Über 15 000 Menschen beteiligten sich an der revolutionären 1.Mai-Demonstration, die in diesem Jahr unter dem Motto „für die soziale Revolution weltweit“ durch die Berliner Bezirke Kreuzberg und Neukölln zog. Ab 18 Uhr versammelten sich tausende Menschen aus unterschiedlichen Ländern und mit verschiedenen politischen Hintergründen auf der Kottbusser Brücke um ein deutliches Zeichen für eine revolutionäre Überwindung des herrschenden Elends zu setzen.
Ein breites Bündnis aus über 20 verschiedenen linken Initiativen und antifaschistischen Gruppen hatten zur 23sten revolutionären Demonstration seit dem Kreuzberger Kiezaufstand 1987 aufgerufen. Nachdem vom gemeinsamen Lautsprecherwagen der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) und der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (ARAB) die Teilnehmer_innen auf deutsch, englisch, französisch und türkisch begrüßt wurden, sprach ein Vertreter der Neuköllner Stadtteilinitiative „Schillerkiez“ über soziale Verdrängung, Mietsteigerung und Wohnraum als Ware im kapitalistischen System. Er betonte das nur langfristiger Basisorganisation von unten und keine parlamentarische Stellvertreterpolitik in der Lage sind der sozialen Verdrängung in der Innenstadt etwas entgegenzusetzen.
Während die ehemalige Grünen-Bundesvorsitzende und radikale Antikapitalistin Jutta Ditfurth auf der Auftaktkundgebung an die (linke) Geschichte der Anti-AKW-Bewegung erinnerte und Teile der heutigen Anti-Atom-Bewegung für ihre Nähe zu staatstragenden Parteien heftig kritisierte, begrüßten einige autonome Antifaschist_innen die Demonstranten von dem Dach eines Wohnhauses mit Pyrotechnik und einem riesiges Transparent mit der Aufschrift „Yalla – Heraus zum 1.Mai: Klasse gegen Klasse“. Das bundesweite antifaschistische und antimilitaristische Aktionsbündnis „3a“ hatte in diesem Jahr unter dem Motto „Klasse gegen Klasse“ zu revolutionären Mai-Protesten in 8 Städten aufgerufen. Sowohl im antifaschistischen Frontblock wie im weiter hinten laufenden Klassenkämpferischen Block waren eine Vielzahl von Transparenten, Schildern und Fahnen mit der Parole zu sehen. Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) hatte mit Bezug auf die Revolten in Nordafrika und dem Nahen Osten „Yalla“ (Los geht’s) auf ihre Plakate geschrieben, die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB), das antifaschistische Jugendbündnis Berlin, die antikapitalistische Jugendplattform „KIDZ“ und der klassenkämpferische Block hatten ebenfalls in Anlehnung an Umstürze und Massenproteste im arabischen Raum einen „Tag des Zorns“ aufgerufen. Der Berliner Verfassungsschutz und deren Lohnschreiber in den Hauptstadtmedien hatten daraufhin vor einer drohenden „Querfront“ autonomer Linksextremisten und migrantischen Jugendlichen gewarnt.
Nach einem kurzen Auftritt des Hamburger Klassenkampfrapper Holger Burner zog die Demonstration gegen 19 Uhr entschlossen und kämpferisch in Richtung Neukölln. In den vorderen Reihen der Demonstration lief ein lautstarker Block überwiegend vermummter Jugendliche unter einem Transparent mit der Aufschrift „Wir sind richtig Sauer – Heraus zum Tag des Zorns!“. Kurdische Jugendliche beteidigten sich am vorderen Block mit ihren eigenen Fahnen und Parolen gaben der Demo so einen internationalistischen Ausdruck. Auf Transparenten wurde die Freiheit des us-amerikanischen Autoren und politischen Gefangenen Mumia-Abu-Jamal und die Abschaffung der Todesstrafe gefordert.
Vom Lautsprecherwagen wurde während der Route immer wieder auf die verschiedenen Themen der Demonstration aufmerksam gemacht. Ein Vertreter des Jugendbündnis sprach über die Bewegung der Schüler_innen und die Perspektivlosigkeit der „Generation Krise“. Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) ging in einem Redebeitrag auf die von Thilo Sarrazin angestoßenen rassistische und sozialdarwinistische Debatte um Migration ein und immer wieder wurde Bezug auf die Revolte in Nordafrika genommen und der NATO-Angriff auf Libyen verurteilt. Auch die in Neukölln und anderswo grassierende rassistische Polizeigewalt und die staatlichen Morde an Dennis „Jockel“ J. und Slieman Hamade wurde vom Lautsprecherwagen aus thematisiert. Solidarische Grüße gingen an die 1.Mai-Demos in Hamburg, Nürnberg, Zürich, Duisburg, Magdeburg, Karlsruhe und Oldenburg, die Antifa-Proteste gegen Naziaufmärsche in Heilbronn, Halle und Greifswald und die Mai-Demonstration auf dem Istanbuler Taksim-Platz mit 1 Millionen Teilnehmer_innen.
Immer wieder kam es zu Unmutsäußerungen gegenüber der Berliner Polizei und praktisch vorgetragener Kritik an dem staatlichen Gewaltmonopol. Die anwesenden Polizeieinheiten wurden mit Sprechchören wie „Ganz Berlin hasst die Polizei!“ begrüßt und mit Böllern und Pyrotechnik auf Distanz gehalten. Auch wurden während der Demonstration mehrere Banken und ein für Dumpinglöhne berüchtigter Textildiscount militant Angegriffen. Die Wut der Demonstranten über die erfahrene Polizeigewalt der vergangenen Jahre entlud sich schließlich in Form von Stein- und Flaschenwürfen an der Wache des Polizeiabschnitts 55 in der Rollbergstrasse. Daraufhin stürmten Schlägertrupps der 23sten Einsatzhundertschaft die Demospitze und prügelten unter massiven Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken auf die Demonstranten ein. Dabei wurden mehrere Menschen Verletzt und Festgenommen. Kurze Zeit später beruhigte sich die Situation kurzzeitig so das die Demonstration weiter in Karl-Marx-Strasse ziehen konnte. Hier wurde jedoch deutlich das die Polizei immer wieder einzelne Demonstrationsteilnehmer ohne zu erkennenden Anlass Verhaftete und brutal Zusammenschlug. Deshalb entschied sich der Veranstalter den Demonstrationszug Höhe Fuldastraße aufzulösen, weil die Sicherheit der Teilnehmer_innen nicht mehr zu gewährleisten war.
Eine andere Person meldete daraufhin eine Anschlussversammlung in Richtung Hermannplatz an, mit der Begründung den ehemaligen Demonstrationsteilnehmern einen problemfreien Abzug ermöglich zu wollen. Am Hermannplatz griff die gut vorbereitete Polizei dann mit Pefferspray und Schlagstöcken erneut brutal an und kesselte mehrere hundert ehemalige Versammungsteilnehmer_innen an der Karl-Marx-Strasse ein. Tausende ehemaliger Demonstrationsteilnehmer_innen versuchten durch Neukölln und Kreuzberg zurück zum Myfest zu ziehen. Die Polizei versuchte vergeblich mit großräumigen Absperrungen den Abstrom zurück zum Myfest zu verhindern. Immer wieder kam es an solchen Absperrungen zu Zusammenstößen zwischen ehemaligen Versammlungsteilnehmer_innen und den knapp 6000 eingesetzten Beamt_innen. Am Kottbusser Tor kam es dann in den Abendstunden zu den üblichen Katz- und Mausspiel zwischen Betrunkenen und der Polizei. Diese agierte dabei gewohnt brutal, schenkte großzügig Pfefferspray aus und verprügelte sogar eingesetzte Sanitäter_innen. Für Aufregung in der Haupstadtpresse sorgte der Umstand das dabei auch 8 Polizeibeamte in Zivil von ihren Kolleg_innen aus den Greiftrupps verletzt wurden. Der Vorfall erinnert an einen ähnliches Ergeignis, als anderthalbwochen zuvor der Chef der Versammlungsbehörde am Rande einer NPD-Kundgebung von einem Kollegen mit Pfefferspray angegriffen wurde.
Das zentrale Thema dieses 1.Mai war neben den Aufständen in Nordafrika und den Protest gegen den NATO-Angriff auf Libyen vor allem die Frage der sozialen Vertreibung und der kapitalistischen Stadt(um)gestaltung. Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) hatte sich mit einem Aufruf unter dem Motto „Nehmen wir uns die Stadt“ für eine antikapitalistische Perspektive in der Mieter_innenbewegung stark gemacht. Auf der Route kam es immer wieder zu Solidaritätsbekundungen mit dem Anliegen der Demonstration von Dächern, Fenstern, und Balkonen. Im hinteren Teil der Demo lief ein „unabhäniger Block“ verschiedener Mieterinitiativen. Zuvor waren diese unter dem Motto „Stadt für alle“ schon mit 1000 bis 2000 Menschen spontan und unangemeldet vom Mariannenplatz aus durchs Myfest gezogen. Damit wollten sie den 1.Mai „aus dem Herzen Kreuzberg neu politisieren“.
Auf dem als Befriedungsfest kritisierten Myfest ging es aber dieses Jahr auch deutlich politischer zu als in den Vorjahren, was nicht nur an der ersten Spontandemo durchs Fest seit 2006 gelegen hat. Mit einer „Barrio Antifascista“ Bühne auf der unter anderem die linken Bands Irie Revoltés und Connexion Musical auftraten und der Eröffnung des „Carlo Guilania -Gedächtnispark“, der an den 2001 von der Polizei beim G8-Gipfel in Genau ermordeten Globalisierungskritiker erinnern soll, wurden auch auf dem Fest selbst deutlich politischer Signale gesetzt. Auch eine Atomkraft-Nein-Danke-Soundsystem und eine HipHop-Bühne unter dem ausdruckstarken Motto „Fuck Sarrazin!“ hatte das Myfest zu bieten. Das von Bezirkspolitikern der Grünen, SPD und Linkspartei organisierte Fest hatte sich etwas schizophrener Weise sogar selbst unter das Motto „gegen soziale Verdrängung“ gestellt.
Schon am Morgen beteiligten sich mehrere hundert Menschen an einem „klassenkämpferischen Block“ auf der Traditionellen Mai-Demo des DGB. Diese wurde widerlicherweise von dem Regierenden SPD-Bürgermeister und der Gewerkschaft der Polizei angeführt (Bericht).
Gegen soziale Vertreibung, Gentrifizierung und die Räumung alternativer Wohn- und Kulturprojekte hatten schon am 30.April bis zu 2000 Menschen protestiert. Unter dem Motto „Wir bleiben alle“ versammelten sich sich um 16:30 am U-BHF Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte und zogen durch den ehemaligen Hausbesetzerkiez und heutige Yuppie-Hochburg Prenzlauer Berg. In Redebeiträgen betonten unterschiedliche an der Demo beteiligten Projekte und Gruppen das sie die Stadt als Raum der sozialen Auseinandersetzung begreifen und sich nicht aus dem Stadtbild verdrängen lassen wollen. Von dem Dach des Tuntenhauses grüßten Vermummte mit Tranparenten und Pyrotechnik die zeitgleich stattfindende Demonstration gegen den drohenden Verkauf der „Roten Flora“ in Hamburg. Bis auf kleinere Rangeleien blieb die Demo friedlich. Unter dem Motto „Holen wir uns den Kiez zurück“ feierten im Anschluss bis zu 1000 Menschen auf dem Wismarplatz eine antikapitalistische Walpurgisnacht. Auch sie forderten ein Ende der Verdrängung und eine „Stadt für alle“. Im Anschluss kam es zu Übergriffen der Polizei die das gesamte Viertel mit hunderten Beamten die ganze Nacht besetzt hielt. Auch am Kreuzberger Kreuzberg ging die Polizei brutal gegen feiernden Jugendliche vor und nahm mehrere Menschen – unter Anwendung brutaler Gewalt – fest.
Laut Ermittlungsausschuss gibt es mehrere Berichte von schweren Misshandlungen durch die Bullen. Solltet ihr Zeuge einer solchen Situation gewesen sein, fertigt ein Gedächtnisprotokoll an, und bringt uns das in der Sprechstunde vorbei, ebenso Photos und Videos. VERÖFFENTLICHT KEINE PHOTOS UND VIDEOS AUF INDYMEDIA, YOUTUBE o.ä., das kann andere von Repression Betroffene massiv gefährden! In der Walpurgisnacht wurden laut EA knapp 60 Menschen festgenommen.5 davon sitzen in U-Haft. Am 1.Mai wurden ca. 100 Menschen festgenommen. Es warten noch immer mehrere Personen auf ihre Haftprüfung. Mehrere Personen wurden trotz Haftbefehl haftverschont. Es gibt bisher einen vollstreckten Haftbefehl (U-Haft).
Sollten Freunde von euch betroffen sein und ihr nicht wisst, wie ihr sie in dieser Situation unterstützen könnt, kommt in die Sprechstunde des EA!
Fotos:
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Bericht: Euromayday 2011 Dortmund
http://afunke.blogsport.de/2011/05/01/bericht-euromayday-2011-dortmund/