Auch in Bremen hat am Donnerstag anlässlich der Urteilsverkündung im Oury Jalloh-Prozess eine Demonstration mit ca. 120 Leuten stattgefunden – was im übrigen auch gut dazu passte, dass AktivistInnen der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh bereits am 20.11. im Bremer Gewerkschaftshaus eine Veranstaltung zum Prozessgeschehen in Magdeburg gemacht hatten.
Startpunkt der Demo war Ziegenmarkt: Dort wurden nach einer kurzen Begrüßung nochmal relativ ausführlich die zentralen Widersprüche dargelegt, die das Landgericht Magdeburg in seinem Urteil einmal mehr unter den Teppich gekehrt hat – also der Sachverhalt, dass auch das Landgericht Magdeburg die von der Staatsanwaltschaft Dessau seit inzwischen knapp 8 Jahre unverdrossen propagierte These ungefragt übernommen hat, wonach sich Oury Jalloh selbst angezündet haben soll. Entsprechend hat dieser Redebeitrag mit dem Appell geendet, die (bereits mit Blick auf eine abermalige Revision gestartete) Spendenkampagne der Oury Jalloh-Initiative zur Finanzierung eines unabhängigen Brandgutachters aus London zu unterstützen: http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/2012/12/14/700-x-50-euro-fur-unabhangigen-brandgutachter/ (wobei diesbezüglich hinzugefügt sei, dass der unabhängige Brandgutachter bereits in seinen ersten Voruntersuchungen auf schwere Mängel in den bisherigen Ermittlungen hingewiesen hat: vgl. hierzu die jüngste Pressemitteilung der Oury Jalloh-Initiative: http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/2012/12/13/pressemitteilung-der-initiative-in-gedenken-an-oury-jalloh-e-v-vom-12-12-2012/
Sodann hat sich die Demo vom Ziegenmarkt in die Innenstadt (inklusive Weihnachtsmarkt etc.) auf den Weg gemacht. Neben kontinuierlichen Lautsprecherdurchsagen (zum Teil auch mit weiteren Detail-Informationen aus den bisherigen Prozessen) wurden noch zwei weitere Redebeiträge gehalten: Zum einen wurde eine längere Passage aus einem aktuellen Interview mit Mouctar Bah von der Oury-Jalloh-Initiative verlesen, in dem dieser nicht nur von den Repressionserfahrungen erzählt, die die Initiative in den letzten Jahren machen musste, sondern auch von den Erfolgen, die trotzdem errungen werden konnten (vgl. http://www.afrique-europe-interact.net/index.php?article_id=808&clang=0). Zum anderen wurde von Christie Schwundeck berichtet, die am 19.05.2011 von der Polzei in Frankfurt im Jobcenter erschossen wurde (http://initiative-christy-schwundeck.blogspot.de/).
Bedauerlich war indessen, dass die Demo eine fast auschließlich deutsch-weiße Veranstaltung war. Das hatte zum Teil damit zu tun, dass mehrere Leute aus schwarzen Community-Zusammenhängen keine Zeit hatten. Wichtig ist aber auch, dass es schlicht nicht genug alltägliche Verbindungslinien gibt – ein Dilemma, das sicherlich nicht auf Bremen beschränkt ist. Und doch sei ausdrücklich darauf hingewiesen, weil es für den Charakter einer Demo gegen rassistische Polizeigewalt durchaus einen erheblichen Unterschied macht (gerade in der Außenwirkung), ob weiße AktivistInnen mehr oder weniger präzise Slogans rufen (etwa: „Deutsche Polizisten, Mörder und Faschisten“) oder ob selber Betroffene radikale Kritik artikulieren. Auf jeden Fall wäre es hier politisch überzeugender gewesen, wenn wir es geschafft hätten, trotz der Kurzfristigkeit in der Mobilisierung mit einer heterogener zusammengesetzten Demo auf die Straße zu gehen.
Ergänzung I
Folgendes Flugblatt wurde während der Demo verteilt:
Oury Jalloh – das war Mord!
Am 7. Januar 2005 ist Oury Jalloh im Polizeirevier Dessau bei lebendigem Leib verbrannt. Bis heute weiß die Öffentlichkeit nicht, was an diesem Tag in Zelle Nr. 5 tatsächlich geschehen ist. Während Verwandte, FreundInnen und die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh bereits früh von Mord sprachen, wurde im ersten Prozess gegen zwei Polizisten lediglich Anklage wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ erhoben. Der Prozess endete mit einem Freispruch, obwohl sich PolizeizeugInnen in eklatante Widersprüche verwickelt hatten. Am 7. Januar 2010 kassierte der Bundesgerichtshof in einer spektakulären Entscheidung das Urteil des Dessauer Landgerichts. Und doch: Auch im Revisionsprozess vor dem Magdeburger Landgericht haben Staatsanwaltschaft und Gericht hartnäckig an der von Anfang an hochgradig fragwürdigen These festgehalten, wonach Oury Jalloh trotz Fixierung an Händen und Füßen mit einem Feuerzeug das Feuer selbst entfacht haben soll. Vor diesem Hintergrund konnte es nicht überraschen, dass das Landgericht Magdeburg in seinem heutigen Urteil einmal mehr die vielfältigen Indizien und Beweise unterschlagen hat, die auf ein Tötungsdelikt durch Dritte (d.h. PolizeibeamtInnen) hinweisen – unter anderem die folgenden:
Das angeblich unter dem Leichnam gefundene Feuerzeug enthält weder DNA-Spuren Oury Jallohs noch Fasern der Matratze oder seiner Kleidung. Genau solche hätten aber laut eines gerichtlich bestellten Gutachtens gefunden werden müssen.
Der geringer verbrannte Rücken des Toten ist vom polizeilichen Ermittlungsteams gesondert gefilmt worden, ohne dass jedoch ein Feuerzeugrest entdeckt wurde. Ausgerechnet diese Videosequenz ist allerdings bei den Polizeibehörden gelöscht worden.
Ebenfalls fragwürdig ist ein im Gewahrsambuch der Polizeistation nicht dokumentierter Aufenthalt der Polizisten Hans-Ulrich März und Udo Scheibe in der Zelle 5. Ein Kollege hatte die beiden dort eine halbe Stunde vor Brandausbruch angetroffen. Was haben die beiden bei Oury Jalloh gemacht?
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, warum zentrale Beweismittel verschwunden sind – neben dem bereits erwähnten Videomaterial unter anderem die folgenden: die rechte Handfessel, ein 8 cm langes Stoffstück, dass unter dem Kopf von Oury Jalloh gefunden wurde, das Fahrtenbuch von März und Scheibe sowie die Videoaufzeichnungen vom Flur des Gewahrsamtrakts.
Laut eines von der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh beauftragten unabhängigen Brandgutachtes aus London ist nicht zu erwarten (so seine ersten Voruntersuchungen), dass ein Feuer, das mittels eines Feuerzeugs an nur einer Stellte der Matratze gezündet wird, in der Lage ist, auch die Ecken der Matratze zu verbrennen, wie es auf den Fotos der Brandzelle sichtbar wird. Wenn das Feuer mit der rechten Hand durch Oury Jalloh selbst entzündet worden sein soll, ist zudem fraglich, warum seine linke Hand und sein linker Fuß nachweislich stärker verbrannt sind, als die rechte Hand und der rechte Fuß.
Schließlich haben umfangreiche Beweiserhebungen vor Gericht ergeben, dass angeblicher Brandsausbruchsort und Liegeposition des Leichnam nicht zusammenpassen. Dabei ist u.a. die Abwesenheit von stressbedingtem Noradrenalin im Urin von Oury Jalloh bedeutsam, denn sie weist darauf hin, dass Oury Jalloh bereits beim Ausbruch des Feuers bewusstlos gewesen sein muss.
Spätestens vor dem Hintergrund dieser keineswegs vollständigen Liste dürfte deutlich werden, dass „man keine Verschwörungstheorien braucht um festzustellen, dass etwas nicht stimmt.“, wie die Nebenklagevertreterin Gabriele Heinecke in ihrem Abschlussplädoyer ausführte. Naheliegender ist vielmehr, dass mit der Selbstentzündigungsthese ein Mord im Polizeirevier Dessau vertuscht werden soll. Um so wichtiger ist also, dass der Kampf um Wahrheit, Gerechtigkeit und Aufklärung auch in den nächsten Jahren breite Unterstützung findet – nicht nur im Falle von Oury Jalloh, sondern auch bei vergleichbaren Todesfällen wie zum Beispiel demjenigen von Laye Condé, der ebenfalls vor knapp 8 Jahren im Bremer Polizeigewahrsam im Zuge der Vergabe von Brechmitteln ertränkt wurde.
Weitere Informationen (auch über Spendenmöglichkeiten für den unabhängigen Brandgutachter) finden sich unter anderem folgenden Webseiten: http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/ (Archiv beachten), http://www.thecaravan.org/ (unter dem Stichwort „police brutality“), www.umbruch-bildarchiv.de (unter dem Stichwort „Oury Jalloh“) und www.afrique-europe-interact.net (unter dem Stichwort „Rassismus in Europa“)
Ergänzung II
Folgende Passage wurde aus dem erwähnten Interview mit Mouctar Bah verlesen:
Vor 8 Jahren ist dein Freund Oury Jalloh ums Leben gekommen, was hat sich seitdem für dich verändert?
Mouctar: Bah: Als ich nach Dessau kam, habe ich mich vor allem mit meinem Telecafe beschäftigt, Politik hat kaum eine Rolle gespielt. Ich hätte mir auch nicht vorstellen können, dass Menschen so grausam, so verbrecherisch, so kriminell sein können. Aber dann lagen all die Indizien auf den Tisch und ich habe gemerkt, dass es wirklich so schlimm ist. Weiße gegen einen Schwarzen. Früher habe ich meine Farbe nicht gesehen, doch plötzlich war klar, du lebst auf einem fremden Kontinent.
Wie haben die Proteste in Dessau begonnen?
Wir waren 45 Leute, fast nur Schwarze, ich war der einzige, der einen Aufenthalt hatte. Am Anfang hatten wir starke Zweifel, es gab viele Gerüchte. Wir sind zur Polizei gegangen, die haben aber sehr aggressiv reagiert. „Wenn ihr nicht weggeht, dann gibt es eine Anzeige!“ Weil sie eine Mauer gebaut haben und wir keine Informationen bekommen sollten, haben wir uns entschieden, auf die Straße zu gehen. Und das ist uns auch gelungen, ohne uns hätte es keinen Prozess gegeben. Gleichzeitig sind viele Leute, die mit mir auf der Straße waren, abgeschoben worden. Denn jede Demo wurde gefilmt, und einer nach dem anderen wurde abgeschoben. Ja, wir haben einen Stuhl nach dem anderen umgedreht, der kommt nicht mehr, wir wurden immer weniger.
Du bist bei der diesjährigen Gedenkdemo für Oury Jalloh von der Polizei schwer verletzt worden. Wann hat die Repression gegen dich begonnen?
Das war, als der ARD-Film „Tod in der Zelle“ im Fernsehen kam. Und danach haben die mir gesagt, ich muss meinen Laden abgeben, weil ich Drogendealer im Laden geduldet hätte. Ich konnte beweisen, dass das nicht stimmt, für die war das aber nicht wichtig, denn sie wollten mich weg haben.
Wer ist „die“ – die Stadt oder die Polizei?
Sogar der Bürgermeister! Der hat beim Verwaltungsgericht angerufen und Druck gemacht, und dann wurde mir 2006 die Lizenz abgenommen. Nach viel öffentlichem Druck habe ich sie im Februar 2012 wieder erhalten. Aber der Laden war kaputt, ich auch, ich hatte keine Mittel mehr, den Laden nochmal neu aufzumachen. Stattdessen ist das jetzt ein Treffpunkt für Flüchtlinge, die neu in Dessau sind. Sie kochen zusammen, gehen ins Internet, kaufen sich Karten, um nach Afrika zu telefonieren. Du siehst alle möglichen da drinnen, Araber, Kurden, du siehst alle Nationalitäten, auch afrodeutsche Kinder. Wir haben jeden Tag offen. Es gibt für Schwarze nichts anderes in Dessau. Denn Diskotheken lassen Schwarze häufig nicht rein.
Gab es auch Probleme mit Nazis?
Ja, ich bin zweimal von Nazis vor dem Laden angegriffen worden, sie haben uns auch rassistisch beleidigt und große Hakenkreuze auf den Boden gemalt. Und auch sonst hörten die Probleme nicht auf: Zwei Tage, nachdem ich den Ossietzky-Preis bekommen habe, gab es eine Durchsuchung wegen Hehlerei bei mir im Laden, die ganze Straße war gesperrt, das war unglaublich. Hintergrund war, dass ein Kunde bei H&M eine Levis kaufen wollte, die 100 Euro kosten sollte. Er meinte aber, dass ihm das zu teuer sei, denn das gleiche Modell kriege er bei den Schwarzafrikanern für 50 Euro, weshalb der Besitzer Anzeige gestellt hat. Komisch war nur, dass die Sache schon 6 Monate zurück lag und dass dem Geschäft gar keine Hosen fehlten, wie wir später in den Ermittlungsakten gesehen haben.
Wurdet ihr nicht auch vor der Fahrt zum Bundesgerichtshof drangsaliert?
Genau, wir wollten zur mündlichen Verhandlung nach Karlsruhe fahren und hatten uns im Laden versammelt. Aber auf einmal stürzte die Polizei in den Laden. „Alle auf den Boden!“ Ich habe gefragt: Was soll das, wir wollten eine Erklärung. „Nein, Keine Erklärung!“. Ich habe mir gesagt, ruhig bleiben, sonst passiert etwas, ich habe auch versucht, meine Leute zu beruhigen. Insgesamt waren die von 14 bis 19 Uhr im Laden. Irgendwann hieß es, dass es sich um eine Routinekontrolle handeln würde, denn alle Schwarzen in Dessau wurden an diesem Tag kontrolliert – darüber wird noch heute gesprochen. Später hat uns Georg Findeisen von der Polizei in Dessau 2.500 Euro pro Person als Entschädigigung angeboten. Wir haben aber alle abgelehnt. Ohne Verhandlung werden wir kein Geld nehmen.
[Im Folgenden Abschnitt des Interviews geht es um viele jener Fragen, die wir auf unser Kundgebung ohnehin ansprechen. Deshalb lesen wir jetzt nur noch die abschließenden Passagen des Interviews vor, die auch eine Hommage an Oury Jalloh sind, der ein enger Freund von Mouctar Bah war.]
Zurück nach Dessau: Hat sich das allgemeine Klima in den letzten Jahren geändert?
Es gibt nicht mehr so viele Kontrollen. 2005, 2006, 2007 haben sie uns jeden Tag auf der Straße kontrolliert. Diese Demütigung vor anderen weißen Leuten, diese Erniedriung in der Straßenbahn, das gibt es nicht mehr. Alles das ist Flüchtlingen zu verdanken, denn sie haben gesehen, dass sie es selbst in die Hand nehmen müssen. Viele von uns hatten abends Angst auszugehen, aber jetzt gehen wir um drei Uhr nachts nach draußen. Dieses Selbstbewusstsein, wir haben keine Angst mehr, sie ist weg, die Angst vor Polizisten und Nazis.
Oury Jalloh war ein Freund von dir, was bedeutet sein Tod für dich persönlich?
Er war eine Person, die für alle Leute da war, er war so hilfsbereit, das kannst du dir nicht vorstellen. Wenn ein Flüchtling neu gekommen ist, hat er ihn ins Telecafe gebracht, hat ihm gezeigt, wohin er gehen kann. Er konnte spanisch sprechen, er konnte englisch, er konnte deutsch, er konnte französisch, er konnte susu, er konnte krio, alle diese Sprachen hat er gesprochen. Er hat sich auch sehr für Politik interessiert, es hat ihm gut gefallen, wenn er auf Phönix die Debatten im Bundestag gesehen hat. Er ist dann ins Telecafe gekommen und hat erzählt, dass das bei uns in Sierre Leone oder Guinea nie klappen würde, kritsch über den Präsidenten zu reden. Wenn er jetzt wissen würde, wie es wirklich funktioniert, könnte er es nicht glauben.
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