Kritische Reihe anlässlich der Freiburger Immobilienmesse/GETEC 2012
Was geht auf der Messe?
Alljährlich findet auf der Freiburger Messe eine gigantische Ausstellung lokaler und regionaler Immobilien-Verkäufer_innen am 1. Märzwochenende statt. Parallel zur „Immo-Messe“ am 3./4. März findet die „GETEC-Messe“ zu den Themen Gebäude, Energie und Technik statt, in der sich alles um „energieeffizientes Modernisieren, Sanieren und Bauen“ dreht. Die Green-City Freiburg versteht es, ökologischen Anspruch mit Verwertbarkeit publikumswirksam zu verbinden!
Die beiden Messen stehen beispielhaft für die marktorientierte Verwertung eines Grundbedürfnisses, des Wohnens. Während Mieter_innen und unter prekären Bedingungen Lebende von den Entscheidungen über eine Stadt von Morgen ausgeschlossen sind, machen einige wenige Haus- und Grundvermarkter – von Sparkasse über Sauer, Unmüssig, bis zur Stadtverwaltung und weiteren über 100 kapitalistischen Interessensgruppen – aus dem Grundbedürfnis Wohnen einen lukrativen Deal. Diese Player spielen das alte Spiel, das im Kapitalismus schon immer gespielt wurde: Sie bauen mit der Kohle der Mieter_innen und Lohnarbeiter_innen die Stadt der Zukunft. In Freiburg natürlich mit schön „grünem“ Anstrich. Ein Protagonist der letztjährigen „Immo“, der grüne OB Salomon, sagte zur sinngemäß zur Eröffnung: „die Krise ist überwunden, kauft jetzt!“. Und ein wenig später in diesem glorreichen Jahr 2011, fügte er hinzu „Freiburg ist so teuer, weil es attraktiv ist, sorry – das ist eben Marktwirtschaft“. Diese Äußerungen spiegeln die Blindheit neo-grüner Politik gegenüber sozialen Fragen wieder. In ihrem „Green-Business-Wahn“ wird eine Stadt für die Reichen geplant und Politik für Banken und Immobilienriesen gemacht.
Doch dieses Jahr wollen wir dem bunten Verkaufs-Jahrmarkt „rund um die Ware Wohnen“ nicht tatenlos zusehen. Wir werden anlässlich der diesjährigen Messe eigene Veranstaltungen machen, um eine Stadt von Unten zu diskutieren und uns mit Themen nachhaltiger sozialer und ökologischer Entwicklungen eigenständig auseinander zusetzen. Wir wollen keinen Ausverkauf und keine Stadtumstrukturierung von Oben und werden auch vor Ort unseren Unmut kundtun.
Stadt für alle?
Während auf der Immo-Messe eine rein marktorientierte Behandlung des Themas Wohnraum stattfindet und mit schön klingenden Zukunftsvisionen gehandelt wird, müssen die realen Freiburger Mieter_innen durchschnittlich 44% ihres Einkommens für Mieten aufbringen. Wer sich keine Wohnung leisten kann, bleibt mit seinem_ihrem Bedürfnis nach Wohnen außen vor. Beispiele für eine derartig einseitige Ökonomisierung von Wohnraum zugunsten der Kapitalverwertungsinteressen einzelner Akteur_innen gibt es in Freiburg viele: im Quartier westlich der Merzhauserstraße wandeln die Immobilienhaie Südwestdeutsche Bauunion und Sauer Miet- in Eigentumswohnungen um – zu Preisen selbstverständlich, die sich von den bisherigen Mieter_innen kaum jemand leisten kann. Die Freiburg Stadtbau macht es auch nicht besser und reißt in der Johann-Sebastian-Bach Straße ganze (bewohnbare!) Straßenzüge ab, um hochpreisigen Wohnraum zu schaffen – wer bisher dort wohnte, musste gehen. Auch das für Freiburg typische Ökoimage trägt nicht zu einer Stadt für Alle bei – im Gegenteil: im ökologisch sanierten Hochhaus in der Buggingerstraße 50 lebt es sich jetzt im Passivhausstandard; so weit, so gut. Dass ein Großteil der bisherigen Mieter_innen nicht wieder in die „Buggi“ zurückgezogen ist, weil sie schlicht die höheren Mieten nicht zahlen konnten oder wollten, interessiert niemanden. Wohnraum, ganz gleich ob privat oder von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt, ist, wie (fast) alle Lebensbereiche im Kapitalismus einer Ökonomisierung unterworfen, die auch vor den grundlegendsten Bedürfnissen der Menschen nicht Halt macht. Wohnraum dient in erster Linie der Erwirtschaftung von Profit, er soll Mehrwert für einige wenige abwerfen, während der Gebrauchswert von Wohnraum zur Nebensache verkommt.
Städte werden durch die derzeitigen Entwicklungen landauf landab zu funktionalen Konsumtempeln aus Glas und Beton gemacht, sie sollen überwachbar und kontrollierbar sein. Wer da nicht mitmachen kann oder will, beim real-life-Monopoly, hat in der Stadt von heute (und morgen?) nichts zu suchen. Auch hierfür bietet Freiburg beste Beispiele: die versuchte Verdrängung von sogenannten „Randgruppen“ aus Innenstadtbereichen und von öffentlichen Plätzen, die Abschiebung von Flüchtlingen an den Stadtrand, wo sie schön unsichtbar auf den ihnen zustehenden vier Quadratmetern leben dürfen – zumindest bis zu ihrer Abschiebung. Freiburg mischt munter mit im Wettbewerb der Städte, es präsentiert sich „grün-mediterran-alternativ“ und seine Attraktivität – sorry, das ist eben Marktwirtschaft – sorgt dafür, dass es hier so teuer ist. Wer sagt eigentlich, dass sich Städte einem Konkurrenzwettbewerb unterwerfen müssen, der einigen wenigen dient, aber eben gerade nicht der Gesamtheit der Einwohner_innen dieser Städte?
Greenwashing
„Green City“ ist der Marketing-Slogan Freiburgs. Der Begriff ist Teil einer Kampagne um Freiburg als vorbildlichen „Ökostandort“ in der Städtekonkurrenz zu positionieren. Alle, die es sich leisten können, auf der neuen grünen Welle zu surfen, sollen angezogen werden: Akademiker_innen, Unternehmen, Investor_innen und Tourist_innen. Mit der „Green City“ ist jedoch nichts anderes, als der Ansatz eines „grünen Kapitalismus“ gemeint, dessen Prinzip der Gewinnmaximierung dennoch im Gegensatz zu den Bedürfnissen der Menschen steht. Auch ein „grüner Kapitalismus“ basiert auf Wachstum und Verdrängung. Die Stadtmarketing-Kampagne versucht mit dem ständigen Verweis auf „Nachhaltigkeit“ die tatsächlichen Entwicklungen zu verdecken. Das Ziel der ökologischen Aufwertung treibt jedoch Verdrängungsprozesse voran, denn eine Green-City, die im marktwirtschaftlichen Standortwettbewerb mithalten will, hat keinen Platz für alle. Schicke neue Stadtteile entstehen, teils auf den Trümmern ehemaligen brauchbaren und bezahlbaren Wohnraums. Selten wird bei energieaufwendigen Sanierungen die Gesamtbilanz (graue Energie) betrachtet oder ein alternativer Weg selbstverwalteter Wohnräume eingeschlagen. Keine_r will sich gegen eine umweltfreundliche Entwicklung sperren, ganz im Gegenteil. Doch entscheidend ist dabei für uns, ob diese grundsätzlich für alle angelegt ist, oder nur für jene, die es sich leisten können!
What we can do
Wir müssen versuchen neoliberalen Entwicklungen unsere Alternativen entgegen zu setzen. Ob organisierte Mieter_innen-Zusammenschlüsse, Freiräume für unkommerzielles Wohnen und Leben, soziale Zentren zum gemeinsamen Austausch und zur Vernetzung oder basisdemokratischen Stadtteilorganisationen in denen die Betroffenen selbst entscheiden können. Wir brauchen Platz und Gelegenheiten für gemeinsame Treffpunkte, Diskussionen, Feste und Kulturveranstaltungen. Orte an denen nicht schon im Vorhinein festgelegt ist, wie wir uns zu verhalten haben. Orte an denen kein ökonomischer Druck, keine autoritäre Aufsicht existiert und uns auch keine sogenannte „Sicherheits“-architektur am Ausleben unserer Bedürfnisse hindert. Orte für die in einer „Green City“ kein Platz ist: Räume für Nachbarschaftstreffen, offene Gärten, nicht-eingezäunte Spielgelegenheiten für Kinder, soziale Zentren, Wagenplätze…
Dies alles darf nicht von oben über unsere Köpfe hinwegentschieden werden. Denn niemand weiß besser von was wir träumen und was unsere Bedürfnisse sind, als wir selbst. Deshalb müssen alle Entscheidungen über unser Leben in den Vierteln dezentralisiert werden und somit die Entscheidungsgewalt an uns gehen. Damit nehmen wir die Verantwortung für unser Leben endlich wieder selbst in die Hand und können nachbarschaftliche Solidarität kollektiv leben. Wir dürfen nicht darauf warten, bis die Lokalpolitik uns Zugeständnisse macht, sondern fangen schon heute mit der Umsetzung unserer Utopien an. Dies ist die einzige Möglichkeit aus der bisherigen Bittsteller-Haltung herauszukommen und die Stadt-Zocker_innen, deren Ideologien von Verwertung und „Sicherheit“ und deren selbsterhaltendes System offensiv anzugreifen.
Denn eine sozial-ökologische Perspektive beinhaltet eine selbstorganisierte Gesellschaft in allen Lebensbereichen, ein Ende der Wachstumsideologie und einen freien Zugang zu allen gesellschaftlichen Ressourcen, wie Wohnraum, Nahverkehr, Bildung, Gesundheit, Lebensmittel, Erholung, Kultur, usw.
Gegen-Immo vom 2. bis 5. März
Was derzeit passiert, geht alle an. Die Umstrukturierung der Stadt darf nicht eine Sache von Kapitalinteressen sein, sondern muss sich an den Bedürfnissen aller Bewohner_innen orientieren. Dabei müssen wir selbst den Anfang machen: der Protest gegen die Immo-Messe am 2.-4. März in Freiburg, bietet eine von vielen Möglichkeiten. Es werden verschiedene Veranstaltungen stattfinden, die sich kritisch mit der Messe und den dortigen Akteuren auseinandersetzen. Bisher geplant sind Vorträge, Infoveranstaltungen und eine Fahrradrallye durch Freiburg mit dem Ziel Messegelände.
Wir wollen die Messe kritische begleiten, die Player verunsichern und uns die Stadt zurückholen: das Recht auf Stadt wird nicht verschenkt – wir müssen es uns erkämpfen!
Aktuelle Infos und vorläufiger Ablauf: rechtaufstadt-freiburg.de
Sehr schön
Sehr schön und auch zu erwähnen sind die in Freiburg gesprayten Parolen, welche doch sehr dümmlich sind:
"Gegen Immobilien und Ihre Messen"
Nieder mit den Immobilien! Nie wieder Häuser, für mehr Höhlen!
Presse vor der Messe
BZ Artikel vom 1. März:
Häuser, Energie – und Widerstand