Hamburger Zustände

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Was sich in Deutschland abspielt, ist unerträglich. Dreizehn Jahre lang konnten drei Thüringer Nazis ungestört durch die Republik reisen, Banken überfallen, Sprengstoff-Attentate verüben und Menschen ermorden. Ihre Opfer waren Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und die Polizistin Michèle Kiesewetter. Die Morde der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) wurden nur durch einen Zufallsfund nach dem Tod der beiden Nazis Böhnhardt und Mundlos im November 2011 aufgedeckt. Seitdem erfährt die Öffentlichkeit stückchenweise grauenhafte Details über die gezielte Hinrichtung von Migranten in ihren Geschäften, eine Nagelbombe in Köln-Mülheim und andere Anschläge eines Netzwerkes, von dem bisher nicht einmal abzusehen ist, wer ihm außer Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt noch angehört. Das ganze Ausmaß des Terrors ist noch nicht ersichtlich – möglicherweise steckt die Gruppe auch hinter einer Serie von Brandanschlägen in Völklingen und einem antisemitischen Bombenanschlag in Düsseldorf-Wehrhahn.“ - Aufruf Der Tod ist ein Meister aus Deutschland


Die Empörung der Empörenden

 

Lange Zeit wollte in Deutschland niemand wissen, dass gesellschaftlich als nicht-deutsch definierte Menschen keine „Döner“ sind, oder dass solche Menschen zum Hassobjekt militanter Neonazis werden können. 2012 hingegen ergötzt sich der_die nicht-militante Durchschnittsdeutsche an der Abgrenzung gegenüber ebendiesen Neonazis. Etliche Sensationsberichte über den NSU und den Verfassungsschutz, öffentliche Diskussionen über die Abschaffung des letzteren und allerlei parlamentarischer Aktionismus, wie z.B. die Einrichtung eines „Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus“ oder einer „Neonazi-Datei“, vermitteln den Anschein es tue sich etwas im Land. Dass dem nicht so ist, zeigt sich ebenso offensichtlich, sogar in den deutschen Massenmedien (https://www.youtube.com/watch?v=bpZ_-rHaTIw). Ein „rechtsextremes Problem“ haben aber nicht nur die Sicherheitsbehörden, staatlichen Funktionsträger_innen oder „Ränder“ der Gesellschaft. Das Problem ist auch das ideologische Festland an dem diese andocken und aus dem sie sich rekrutieren. Antisemitische, antiziganistische und rassistische Weltbilder sind kein Monopol mordender Nazis oder abschiebender Staaten, sondern Massenware bei allen Spektren von Links bis Rechts, grassroots bis establishment, gerade auch bei denen, die sich Sinne einer Extremismustheorie als „demokratische Mitte“ stilisieren. Die Abgrenzung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber ihren menschenverachtenden „Rändern“ ist wenig mehr als das Bedürfnis nach moralischer Integrität, während im Hintergrund die ideologischen Versatzstücke ungehindert zirkulieren.


Kleine Hamburger Presseschau

 

Es hätte sich die Meinung aufdrücken können, dass wenigstens die Medien ihre Rolle in der Vernebelung der NSU-Morde reflektiert hätten, aber sie machen es eben doch entweder falsch oder schlecht: Dass es seit dem öffentlichen Bekanntwerden des NSU allein in Hamburg mindestens fünf Angriffe auf türkische Geschäfe gab ist wohl so uninteressant, dass kaum eine Zeitung es erwähnte. Am 12. Dezember 2011 brannte eine Shisha-Bar in Fuhlsbüttel, am 20.12. ein Hähnchengrill in Fühlsbüttel durch Molotov Cocktails, Silvester ein türkisches Reisebüro in Hamm Süd ebenfalls durch Molotov Cocktails und am 11. Januar ein Kiosk in Eilbeck. Darüber hinaus wurden einem türkischen Geschäft in der Schanze bereits zwei Mal diesen Januar die Scheiben eingeworfen, vor der Tür brannte ein Auto. Über Täter_innen und Motive kann zurzeit nur spekuliert werden, aber auch hier gibt es reichlich Entlastungsangebote an die Deutschen: Besoffene Schanzentourist_innen, Konkurrent_innen, militante pro-kurdische Aktivist_innen, oder doch die Drogenmafia? Wen interessiert da, dass z.B. der Eilbecker Kiosk in der Vergangenheit mehrmals Objekt rassistischer Parolen und Hakenkreuz Sprayereien wurde? Typisch deutsches „Lernen aus der Geschichte“ eben.


Deutsche Zukunftsperspektiven

 

Neonazis wollen hingegen sehr wohl aus der Geschichte lernen, und sie wollen auch wieder Geschichte machen. Bereits seit Monaten wird u.a. von der NPD für den 2. Juni 2012 zum „Tag der Deutschen Zukunft – unser Signal gegen Überfremdung“ nach Hamburg mobilisiert. Gerade auch vor dem Hintergrund der sich einstellenden Frustration in Dresden soll anscheinend mit dem, zum ersten Mal 2009 in Pinneberg ausgerufenen „Tag der deutschen Zukunft“ ein neuer, jährlicher Neonaziaufmarsch etabliert werden. Es bleibt abzuwarten ob eine eventuelle Absage des Wochenendmarsches durch Dresden sich mobilisierungsfördernd auf diesen auswirken wird (http://venceremos.sytes.net/artdd/artikel/co/ein-nazi-grossaufmarsch-weniger.html). Auch ob die Hamburger Versuche an die Recherchen des Nationalen Widerstand Berlin anzuknüpfen Erfolg haben werden, wird sich zeigen (https://www.taz.de/Neonazi-Hetze-per-Internet/!86007/). Fest steht allerdings, dass Neonazis und Sympathisant_innen ihre Lektion vom 1. Mai 2008 in Barmbek offenbar schon verdrängt haben und am 2. Juni 2012 dringend praktischer Nachhilfe bedürfen. Entgegen dem extremismustheoretischen Stumpfsinn eines Markus Ulbig (https://www.youtube.com/watch?v=AXij74X0dA8), finden wir antifaschistischen Widerstand und Selbstschutz nach wie vor genau die richtigen Antworten auf den deutschen Volksmob und seine Neonazis.


Die Suche nach dem Subjekt

 

Mehr als schade ist vor diesem Hintergrund, dass es am 28. Januar eine antifaschistische Demonstration durch Hamburg geben wird, in deren Aufruf der „Tag der deutschen Zukunft“ mit keinem Wort erwähnt wird (http://dertodisteinmeisteraus.de). Auch stellt sich die Frage, an wen denn eigentlich die im Aufruf formulierten Forderungen gerichtet sind: Wird da wirklich geglaubt die deutschen Antisemit_innen, Antiziganist_innen und Rassist_innen könnten plötzlich „würdig“ an die Opfer des NSU gedenken? Soll etwa die deutsche Justiz und Exekutive, auf deren Rechnung tausende Abschiebungen pro Jahr gehen, mit „internationaler Beteiligung“ den, von Altnazis aufgebauten, Verfassungsschutz unter die Lupe nehmen, oder der völkisch definierte deutsche Staat diesen „ersatzlos“ abschaffen? Auch die - wichtige und richtige - Forderung nach der „endgültigen Abschaffung Deutschlands“ wäre vielleicht besser direkt an die US Amerikanische Botschaft geschickt worden, als an das diffuse Gemisch linker bzw. antifaschistischer Öffentlichkeit. Schon lange steht fest, dass weder auf die historische Mission des „Proletariats“, der „Anständigen“, der „Multitude“ oder der „Empörten“ Verlass ist. Das alte Motto „alles muss mensch selber machen“ bewahrheitet sich um so mehr, wenn Antifaschismus mehr sein soll als scheinheiliges Distanzierungsspektakel für „anständige“ Deutsche oder „demokratische Mitten“.

 

Im Jahr 2012 sind die deutschen Zustände immer noch „unter aller Kritik“ und wir mehr als willens „den Deutschen keinen Augenblick der Selbsttäuschung und der Resignation zu gönnen“ (Marx). Deswegen wollen auch wir Alt- und Neonazis sowie die heuchlerisch-empörte „Mitte“ unserer Gesellschaft am 28. Januar daran erinnern, dass wir keineswegs Frieden mit ihnen geschlossen haben und dass wir auch am 2. Juni alles dafür tun werden, dass es keine Zukunft für Deutschland gibt.

 

Den völkischen Konsens brechen – Neonazistrukturen und Aufmärsche angreifen!

Organisiert den antifaschistischen Widerstand!

 

 

Autonome Gruppen aus Hamburg

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ich glaube, dass du das mit dem antiamerikanismus noch nicht verstanden hast.
antiamerikanismus heiszt nicht, dass mensch einfach gegen amerika ist, genauso ist mensch kein_e antisemit_in, wenn mensch gegen juden ist, da steckt eine ideologie hinter, von wegen raubtierkapitalisten oder weltherrschaft, bla.
und natürlich hat der artikel was rassistisches, weil "den deutschen", d.h. menschen, die ZUFÄLLIG in deutschland geboren wurden, gleich bestimmte, völkische oder faschistische, tendenzern bzw. charakterigenschaften zugewiesen werden.
faschismus entsteht nicht aus dem "deutsch-sein" heraus, sondern aus dem kapitalismus!

der text erörtert an keiner stelle, was mit "deutsch" gemeint ist. das ist zugegebenermaßen kritikwürdig, aber bedeutet dann eben auch das "menschen die zufällig in deutschland geboren wurden" nicht einfach als begriffsbestimmung unterstellt werden kann. genau so könnte "menschen die in der deutschen mehrheitsgesellschaft sozialisiert wurden" gemeint sein, oder aber (rassistisch/völkisch gewendet) "menschen die von deutschen abstammen", oder vielleicht doch, "menschen die die deutsche ideologie teilen", oder "menschen die sich als deutsch bezeichnen" oder oder oder?

vergleiche zum beispiel wie Cafe Morgenland die frage "was ist deutsch" beantwortete:

"Zunächst zu der Frage ‚was ist deutsch? ‘: Eine – anhand von Parametern biologischer, physiologischer, psychologischer, kultureller Natur o.ä – positive Definition dessen, was Deutsch ist, lehnen wir kategorisch ab. So ist es  nicht zulässig, darüber zu diskutieren, ob z.B. der  Hamburger Ladenbesitzer, der seinen Laden „Zigeunerfrei“ halten will, seine deutschen Wünsche mit seinem Naturell begründen darf. „Was kann ich dafür, dass mir beim Anblick dieser Zigeuner der Gedanke an Gasöfen kommt“ sagte er vor Jahren dem Spiegel gegenüber.
Diesen Verweis auf die Unwillkürlichkeit der Assoziation muß man ernst nehmen. Die Suche nach einer Begründung dieses Gedankengangs will nicht wahrhaben, dass hier ein Täter von vornherein programmatisch ausschließt, dass er für seinen innigen Wunsch eine Legitimation braucht bzw. er dadurch vor anderen irgendwie in Bedrängnis kommen könnte.
„Deutsch“ ist kein Begriff, der einfach die Herkunft hergibt, haben wir vor langer Zeit geschrieben. „Es ist ein Kampfbegriff und eine Lebenseinstellung zugleich. Und vor allem der Inbegriff von Auschwitz. [...] Deutsch ist nicht jemand, der/die hier geboren ist, auch nicht jemand, der/die einen deutschen Pass oder Eltern hat, die deutsche Pässe haben usw. Deutsch muss man/frau werden. Als "Deutsch" muss man/frau erzogen werden "mit den Bilder des Opas in SS-Uniform", mit der 75-jährigen Oma "die immer noch stolz auf das Hakenkreuz in ihrem Führerschein ist". Mit der stillschweigenden Hinnahme, dass am Familientisch während des Abendbrots, ein (wahrscheinlich) Mörder (so genau weiss man/frau es nicht, weil nicht danach gefragt wird) dabei sitzt usw.“
Was das Attribut ‚Deutsch‘ demnach bezeichnet:
Erstens – und das ist das Einfache in diesem Zusammenhang – ist es die Gesamtheit der Handlungs-, Verhaltens- oder Denkmuster, die sich vor allem in dem Moment von Auschwitz kristallisieren; ungeachtet dessen, ob eines dieser konstitutiven Handlungs-, Verhaltens- oder Denkmuster vor, während oder nach Auschwitz an den Tag gelegt werden.
Zweitens ist es eine bestimmte Haltung und Positionierung denjenigen Handlungs-, Verhaltens- oder Denkmustern gegenüber, die für das, was sich in Auschwitz kristallisiert, konstitutiv ist. Deutsch ist demnach derjenige, der nicht eine klare und aktiv ablehnende Haltung gegen diese Handlungs-, Verhaltens- oder Denkmuster einnimmt, wo und wann immer sich die Konstellation ergibt, in der man sich diesbezüglich zu positionieren hat."

ja was machen wir nun mit den deutschen? wie menschsie auch immer definiert? Was ist der Plan?

entnazifizierung und reeducation