Offener Brief an die Polizei überall

nojustice

Die Polizei ist nicht ein uniformer Monolith. Es ist eine Sammlung von Individuen voller menschlicher Eigenschaften: Zweifel, Unsicherheit, komplexer Motive und unterschiedlicher Loyalitäten. Die Spaltungen in ihren Reihen können hervorgehoben und vergrössert werden. Ihre Ränge können aufgebrochen und ihre Macht untergraben werden.

 

Ich verstehe, dass ihr euch den Polizeikräften angeschlossen habt, um das Gesetz zu stärken. Ich erkenne an, dass für euch „die Stärkung des Gesetzes“ auch „helfen und beschützen“ bedeutet und ich kann mir vorstellen, dass jenseits von diesen Abstraktionen vielleicht der Wunsch existiert, Gutes zu tun und anderen zu helfen. Ich vermute, dass eure Motive vielleicht eine Hoffnung beinhaltet, Hingebung zum Mitgefühl zu praktizieren, was ich nicht nur respektiere, sondern bewundere.

 

Aber es herrscht Krieg. Ein Krieg, der mit Gerechtigkeit und Ordnung nichts zu tun hat. Ein Krieg, der Chaos erzeugt, um die Ungerechtigkeit fortzuführen. Die Banken, Unternehmen und das Kapital, die unsere Wirtschaft zerstört haben und reich weggelaufen sind, kommen zurück, um sich mehr zu holen und ihr seid ihre Fusssoldaten.

 

Durch Finanzialisierung, Schuldenmanagement, exotische finanzielle Instrumente und politische Machenschaften sind reiche Geschäftsmänner und Banken dran, die Leute, die ihr zu beschützen geschworen habt, zu versklaven und anzugreifen. Sie haben die Lebensgrundlage der Arbeiterklasse durch Outsourcing und Abbau zerstört und alle unternehmerischen und radikalen Alternativen durch Regulierung und Gesetzgebung kriminalisiert. Sie haben jegliche unabhängige Lebensform illegalisiert und uns dann die Chancen und Zugänge, von welchen wir abhängen, verweigert. Sie lassen uns mit nichts zurück und kommen mit Schulden und räuberischen Krediten. Das sind nur die gegenwärtigen Formen von ähnlichen Prozessen, die die Geschichte durchziehen. Nicht mehr zufrieden damit, schlichtweg den Wert unserer Arbeit zu stehlen, haben sie es nun auf unsere nackten Leben abgesehen.

 

Ihr arbeitet für sie. Eure Rolle ist essenziell für ihren Erfolg. Ihr stärkt ihre Gesetze gegen uns, gegen euch selbst, eure Familie, eure Freunde und eure Nachbarn. Sie werden nicht aufhören, bis sie jeden von uns versklavt oder konsumiert haben. Sie können nicht aufhören. Das Kapital wird es nicht erlauben. Darum müssen sie aufgehalten werden. Es ist schon lange bekannt, dass eines Tages eine Zeit kommen wird, wo Leute Widerstand leisten müssen, um einfach zu leben. Diese schreckliche Zeit ist gekommen.

 

Jede Person, die ihr aus ihrem Zuhause vertreibt, jede Verhaftung für zivilen Ungehorsam, die Störung des Friedens oder gewaltlosen Widerstand bringt diesen Krieg einer offenen Feindschaft näher, die Zeit, wenn die Furcht hinter die Enttäuschung zurücktritt, wenn die Leute – wie schutzlos sie gegen eure Pistolen und eure Macht auch sein mögen – sich entscheiden, zu kämpfen. Anarchisten, die im schwarzen Block am 1. Mai Schaufenster zerstören, sind nur der Anfang, es ist nur eine lediglich symbolische Halbaktion. Jede Person, die ihr heute vertreibt oder verhaftet wird morgen jemand sein, den ihr erschiessen müsst.

 

Wir haben diesen Krieg nicht gewählt. Es ist ein Krieg, in welchem ich nicht kämpfen möchte, ein Krieg jedoch, dessen Opfer wir alle während Jahren gewesen sind. Ein Krieg, der unsere Gemeinschaften zerstört, unsere Leben konsumiert und unsere Zukunft gestohlen hat. Ihr seid in diesem Krieg auf der falschen Seite. Bevor ihre eine andere Person aus ihrem Zuhause vertreibt, bevor ihre einen anderen kleinen Dieb verhaftet oder einen anderen Altmetallhändler, Abfalltaucher, Unbefugten oder Protestierenden vertreibt, bevor ihr angreift, tasert oder Tränengas auf andere menschliche Wesen werft, bevor dieser Krieg eskaliert und extremste Formen annimmt, hört bitte auf. Steigt aus. Legt einfach euren Badge nieder und schliesst euch den Gemeinschaften und Leuten gegen die Unternehmen und das Kapital an.

 

Mit freundlichen Grüssen,

 

Ein betroffener Bürger

 

 

Übersetzt von Le Réveil

Englische Version: http://zinelibrary.info/open-letter-police-everywhere

Französische Version: https://www.lereveil.ch/contrib/lettre-a-toutes-les-polices

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Einen ähnlichen Text nur etwas politisch und wissenschaftlich besser und progressiver könnte mensch dir schreiben. Es ist die Gesellschaft, es ist die Systematik und nicht die Unternehmen "die unsere Wirtschaft zerstört haben". Eure Wirtschaft kann mich mal und wenn menschen ,die nicht reaktionäreres Anstreben als die herrschenden Zustände, eure Wirtschaft zerstören, dann empfinde ich tiefste Solidarität mit selbigen. Lehman Brothers war erst der Anfang! Den Kapitalismus zerstören. Die Marktwirtschaftscheitern lassen. Solidarität mit allen(egal ob arm oder reich), welche die herrschenden Zustände angreifen ohne hinter selbige zurückzufallen!!!

"Es ist die Gesellschaft, es ist die Systematik und nicht die Unternehmen! "die unsere Wirtschaft zerstört haben"(.)

 

Die Klammer heisen das selbiges falsch ist und da nicht hingehört. Kleiner Fehler, welcher aber den Inhalt doch ziemlich verändert. Sorry dafür.

Ich lebte in der Brunnenstrasse 183 und Uns bzw. den bis kurz vor der Räumung verbliebenen Menschen, wurde durch einen mit uns symphatisierenden Polizisten geholfen. Letztendlich wurde er aber dabei erwischt und verurteilt. Für Uns war es damals nicht möglich an ihn ranzukommen und das hatte verschiedene Gründe. Zum Einen sind Symphatie und eine übereinstimmende Meinung zwei unterschiedliche Sachen und zum Anderen sind die gegenseitigen Vorurteile und feindlichen Erfahrungen doch zu gross, um miteinander zu kommunizieren. Aber nicht nur das ist ein Problem. Wie dieser Fall zeigt ist die Kommunikation miteinander auf eine wechselseitige sichere Ebene angewiesen. Im Szeneslang wird das mit "militante Plattform" bezeichnet. Wer aber die Prozesse um Interim und Szenebuchläden verfolgt, wird bemerken, dass es eine solche Plattform nicht gibt und die Ansätze zu leicht zu kontrollieren sind.

Eines der Dinge die ich bereue ist, dass ich damals nicht diesem Polizisten bei seiner Antirepressionsarbeit unterstützen konnte. Zwar gab es innerhalb der Szene einige Bekundungen, dass es ganz gut wäre, diesen mutigen Polizisten zu unterstützen, doch das erwies sich dann als heisse Luft. Ich hoffe, er kann das hier lesen und mir verzeihen!

Was dieser Artikel bewirkt, könnte sein, dass Polizisten und Polizistinnen gegen die Regeln innerhalb der Polizei und der Gesetze verstossen. Das Problem dabei ist jedoch, dass niemand sie auffängt, wenn es schief geht und niemand sie vorbereitet, wie soetwas getan wird. Es gibt keine Vorbilder und das macht es so schwer. Wer die Thematik Wikileaks verfolgte, wird erkennen was ich meine.

Nebenbei braucht ihr auch keinen Polizisten und keine Polizistin erzählen, dass in Deutschland (und anderswo) Krieg herrscht. Für Bürger und Bürgerinnen macht das sicher nicht so den Eindruck, aber in geheimen - d.h. nur für Polizeiangehörige zugänglichen - Dienstvorschriften (PDV) wird nicht (nur) von "Straftätern", sondern von "Feinden" gegen die öffentlichen Ordnung geschrieben. Der Polizist und die Polizistinnen, besonders in den Einsatzhundertschaften, den Spezialdienststellen der LKAs und des BKAs, kennt also die "Feinde" und den "Krieg".

Eine autonome Perspektive auf die spezifischen Schwierigkeiten der Emanzipation der Bürger zu Menschen könnte diese Wortmeldung aus Ägypten bieten, unmittelbar vor dem öffentlichen Amoklauf der zu diesem Zeitpunkt gerade von der Macht abgeschnittenen Berufsverbrechereinheiten der Polizei:

"We sleep at night in fear. We sleep without police at night. Do you know what that's like? To wake up one day and there's no police, no prisons, no safety? The police is over. We are scared."

http://www.indymedia.org.au/2011/01/31/looting-in-egypt-press-lies-and-d...

Der Bürger hat die repressive Zerrüttung des öffentlichen Vertrauens so sehr verinnerlicht, dass sich seine unbewußt richtig empfundene Angst vor der Polizei nur noch als konformistische Furcht vor deren Abwesenheit artikulieren kann. Dennoch war es in Ägypten selbst noch aus dieser totalitären Sprachlosigkeit heraus möglich, als unmittelbar nächstes sich der akuten Frage zu stellen wie schützen wir uns wirksam vor dem Übel und seinen toxischen Zerfallsprodukten. Das kann gar nicht präventiv genug angegangen werden, und auch der Aufruf zum Ausstieg aus dem Repressionsapparat an eventuelle fehlgeleitete Idealisten ließe sich in der Hinsicht noch steigern zum Aufruf an Jugendliche ihm gar nicht erst in die Falle zu gehen. Potentiellem Polizeinachwuchs muss permanent bewusst gemacht werden dass ein Apparat der gegen die gesellschaftliche Opposition repressiv agiert auch mit jeder inneren Opposition entmenscht umgehen wird, damit nachher keiner sagen kann er hätte von nichts gewusst. In der Not frißt der autoritäre Kult seine Kinder, aber muß es erst so weit kommen um endlich damit Schluß zu machen?