Aufruf der antifa nt zur antifaschistischen Demo anlässlich des NSU-Prozesses am 13.04. in München Am 17. April 2013 wird am Oberlandesgericht München der Prozess gegen einige Akteur_innen des Nationalsozialistischen Untergrunds beginnen. Angeklagt sind Holger Gerlach, André Eminger, Carsten Schultze, Ralf Wohlleben und Beate Zschäpe. Auch wenn wir bis heute nicht genau wissen und wissen können, wie genau der NSU struktuiert war, wer was tat und wer wieviel wusste, so ist doch unzweifelhaft klar, dass er mehr Akteur_innen umfasste, als die fünf in München angeklagten.
Der NSU war nicht das „Terrortrio“, als das er oft in der boulevardesken Berichtserstattung erscheint, er war logistisch und ideologisch in Nazistrukturen eingebunden. Nur so konnte er 12 Jahre lang im Untergrund agieren, zehn Menschen ermorden, mindestens einen Sprengstoffanschlag verüben und eine ganze Reihe von Banküberfällen begehen. Nicht angeklagt sind die Mitarbeiter_innen der Verfassungsschutzämter, die das Umfeld des NSU mitaufgebaut, logistisch unterstützt, finanziert und bei den Morden des NSU zumindest weggesehen haben.
Die mediale und gesellschaftliche Bedeutung des Prozesses wird zumindest zu Beginn enorm sein. Hunderte Journalist_innen und andere Prozessbesucher_innen werden sich um die wenigen Plätze im Gerichtssaal streiten müssen und selbst diejenigen, die es in den Saal schaffen, werden dort auf einer Empore über dem Verhandlungsbereich sitzen und somit vieles, was sich im Prozess ereignet, gar nicht sehen können. Das Oberlandesgericht München tut somit alles, um eine kritische Berichterstattung über den Prozess zu verhindern. Und das obwohl gerade die bürgerliche Öffentlichkeit große Erwartungen an den Prozess hat. Vergleiche mit den Stammheimer RAF-Prozessen sind schnell bei der Hand und die Süddeutsche Zeitung spricht stellvertretend davon, dass der Prozess eine „kathartische“, also „reinigende“, beruhigende, harmonisierende, versöhnende, „Wirkung entfalten könnte“.
Der Prozess soll das wiederherstellen, was spätestens mit dem NSU 
vollständig verloren gegangen sein muss: das Vertrauen in staatliche 
Behörden im Kampf gegen Nazis und Rassismus. Mit seinem Urteilsspruch 
soll auch ein Schlussstrich unter den NSU gesetz werden, die 
Verantwortlichen benannt und bestraft und damit dann wohl auch wieder 
vollständig zur Tagesordnung übergegangen werden.
Die Rolle, die dieser Prozess für uns als antifaschistische Linke 
spielt, ist ambivalent. Einerseits gibt es die Hoffnung, dass sich im, 
durch und während des Prozesses noch einiges über den NSU, seine Taten 
und die Verstrickungen der Sicherheitsbehörden durch Vertreter_innen der
 Opfer und Angehörigen sowie der kritischen Öffentlichkeit aufklären 
lässt. Andererseits – und dieser Aspekt überwiegt deutlich – wäre es 
naiv und gefährlich, sich allzu viel vom Prozess zu erwarten. Gegenstand
 des Verfahrens werden die strafrechtlich relevanten, nicht-verjährten 
Taten eines kleinen Teils des NSU bzw. dessen Umfeld sein. Die Fragen 
nach logistischer und ideologischer Einbindung in die gesamte deutsche 
Naziszene, die Fragen nach der Rolle der Verfassungsschutzämter und vor 
allem die Frage nach dem Rassismus, der den Morden zugrunde liegt, 
werden dort kaum oder gar nicht thematisiert werden. Genau diese stellt 
sich aber in Bezug auf den NSU. Der Beginn des NSU-Prozesses ist für uns
 daher nicht Anlass ans Gericht zu appellieren, sondern die Fragen zu 
stellen, die sich strafrechtlich gar nicht beantworten lassen, sondern 
nur politisch und gesellschaftlich.
Die Mordserie des NSU bedeutet für die antifaschistische Linke eine 
Zäsur, einen Bruch, nach dem es nicht einfach so weiter gehen kann. Der 
Prozess kann nur ein Anlass sein gegen Naziterror, staatlichen und 
alltäglichen Rassismus zu demonstrieren und den Opfern und ihren 
Angehörigen gegenüber Empathie und Solidarität auszudrücken. Ein Anlass 
unter unendlich vielen. Der Schock, den das Bekanntwerden des NSU und 
seiner Morde auch bei Antifas hinterlassen hat, sitzt noch immer tief. 
Die Konsequenzen, die wir aus dem NSU und der rassistischen Mordserie 
ziehen müssen, sind noch längst nicht klar. Angesichts des Ausmaßes der 
NSU-Morde war die Reaktion autonomer Antifas über einige Zeit oft 
verhalten und defensiv. Wir stehen noch immer am Anfang einer Debatte. 
Doch eines scheint uns klar und notwendig: Das Problem heißt Rassismus 
und der Kampf muss sich offensiv gegen staatlichen und 
gesellschaftlichen Rassismus richten, der die Grundlage des Naziterrors 
ist.
 Wenige Tage nach Bekanntwerden des NSU schrieb der Spiegel: „Doch schon
 jetzt steht fest: Deutschland hat es mit einem neuen Phänomen zu tun – 
kaltblütig mordende Rechtsextremisten“ und hatte damit Recht und Unrecht
 zugleich. Recht hatte er, weil sich tatsächlich nur wenige vorstellen 
konnten, was über die letzten zwölf Jahre vor sich gegangen war.  Das 
„Neue“ daran ist aber nicht, dass Nazis kaltblütig morden, sondern, dass
 sie dabei über einen so langen Zeitraum nicht entdeckt wurden, weil 
Ermittlungsbehörden und weite Teile der Öffentlichkeit die rassistische 
Dimension der Mordserie nicht begriffen haben, „neu“ scheint auch das 
Ausmaß der Verstrickungen des Inlandsgeheimdienst und der staatlichen 
Sicherheitsbehörden, die Strukturen um den NSU herum aufbauten und 
finanzierten und die Morde zumindest nicht gesehen haben oder nicht 
eingeschritten sind. Die Erkenntnis aber, dass Nazis kaltblütig morden, 
solange sie niemand daran hindert, ist so banal, wie sie fürchterlich 
ist. Rassismus tötet und Mord war seit jeher zugleich Mittel und Zweck 
des Nationalsozialismus. 
„Halbverrückte Spinner“ und „Bedauerliche Pannen“
Die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden, die die rassistische 
Dimension der Morde nicht nur nicht sahen, sondern nicht sehen wollten, 
ist dabei auch keine „bedauerliche Panne“ geschweige denn „Einzelfall“. 
Sie sind selbst Ausdruck des Rassismus innerhalb der Behörden. Und das 
auch nicht erst seit dem NSU.
Am 19. Dezember 1980 wurden in Erlangen Frida Poeschke und Shlomo Lewin 
in ihrer Wohnung ermordet. Lewin war Antifaschist, Rabbi und ehemaliger 
Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg. Er plante in 
der Zeit vor seiner Ermordung auch in Erlangen eine jüdische Gemeinde zu
 gründen. Der Mörder war Uwe Behrendt, Mitglied der neonazistischen 
Wehrsportgruppe Hoffmann. Er schoß mit einer Maschinenpistole mehrere 
Male auf Poeschke und Lewin, bis diese tot zusammenbrachen. Am Tatort 
ließ er eine Sonnenbrille zurück, die Franziska Birkmann, der 
Lebensgefährtin von Karl-Heinz Hoffmann, dem Anführer der 
Wehrsportgruppe, gehörte. Eine Gravur auf dem Bügel der Brille verwies 
auf ein Optikergschäft im Nachbarhaus von Hoffmanns vormaliger 
Meldeadresse.
Die Polizei ermittelte damals „in alle Richtungen“. Konkret hieß das 
dann: innerhalb der jüdischen Gemeinde. Ermittlungen gegen 
neonazistische Gruppen gab es zunächst nicht. Auch damals wurde das 
antisemitische Motiv der Morde nicht ernst genommen, auch damals fielen 
erste Verdächtigungen auf das Umfeld der Opfer. Erst nach 5 Wochen wurde
 Birkmann das erste Mal vorgeladen, Behrendt hatte Zeit sich in den 
Libanon abzusetzen, wo er Suizid beging. Viele Spuren wurden überhaupt 
nicht verfolgt, wie etwa die Zeugenaussage bei der Munition handle es 
sich um verschwundene Bestände der Polizeiinspektion aus dem nahe 
gelegenen Ansbach. Hoffmann, der damals in der Nähe von Erlangen wohnte,
 galt als Drahtzieher und Auftraggeber des Mordes. Im Prozess wurde er 
von einem ehemaligen Mitglied der Wehrsportgruppe belastet. Das Gericht 
allerdings glaubte Hoffmann, der behauptete, Behrendt sei „Einzeltäter“ 
gewesen. Wegen anderer Delikte wurde Hoffmann zu neuneinhalb Jahren 
verurteilt, wegen „guter Führung“ allerdings nach zwei Dritteln der 
Haftdauer frei gelassen.
Wenige Monate zuvor war es schon einmal eine Einzeltäterthese, die 
Hoffmann vor juristischer Verfolgung bewahrte. Gundolf Köhler, ebenfalls
 Mitglied der einige Monate zuvor verbotenen Wehrsportgruppe Hoffmann, 
platzierte in einem Mülleimer vor dem Haupteingang des Münchner 
Oktoberfests eine Nagelbombe. Durch die Explosion kamen 13 Menschen, 
unter ihnen Köhler, ums Leben, über 200 wurden zum Teil schwer verletzt.
 Es ist der verheerendste nazistische Anschlag der deutschen 
Nachkriegsgeschichte. Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und des 
bayrischen LKA wurden nach zwei Jahren eingestellt, staatlicherseits 
wurde die Rolle der Wehrsportgruppe Hoffmann, die Frage nach der 
Herkunft der Bombe und der Motivation nicht aufgeklärt. Die 
Bundesanwaltschaft ließ – entgegen der Indizien – wissen, Köhler sei ein
 Einzeltäter, er habe „aus einer schweren persönlichen Krise und/oder 
aus übersteigertem Geltungsbedürfnis gehandelt“. Sie stützte sich dabei 
ausschließlich auf die Aussage eines mit Köhler befreundeten Neonazis, 
der angegeben hatte, Köhlers Motivationen seien „eine unglückliche 
Liebesgeschichte, eine gescheiterte Diplom-Vorprüfung an der Uni und 
Geldsorgen“ gewesen.
Die bayrische Staatsregierung hatte sich in den Jahren zuvor immer 
wieder geweigert, die Wehrsportgruppe Hoffmann zu verbieten. Der 
bayrische Innenminister bemerkte im Februar 1980 nach dem Verbot durch 
das Bundesinnenministerium, Grund sei nicht die reale Gefahr gewesen, 
sondern das Ansehen Deutschlands im Ausland, das unter den 
„halbverrückten Spinnern“ leide. Er hatte zuvor verlauten lassen, 
solange die Gruppe sich an „Waffengesetz, Naturschutzgesetz und 
Straßenverkehrsordnung halte“ könne man nichts gegen ihre 
Wehrsportübungen unternehmen. Zum Zeitpunkt ihres Verbots hatte die 
Wehrsportgruppe ca. 400 Mitglieder und veranstaltete paramilitärische 
Übungen. Bei den folgenden Hausdurchsuchungen wurden Pistolen, Gewehre, 
Munition und Granaten gefunden. Kein Jahr später hatten die 
„halbverrückten Spinner“ 14 Menschen ermordet.
Bei den Ermittlungen zur Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter in
 Heilbronn hingegen dauerte es nicht lange, bis eine heiße Spur gefunden
 war. In der Nähe des Tatorts wurde gerade ein Volksfest aufgebaut. 
„Mehrere Sinti- und Roma-Familien mit ihren Wohnwagen“ hielten sich 
„keine hundert Meter vom Tatort entfernt“ auf, wusste der Stern 
seinerzeit zu berichten und weiter: Heilbronn liege „in der Nähe 
bekannter Stützpunkte großer Sinti- und Roma-Clans“. Von Seiten der 
Polizei hieß es damals: „Wir prüfen auch intensiv im Zigeunermilieu”. 
Der Zynismus, der solchen Aussagen zugrunde liegt, ist eigentlich 
unaushaltbar. Während unbehelligt von Verfassungsschutz und Polizei der 
NSU im Wohnmobil quer durch Deutschland reist, um (vermeintlich) 
nicht-deutsche Menschen zu ermorden, nehmen die selben 
Sicherheitsbehörden die bloße räumliche Nähe von Wohnmobilen, die 
Rom_nija oder Sinti_zza gehören sollen, als ernstgemeintes Indiz, die 
Mörder_innen von Michèle Kiesewetter entstammten einem 
„Zigeunermillieu“.
Die ermittelnden Beamt_innen nahmen zudem an, die von ihnen vernommenen 
Anwohner_innen würden „mehr über die Tat wissen, als sie angeben“. Hier 
wird das alte antiziganistische Bild der „inneren Verschworenheit 
gegenüber der Polizei“ bemüht. Die Plausibilität, die die rassistischen 
Annahmen sowohl für die ermittelnden Beamt_innen, wie für breite Teile 
der Öffentlichkeit, die durch die Medien über das „Zigeunermillieu“ 
„aufgeklärt“ wurden, hatten und haben, sind nicht verständlich ohne die 
gewaltige und gewalttätige Macht die antiziganistische Vorstellungen, 
Bilder und Diskurse in Deutschland haben. Die irrsinnige 
Assoziationskette Wohnmobil – „Sinti und Roma“ – Kriminalität – 
Verschworenheit gegenüber den Ermittler_innen – Mordbeteiligung 
erscheint aus antiziganistischer Perspektive in sich logisch und 
weiterer Begründung nicht bedürftig. Es ist dasselbe rassistische 
Denken, dass es über Jahre hinweg plausibel machte, anzunehmen, neun 
„türkische bzw. griechische“ Gewerbetreibende seien in dubiose Geschäfte
 und mafiöse Machenschaften verstrickt und deshalb auch ermordet worden.
Dass Sinti_zza und Rom_nija zu Verdächtigen im Mordfall Kiesewetter 
wurden, weil in der Nachbarschaft Menschen in Wohnwägen wohnten, ist 
keine ermittlungstechnische „Panne“, sondern  Folge des Rassismus 
innerhalb der Polizeibehörden. Dass die Polizei über Jahre hinweg 
rassistische Morde als internen Konflikt eines ebenfalls rassistisch 
markierten „kriminellen Millieus“ behandelt, die Opfer und ihre 
Hinterbliebenen als Verdächtige und Verstrickte darstellt, ist keine 
ermittlungstechnische „Panne“, es ist Folge des Rassismus innerhalb der 
Polizeibehörden.
Dass die vielen Hinweise auf rassistische Motive bei neun der zehn 
bekannten NSU-Morde vernachlässigt wurden, ist keine 
ermittlungstechnische „Panne“, sondern Folge des Rassismus innerhalb der
 Polizeibehörden.
Nach der Selbstenttarnung des NSU dauerte es noch ein halbes Jahr, bis 
sich das BKA zu einer Entschuldigung durchrang. Er könne versichern, 
„dass es im Interesse aller deutscher Sicherheitsbehörden liegt, keine 
Bevölkerungsgruppe unter Generalverdacht zu stellen“ so BKA-Chef 
Ziercke.
 Bis 1970 gab es beim bayrischen Landeskriminalamt die sogenannte 
„Landfahrerkartei“, in der Informationen über Sint_izza, Rom_nija und 
andere als „Zigeuner“ verfolgte Menschen  - zur „Verbrechensbekämpfung 
und -aufklärung“ – zentral erfasst wurden. Die darin gespeicherten Daten
 entstammten zum Teil noch den Datensätzen, mit denen die Nazis 
Verfolgung und Ermordung organisiert hatten. Leiter der Stelle war 
Joseph Eichberger, ehemaliger Mitarbeiter des nationalsozialistischen 
„Reichssicherheitshauptamt“ und dabei verantwortlich für 
antiziganistische Deportationen. Bis 2001 gab es im Erfassungssystem für
 „Straftäter_innen“ bei der bayrischen Polizei die Kategorie 
„Sinti/Roma“.  Als im Oktober letzten Jahres das Oberverwaltungsgericht 
Rheinland-Pfalz die allgemeinen Mindeststandards bürgerlichen Rechts 
wahrte und entschied, racial profiling – also polizeiliche Massnahmen 
und Kontrollen aufgrund von rassistischen Annahmen – sei illegal, tobte 
der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt: „Man 
sieht wieder einmal, die Gerichte machen schöngeistige Rechtspflege, 
aber richten sich nicht an der Praxis aus!“
In einem Punkt ist Wendt zuzustimmen, die Praxis deutscher 
Polizeibehörden ist durch und durch rassistisch. Sei es durch 
Polizeikontrollen und alltägliche Schikane, sei es durch die 
Durchsetzung der Residenzpflicht, die die Bewegungsfreiheit von 
Asylbewerber_innen und Gedulteten auf ein behördlich bestimmtes Gebiet 
eingrenzt, oder sei es durch rassistische Verdächtigungen und 
Ermittlungen, wie gegen die Anwohner_innen in Heilbronn und die 
Angehörigen der NSU-Mordopfer. Im Fall des NSU zeigt sich deutlich: 
hätte die Polizei nicht rassistisch ermittelt, wäre es vielleicht 
möglich gewesen, den Täter_innen auf die Spur zu kommen und damit 
weitere Morde zu verhindern.
Nicht nur die Praxis der Polizei ist geprägt von rechten und 
rassistischen Ideologien, auch der Verfassungsschutz funktioniert nach 
ganz ähnlichen Prinzipien. Die Mischung aus wohlwollendem Wegsehen, 
Kleinreden und aktiver Unterstützung der politischen Rechten und ihrer 
Taten durch den Inlandsgeheimdienst verwundert dann nicht mehr, wenn man
 sich die Geschichte dieser Behörden vor Augen führt: Gegründet vor dem 
Hintergrund des Antikommunismus der Ära Adenauer unter Einbindung 
ehemaliger Nazis agierte er jahrzehntelang vor allem gegen linke 
Bewegungen. Vom westdeutschen Antikommunismus der Fünfziger über die 
Totalitarismustheorie bis hin zum aktuellen Gefasel von politischem 
Extremismus der Ränder, die die Mitte bedrohten, war sein ideologisches 
Leitmotiv die Diskreditierung der Linken und damit faktisch einhergehend
 die Verharmlosung und Unterstützung der politischen Rechten. Dass der 
VS dabei auch noch zwischen „normalem“ „Extremismus“ und einem 
sogenannten „Ausländerextremismus“ zu unterscheiden weiß, setzt dem 
Irrsinn noch die Krone auf.
All dies spielt sich in einer Gesellschaft ab, die sich um Sicherheit 
und Grundstückspreise fürchtet, wenn Asylbewerber_innen in ihr 
Stadtviertel ziehen, die sich nicht daran stört, dass 
Staatsangehörigkeit und ökonomische Verwertbarkeit bestimmen, wer hier 
leben kann und wer nicht, die bis heute den hunderttausendfachen 
industriellen Massenmord an Rom_nija, Sinti_zza und anderen als 
„Zigeuner“ oder „Asozial“ Verfolgten höchstens als Randnotiz beachtet 
und es ohne größere Rührung nimmt, dass tausende Menschen auf dem Weg 
nach Europa alljährlich im Mittelmeer ertrinken.
Das Problem heißt Rassismus!
Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, aber auch die meisten 
ihrer Unterstützer_innen, erfuhren ihre politische Sozialisation Anfang 
der Neunziger Jahre. Im Zuge der Wiedervereinigung erhielten 
Deutschtümelei und Nationalismus im wiedererstarkten, vereinigten 
Deutschland enormen gesellschaftlichen Zuspruch. Zugleich erlebte die 
deutsche Naziszene einen großen Aufschwung, sie konnte Profit aus dem 
gesellschaftlichen Rechtsruck schlagen. Schnell schlug die Stimmung in 
offene Gewalt gegenüber (vermeintlichen) Nicht-Deutschen und 
Migrant_innen um. In Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen griffen Nazis 
zusammen mit Bürger_innen Flüchtlingswohnheime an, während gleichzeitig 
Politik und Presse gegen Flüchtlinge und Migrant_innen mobil machte. 
Ende November 1992 verübten Neonazis in Mölln einen rassistischen 
Brandanschlag auf zwei Häuser. Drei Menschen wurden dabei getötet. Zwei 
Wochen später einigten sich CDU/CSU und SPD auf den sogenannten 
„Asylkompromiss“, der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. 
Am 26. Mai 1993 beschlioß der Bundestag mit Zwei Drittel-Mehrheit und 
Stimmen aus CDU/CSU, SPD und FDP die Abschaffung Grundrechts, drei Tage 
später zündeten Neonazis in Solingen ein Haus an, das eine türkischen 
Familie bewohnte. Fünf Menschen starben, 14 wurden schwer verletzt.
Die Nazis konnten sich damals nicht ganz zu Unrecht auf die Fahnen 
schreiben als „bewaffneter Arm der Stammtische“ erfolgreich gewesen zu 
sein und das nicht trotz, sondern wegen der tödlichen Gewalt, die von 
ihnen ausgeht. Es ist die Erkenntnis, dass Nazis und andere gewalttätige
 Rassist_innen, jenseits von parlamentarischer Vertretung, durch Terror 
ihren Beitrag zur Abschaffung des Grundrechts auf Asyl leisten konnten, 
die bis heute nachwirkt. Nazis konnten und können immer noch an 
rassistische Einstellungen, Diskurse und Mobilisierungen anknüpfen. Der 
Erfolg, den die Nazis mit und durch die rassistischen Pogrome und Morde 
hatten, ist nicht erklärbar, ohne die nationalistische Stimmung im 
Nachklang der Wiedervereingung und die rassistische Mobilmachung gegen 
Flüchtlinge und Migrant_innen durch weite Teile der deutschen 
Mehrheitsgesellschaft Anfang der neunziger Jahre mit in die Kritik 
einzubeziehen. Diejenigen, die damals von „Asylantenschwemme“ und „Das 
Boot ist voll“ sprachen und damit die faktische Abschaffung des 
Grundrechts auf Asyl vorantrieben, haben das Fundament für die 
Brandanschläge, Pogrome und Morde gelegt, selbst wenn sie sich nachher 
im Schein der Lichterketten betroffen zeigten. Die Folgen dieses 
Bündnisses aus Mob und Elite sind bis heute präsent: die militarisierte 
Migrationspolitik der Europäischen Union, Frontex und die tausenden auf 
dem Weg nach Europa im Mittelmeer Ertrunkenen.
Bei aller Notwendigkeit die Verstrickungen des Staates oder Teile seiner
 Organe zu skandalisieren, ist es vielsagend, wenn weiten Teilen der 
radikalen Linken zum Thema NSU nicht viel mehr einfällt als die – 
sicherlich richtige – Forderung nach der Abschaffung des 
Verfassungsschutzes. All jene Erklärungsansätze für den NSU, die sich 
ausschließlich für das Trio Mundlos – Böhnhardt – Zschäpe und die 
Verwicklungen des Verfassungsschutz interessieren, laufen ins Leere.
Rassismus als Leitmotiv steht an zentraler Stelle, sowohl was die Taten 
und die Verfasstheit des NSU in Bezug auf die Vorgehensweise staatlicher
 Behörden angeht, als auch ihrer medialen Thematisierung. 
Dementsprechend halten wir es für elementar notwendig, antirassistische 
Theorie und Praxis offensiv voranzubringen – gerade auch in (autonomen) 
Antifa- Zusammenhängen, in denen Antirassismus ein oftmals 
vernachlässigtes Thema ist. Eine antifaschistische Praxis, für die 
Antirassismus nichts als einen weiteren Teilbereichskampf darstellt, 
greift zu kurz.
Rassistische Zuschreibungen finden ihren Ausdruck nicht einzig in offen 
gewalttätiger Form. Diese Erkenntnis sollte eigentlich eine 
Binsenweisheit sein. Dass dem nicht so ist, zeigt nicht zuletzt der 
murmeltierartig wiederkehrende Reflex des Betroffenheitsäußerns und 
öffentlichkeitswirksamen Appelierens. Deren Zynismus liegt darin, dass 
sie als Anlass stets blutiger Gewalt bedürfen, um Rassismus überhaupt zu
 thematisieren. So aufrichtig manch bürgerliches Entsetzen über die 
Mordtaten des NSU auch sein mag, so schnell geht manch einer auch wieder
 den täglichen Geschäften nach: „Allen muss klar sein, dass wir uns als 
exportorientes Land, Ausländerfeindlichkeit gar nicht leisten 
können“ mahnte Innenminister Hans-Peter Friedrich. Das gleichzeitige 
Schweigenüber die ganz normale rassistische Realität in Deutschland ist 
dabei nur konsequent.Die zur Schau gestellete Betroffenheit funktioniert
 auch als Entlastungsstrategie für diejenigen, die im „vollen Boot“ 
sitzen oder von Abschiebemaschinerie, Illegaliesierung und „sicheren“ 
EU-Außengrenzen profitieren. Rassismus ist nicht allein ein 
„Nazi-Problem“ an einem fiktiven „Rand der Gesellschaft“. Er ist mehr 
als eine gewisse Disposition in puncto Verhaltensweise, Denkschema oder 
konkreter Handlungen Einzelner oder bestimmter sozialer Gruppen. Als 
eine über die Jahrhunderte etablierte Kultur der Dominanz weißer und 
meist völkisch definierter Deutscher konstituiert er Gesellschaft auf 
struktureller Ebene, wie auch die sozialen Beziehungen und Denkweisen 
ihrer Mitglieder.
Antirassismus muss mehr sein, als Aufklärung und gute Argumente. 
Keineswegs kann es nur darum gehen, das Leben in den hiesigen 
Verhältnissen ein bisschen weniger menschenverachtend und ein bisschen 
weniger ausgrenzend zu gestalten. Ideologien der Ungleichwertigkeit sind
 einer Gesellschaft, die auf Ausbeutung und Konkurrenz, Profit- und 
Verwertungslogik gründet, immanent. Staat, Nation und ihre Grenzen 
bedingen zwangsläufig Ausschluss und die Genese des modernen Rassismus 
fällt nicht zufällig mit der Herausbildung  kapitalistischer 
Wirtschaftsweise und kolonialer Herrschaft zusammen.
Auch im Zuge der aktuellen Krise zeigt sich deutlich, wie sehr 
rassistische Imperative zur Durchsetzung und Absicherung handfester 
kapitalistischer Interessen ins Felde geführt werden und wie schnell 
eigentlich überkommen geglaubte Bilder „fauler“ und zu ökonomischem 
Handeln unfähiger Südeuropäer_innen wieder an Bedeutung gewinnen können.
 Doch ist es falsch, Rassismus nur als eine Ideologie zu betrachten, die
 – mehr oder minder zielgerichtet und intentional – bei 
gesellschaftlichen Konfliktsituationen in Stellung gebracht wird. Sei es
 durch Spaltungsimpulse, das Aufstellen von Sündenböcken oder zur 
handfesten Herausarbeitung von Privilegien der Mehrheitsgesellschaft um 
als Ventil und Rettungsanker der bestehenden Verhältnisse zu dienen. 
Rassismus ist weit mehr als das! Er ist eine komplexe, die gesamte 
Gesellschaft und alle ihre Teilbereiche durchziehende und bestimmende 
Struktur und Organisationsweise, von der es in dieser Gesellschaft kein 
Außen geben kann. Darüber brauchen wir uns – auch als radikale Linke – 
keine Illusionen zu machen.
Eine konsequente Antwort auf den Themenkomplex NSU muss mehrgleisig 
fahren. Zum Einen hat klassische Anti-Nazi-Arbeit nichts von ihrer 
praktisch-politischen Notwendigkeit verloren – im Gegenteil: Nazis 
müssen auf allen Ebenen bekämpft werden.  Spätestens durch all die 
„Skandale“, Vertuschungen und Verstrickungen des Inlandsgeheimdienstes 
könnte es selbst den noch so Staatsgläubigen bewusst geworden sein, dass
 diese Institution nichts, aber auch gar nichts, zum Besseren zu wenden 
vermag, sondern Teil des Problems und nicht seiner Lösung ist. Die 
Bestrebungen dieser Einrichtung mehr Kompetenzen, etwa in der 
Bildungsarbeit, zu erlangen gilt es zurückzudrängen und zu 
delegitimieren. Der Inlandsgeheimdienst gehört abgeschafft, anstatt auch
 noch mit einem gemeinsamen Abwehrzentrum in Zusammenarbeit mit dem BKA 
belohnt.
Eine Kritik, die die Zusammenhänge zwischen alltäglichem, „ganz 
normalen“ und institutionalisiertem Rassimus mit dem Terror der Nazis 
nicht sieht oder nicht sehen will, blamiert sich an der 
gesellschaftlichen Wirklichkeit. Der Kampf gegen Nazis muss immer auch 
der Kampf gegen Rassismus in all seinen Formen sein.
Die Demonstration am 13. April ist kein Appell an den Staat und seine 
Justiz, die Angeklagten möglichst hart zu bestrafen. Diese Demonstration
 soll für uns Anlass einer gesellschaftlichen und innerlinken 
Auseinandersetzung und Debatte über alltäglichen und institutionellen 
Rassismus und ein Wachrütteln der eigenen Strukturen sein. 
Nicht einfach so weiter!
Mehr Infos unter:


Vielen Dank
Starker Text
Jepp
Da möchte ich mich anschliessen! Antirassistische Grüße aus Bremen!
stimmt, aber...
ja starker text find ich auch, aber wo die linke kaum dikussionen zu fuehren scheint ist die frage, wie widerstand gegen die nsu ueberhaupt moeglich gewesen waere, wenn wir die informationen rechtzeitig gehabt haetten. einerseits zeigt uns die erfahrung, dass wir nicht genug recherche betrieben hatten und dass wir momentan ueberhaupt keine strukturen haben, die einem faschistischen terrormob nachhaltig entgegntreten kann. diese 2 punkte sehe ich als nicht zu vernachlaessigen in der Diskussion.
solidarische gruesse