In den Tagen vor der Räumung wurden Schilder aufgestellt, die das Parken vor der Liebig 14 verbieten. In größerem Umkreis zogen es viele Anwohner_innen vor, freiwillig ihr Auto nicht im Kiez zu parken und sich stattdessen mit dem Taxi vor die Haustür bringen zu lassen. Die merkwürdige Stille, die dadurch entstand, wurde immer wieder gekreuzt durch vorbeifliegende Hubschrauber, brummenden Wannen und klirrende Flaschen.
Viele Leute sind die ganze Nacht vor der Räumung bei 
Eiseskälte auf der Straße geblieben. Manchmal spielt Livemusik und 
besänftigt blank liegende Nerven. Paar Leute versuchen sich beim Bäcker 
aufzuwärmen. Viele wollten einfach da sein, auch wenn sie keinen genauen
 Plan hatten, wie sie in dem scheußlichen Spektakel, das bevorsteht, 
selbst aktiv werden können. 
Warten? – Oder doch bei einem 
Spaziergang durch's Kiez die Zeit noch nutzen? Die, die draußen sind, 
haben die ganze Zeit und ganz Berlin. Für die, die drin sind in der 
Liebig 14, rückt der gerichtlich festgelegt Termin der Räumung immer 
näher, 8 Uhr, und es gibt noch einiges an den Barrikaden zu arbeiten.
  
bis 5h
In ganz Berlin werden Bewegungen von 
Einsatzfahrzeugen beobachtet. Cops beginnen Leute zu kontrollieren, 
behindern sie in ihrer Bewegungsfreiheit und erteilen Platzverweise. Sie
 filmen bereits und lassen ihre Kampfhunde auf der Rigaerstraße frei. 
Auf den Dächern der meisten umliegenden Häuser nehmen Spezialeinheiten 
der Polizei mit Kletterausrüstung Stellung. Doch die Leute auf der 
Straße sind nicht tatenlos. An mehreren Stellen versammeln sich laute 
Gruppen, es gibt erste Barrikadenbauversuche und eine Meldung von einer 
Neubesetzung in der Mühlenstraße, gegenüber vom Ostbahnhof.
5-6h
Zwischen
 5 und 6 Uhr ist relativ viel passiert: Ein Transpi der Liebig 14 hat 
Feuer gefangen, weil daneben am Balkon noch Barris geschweißt werden. 
Bald wird aber klar, dass sich das Feuer an der Fassade nicht 
ausbreitet, sondern langsam verglimmt. 
Cops riegeln zunehmend das 
Gebiet um die Liebig 14. Über den Forkenbeckpark gab es einige Zeit noch
 die Möglichkeit, näher ran zu kommen. Pressemenschen, Sanis und 
Anwohner_innen werden nicht mehr durchgelassen und auf den Bersarinplatz
 zurückgedrängt. Die Leute in der Bäckerei sind weiter eingesperrt. Cops
 jagen Leute durch den Bezirk und es kommt zu Festnahmen. Es gibt 
Meldungen, dass eine Sparkasse in Prenzlauerberg gründlich 
auseinandergenommen wurde und dass ein neues Haus, die Landsberger 77 
besetzt wurde.
6-7h
Cops machen weiter dicht und 
lassen nicht mal Presse oder Sanis durch. Sie fangen an, sich richtig am
 Dach der Liebig 14 zu schaffen zu machen. Über den Räumungsticker 
werden Meldungen von zwei weiteren zertrümmerten Banken geschickt, einer
 Sparkasse und einer Commerzbank. Das macht insgesamt mit den 
vorangegangenen vier Banken. – Ganz schön aktiv für so frühe Stunden.
7-8h
Um 7:17 schicken die Leute in der Liebig 14 über Twitter Grüße raus. 
Es gibt eine Kundgebung vor der Rigaer 84, Straßenblockaden, Spontis und jede Menge Berichte von rumpissenden Cops.
Der
 Anwalt der Liebig 14 und die Vereinsvorstände des Liebig 14 e.V. wurden
 von der Polizeit abgehalten, sich ihrem Haus zu nähern oder Kontakt mit
 dem feigen Gerichtsvollzieher aufzunehmen. Sie hätten beweisen können, 
dass gegen die Leute, die sich im Haus befinden keine geeigneten 
Räumungstitel vorliegen und dass die Räumung deshalb nicht stattfinden 
dürfte. 
Die Räumung war für 8h angesetzt, aber es war noch vor 8h, 
als sie wirklich los ging. Man hätte meinen können, die Staatsgewalt war
 ungeduldig, und so legten Cops schon 10 davor los und machten sich an 
einem Fenster in Erdgeschoss mit ihren Äxten zu schaffen. 
Presse wurde großräumig abgeriegelt und der Blick mit quer-stehenden Wannen verstellt.
8-9h
Cops
 steigen nun reihenweise durch das Fenster in Erdgeschoß in die Liebig 
14 ein. Auch auf der Hinterhofseite haben sie sich im Erdgeschoß Zugang 
aufgebrochen und steigen von beiden Seiten ein. 
Spontis durchkämmen 
die Gegend und in einem Katz- und Maus-Spiel kommt es immer wieder zu 
größeren und kleineren Aktionen – Blockaden oder Sachschäden –, aber 
auch zu Verhaftungen durch Zivis.
Auf allen Balkonen, an allen 
Fenstern der Nachbarschaft stehen Nachbar_innen, machen Lärm mit Töpfen 
und Pfannen und brüllen Solidaritätsparolen. 
Bald stellt sich heraus, dass die Polizei in der Liebig 14 nicht weiter kommt. Die Barrikade an der Zwischentür hält dicht.
9-10h
Nachdem
 sie an der befestigten Zwischentür gescheitert sind, unternimmt die 
Polizei einen weiteren Versuch, in die Liebig 14 reinzukommen. Sie bauen
 im Hinterhof ein wackliges Gerüst, um direkt in den ersten Stock 
einzusteigen. Das Gerüst ist zu klein und sie müssen es wieder 
einpacken.
Währenddessen gibt es immer mehr lautstarke Züge von 
Menschen durch die Stadt und an vielen Stellen versperren fette 
Barrikaden den Verkehr. Die Cops wollen nun in der Bäckerei 2000 pissen 
gehen, weil sich Anwohner_innen beschwert haben. Sie haben dort aber 
auch kein Glück und werden rausgeschmissen.
In der Liebig 14 wird 
zwischen 9 und 10 Uhr Strom und Wasser abgedreht. Die erschöpften 
Bewohner_innen sitzen zusammen in der Küche und backen wie so oft Pizza 
am Gasherd.
10-11h
Der Lärm von Töpfen und Pfannen 
der Nachbarschaft hält an. Immer wieder singen Leute in Sprechchören 
Solidaritätsrufe. In der Liebig 14 kämpft sich die Polizei weiter voran 
und schlägt Wände ein. Draußen auf der Straße ist gewaltig viel los. 
Immer wieder werden Menschen eingekesselt, dem EA sind 14 Festnahmen 
gemeldet worden. In Wedding wird mensch bei seiner Arbeit eher in Ruhe 
gelassen.
Beulker, ein Eigentümer der Liebig 14, wurde bei der Räumung gesichtet.
11-12h
Ab
 11h gibt es eine angemeldete Demo bei der Prenzlauer Allee, an der 
viele Leute teilnehmen. Andere sind weiterhin in unangemeldeten 
Kleingruppen unterwegs, protestieren, blockieren und sind laut. Ein 
Brandanschlag wird auf die Bahnanlagen verübt. Anwohner_innen versorgen 
die frierenden Menschen auf der Straße mit Leckereien. Die Polizei treib
 weiterhin ihr Unwesen, wie die "kritischen Juristen" später in einem 
umfassenden Bericht darlegen. 
Der Verdacht, dass sie Bewohner_innen 
der Liebig 14 auf ihrem Dachboden eine Bombe lagern, lässt die Räumung 
einige Zeit ins Stocken geraten. Erst müssen die bunten Flüssigkeiten in
 verschiedenen Badewannen chemisch untersucht werden. Nach einiger Zeit 
geht's weiter. Die Bewohner_innen wissen, dass zwischen ihnen und der 
Polizei nicht mehr viele Wände stehen. Selbst wenn die ganze 
Barrikadenkunst bisher unbeschädigt geblieben ist, haben sich die 
Polizist_innen doch Wand für Wand weiter ins Haus vorgegraben. Die 
Bewohner_innen treten gemeinsam auf den Balkon im dritten Stock, 
schwenken Fahnen und lassen sich bejubeln. Von anderen Fenstern – nicht 
so weit entfernt – stecken Cops ihre miesen Gesichter heraus und müssen 
so die Szene beobachten.
12-13h
Während das Treiben
 auf der Straße kräftig weiter geht, wird für das Leben in der Liebig 14
 die Zeit immer knapper. Um halb eins dringt die Polizei schließlich zu 
den Bewohner_innen der 14 vor. Sie fanden sie gemeinsam in ihrer Küche 
sitzen. Die Eindringlinge sie schon lange klopfen gehört. Sie wollen die
 Papiere sehen, die juristische Grundlage für diese Räumung. Das 
versetzt die anwesenden Beamt_innen in große Verwirrung. Schließlich 
wird der feige Gerichtsvollzieher geholt, der reichlich spät feststellt,
 dass keine geeigneten Räumungstitel vorliegen. Die Bewohner_innen 
werden trotzdem abgeführt, eine nach der anderen, manche mit Gewalt, 
manche nicht.
Am Templehofer Damm ist zu dieser Stunde der 
PrisonSupport eingetroffen, hat Tee und Vokü dabei und macht sich bereit
 für einen langen Dienst.
13-14h
Nachdem die 
letzten Bewohner_innen aus der Liebig 14 abgeführt worden sind, wird das
 Haus für einen Mob von Presseleuten freigegeben. Axel Springer erfreut 
sich noch die kommende Woche mit Berichten über intime Details der 
Geheimnis-umwitterten »Hausbesetzer_innen«. – Was an den Wänden 
geschrieben stand, welche Tierchen angäblich in den Matratzen lebten und
 welche Marken Pasta wir aßen.
Eine erbauliche Nachricht kommt aus 
der Neuen Bahnhofstraße, wo ein neues Haus besetzt wurde – Alleine nach 
Angaben des Tickers sollte das schon das dritte Haus des Tages sein. Am 
Alex sind Clowns unterwegs, die in der Galeria Kaufhof nach einer neuen 
Wohnung suchen. Immer mehr Soliaktionen von außerhalb von Berlin werden 
bekannt, in dieser Stunde treffen Ticker-Nachrichten aus Göttingen ein.
14-15h
Auf
 den Straßen geht das Katz-und-Maus-Spiel weiter. Die ganzen dezentralen
 Aktionen scheinen der Polizei zu schaffen zu machen. Einfallslos suchen
 sie sich ein stabiles Ziel für ihre Angriffe, das Hausprojekt Kreuziger
 18, in das dresdner Polizist_innen gewaltsam eindringen. Es gibt 
Verletzte.
Die Clowns am Alex werden von Wannen umzingelt.
15-16h
In
 der Kreuzigerstraße gibt es noch immer Stress mit der Polizei. Cops 
belästigen Anwohner_innen und pissen rum. Eine Solidemo versammelt sich 
am Herrfuthplatz und es wird über die vierte Hausbesetzung berichtet, 
diesmal in der Körthenerstraße in Kreuzberg. »Liebig 14 bleibt!« steht 
dort auf einem Banner und erweckt den Eindruck, dass die Liebig 14 an 
diesem Tag nicht stirbt, sondern expandiert.
16-17h
Die
 Demo in Neukölln ist kraftvoll und entlässt zu ihrem Ende 600-700 laute
 Menschen in die Straßen. Ein fünftes Haus wurde besetzt. Die Liebig 14 
wir mittlerweile von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht. Es gibt 
Aufrufe, noch dezentraler, das heißt in ungewöhnlichen Bezirken aktiv zu
 werden.
17-18h
Zu dieser Stunde finden Solidemos 
in Freiburg, Osnabrück und Kopenhagen statt. Berlin kommt auch noch 
nicht zur Ruhe. Sicherheitshalber bewacht die Polizei nun schon 
Baustellen. 
Es gibt Schätzungen von bisher 40 Festnahmen.
18h-ende
Gegen
 Abend war es Zeit, noch einmal alle Kräfte zu sammeln und vereinigt auf
 die Straße zu gehen. In Saarbrücken und Düsseldorf finden weitere 
Solidemos auf. Auch für Berlin ist eine große Demo angesetzt, bei der es
 wiedermal zu illegalen Vorkontrollen kommt. Die Demo setzt sich in 
Bewegung, ist wütend und laut. Dass an diesem Abend noch einiges zu 
Bruch gegangen ist, ist hinlänglich bekannt. An irgendeinem Punkt kehrte
 sich die gemeinsame Präsenz in dezentrales Wirken und der Rest ist 
Geschichte.
  

