Sehr geehrte Damen und Herren,
dieser offene Brief richtet sich an die Verantwortlichen und Kooperationspartner_innen des Projektes "Dortmund den Dortmundern". Wie auch der Internetseite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (1) zu entnehmen ist, soll in Dortmund ein mit Bundesmitteln gefördertes Projekt stattfinden, das sich den gleichberechtigten Dialog mit Protagonist_innen der Dortmunder Neonaziszene zum Ziel gesetzt hat.
Kreativworkshop mit Neonazi-Schlägern
Zu diesem Zweck möchte die multilateral academy ggmbh aus Dortmund, die als Trägerin für dieses Projekts verantwortlich zeichnet, 30 Neonazis - Kader wie Mitläufer - gegen 30 "demokratisch orientierte Jugendliche" antreten lassen, um offen und fair über die Frage zu diskutieren, wem die Stadt Dortmund gehört und wie sich die Zukunftswünsche der Beteiligten für eben diese darstellen. Im Verlauf des Projekts sollen beide Gruppen ihre Sichtweise in künstlerischen Workshops verarbeiten. Ziel ist eine Gegenüberstellung der politischen Konzepte, so dass die nicht-rechten Jugendlichen in der konfrontativen Auseinandersetzung mit den Neonazis in ihrem demokratischen Weltbild gestärkt werden.
Dem Träger fehlt offensichtlich nicht nur das Wissen über die Ideologie und Praxis neuer Nationalsozialist_innen und die Kenntnis pädagogischer Mindeststandards. Die Konzipierung dieses Projekts und dessen Unterstützung durch das Familienministerium lassen auch jegliche Sensibilität in Bezug auf die Viktimisierungserfahrungen von Opfern rechter Gewalt vermissen, die mit den im Rahmen des Projekts geforderten "fairen Spielregen" für Neonazis, sich zurecht vor den Kopf gestoßen fühlen werden. Wir als Zusammenschluss Dortmunder Antifa-Gruppen finden dieses Projekt unter anderem deshalb mehr als bedenklich.
Öffentlich geförderte Neonazi-Propaganda?
Den Neonazis wird in diesem Szenario eine Plattform zur Selbstdarstellung und eine Bühne für die Propagierung ihrer Ideologie geboten. Politische Positionen, die weitgehend nicht umsonst als indiskutabel und geächtet gelten, werden in den Stand diskussionswürdiger Meinungen gehoben. Während die Stadt Dortmund und zivilgesellschaftliche Akteure im Rahmen von Protestaktionen gegen Neonaziaufmärsche versuchen, die Außenwirkung der rechten Propaganda zu minimieren, wird diese im Rahmen dieses Projekt noch hofiert.
Gerade die Kader der Neonaziszene, die explizit in das Projekt eingebunden werden sollen, werden sich für diese Möglichkeit der öffentlichen Präsentation ihrer rassistischen und antisemitischen Ideologie bedanken. Es ist naiv zu glauben, dass überzeugte und ideologisch gefestigte Neonazis an einem solchen Vorhaben teilnehmen, um ihre Positionen ergebnisoffen zu diskutieren. Stattdessen werden sie den ihnen angebotenen Raum nutzen, um ihren bekannten Forderungen nach einem rassistischen Führerstaat Ausdruck zu verleihen.
Es ist eine seit Jahren angewandte Strategie der Neonaziszene, auf Veranstaltungen gegen rechte Umtriebe zu erscheinen und mittels der so genannten Wortergreifungsstrategie zu versuchen, diese Veranstaltungen mit eigenen Inhalten zu dominieren. Ein Projekt, das ihnen das Wort auch noch freiwillig erteilt, werden sie daher mit Freuden annehmen.
Pädagogische Fehleinschätzungen und politisches Desaster
Ohnehin steckt schon in der Grundidee des Projektes ein Paradoxon: Die Veranstalter_innen wollen mit Neonazis gegen Neonazis vorgehen. Welche Motivation geschulte Nazikader haben sollten, ihre erklärten politischen Ziele zu bekämpfen, ist uns rätselhaft. Wie es der multilateral academy ggmbh gelingen will, die extrem rechten Protagonist_innen dazu zu bringen, geht aus dem Konzeptpapier - das vom Familienministerium immerhin als "zukunftsfähiges" Modellprojekt angepriesen wird - nicht hervor.
Es ist davon auszugehen, dass die Neonazis, gerade auch in Anwesenheit ihrer Gesinnungsgenossen_innen, als einheitliche Gruppe agieren werden. Der Konformitätsdruck innerhalb der Neonaziszene ist hoch und wird in der Auseinandersetzung mit politischen Gegner_innen noch verstärkt. Wie hier pädagogische Interventionen greifen sollen, bleibt uns schleierhaft.
Ignoranz gegenüber rechter Gewalt
Völlig unter den Tisch fällt in dem Projektkonzept die Tatsache, dass ein nicht geringer Teil der Politik der Dortmunder Neonazis in Gewalt gegen ihre politischen Gegner_innen besteht. Es kann nicht deutlich genug gesagt werden: dieses Projekt möchte eine Gruppe "demokratischer Jugendlicher" mit einer Gruppe von Neonazis konfrontieren, deren Praxis unter anderem darin besteht, Menschen zu attackieren, die nicht ihre politischen Zielvorstellungen teilen oder die ins Visier geraten, nur weil sie in den Augen der Neonazis die falsche Hautfarbe haben oder von ihnen als minderwertig angesehen werden.
Die Neonazis in Dortmund haben die Frage, wessen Stadt Dortmund sein soll, schon vor Jahren für sich geklärt. Sie suchen gezielt ihre politischen Gegner_innen auf und versuchen sie mit Gewalt von weiteren Aktivitäten abzuschrecken. Diese Gewalt trifft von Parteien bis zu autonomen Antifaschist_innen und Migrant_innen alle Personen, die ihnen als Gegner_innen auffallen und entgegentreten. Der ignorante Umgang mit dieser Problematik disqualifiziert die Verantwortlichen in fachlicher und politischer Hinsicht endgültig.
Stoppen sie dieses Projekt!
Uns ist es ein Rätsel, warum Organisationen wie das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, aber auch der Stadtjugendring und die städtische Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie als "Kooperations- und Netzwerkpartner" eines solchen Projekts aufgeführt werden. Wir fordern von den Unterstützer_innen dieses Vorhabens, ihre Mitarbeit aufzukündigen und zu erklären, wie es zu einer solchen Partnerschaft kommen konnte.
An die Organisator_innen und Konzeptentwickler_innen richten wir die Forderung, das Projekt umgehend einzustellen. Die methodisch-didaktischen Mängel dieses Projektes und die Verletzung politischer Mindeststandards im Rahmen dieses Vorhabens führen uns zu der Frage, wie das Projekt "Dortmund den Dortmundern" überhaupt erst in den Rang eines Modellprojekts des Familienministeriums erhoben werden konnte.
Diese E-Mail geht auch an die Parteien der Stadt Dortmund, Akteure der Dortmunder Zivilgesellschaft und wird darüber hinaus auch über andere Plattformen veröffentlicht.
Mit freundlichen Grüßen,
Dortmunder Antifa-Bündnis
[web] http://dab.nadir.org/
[mail] dab-info [at] nadir.org
Ergänzende Informationen:
Heine, Torben (2012): Mit Nazis spielen? Das staatsfinanzierte Projekt »Dortmund den Dortmundern«. In: LOTTA - antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen. Online verfügbar unter: http://www.linksnet.de/de/artikel/27245
(1) http://www.toleranz-foerdern-kompetenz-staerken.de/listenansicht_mp.html...
naja...
Nazis "akzeptierende Jugendarbeit"!?
lies mal lieber den Text ganz:
"Den Neonazis wird in diesem Szenario eine Plattform zur Selbstdarstellung und eine Bühne für die Propagierung ihrer Ideologie geboten. Politische Positionen, die weitgehend nicht umsonst als indiskutabel und geächtet gelten, werden in den Stand diskussionswürdiger Meinungen gehoben. Während die Stadt Dortmund und zivilgesellschaftliche Akteure im Rahmen von Protestaktionen gegen Neonaziaufmärsche versuchen, die Außenwirkung der rechten Propaganda zu minimieren, wird diese im Rahmen dieses Projekt noch hofiert.
[...]
Es ist eine seit Jahren angewandte Strategie der Neonaziszene, auf Veranstaltungen gegen rechte Umtriebe zu erscheinen und mittels der so genannten Wortergreifungsstrategie zu versuchen, diese Veranstaltungen mit eigenen Inhalten zu dominieren. Ein Projekt, das ihnen das Wort auch noch freiwillig erteilt, werden sie daher mit Freuden annehmen."
Wir können dabei also durchaus verlieren, nämlich wenn die Nazis gewinnen. Und das tun sie schon, indem ihnen nur Gehör verschafft wird.
Würdest du in Schulen gehen und mit Schülern reden oder lieber die Nazis schicken?
Außerdem: Wer (außer K. Schröder) sagt denn vorraus, dass die achso demokratie-überzeugten Jugendlichen nicht doch ein wenig Nazi-Propaganda aufnehmen und verinnerlichen?
nein...
das sehe ich nicht so. das ist dogmatischer szene-quatsch von leuten, die "antifa" als lifestyle betreiben. als ob durch so eine veranstaltung irgendeine nennenswerte "bühne" geboten würde... darüber regen sich meiner ansicht nach in erster linie leute auf, die ein sehr einfach strukturiertes weltbild haben: die nazis sind das absolute böse und wer irgendwie mit ihnen in kontakt kommt ist kontaminiert. deshalb darf man auf keinen fall irgendwo auf eine naziseite verlinken, denn wenn da jemand drauf geht, wird er sofort auch zum nazi-vampir. das ist doch völlig lebensfremd. keiner wird zum nazi, nur weil er in so einem workshop mit nazis diskutiert oder sich irgendeine selbstdarstellung ansieht. zumal ja die anderen jugendlichen aus dem linken spektrum kommen werden, also diejenigen sind, die am wenigsten anfällug sind. bleib mal etwas lockerer...
Das hatten wir doch schon!
Die Behörden in NRW lernen es wohl nie! So ein ähnlicher Versuch ist doch schonmal übelst gescheitert
Theater mit Neonazis
Dokfilm über Schlingensief-Projekt sorgte in Düsseldorf für heiße Debatten
Was darf die Kunst? Diese Frage erhitzte dieser Tage die Gemüter in Düsseldorf. »Hamlet. This is your family« ? so lautet der Titel eines Dokumentarfilms über das umstrittene Schlingensief-Projekt »Naziline.com« (Nazilein, komm!). Der österreichische Schauspieler Peter Kern führte Regie und wollte sein Produkt vergangenen Donnerstag im Düsseldorfer Kino »Lichtburg« präsentieren. Nach dem Protest antifaschistischer Gruppen gegen die Mitwirkung des Hauptdarstellers und »Aussteigers« Torsten Lemmer sagte der Kinoinhaber die Veranstaltung ab. Die Premiere fand an anderem Ort dennoch statt: Mit Peter Kern, der sich als verfolgter Künstler inszenierte, und mit Torsten Lemmer, der die Gelegenheit zu Wahlkampfzwecken zu nutzen wußte. Denn Lemmer tritt in Düsseldorf mit einer eigenen, »bunten« Liste zu den Kommunalwahlen an.
Christoph Schlingensief hatte vor zwei Jahren gemeinsam mit Kern in der Schweiz eine Hamlet-Inszenierung erarbeitet, an der mehrere angeblich aussteigewillige Neonazis mitwirkten, unter ihnen Lemmer. Der war in Düsseldorf bereits seit den achtziger Jahren in Neonazikreisen und zeitweilig mit einer Abspaltung der Republikaner im Düsseldorfer Stadtrat aktiv gewesen. Der ehemalige Betreiber eines führenden Versandhandels für rechte Musik gilt als extrem publicitysüchtig. »Naziline.com« bot ihm die perfekte Bühne zur Selbstinszenierung. Seinen Ausstieg will ihm in Düsseldorf niemand so recht glauben. Der Koordinierungskreis antifaschistischer Gruppen (Antifa-Kok) findet, es gebe keinerlei Belege dafür, daß Lemmer mit rechtem Gedankengut gebrochen habe, und hält den öffentlichkeitswirksamen Verkauf seines heute unter dem Namen »VGR Multimedia Verlagsgemeinschaft Rheinland GmbH« firmierenden Unternehmens für eine reine Inszenierung, um im Gespräch zu bleiben.
Die Feuilletons der Lokalpresse wittern unterdessen Gefahr für die Demokratie und vergleichen die Kritik der antifaschistischen Gruppen mit Störaktionen von Faschisten, die in den dreißiger Jahren die Aufführung von Filmen wie »Im Westen nichts Neues« verhinderten. Andere gerieren sich als Retter der Freiheit der Kunst und bieten einem Neonazi eine politische Plattform. Und die taz kolportierte Kerns Behauptung, die Antifaschisten hätten Peter Kern Schläge angeboten, was der Antifa-Kok vehement zurückweist.
Vor dem Aufführungsort diskutierten ganz zivil mit Besuchern der Veranstaltung und überreichten ihnen ein Flugblatt, in dem sie begründen, warum sie der Meinung sind, daß Kunst nicht alles darf. Eine Provokation mit Mitteln der Kunst bedürfe einer »verantwortungsvollen Reflexion ihrer realpolitischen Wirksamkeit«, heißt es da unter anderem. Die Dokumentation werde Lemmer zu neuen Schlagzeilen und möglicherweise zum erneuten Einzug ins Stadtparlament verhelfen. Die Unterzeichner wünschen den Besuchern der Veranstaltung »dennoch einen interessanten Abend«.
aus "junge Welt" vom 14.1.03 http://www.jungewelt.de/2004/01-14/018.php
Pressemitteilung der Stadt DO
25.01.2012
Koordinierungsstelle und Jugendamt keine Kooperations-partner beim Projekt „Dortmund den Dortmundern“
Derzeit wird in der Öffentlichkeit das Projekt „Dortmund den Dortmundern“ der hier ansässigen multilateral acedamy gGmbH diskutiert, in dessen Zusammenhang die städtische Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie sowie das Respekt-Büro des Jugendamtes als Kooperationspartner genannt werden.
Die Stadt Dortmund legt Wert auf die Feststellung, dass dies aktuell nicht zutrifft.
Zwar hat die Stadt Dortmund vor Beginn des Projektes, beginnend im Jahr 2010, Kooperationsgespräche mit dem Träger geführt, mit der späteren inhaltlichen Ausformung, wie sie sich bis heute auf der Seite „Lokale Aktionspläne“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend darstellt, war sie allerdings nicht mehr einverstanden. Dies ist dem Träger am 22.11.2011 bei einem Abstimmungsgespräch bei Exit Deutschland in Berlin auch eindeutig mitgeteilt worden.
Umso befremdlicher ist es, dass der Internetauftritt mehr als zwei Monate später nicht aktualisiert oder mindestens kommentiert ist. Dem Träger hat die Stadt Dortmund deshalb heute schriftlich untersagt, die städtischen Dienststellen weiterhin als Kooperationspartner des Projektes zu bezeichnen. Sie erwartet außerdem eine öffentliche Richtigstellung.
Die Stadt Dortmund war und ist prinzipiell mit der Grundidee des Projektes, auch in die Auseinandersetzung mit dem harten Kern der rechtsextremen Szene zu kommen, einverstanden. Die Zielsetzung muss dabei sein, die menschenverachtende, rassistische und diskriminierende Ideologie der rechtsextremen Szene zu entlarven, um so auf lange Sicht die Ausstiegsmotivation bei ihren Mitgliedern zu erhöhen.
Dieses Ziel kann nach Auffassung der Stadt Dortmund mit dem bisherigen, im Internet nachlesbaren Konzept nicht erreicht werden. Deshalb ist mit dem Träger in Berlin vereinbart worden, zunächst ein trag-fähiges neues Fundament und ein Kommunikationsmodell zu erarbeiten. Bei der Neuentwicklung des Projektes sollten vor allem die Ziele, die Zielgruppen, die Themen, die Ansprache und die Rahmenbedingungen überarbeitet werden. Dem hat der Träger zugestimmt.
Die Stadt Dortmund betont, dass in das Projekt weder kommunale Mittel noch solche aus dem Dortmunder Budget des Bundesprogramms „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ geflossen sind.