öffentliche Reaktion darauf auszutesten, Bilder von demonstrierenden Massen vor der militärisch gesicherten EZB zu verhindern, die Debatte von den Inhalten der Demo auf den Polizeieinsatz zu ziehen, etc.
In Istanbul liegt der Grund für die Reprssion tatsächlich woanders: Die türkische herrschende Klasse sieht sich wachsenden inneren Widersprüchen gegenüber und steht zunehemend unter Druck ein hohes Wirtschaftswachstum zu erzielen. Dafür versucht sie einerseits, ein militärisches Engagement in Syrien durchzuführen um als imperialistische Regionalmacht aufzutreten und sich neue Märkte zu sichern, dies scheitert jedoch (momentan noch) an der fehlenden Unterstützung der Nato. Die andere Schiene die sie fahren, ist durch Großbauprojekte Investoren ins Land zu ziehen. Jetzt mag man meinen, dass Erdogan die Reaktionen auf die Repression falsch eingeschätzt hat und es erst dadurch zur Eskalation kam. Andererseits stellte sich wohl aus Erdogans Sicht die Frage: Was passiert, wenn ich die Besetzung vorerst dulde? Riskiere ich damit eine Gefährdung weiterer Bauprojekte?
Aus meiner Sicht ist die Frage nach der Dimension der Repression daher reines politisches Kalkül und somit sind zumindist in dieser Hinsicht Frankfurt und Istanbul miteinander vergleichbar. Wenn man sich zudem ansieht wie der deutsche Staat sein Repressionsarsenal ausbaut, dann deutet auch das darauf hin, dass die herrschende Klasse immer versuchen wird die nötigen Mittel einzusetzen, um ihre Interessen zu wahren. Und das waren in Frankfurt nun mal Pfefferspray und Schlagstock, in Istanbul Verhaftungswellen, Wasserwerfer, Gas, etc., andernorts wird scharf geschossen und vielleicht erleben wir ja in einigen Jahren / Jahrzehnten auch hier unbemannte Kampfdronen.
Zur Sache mit den NS-Vergleichen: Hab ich noch nirgends gesehen. Mir ist nur aufgefallen, dass Erdogan und sein Regime oft als faschistisch bezeichnet werden. Dazu müsste man sich jetzt näher mit dem Faschismusbegriff auseinandersetzen. Ohne das jetzt hier zu tun möchte ich aber bezweifeln, dass der Begriff für das türkische Regime angemessen ist.
zu wenig
naja also ich finde die These, dass Vergleiche generell nicht gut sind unlogisch. Es müsste heißen die Gleichsetzung ist falsch und gefährlich. Ein Vergleich bedeutet ja Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu analysieren. Weshalb das nicht gehen soll verstehe ich nicht. Dass ein Schluss eines Vergleichs, wie in dem Text festgestellt, sein muss, dass eine GLEICHSETZUNG falsch ist dafür volle Zustimmung. Die Feststellung Erdogan ungleich Hitler ist mir persönlich zu kurz. Da müsste eine Analyse stehen was Faschismus bedeutet und weshalb ja oder nein die AKP-Regierung unter Erdogan faschistisch ist. Dennoch danke für den Text den Ansatz halte ich etwas für irrtümlich formuliert aber dennoch sehr wichtig.
polizeischland
Deutschland setzt lange auf personal- und Menschenstaerke, wuerde es hier einen aufstand geben , wuerden sich einige wundern wozu die polizei hier faehig ist und gummigeschosse wuerden, uns auch um die ohren fliegen. Wisst ihr eigentlich welcher druck der neue wasserwerfer erzeugen kann, was beigemischt werden kann und was die polizeigewewerkschaft fuer waffen gegen demonstrierende fordert. Daran solltet ihr sie messen, sprechen sie sich doch in ruhigen zeiten fuer aufruestung eines staates mit immens hoher polizei dichte und bester ausruestung aus. Waehrend demonstrantInnen nicht einmal schutz zugestanden wird, das ist dann passive bewaffnung..und in frankfurt wird der polizeistaat wegen harmlosen blocvupien wohl auch im naechsten jahr wieder polizeinotstand ausgerufen. Bei ein klein wenig widerstan kommt dann auch der wasserwerfer, durchaus eine deutsche spezialitaet..
schland
Ich sehe nicht, dass in dem Text der These "auch in Deutschland praktikabel und im Ansatz schon gehabt" wiedersprochen wurde. Lokal begrenzt und über einen kürzeren Zeitraum hatten wir ähnliches bei Reagan 81, zu den Räumungen und dem Tod von Klaus Jürgen Rattay, zum 1. Mai 87 und 89 und drei Tage zur Mainzer - Räumung (am ersten Tag gezählte 2000 Gaskatuschen. Türkei laut Presse 140 000) in Berlin, zu den Hafentagen in Hamburg, Startbahn/West Frankfurt, in Brokdorf oder Wackersdorf...Uns ist allen klar, was kommen kann und wird. Auch in der "extendet Version".
Trotzdem ist der Vergleich mit Stuttgart 21 und Blockupy (beides ein Vorgeschmack) in Situation und Inhalt falsch.
Bei manchen hat das aber den zarten Touch eines Rankings. Da ist vollends daneben.
Capulcu
Zwar nicht alles falsch, aber im ganze doch ein ziemlich aufgeplusterter Text zu einem recht unwichtigen Randaspekt. Macht lieber was sinnvolles mit eurer Zeit, anstatt solche Trivilialitäten aufzuschreiben. Erdogan ist nicht Hitler? Echt, boah, danke, dass es mal jemand sagt.
der vergleich findet statt
facebook.com/photo.php?fbid=502966193109061 (ich hoffe auch ohne account aufrufbar)
Hitler für Islamisierung?
Oder hier (aber das sind eh Schwachmaten. Naja Nazis halt):
facebook.com/photo.php?fbid=586283351392308
Mehr Vergleiche
Danke für diese interessante Einschätzung und den nicht minder guten Kommentar.
Ein paar Worte dazu.
Den Vergleich oder gar die Gleichsetzung der Situation in der Türkei mit Blockupy oder Stuttgart 21 (gibt es ganze Artikel dazu auf Linksunten) finde auch ich überzogen und in Gänze inhaltlich falsch. Polizeieinsatz ist halt nicht Polizeieinsatz.
Schön, dass es mal thematisiert wird.
Ein Plakat Erdogan = Hitler habe ich lediglich auf Spiegel - Online gesehen.
Ich war auf ziemlich viele Solidaritätsaktion und - Demonstrationen in Berlin. Dort sah ich weder solche Plakate noch Banner. Der Faschismus wurde oft benannt. Sicherlich auch aufgrund der Erfahrung der Militärputsche in der Türkei 1971 und 1980.
Schon damals gab es zum Faschismus - Begriff in dieser Situation breite Diskussionen in der türkisch/ kurdischen Linken und der Solidaritätsbewegung. Erinnere mich desen noch anhand der Besuche von Evren und Özal in Berlin und der Mobilisierung zu grossen Demos in Berlin dazu (wg. fehlendem Internet siehe Archive der Sozialen Bewegungen)
Der inflationäre Hitler - Vergleich ist ansonsten eher das Ding Bahamas - naher antideutscher Gruppen. (siehe Homepage "Pro Zion NRW"). Dort werden Ahmadineschad, Assad, Castro, Chavez, Morales...gleichgesetzt. Dies ist sowohl historisch wie inhaltlich falsch. Diese Gruppen haben aber mit der Solidaritätsbewegung eher nichts zu tun. Erdogan haben sie bisher weder als Faschist bezeichnet noch mit Hitler verglichen.
Es ist sehr wohl ein Diskussionspunkt, ob Erdogan auf dem Weg in eine Diktatur oder einen Klerikal - Faschismus ist. Dieses wird diskutiert. Ob der zunehmenden Einschränkung der Bürgerrechte, den Auslandsmorden des türkischen Geheimdienstes MIT, über 10000 verhafteten kurdischen PolitikerInnen, der Etablierung einer Gefängnis - Republik und den Einsätzen in Kurdistan (trotz vermeintlichem Imrali - Friedensprozess) zumindest verständlich.
Ansonsten sind die zur Zeit teitweise auftauchenden Hitler/Merkel- und Erdogan/Hitler - Plakate eher Ausdruck eines unausgegorenen Bauchgefühls und nicht überzubewerten.
Weder in Griechenland, der Türkei noch auf Solidaritätsdemos habe ich sie in grossem Stil gesehen.
Was ist der Unterschied zwischen Frankfurt und istanbul?
erstmal vielen dank für eure micro-berichterstattung via twitter, ich lese das sehr gerne. vllt. könnt ihr öfters längere texte hier oder anerswo veröffentlichen, ist sicher spannend. da ihr nun zur diskussion einlädt, will ich mich daran beteiligen:
über hitler-vergleiche will ich hier nicht reden, da bin ich ganz bei euch!
was ist aber nun der unterschied zwischen frankfurt und istanbul? wie ihr ganz richtig festgestellt habt das ausmaß, die dimension. nun aber weitergefragt: wieso reagiert die polizei in istanbul härter als in frankfurt?
wer sich die gschichte der besetzung des geziparks anschaut, sieht, dass das nicht stimmt. grob gesagt reagierte die deutsche polizei in frankfurt genauso wie die türkische polizei bei den rümungen des geziparks V O R dem 31.Mai/1.Juni, bevor sie es in die weltweiten nachrichten geschafft haben.
der widerstand
und hier ist der erste große unterschied: während sich in frankfurt die leute mehr oder weniger resignativ gebeugt haben, wurde in istanbul aktiv versucht, den park wiederzubestzen.
repression heißt übersetzt soviel wie zurückdrängung. sinn und zweck ist es , dass aktivistInnen in eine lähmende angst verfallen(öffentlich zuzugegeben, dass mensch angst hat, kann übrigens den gegegnteiligen effekt haben-siehe den zusammenbruch der ddr). dies passiert auch in den allermeisten fällen. umso aufregender sind deswegen die beispiele, wo dies nicht passiert. diese erfordern dann auch eine reaktion. im falle des taksimplatz war dies eben noch härtere repression.
wer sich die ausrüstung der riotpolizei v.a. in den "westlichen" ländern ansieht, merkt, dass dies v.a. eine psychologische wirkung haben soll. sie soll signalisieren: ihr könnt uns nichts anhaben, aber wir können alles mit euch machen. da diese wirkung schon gewalt ist, kann die polizei so auf psychische gewalt immer öfters verzichten(deswegen gab es die meisen toten bei demos in der brd inden 70ern und 80ern) doch diese gewalt ist genauso zerstörend: es zerstört den geist, die fantasie, die erwartungshaltung und den möglichkeitshorizont der aktiven menschen. dies ist, was in frankfurt passier ist.
die erfahrung zeigt übrigens, dass diese supergepanzerten polizit_innen keineswegs unverwundbar sind. vor allem sind sie nicht sehr beweglich...
Die lüge und die wahrheit
ich will den diese psychologie um ein gedankenexperiment erweitern: was wäre passiert, wenn der taksim platz in frankfurt liegen würde? wie hätte da polizei und politik auf eine militante wiederbesetzung reagiert? ich behaupte folgendes: die polizei hätte nix zu melden, statt dessen würde eine ganze reihe von vermittlern aufgetreten. die forderungen der plattform taksim-solidarität wären verhandelt worden und es wär folgendes rausgekommen:
1., es gibt gemeinsame verhandlungen über die nutzung des taksim platzes, des parks und des kulturzentrums. wenn dann ganz was anderes gebaut werden würde, dann pech gehabt. wer konnte schon ahnen, dass die baufirma scheisse ist bzw. alles so teuer bzw whatever..
2., jeder tränengaseinsatzmuss der behörde xyz gemeldet werden.
3., alle leute, die im knast sitzen und denen nix gröberes vorgeworfen wird, werden freigelassen.
4., demos können nach bewilligung der behörde xyz stattfinden.
sprich: keine einzige der forderungen würde ernsthaft erfüllt werden, dies würde aber hinter eine schwall von lügen, die mediation genannt werden, versteckt. (dies wurde auch in der türkei probiert, aber erdogan war zu ungeschickt, und die, die besser waren, zu machtlos) mediation kann nur zwischen 2 einigermaßen gleichstarken/mächtigen teilen funktionieren. mediation zwischen dem staat und seinen bürgerInnen ist immer erpressung und lüge. die basis der lüge ist die oben genannte gewalt, doch die lüge verschleiert gleichzeitig diese gewalt.
so, die antwort ist jetzt etwas länger geworden, hoffentlich finden sich trotzdem genug menschen, die das lesen. vlt. wäre ein eigener artikel besser gewesen, aber egal...
Istanbul ist überall
Meiner Ansicht nach geht die politische Intention des Artikels in eine falsche Richtung. Ich stimme zu, dass der Faschismusvergleich Unsinn ist (bzw. die politischen Strömungen, die seit Jahren die Türkei als "faschistisch" bezeichnen, schlicht einen anderen Begriff von Faschismus verwenden - einen, nachdem die meisten Länder der Welt faschistisch wären). Unstrittig richtig ist natürlich, dass die Brutalität der türkischen Bullen überhaupt nicht zu vergleichen ist mit Deutschland, und das Ausmaß der Proteste, der gesellschaftlichen Wut usw. Aber ich denke nicht, dass es darum geht.
Warum versucht ihr, die Gemeinsamkeit wegzudiskutieren, dass wir - hier wie dort - gegen die Auswirkungen jahrelanger sozialer Angriffe und kapitalistischer Krisenpolitik kämpfen?
"Ein zweiter Punkt ist vielleicht das Bedürfnis, Teil einer größeren Bewegung zu sein, die Geschichte schreibt, und dabei das Gefühl zu haben, an etwas wichtigem mitzuwirken."
Dieser Satz bringt es auf den Punkt... Ja, ich denke wirklich, wir sollten Teil einer größeren Bewegung sein, die Geschichte schreibt! Insofern wir davon in Deutschland weit entfernt sind, können uns die Aufstände in der Türkei (in Griechenland, in Nordafrika ...) nur als bestes Vorbild dienen. Daher vergleichen wir unsere Proteste so gerne mit den weit radikaleren, mutigeren Protesten andernorts...