Hintergrundinformationen zur Dokufiction „2030 – Aufstand der Jungen“

Erstveröffentlicht: 
10.01.2011

Zahlen und Fakten zum demografischen Wandel

 

Die Erfolgsmeldungen aus Politik und Wirtschaft im Herbst 2010 könnten kaum
besser sein. Von plötzlichem Konjunkturaufschwung, boomender Wirtschaft,
gestiegenen Steuereinnahmen, sinkenden Arbeitslosenzahlen und weniger
Neuverschuldung ist die Rede. Müssen wir uns um die Zukunft der Jungen keine
Sorgen machen?
Doch die Jungen trifft es hart. Schon heute müssen sie sich mit prekären
Lebenslagen arrangieren. Sie erleben die Bildungsmisere, werden später als
Generation Praktikum ausgenutzt und schlagen sich als Berufsnomaden mit schlecht
bezahlten und unsteten Beschäftigungsverhältnissen durch.
Darüber hinaus besteht großer Handlungsbedarf, die hohe Zahl der
Langzeitarbeitslosen und die wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen zu
überwinden. Und auch die viel gepriesene Solidarität zwischen den Generationen
bröckelt. Der demografische Wandel kann durchaus als politische Großbaustelle
bezeichnet werden – wie bei fast keinem anderen Phänomen sind praktisch alle
Politikfelder betroffen: Bildung, Arbeit, Gesundheit, Familie und
Generationenbeziehungen. (1)
"Wir brauchen einen Aufstand der Jungen gegen die Ungerechtigkeit – einen
Aufstand, der sich nicht gegen die Alten richtet, sondern gegen einen unfairen
Zustand, und der ein Recht auf Mitsprache und eine Wende zur Nachhaltigkeit
erstreitet", so formuliert es der Politik- und Sozialwissenschaftler Wolfgang
Gründinger, Jahrgang 1984, der als Anwalt der Jungen gilt, und sich im Vorstand
der Stiftung für die Rechte der zukünfiger Generationen einsetzt. (2)
Zeit für "2030 – Aufstand der Jungen", basierend auf den nachfolgend aufgeführten
Fakten.

 

1. Generationensolidarität in Gefahr

 

Nicht nur der Anteil der Älteren wird in den nächsten Jahrzehnten weiter stark
ansteigen, auch die Zahl der Menschen ohne Kinder und Enkelkinder vergrößert
sich. Erstmals wurde jetzt empirisch nachgewiesen, dass der demografische Wandel
die Solidarität der Generationen in Deutschland gefährdet. Die Bereitschaft, an
jüngere Menschen zu denken, schwindet, je älter die Befragten sind, und ob sie
Kinder oder Enkelkinder haben. (3)

 

2. Demografische Fakten – die Macht der Alten

 

2030: Mit einem prognostizierten Rentneranteil von 46,2 Prozent wird die deutsche
Bevölkerung die älteste innerhalb Europas sein. (4) Bei einer Geburtenrate von 1,36
pro Frau vergreist und schrumpft sie unaufhaltsam. Noch nie wurden in Deutschland
so wenig Kinder geboren wie im vergangenen Jahr. 2009 kamen rund 665 000
Kinder zur Welt, etwa 17 000 weniger als im Vorjahr und nicht einmal halb so viele
wie 1964. (5)
Stellen Rentner erst einmal die mächtigste Gruppe unter den Wählern, werden sie
auch die politische Agenda bestimmen. Die bestehenden
Sozialversicherungssysteme sind schon heute überlastet, wenn die Generation der
Babyboomer in Rente geht, droht der Zusammenbruch.Die heutige Altengeneration
ist die reichste aller Zeiten. Im Vergleich dazu ist jedes sechste Kind
armutsgefährdet. (6) Die Armut hat sich schon heute von den Alten zu den Jungen
verschoben.

 

3. Die traditionelle Familie – ein Auslaufmodell

 

Für Eltern bedeuten Kinder heutzutage sozialer Abstieg bis ins Rentenalter. Kinder
sind das größte Armutsrisiko, vor allem für Frauen. (7) Studien belegen, dass sich
die Geburtenrate erhöhen würde, wenn durch frühere ökonomische
1
Wilkoszewski, Harald. "Das Alter: für die Politik kein Kinderspiel". In: Max Planck Forschung:
3, 10-15 (2009)
Gründinger, Wolfgang: Aufstand der Jungen – Wie wir den Krieg der Generationen vermeiden können.
München 2009: S.16
3
Quelle: MPIDR, WP-2009-034
4
Quelle: Eurostat, März 2010
5
Pressemitteilung Nr. 414 des Statistischen Bundesamts vom 12.11.2010
6
"Dossier Armutsrisiken von Kindern und Jugendlichen", BMFSFJ, Mai 2008
7
Gründinger, Wolfgang: Aufstand der Jungen – Wie wir den Krieg der Generationen vermeiden können.
München 2009: 14 f
2
Selbstständigkeit, die Familiengründung nicht mehr mit anderen
Lebensentscheidungen kollidiert.

 

4. Sozialversicherungen auf dem Prüfstand

 

Die wachsende Staatsverschuldung und die Entwicklung der Rentensituation zählen
nach dem Urteil der Deutschen zu den größten Zukunftsproblemen der jungen
Generation. (8)
Das Rentenniveau sinkt. Heute muss ein Durchschnittsverdiener 27 Jahre lang
Beiträge in die Rentenkassen einzahlen, um später eine Altersvorsorge auf
Sozialhilfeniveau zu erreichen. Im Jahr 2030 muss er für die selben Leistungen
schon 37 Jahre lang einzahlen. (9) Im Alter droht den Jungen Armut, wenn sie nicht
verstärkt privat vorsorgen.
Laut einer Studie aus dem Jahr 2007 von Prof. Peter Oberender,
Gesundheitsökonom der Universität Bayreuth funktioniert der Generationenvertrag
nicht mehr. Demnach zahlen die Jungen bis zu 150 000 Euro mehr in die Renten-,
Kranken-, Pflege- und Arbeitslosen-versicherung ein, als sie später
herausbekommen. Dagegen erhalten die heute über 60jährigen bis zu 250 000 Euro
mehr, als sie eingezahlt haben. Für die Jüngeren ist das Sozialsystem ein klares
Minusgeschäft.
Fast zwei Drittel der Deutschen geht davon aus, dass der soziale Frieden gefährdet
ist und sich Kriminalität und rechtsextreme Gewalt ausbreiten, wenn es keinen
Anspruch auf staatliche Fürsorge und Sozialleistungen gibt. Sie befürchten eine
"Brasilianisierung" der Lebensverhältnisse, wenn mehr Armut als Wohlstand
Wirklichkeit wird. (10)

 

5. Das Herbstgutachten der Wirtschaftsweisen: Aufschwung-XL in Sicht?

 

In seinem Herbstgutachten rechnet der Sachverständigenrat mit einem Wachstum
von 3,7 Prozent für das laufende Jahr und für 2011 mit 2,2 Prozent. Damit liegen die
Experten über den Schätzungen der Bundesregierung, die in den Wochen zuvor ihre
Wachstumsprognose für 2010 deutlich von 1,5 auf 3,5 Prozent hochgeschraubt hat.
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle bewertet das als einen "Aufschwung –XL" und
lobt die Reformen der schwarz-gelben Koalition. Doch die Wirtschaftsforscher
warnen vor zuviel Euphorie. 2009 war Deutschland in Folge der Finanzkrise in eine
schwere Rezession gerutscht, das Bruttoinlandsprodukt historisch um 4,7 Prozent
eingebrochen. "Ein Ende der Finanzkrise können wir keineswegs ausrufen", so
Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. (11) Auch die
Wirtschaftsweisen raten als Reaktion auf die guten Konjunkturdaten vor raschen
Steuersenkungen oder übermäßigen Lohnsteigerungen ab.
8
Repräsentative Umfrage zum Symposium Deutsche Fragen: " Haushalt, Rente Bildung: Ist der
Generationenvertrag noch gültig?". ipos-Institut Mannheim. September 2009
9
Schmähl, Winfried: Weiterer Raubbau an den Sozialbudgets. In: VdK Bayern. München 2006
10
Opaschowski, Horst. Deutschland 2030 – Wie wir in Zukunft leben. Gütersloh 2008. S.52 f
11
"Wirtschaftsboom schafft Arbeit – Risiken bleiben"dpa. Berlin. 14.10.2010

 

6. Zahl der Arbeitslosen sinkt auf 2,94 Millionen

 

Die Zahl der Arbeitslosen ist im Herbst 2010 auf unter 3 Millionen gefallen und
damit auf den niedrigsten Stand seit Oktober 1992. Skeptiker werfen der
Bundesarbeitsministerin vor, dass sie mit statistischen Tricks arbeite, um diese
magische 3 Millionen Grenze zu knacken. IZA- Direktor Hilmar Schneider bestätigt,
dass es eine hohe verdeckte Arbeitslosigkeit gebe.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit waren im September rund 1,4 Millionen
Menschen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen beschäftigt. Die
Unterbeschäftigung bezifferte die Behörde auf mehr als 4,1 Millionen.12 Auch der
Abbau der Langzeit-arbeitslosigkeit geht kaum voran. Die Zahl der arbeitslosen
Hartz IV Empfänger liegt konstant bei zwei Millionen. (13)

 

7. Überschuldung trotz 61 Milliarden Steuereinnahmen

 

Der deutsche Staat wird bis Ende 2012 etwa 61 Milliarden Euro mehr an Steuern
einnehmen. Deshalb wird der Bund in diesem Jahr statt 80 Milliarden "nur" etwa 50
Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen müssen. Es bleibt dennoch die
höchste Nettokreditaufnahme der deutschen Geschichte. (14)
Bis zum Jahresende 2010 wird die Verschuldung von Bund, Ländern und
Gemeinden 1.715,1 Milliarden Euro betragen. Das sind 20.981 Euro Staatsschulden
pro Kopf. (15)
Darüber hinaus steckt jeder zehnte erwachsene Bundesbürger in der privaten
Schuldenfalle, so die Ergebnisse des "Schuldneratlas Deutschland 2010".
Besonders jüngere Menschen und Frauen seien anfälliger geworden für
Überschuldung.

 

8. Aufschwung geht an junger Generation vorbei

 

Rund 54 Prozent der Erwerbstätigen seien prekär beschäftigt z.B. als Leiharbeiter,
in befristeten Jobs oder in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, so die Ergebnisse einer
repräsentativen TNS Infratest Studie. Junge Menschen unter 35 Jahren sind stark
von Brüchen im Erwerbsleben betroffen. Jeder Dritte hat Probleme bei der Suche
nach einem Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz. Die schwierigen Startbedingungen für
junge Erwerbstätige setzen sich in ihrem weiteren Erwerbsleben fort. Die
sogenannte normale Erwerbsbiografie ist für einen erheblichen Teil bereits jetzt
unerreichbar. (16)

 

9. Prekäre Arbeitswelten und die abgehängte Generation

 

Die Generation P (Praktikum oder Prekariat) muss sich mit weniger Wohlstand und
sozialer Sicherheit als ihre Elterngeneration begnügen. Sie fühlt sich "abgehängt".
Viele müssen Zweit- und Drittjobs annehmen, um über die Runden zu kommen.
12
"Deutschland auf dem Weg in die Vollbeschäftigung". In: die Welt. 28.10.2010
"Hartz IV hilft dem Arbeitsmarkt". In: Die Welt. 28.10.2010
14
"Warum 61 Milliarden Euro wenig Geld sind". SZ. 5.11.2010
15
Aktuelle Pressemitteilung. Bund der Steuerzahler. 27.10.2010
16
Studie: "Motiviert – aber ausgebremst". Persönliche Lage und Zukunftserwartungen der jungen Generation.
TNS Infratest Politikforschung im Auftrag der IG Metall, April 2009
13
Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sorgt die
Situation der sogenannten Generation Praktikum für den Anstieg des Armutsrisikos
in Deutschland. Knapp ein Viertel der 19 bis 25jährigen lebte demnach 2008 unter
der Armutsschwelle. (17) Vor allem junge Erwachsene und Haushalte mit Kindern
sind betroffen.

 

10. Drohender Facharbeitermangel

 

Noch befinden sich die geburtenstarken Jahrgänge im erwerbsfähigen Alter.
Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass von 55 Millionen Menschen im
erwerbsfähigen Alter derzeit nur knapp 26 Millionen in die Sozialkassen einzahlen.
Zur Zeit sind nur etwa zwei Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung wirklich
erwerbstätig.
Wenn in Zukunft augrund des demografischen Wandels die Erwerbsbevölkerung
weiter schrumpft, werden alle jungen Leute dringend gebraucht und müssen
qualifiziert werden. Die Wirtschaft boomt, aber schon heute gehen den Unternehmen
die Fachkräfte aus.
70 Prozent haben Probleme bei der Besetzung von Stellen, klagt Hans Heinrich
Driftmann, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Der
demografische Wandel werde langfristig die Situation verschärfen. Bis 2030 fehlen
rund sechs Millionen Arbeitskräfte.

 

11. Bildung nur für Reiche

 

In Deutschland hängt die Zukunft eines jungen Menschen in hohem Maße vom
Geldbeutel der Eltern ab. Diesen Trend spiegelt auch die aktuelle 16. Shell
Jugendstudie wieder. Während die Mehrheit der Jugendlichen optimistisch in die
Zukunft blickt, ist die Zuversicht bei Jugendlichen aus sozial schwachen Haushalten
weiter gesunken. (18)
Bereits im Grundschulalter investieren Eltern in private Nachhilfe ihrer Kinder. Die
Bertelsmann Stiftung hat untersucht, dass Eltern fast 1,5 Milliarden für privaten
Nachhilfe-unterricht ausgeben. So verringern sich die Bildungschancen der Kinder
aus sozial schwachen Familien schon in jungen Jahren.

 

12. Unzureichende Bildung: Anstieg der Kriminalität

 

In einer aktuellen Untersuchung der Bertelsmann Stiftung haben die
Wirtschaftswissen-schaftler Horst Entorf und Philipp Sieger erstmals einen kausalen
Zusammenhang zwischen unzureichender Bildung und Kriminalität nachgewiesen.
Die Forscher argumentieren mit volkswirtschaftlichen Schäden von Kriminalität, die
sie auf vier bis sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts beziffern.
"Bildungspolitische Maßnahmen könnten ganz erheblich dazu beitragen, Fälle von
Mord, Totschlag und anderer Gewalt- und Eigentumsdelikte zu reduzieren und damit
verbundene Kosten für Opfer und Gesellschaft einzusparen". (19)
17
DIW Studie: Armutsrisiko in Deutschland steigt: Kinder und junge Erwachsene besonders betroffen.
Pressemitteilung vom 18.02.2010
18
16. Shell Jugendstudie. "Eine pragmatische Generation behauptet sich" TNS Infratest. September 2010
19
Studie der Bertelsmann Stiftung. "Unzureichende Bildung: Folgekosten durch Kriminalität". November 2010

 

13. Das Sparpaket der Bundesregierung

 

Das Sparpaket zur Sanierung des Haushalts umfasst rund 80 Milliarden Euro. Es
sieht vor, Hartz IV Empfängern die monatlichen 300 Euro Elterngeld zu streichen
und ihre Beiträge zur Rentenversicherung einzusparen. Nach Ansicht von
Armutsforschern fördern die geplanten Sparmaßnahmen soziale Ausgrenzung,
Kinderarmut und eine Zwei-Klassen Familienpolitik

 

14. Die Mittelschicht verliert

 

Arm und Reich driften in Deutschland immer weiter auseinander. Das ist das
zentrale Ergebnis einer neuen Studie des DIW Berlin zur Einkommensverteilung in
Deutschland. Es zeigt sich deutlich, dass nicht nur die Anzahl Ärmerer und
Reicherer wächst – seit zehn Jahren werden ärmere Haushalte auch immer ärmer.
Über 800 000 Menschen werden in Deutschland von der Tafel-Bewegung versorgt.
Es handelt sich um gemeinnützige Vereine, die überschüssige Lebensmittel
sammeln und an bedürftige Menschen verteilen. Ein Drittel der Bedürftigen sind
Kinder und Jugendliche.
Von 2004 bis 2008 hat sich die Zahl der Tafeln von 430 auf über 800 fast
verdoppelt. Tendenz stetig steigend.

 

15. Krankenversicherungen mit Milliardenverlusten

 

In Deutschland sind rund 90 Prozent der Bevölkerung Mitglieder einer gesetzlichen
Krankenkasse (GKV) und nur rund 10 Prozent privat versichert. Damit stehen etwa
70 Millionen GKV Versicherten rund 8,8 Millionen privat Versicherten gegenüber.
(20)
Kritiker sehen das Nebeneinander dieser beiden Systeme als kontraproduktiv. Die
Krankenkassen machen Verluste in Milliardenhöhe und rechnen für 2011 trotz
Sparmaßnahmen mit einem Defizit von elf Milliarden Euro. Angela Merkel kündigte
aus diesem Grund in den nächsten Jahren Kostensteigerungen von jährlich drei
Prozent an. (21)
Laut Dr. Thomas Drabinski, Leiter des Kieler Instituts für Mikrodaten Analyse ist die
gesetzliche Krankenversicherung nicht zukunftsfähig. (22)

 

16. Umstrittene Gesundheitsreform beschlossen

 

Der Bundestag hat dem "Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen
Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung" (GKV-Finanzierungsgesetz)
zugestimmt. Der Beitragssatz wird ab 1. Januar 2011 von 14,9 auf 15,5 Prozent
steigen. Damit zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bis zu 6 Milliarden Euro mehr
ein. Wachsende Gesundheitskosten sollen daüber hinaus künftig nur noch über
steigende Zusatzbeiträge vom Kassenmitglied allein finanziert werden. (23)
Laut ZDF-Politbarometer halten nur 85 Prozent der Bürger die Beitragserhöhungen
20
Quelle: Kennzahlen der gesetzlichen Krankenversicherung. GKV Spitzenverbandes. Stand 21.07.2010
"Merkel erwartet steigende Kosten". In. Focus Online. 22.06.2010
22
Drabinski, Thomas: "Zukunft der Krankenversicherung: Wie aus dem Zusatzbeitrag eine Pauschale mit
Sozialausgleich wird". In: Deutsches Ärzteblatt. http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=67277
23
1.1
Pressemitteilung Nr. 64 des Bundesministeriums für Gesundheit. Berlin,
12.11.2010.
21
der Gesundheitsreform für richtig. Besonders die Zukunftstauglichkeit dieser
Reform wird in Frage gestellt: Lediglich fünf Prozent der Befragten meinen, dass
damit für die nächsten Jahre die Finanzierungsprobleme bei den gesetzlichen
Krankenkassen gelöst seien.

 

17 .Zweiklassengesellschaft im Gesundheitswesen

 

Das deutsche Gesundheitswesen ist das viertteuerste der Welt. Zweiklassenmedizin
ist bereits Realität. Kürzungen und Rationierungen von Leistungen sind die Folge.
Gutverdiener, sind in der Regel privat versichert und können sich auf diese Weise
der Solidargemeinschaft entziehen. Daneben bestehen für Bedürftige schon heute
alternative Netzwerke von Ärzten, Krankenpflegern, die in Umsonstnetzwerken oder
in Tauschringen kostenfreie medizinische Behandlungen anbieten.

 

18. Pflege – Kinder haften für ihre Eltern

 

Die Zahl der Pflegebedürftigen liegt heute bei rund 2,2 Millionen. 1,5 Millionen
werden in ihren eigenen vier Wänden betreut, davon zwei Drittel allein durch
Angehörige und ein Drittel mit Hilfe ambulanter Pflegedienste. Jeder zehnte
deutsche Erwerbstätige pflegt noch einen Angehörigen. Bis 2030 wird sich die Zahl
der Pflegebedürftigen auf über 3,4 Millionen erhöhen, schätzen
Bevölkerungsstatistiker. (24)
Im Jahr 2020 hat Deutschland mehr Pflegefälle als Kindergartenkinder. 2030 werden
zwei Millionen Deutsche an Demenz erkrankt sein. Schon heute fehlt qualifiziertes
Pflegepersonal – bis 2030 bräuchte man
370 000 zusätzliche Mitarbeiter. Familienministerin Kristina Schröder bemüht sich
um eine zweijährige Pflegezeit für Arbeitnehmer, die sich um ihre Angehörigen
kümmern. Doch bisher wurde dieser gute Vorsatz nicht realisiert.
Zwischen 1995 und 2008 ist die Zahl der Menschen, die Leistungen aus der
gesetzlichen Pflegeversicherung beziehen, um 20 Prozent gestiegen. Die
Pflegeversicherung fährt seit 1999 Verluste ein. 2007 waren es bereits 320 Millionen
Euro. Das Geld reicht schätzungsweise noch für die nächsten drei Jahre. Dann sind
auch die Rücklagen verbraucht. Aber die Zahl der Pflegebedürftigen steigt rasant
und die Pflegeversicherung ist nur eine Teilkasko-Versicherung. (25)
Können Betroffene die Kosten für Pflege oder Heimunterbringung nicht aufbringen,
dann hilft nur der Weg zum Sozialamt. Vorher jedoch werden ihre Kinder zur Kasse
gebeten. Sie sind unterhaltspflichtig, sofern ihr Einkommen den Freibetrag
überschreitet. Ihnen steht lediglich ein "angemessener Selbstbehalt" zu.

 

19. Die kapitalgedeckte Pflegezusatzversicherung

 

Die Schwächen der momentan umlagefinanzierten Pflegeversicherung sind dem
Bundesgesundheitsminister bekannt: "Angesichts der demografischen Entwicklung
werden immer mehr Menschen Pflege in Anspruch nehmen. Wer jetzt in die
Pflegeversicherung zahlt, spart das Geld nicht mehr für sich selbst an, sondern zahlt
für die Generation, die jetzt Leistungen in Anspruch nimmt", kritisiert
Gesundheitsminister Philipp Rösler in einem Interview mit dem Hamburger
24
"Jahr 2030: Alterung führt zu mehr Pflegebedürftigen und Krankenhauspatienten". Pressemitteilung des
Statistischen Bundesamts Nr. 121 vom 19.03.2008
25
"Wohin Mit Oma?! In: stern, 43/2010
Abendblatt. (26) Er fordert ein grundsätzliches Umdenken in der Finanzierung der
Pflege. "Die jungen Menschen müssen heute anfangen, an morgen zu denken und
finanziell vorzusorgen. Was man in die kapitalgedeckte Pflegeversicherung einzahlt,
soll einem auch eines Tages individuell zustehen." Die Jungen werden demnach
doppelt zur Kasse gebeten. Es wird noch diskutiert, ob die zusätzliche
Pflegeabsicherung Pflicht wird oder freiwillig bleiben soll. Die Pflegereform steht
2011 ganz oben auf der Agenda der Regierung. Doch wie können junge Menschen
die Kosten für Zusatzbeiträge in der Pflege aufbringen? Diese Antwort bleibt ihnen
der Gesundheitsminister schuldig.

 

Zusammengestellt von Birgit Schuler,
ZDF-Redaktion Zeitgeschehen

 

 

26
"Kapitalgedeckte Zusatzversicherung: Minister Rösler kündigt Umbau der Pflege an". In: Hamburger
Abendblatt, 15. November 2010.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Die öffentlich-rechtlich betriebene Volksverdummung in Sachen Demographie geht weiter. Morgen, am 11. Januar um 20:15 Uhr, also zur besten Sendezeit, läuft im ZDF der Film „2030 – Aufstand der Jungen“ Im Ankündigungstext (siehe Anlage) ist von „Verlierern der Gesellschaft“ die Rede, die „die immer schwerer wiegende Last, die ihnen der demographische Wandel aufgebürdet hat, nicht mehr schultern können“. Sie seien Opfer eines Staates, der keine ausreichende Vorsorge getroffen habe. Die hohen Kosten für Renten-, Alters und Gesundheitsversorgung nehme den Jungen die Luft zum Atmen. – Das sind Glaubenssätze, die vermutlich viele Menschen und darunter auch solche, die sich für besonders intelligent halten, glauben. Albrecht Müller.

Es besteht für mich kein Zweifel, dass die Generation der heute Jungen – wie es 2030 sein wird, weiß keiner, auch nicht das ZDF – in vieler Hinsicht schlechter dran ist, als meine Generation in den sechziger Jahren war:

Ihre Berufschancen sind oft geringer als zum Beispiel 1965 mit einem guten Ausbildungs-Abschluss.

Sie erhalten oft keinen sicheren und sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Leiharbeit und Niedriglöhne sind an der Tagesordnung.
Die solidarische Sicherung gegen die Risiken des Lebens ist merklich eingedampft.

Insbesondere ist die Leistungsfähigkeit und das Vertrauen in die Arbeitslosenversicherung zerstört worden und durch die Hartz-IV-Regelung ersetzt worden.
Die Gefahren ökologischer Belastungen und der Klimaveränderung sind gewachsen.

Öffentliche Leistungen sind in einigen Bereichen zurückgefahren worden. Darunter leiden insbesondere Familien und noch mehr Menschen, die finanziell gleichgestellt sind.

Wir führen wieder Krieg.

Viele Privatisierungen öffentlicher Unternehmen und öffentlichen Eigentums sind uns teuer zu stehen gekommen und belasten über wachsende Gebühren der privaten Unternehmen auch künftige Generationen.

Die Einkommensverteilung und Vermögensverteilung hat sich weiter verschlechtert. Die Spaltung unserer Gesellschaft ist markant.

Politische Beteiligung scheint sich nicht zu lohnen. Das Vertrauen in die demokratischen Verhältnisse schwindet – mit einem gewissen Recht.

Wenn Jüngere ehrlich sind, dann gestehen sie ein, dass sich auch manches zum Besseren verändert hat. Die Bildungssysteme sind immer noch durchlässiger als in den Fünfzigern. Der Umgang unter den Geschlechtern hat sich wesentlich verändert, positiv, wie ich meine. Der durchschnittliche Lebensstandard ist gestiegen und nicht gesunken. Die Arbeitsproduktivität ist beträchtlich gewachsen. Die Chance, sich außerhalb des eigenen Landes zu bilden und fortzubilden ist vermutlich sehr gestiegen. Usw.

Dennoch, die jüngere Generation lebt heute und möglicherweise auch in 20 Jahren, wenn die politischen Fehler weitergemacht werden, in geringerer sozialer Sicherheit und mit größeren Sorgen um den Arbeitsplatz. Ob sie „eine immer schwerer wiegende Last“ zu tragen haben, wie es im Ankündigungstext heißt, ist ungewiss und eher zu bezweifeln. Es ist auch deshalb zu bezweifeln, weil die heute arbeitende und die Rentnergeneration insgesamt in Deutschland eine so hohe Sparrate hinlegen, dass man keinesfalls behaupten kann, diese Generationen lebten auf Kosten der nachwachsenden Generation. Diese gesamtwirtschaftliche Betrachtung ist den öffentlich-rechtlichen Filmemachern offenbar völlig fremd.

Aber einmal unterstellt, die Behauptung von der „schwerer wiegenden Last“ der künftig Jungen stimme, zu behaupten, diese werde ihnen vom „demographischen Wandel aufgebürdet“, ist schlicht Unsinn. Sie ist durch nichts belegt. Sie ist Ergebnis einer primitiven Denkweise. Es wird eine partielle Veränderung diagnostiziert und dieser dann die gesamten Missstände zugeschrieben. Es wird außerdem völlig ausgeblendet, wie der demographische Wandel zu andern Zeiten war.

Der demographische Wandel war im letzten Jahrhundert rasanter als heute. Die Alterung nahm gewaltig zu. Die Relation von arbeitender Bevölkerung bzw. arbeitsfähiger Bevölkerung zu der Rentnergeneration und der Kindergeneration hat sich laufend zulasten der arbeitsfähigen Generation verändert. Hinzu kamen die beiden Weltkriege und die Vereinigung beider Teile Deutschlands mit speziellen Belastungen bzw. Verschiebungen. Es kamen Flüchtlingsströme und Aussiedlerbewegungen. Es ist nicht absehbar, dass in den nächsten 20 Jahren nun gerade aus dem demographischen Wandel besondere Belastungen hervor wachsen sollten. Und dennoch wird dieser Unsinn offensichtlich von Drehbuchautoren, Filmemachern und einem weiten Teil der Medienverantwortlichen und Medienmachern geteilt. Irgendwie haben wir neben dem Schwund der Arbeitsplatzsicherheit auch einen Schwund des geistigen Vermögens und der kritischen Kraft. Andernfalls müssten die Programmverantwortlichen des ZDF und die Macher eines Stückes wie „2030 – Aufstand der Jungen“ doch merken, dass ihre Verknüpfung von Schwierigkeiten der Jungen mit dem demographischen Wandel hinten und vorn nicht stimmt:

Die Verschlechterung der Arbeitsplatz- und Berufschancen junger Menschen folgt nicht aus dem demographischen Wandel, sondern aus der Unfähigkeit und dem Unwillen zu einer makroökonomisch vernünftigen Politik. Die Politik hat versagt. Sie hat den Aufbau einer Reservearmee an Arbeitslosigkeit zugelassen und damit das Gewicht der Arbeitssuchenden auf dem Arbeitsmarkt durchgehend zugunsten der Arbeitsplatzanbieter geschwächt.

Die Stagnation der Löhne und die Verschiebung der Einkommensverteilung zu Gunsten der Vermögens- und Gewinnseinkommen folgt aus der Weigerung der politisch Verantwortlichen, anzuerkennen, dass die Löhne mindestens im Rahmen des Produktivitätsfortschritts steigen dürfen und sollten. Die skandalöse und folgenreiche Auseinanderentwicklung der Löhne und der Lohnnebenkosten in Europa ist doch nicht die Folge des demographischen Wandels, sondern die Folge einer irren Fixierung der deutschen Bundesregierung auf Exportüberschuss.

Die Erosion der Normalarbeitsverhältnisse, der Ausbau des Niedriglohnsektors und der Leiharbeit sind die Folgen bewusster politischer Entscheidungen, deren sich Politiker wie Gerhard Schröder sogar noch rühmen und von denen Politiker wie Wolfgang Clement profitieren.

Die enorme Last, die auf die junge Generation durch den Bankenrettungsschirm zukommt, hat nicht einmal ein Fitzelchen mit dem demographischen Wandel zu tun.

Die gesetzliche Rente und die anderen solidarischen Sicherungssysteme sind bewusst der Erosion preisgegeben worden, damit den privaten Interessen der Versicherungskonzerne und der Banken Geschäftsfelder eröffnet werden. Ich verweise in diesem Kontext auf den Film Rentenangst der ARD, wo gezeigt wird, dass sich der einschlägige Interessenvertreter Professor Raffelhüschen dieser bewussten Erosion des Vertrauens in die gesetzliche Rente durch Minderung ihrer Leistungsfähigkeit auch noch rühmt. Und ich verweise auf die am 12. Januar laufende Dokumentation in der ARD über die Machenschaften des Finanzdienstleisters Maschmeyer und seiner Helfer in Politik und Wissenschaft. Siehe hier.

Niemand hat die Bundesregierung dazu gezwungen, den sozialen Sicherungssystemen versicherungsfremde Leistungen aufzubürden, wie das Anfang der Neunzigerjahre massiv geschehen ist. Niemand hat die Bundesregierung gezwungen, den Beitragssatz der gesetzlichen Rente unter 20 % festzuhalten. Wäre das nicht geschehen, dann hätte die jetzige Generation einen etwas höheren Beitrag für die sozialen Sicherungssysteme geleistet, statt in die Privatvorsorge gezwängt zu werden.

Diese politischen Fehlentscheidungen haben mit dem demographischen Wandel nichts zu tun. Ihm wird das Elend zugeschrieben. Das ist aber schlicht die Folge von mangelnder Übersicht, von mangelnder Intelligenz oder von Einbindung in die Interessen der Versicherungswirtschaft und der Banken. Sie haben ein Interesse an der Verbreitung von Unsicherheit, sie haben ein Interesse daran, den Jüngeren jeden Tag neu einzutrichtern, sie würden von den Alten benachteiligt und ihnen bliebe nur noch die Chance, privat vorzusorgen. Vielleicht ist das auch die direkt ausgesprochene Botschaft des Films im ZDF. Das werden wir sehen. Der Ankündigungstext reicht jedenfalls für einen lauten Protest gegen diese Dummheit und für eine laute Klage über die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er sollte aufklären, statt einer dumpfen Dummheit nachzulaufen. Dass diese Dummheit weit verbreitet ist, gebe ich zu.