Seit 1994 findet jährlich am 23. Februar eine Fackelmahnwache auf dem Pforzheimer Wartberg statt. Unter Organisation des Neonazi-Vereins „Freundeskreis ein Herz für Deutschland“ wird hierbei der „deutschen Opfer“ des Zweiten Weltkriegs gedacht, die bei dem Luftangriff der Alliierten am 23. Februar 1945 ums Leben kamen. Damit findet mit 100-200 Teilnehmer*innen die größte regelmäßige faschistische Veranstaltung Baden-Württembergs statt.
Die Deutung der Nazis fällt in der Pforzheimer Öffentlichkeit auf 
fruchtbaren Boden. Über Jahrzehnte wurde der Angriff auf Pforzheim als 
„unnötiges Kriegsverbrechen“ charakterisiert. Dabei wurden maßgebliche 
historische Fakten, wie die NSDAP-Wähler*innen, die 1933 über 50% der 
Pforzheimer Stimmen ausmachten oder die Beteiligung an der deutschen 
Rüstungs-produktion für einen von Deutschland aus-gehenden 
Vernichtungskrieg außer Acht gelassen. Somit handelt es sich um bewusst 
eingesetzte Geschichtsverfälschung, die ebenso die Grundlage der 
„Trauerveranstaltung“ der Neo-nazis ist.
Zwar findet öffentlich ein Umdenken statt – aber eine Erklärung für den 
von Deutschland aus-gehenden Vernichtungskrieg soll auch hier nicht 
geliefert werden. Vielmehr wird betont, dass es bei allen Kriegsparteien
 Leid gegeben hätte. Weiter geht die Betrachtung nicht – und das ist 
auch folgerichtig. Denn der Zweck der staatstragenden 
Geschichtsschreibung ist in aller erster Linie die ideologische 
Legitimation des heutigen Deutschlands als „geläuterte Nation“, die auch
 wieder selbstbewusst in der Welt auftreten soll.
Bei den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Pforzheim finden wir eine 
so große Plattform für unsere Kritik, wie sonst nie im Jahr. Als Teil 
einer breiten Protestbewegung haben wir die Chance mit unserer Kritik 
sowohl innerhalb des bürgerlichen Lagers, als auch in Teilen der 
Bevölkerung eine Debatte über den bürgerlich-kapitalistischen Staat als 
Grundlage des Faschis-mus anzustoßen.
Dieser Aufruf ist als Teil dessen zu verstehen – deshalb möchten wir im 
Folgenden unsere Kritik an Nationalismus und Rassismus grob umreißen. 
Kapitalistische Staaten stehen auf dem Weltmarkt zueinander in 
Konkurrenz. Der Erfolg des einen Staats oder Staatenverbunds bedeutet 
notwendig die Niederlage eines anderen. Dabei wissen alle 
Gesellschaftsmitglieder, dass ihre gesamte Lebensgrundlage vom 
Staatserfolg abhängt. Fast alle Menschen leben hier direkt oder indirekt
 davon, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Kapitalist*innen müssen sich in 
großem Umfang ausrechnen, dass mit der Arbeit der Leute hier genug Geld 
zu verdienen ist.
Oberstes Staatsziel ist es dabei, möglichst gute Bedingungen im Vergleich zu anderen Standorten auf dem Weltmarkt zu schaffen.
Um das zu gewährleisten, verpflichtet der Staat seine gesamte 
Gesellschaft mit seinen Gesetzen auf die kapitalistische 
Produktionsweise. Mit seinem Gewaltmonopol setzt er durch, dass das 
gesamte Leben vom Erfolg in der Konkurrenz abhängt.
Konkret bedeutet das unter anderem, dass selbst die grundlegendsten 
Bedürfnisse nur dann befriedigt werden, wenn man auch dafür bezahlen 
kann und dass die Interessen der Arbeitenden prinzipiell unter die 
unternehmerische Gewinn-rechnung untergeordnet sind.
Wer akzeptiert, dass die Welt so eingerichtet ist, und sich positiv zum 
Staatsziel stellt, steht schon auf dem Standpunkt des Nationalismus. 
Weil Nationalist*innen also akzeptieren, dass sich alle ihre anderen
 Interessen nur dann erfüllen lassen, wenn der Erfolg in der 
Staatenkonkurrenz gegeben ist, machen sie sich den Staatserfolg als ihr 
oberstes Interesse zu eigen – sogar wenn das für den Einzelnen bedeutet,
 „den Gürtel enger zu schnallen“.
In dem Standpunkt „Deutschland zuerst“ unterscheiden sich Nazis nicht 
von den meisten Demokrat*innen. Sie unterscheiden sich nicht in ihrem 
Interesse, sondern darin, welche Mittel sie für den Erfolg der Nation 
für notwendig halten. 
Das soll keineswegs heißen, dass es keine Unter-schiede zwischen Demokratie und Faschismus gäbe – wer aber die Grundlagen des Faschismus an der Wurzel packen will, muss sich auf einen antinationalen Standpunkt stellen.
Jeder Staat basiert zu allererst auf Ausgrenzung. Er braucht elementar Staatsgrenzen und Staats-bürger*innen, über die er die ausschließliche Macht ausübt. Das funktioniert in der Logik von Staaten nur in Abgrenzung zu anderen Staatsgebieten und Menschen mit einem anderen Pass. Diese Aufteilung der Welt setzen Staaten auch vehement durch. Das geschieht beispiels-weise mit der Regelung der Staatsangehörigkeit (wer ist Deutscher, und vor allem: wer nicht?), wer darf einreisen, und wie werden Menschen davon abgehalten, die das nicht dürfen (Grenzschutz), oder wie wird ein Staat „Illegale“ wieder los (Abschiebungen).
Da verwundert es auch nicht, wenn Menschen aus einem anderen Land prinzipiell Misstrauen entgegengebracht wird. Sie sind ja Bürger einer konkurrierenden Staatsmacht – und dement-sprechend gibt es in der nationalistischen Logik immer die Befürchtung, dass sie im Zweifelsfall fremden Interessen dienen.
Daraus folgt, dass an Migrant*innen stets andere und höhere Maßstäbe angelegt werden. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass es keine Debatte über die stammtischdeutsche Parallelgesellschaft oder Schwaben, die sich weigern Hochdeutsch zu lernen, gibt.
Auch in diesem Punkt unterscheiden sich Nazis von den meisten Demokrat*innen nicht in ihrer Sortierung in verschiedene Völker – sondern in ihren Konsequenzen aus der Sortierung. Während der demokratische Staat ihm nützende Ausländer*innen gerne aufnimmt (während er andere zu Tausenden im Mittelmeer ersaufen lässt), sind Nazis hier nicht kompromissbereit: Für sie hat hier kein*e Ausländer*in was zu suchen.
Auch hier gibt es für die Betroffenen von Rassismus wieder gravierende reale Unterschiede – wer es aber ernst meint damit, dass Menschen nicht auf Grund ihrer Herkunft diskriminiert werden sollen, sollte auch hier wieder einen antinationalen Standpunkt einnehmen.
Aus unserer Erfahrung heraus wissen wir, dass die Verbreitung und Vermittlung von Kritik nicht nur auf Grund von sachlichen Argumenten geschieht. Meist ist es eine Kombination aus sozialer Interaktion, gemeinsamen Erlebnissen, kollektivem Reflektieren und sachlicher Kritik. Wir glauben also, dass als Teil einer realen Bewegung auch inhaltliche Diskussionen eher geführt werden – und gegen Nazis auf die Straße zu gehen, halten wir auch deshalb schon für sinnvoll, weil sie eine reale Bedrohung für politische Gegner*innen und Migrant*innen sind.
Aktionen des zivilen Ungehorsams halten wir in diesem Fall für ein 
geeignetes Mittel. Zum einen haben wir damit die Chance, real den 
Aufmarsch der Nazis zu verhindern, die eigene Ohnmacht kurzzeitig zu 
durchbrechen und real etwas, wenn auch im Kleinen, zu verändern – und 
das gibt Kraft für neue Kämpfe.
Zum anderen ist im kollektiven Regelübertritt eine radikale Kritik 
angelegt. Wer dazu bereit ist, eine Polizeikette nicht mehr als 
unüberwindbares Hindernis zu betrachten, wer also sein Interesse, den 
Nazis im Weg zu stehen, im Zweifelsfall auch gegen die Polizei 
durchzusetzen versucht , stellt den Rechtsstaat praktisch ein Stück weit
 in Frage. Einigen ist das schon im Vorfeld klar, für andere ist das 
eine neue Erfahrung.
Ob diese Erfahrung dann auch in ihrer Tragweite so erfasst wird, ist 
dabei zwar offen – wir sind aber optimistisch, dass sich viele der 
Protestierenden danach zumindest die richtigen Fragen stellen – und das 
ist der Ausgangspunkt für eine radikale Gesellschaftskritik. 
Den Naziaufmarsch in Pforzheim zur Geschichte machen!
Rassismus und Nationalismus auf allen Ebenen bekämpfen!
Demo der Inititative gegen Rechts | Pforzheim Hauptbahnhof | 23.02.2013 | 15.30 Uhr
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