Rückblick auf den Polizeistaats- und Naziaufmarsch am 15.1.11 in Magdeburg

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Seit 1999 veranstaltet die so genannte „Initiative gegen das Vergessen“ den geschichtsrevisionistischen Aufmarsch zum Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs durch alliierte Luftstreitkräfte am 16. Januar 1945. Zu dieser „Initiative“ gehören überwiegend regionale Nazis der NPD/JN, die Hauptprotagonisten sind unter anderem Andy Knape, Andreas Biere und Sascha Braumann. Seit dem letzten Jahr treten die „Initiativen“ aus Magdeburg und Dresden mit einer gemeinsamen Homepage auf. Diese Jahrestage werden bundesweit durch die Nazis dazu genutzt, um die Geschichte zu verdrehen und (deutsche) Täter zu Opfern um zudeuten.


Vor dem Hintergrund erfolgreicher antifaschistischer Blockaden, wie z.B. im vergangenem Jahr in Dresden, führte der Anmelder Andy Knape bereits im Vorfeld des Naziaufmarsches einen Rechtsstreit gegen eine Versammlungsauflage. Diese besagte, dass „die Route auch vor Ort durch den Einsatzleiter bei Gefahr von Störungen geändert werden“ kann. Aus Angst vor Blockaden und um einen wie es heißt „würdevollen und disziplinierten Marsch“ zu gewährleisten, legte Knape Widerspruch ein dem auch stattgegeben wurde.

 

Folglich fanden sich schließlich am 15.01.2011 rund 1000 Alt- und Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet auf dem Bahnhofsvorplatz in Magdeburg ein. Ebenso mindestens so viele Polizisten aus sämtlichen Bundesländern wurden angekarrt um die Faschisten zu schützen und ihre Aufmarschroute um jeden Preis durchzusetzen. Zwei Polizeihubschrauber kreisten ganztägig über der Stadt.
Obwohl in diesem Jahr keine antifaschistische Demonstration am Vormittag stattfand, waren circa 300 Antifas in der Stadt unterwegs. Die teilweise planlos und verwirrt wirkenden Bullen konnten antifaschistische (Sitz-) Blockaden auf der Naziroute nicht verhindern. Gruppen von Antifas konnten Bullenketten um- oder überlaufen. So konnten unter anderem Blockaden in der Otto-von- Guericke-, Bahnhof-, Carl-Miller- und Schönebecker Straße formiert werden, die den Auftakt und die Naziroute beeinflusst haben. Dennoch wurden wieder einmal Antifas und Blockierer/innen brutal mittels Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz von Bullen angegriffen, von der Straße geräumt und zum Teil eingekesselt. Die Nazidemo wurde schließlich (in Nebenstraßen) an den Blockaden vorbei vom Hauptbahnhof, über Otto-von-Guericke-, Kepler-, Bahnhofs-, Hallische-, Carl-Miller-, Stern-, schließlich zur Schönebecker Straße eskortiert, wo schließlich der „zeremonielle“ Abschluss der Nazis stattfand. Während des gesamten Naziaufmarsches herrschte das übliche strikte Rauchverbot, ohrenbetäubende klassische Musik sowie geschichtsrevisionistische Reden von Andy Knape (MD), Sven Skoda (Bad Nenndorf), Maik Müller (DD), Andreas Biere und einem Faschisten aus Österreich gab es für die Kameraden zu hören.

Die Stadtoberhäupter mit samt ihrem Imageverein „Bündnis gegen Rechts“ verhielten sich auch in diesem Jahr weiterhin passiv. Sie veranstalteten nun schon zum dritten Mal die „Meile der Demokratie“ auf dem Breiten Weg. Ein Interesse von zivilgesellschaftlicher und bürgerlicher Seite aus den Naziaufmarsch zu blockieren oder zumindest den Protest in Hör- bzw. Sichtweite zu platzieren gibt es nicht. „Jede Stadt muss ihren eigenen Weg gehen“, wiegeln Vertreter des BgR`s in Hinblick auf die breiten Proteste in anderen Städten wie Dresden und Leipzig ab.
Allgemein lebt das hiesige „Bündnis gegen Rechts“ von Abgrenzung, Diffamierung und der Selbstinszenierung einiger Personen und Parteien. Durch undurchlässige Informationspolitik und ihrem Konzept, fernab von den Nazis im Rahmen ihrer Demokratiemeile konsumorientierte Angebote für Groß und Klein anzubieten, behindern und schwächen sie aktiv einen antifaschistischen Widerstand. Zugleich werden mit der „Meile“ die wirtschaftlichen Geschäfte der innerstädtischen Konsumtempel aufrecht erhalten, ein großes Bullenaufgebot legitimiert und die Angst vor so genannten Extremisten weiter geschürt.

Die Reaktionen der regionalen Presse und Öffentlichkeit in den Tagen nach dem diesjährigen Naziaufmarsch gestaltete sich wie gewöhnlich einseitig. Die Organisatoren der „Meile der Demokratie“ feierten sich selbst und erfreuten sich darüber „ein starkes Zeichen (…) gegen Antidemokraten“ gesetzt zu haben. Welches Zeichen sie meinen und wo sie die diesjährigen 6000 Teilnehmer/innen der Meile gezählt haben, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Antifaschistische Blockaden auf der Aufmarschroute der Nazis wurden hingegen in der hiesigen Presse nicht erwähnt. Der Chefredakteur der Volksstimme feierte den 15.01.11 sogar als „Sieg der Demokratie“ und würdigte den Einsatz der mehr als 1000 Polizisten, welche die Innenstadt belagerten.

Abschließend möchten wir noch die antifaschistischen Aktivitäten unsererseits näher auswerten. Die Kommunikation mit dem Koordinierungskreis und die aufgestellte Infrastruktur hat koordinierte Aktionen ermöglicht, an verschiedenen Punkten konnten Bezugsgruppen gesammelt und Blockaden formiert werden. In der Sternstraße gelang es beispielsweise kurzzeitig eine Spontandemo zu formieren um eine Polizeikette aufzulösen. Die Betreuung von Festgenommenen durch den Ea konnte erfolgen, da Ingewahrsamnahmen aufmerksam und zeitnah gemeldet wurden. Neben etlichen Antifas die kurzzeitig von der Polizei festgesetzt wurden, saßen acht Leute im Gewahrsam, die aber bis Mitternacht wieder raus kamen.

In Vorbereitung zum diesjährigen Naziaufmarsch haben wir mit einem Aufruf mobilisiert und schwerpunktmäßig in Stadtfeld Öffentlichkeitsarbeit in Form von Postwurfsendungen betrieben. Weiterhin haben wir öffentlichkeitswirksam etliche antifaschistische Pappschilder an Laternen auf gehangen, eine gut besuchte Infoveranstaltung über die lokale Naziszene durchgeführt, sowie das „Warm up“ einen Tag vor dem Naziaufmarsch im Infoladen veranstaltet. Am Tag des Naziaufmarsches selbst schafften wir es neben dem Bilden von Bezugsgruppen um Blockaden formieren zu können auch unsere eigenen Strukturen angemessen zu schützen. In Anbetracht auf die vergangenen Naziangriffe auf den Infoladen und das L!Z, stellten wir nahezu am gesamten Wochenende einen intensiven Schutz des Infoladens und der umliegenden Straßen sicher. Am 15.01. selbst nutzten rund 100 Antifas den Infoladen als Anlaufpunkt um sich mit warmen Essen, Getränken oder aktuellen Infos zu versorgen.

Schlussendlich wird es wohl auch in den nächsten Jahren auf Grund des allgemeinen zivilgesellschaftlichen Klimas schwer sein den Naziaufmarsch hier effektiv aufhalten zu können. Als radikale Linke bleibt es unsere Aufgabe deutlich zu machen, dass Nazis und ihre Aufmärsche nicht hingenommen, ignoriert oder ihnen gar die Straßen überlassen werden. Eine breitere (bundesweite) antifaschistische Mobilisierung im nächsten Jahr könnte es möglich machen, wirklich alle eventuellen Aufmarschwege der Nazis zu blockieren. Parallel könnte versucht werden die Besucher/innen von der „Meile der Demokratie“ anzusprechen, die ein Bedürfnis nach antifaschistischer Blockade und Praxis haben.

Nach dem Naziaufmarsch ist vor dem Naziaufmarsch. So gilt es weiterhin den antifaschistischen Selbstschutz zu organisieren, antifaschistische und klassenkämpferische Strukturen zu stärken sowie den antifaschistischen Kampf auf verschiedenen Ebenen zu führen.


In diesem Sinne:

 

Zusammen kämpfen gegen Nazis, Staat und Kapital!

An dieser Stelle möchten wir uns auch bei allen solidarischen GenossInnen bedanken, die nach Magdeburg gekommen sind, uns unterstützt haben.

 

zusammen kämpfen Magdeburg, 20.01.11

 

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Ich war Teilnehmerin an den Antifaschistischen Blockaden am 15.1. in Magdeburg. Ob tatsächlich von Blockaden gesprochen werden kann, sei dahin gestellt. Die Blockade, an der ich beteiligt war, wurde innerhaln kürzester Zeit ziemlich grob von den Bullen geräumt. Aber darum geht es nur bedingt: ich frage mich, wieso nur so wenig Menschen an den Blockade(versuchen) teilnahmen?  Dank unserer eindeutigen Minderheit gegenüber Nazis und Bullen konnte der "Trauermarsch" recht unbehelligt stattfinden. Effektiv gestört/verhindert wurde nicht. Bisher habe ich gelesen, dass ca. 300 bis 400 AtifaschistInnen an diesem Tag in Magdeburg unterwegs waren. Ich muss ehrlich sagen, dass finde ich schockierend. Bei so einem großen Naziaufmarsch (ca. 1000) ist ein Widerstand, der sich auf 300-400 Menschen beschränkt, nicht wirklich umsetzbar. Die Unmengen an gewalttätigen Bullen darf mensch ja auch nicht vergessen.

Also, woran lag es, dass die antifaschistische Mobilisierung kaum gewirkt hat? Ich bin davon überzeugt, dass der Naziaufmarsch wesentlich stärker gestört worden wäre, wenn wir mehr gewesen wären...

 

Solidarische Grüße nach Magdeburg!