Diese und nächste Woche wird es im Rheinland hoch hergehen. Am 18ten beginnen drei Klimacamps und vom 24.-29. August finden die Aktionstage statt. All dies um gegen RWE und die Folgen des Braunkohleabbaus, u.A. Zwangsumsiedlungen, Umweltzerstörung, Klimawandel und Flucht, Widerstand zu leisten. Die Widerstandsbewegung ist sehr vielfältig: Von der autonomen Wald- und Wiesenbesetzung im Hambacher Forst über die Massenaktion zivilen Ungehorsams „Ende Gelände“ bis hin zu Bürger-Initiativen¹ mit jahrzehntelanger Protesterfahrung. Einerseits hat eine solch vielfältige Bewegung ein unglaubliches Potential, andererseits ist es ebenso herausfordernd die unterschiedlichen Strategien, Aktionsformen und Ideen zu einer stimmigen Aktionschoreographie zu verbinden. Darüber wie dies gelingen kann, ohne das sich die Bewegung spaltet, habe ich mir einige Gedanken gemacht.
Bei diesem Prozess habe ich mir verschiedenste Fragen gestellt: Bis zu welchem Punkt bezieht man sich solidarisch aufeinander und ab wann ist es auch ok, lieber mal zu schweigen? Wie kann solidarische Kritik aussehen? Wie verhindern wir es, dass – gerade nach den Erfahrungen von G20 – eine Bewegung gespalten wird? Und was macht überhaupt eine erfolgreiche Widerstandsbewegung aus? Diese Fragen kann ich selbst nicht abschließend beantworten, aber ich hoffe, dass meine Überlegungen Anregungen für Diskussionen liefern.
Ich möchte die Situation aus herrschaftskritischer Perspektive betrachten. Also mit der Frage im Hintergrund: Hilft diese oder jene Strategie dabei Herrschaft zu überwinden? Denn meiner Meinung nach sind die aktuellen Herrschaftsverhältnisse eindeutig mit der Klimakatastrophe verknüpft. So sind vom Klimawandel zuallererst diejenigen betroffen, die ihn am wenigsten verursacht haben. Vielerorts spüren Menschen im globalen Süden die Auswirkungen des Klimawandels bereits. Gleichzeitig trägt der Kapitalismus mit seiner Vorstellung vom ewigen Wachstum dazu bei, dass die Ausbeutung der Erde täglich schneller voranschreitet. Der Staat ist dabei keine Institution, in die ich meine Hoffnungen setze, da er von der jetzigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung profitiert, obwohl diese selten die Bedürfnissen der Menschen ins Zentrum stellt.
Stattdessen wünsche ich mir eine Gesellschaft, die Menschen Raum zur 
Selbstorganisation lässt und in der alle nach ihren Bedürfnissen und 
Fähigkeiten selbstermächtigt leben können. Genau das soll sich auch in 
meinen Aktionen widerspiegeln, daher unterstütze ich die Kampagne 
„Zucker im Tank“. Diese wiederum unterstützt Kleingruppen, die während 
der Aktionstage im Rheinland aktiv werden wollen, um die Abläufe der 
Braunkohleverstromung effektiv zu stören.
Kleingruppen handeln autonom und selbstbestimmt. Das heißt, sie selbst 
entscheiden welche Aktionsform sie an welchem Ort und zu welcher Zeit 
anwenden wollen. „Zucker im Tank“ nimmt dabei keinerlei Einfluss auf die
 Inhalte oder Art der Aktion. Bei der Planung ist Eigenverantwortung und
 Rücksichtnahme gegenüber anderen Akteur*innen erforderlich. Das Ziel 
sollte immer sein, dass sich die verschiedenen Aktionen gegenseitig 
bereichern und unterstützen, anstatt diese zu stören.
Bei der Wahl der Aktionsform steht häufig die „Gewaltfrage“ im 
Vordergrund und wird zum alleinigen Richtwert der Beurteilung. „Doch was
 ist überhaupt Gewalt? Zählt zum Beispiel Gewalt gegen Gegenstände 
überhaupt als Gewalt? Ist eine Person automatisch gewaltfrei, wenn sie 
keine Waffen in die Hand nimmt oder nicht mit eigener Hand prügelt? Ist 
Gewalt nicht viel eher vom Kontext und der Situation abhängig? Sodass es
 vielleicht sogar als verantwortungslos gelten kann, keine Gewalt 
auszuüben, wenn dadurch Schlimmeres verhindert werden kann? Was ist 
Notwehr und ab wann darf ich mich und andere selbst verteidigen? 
Vielleicht auch gegen ein System, das Menschen tagtäglich unterdrückt 
und ausbeutet?“²
Ich selbst sehe mich nicht in der Position diese Fragen für andere 
Menschen und Gruppen zu beantworten. Denn es gibt genauso viele 
unterschiedliche Antworten wie es Menschen gibt. Daher ist der Begriff 
der „Gewaltfreiheit“ ein höchst subjektiver und die Forderung danach ist
 daher ein autoritärer Versuch anderen Aktivist*innen die eigenen 
moralischen Vorstellungen aufzudrücken.
Ebenfalls problematisch ist, dass institutionalisierte „Gewalt“, die vom
 Staat ausgeht, oft nicht mehr als solche wahrgenommen wird und die 
Vorstellungen des eigenen Gewaltbegriffs oft von rechtlichen 
Gegebenheiten – welche wiederum vom Staat aufgestellt wurden – 
abgeleitet werden. Besonders deutlich wird das am – vielleicht etwas 
extremen – Beispiel von Schusswaffen. Eine Studie³ hat gezeigt, dass es 
in den USA nicht als Gewalt angesehen wird, wenn Menschen in der 
Öffentlichkeit Schusswaffen tragen. In Europa dagegen betrachten die 
meisten Menschen dies im Allgemeinen als Gewalt und dennoch bezeichnet 
kaum jemand eine Polizist*in, die eine Waffe trägt, als gewalttätig.
Daher finde ich es aus herrschaftskritischer Perspektive auch sehr 
schwierig, wenn Gewaltfreiheit oder auch „nur“ der Verzicht auf 
bestimmte Aktionsformen gefordert wird. Besonders problematisch wird 
dies dadurch, dass diese Forderung oft von NGOs kommt. NGOs sind 
naturgemäß auf Spenden angewiesen und legen daher viel Wert auf den 
Erhalt ihrer Gemeinnützigkeit. Daher ist es naheliegend, dass der Staat 
den Entzug der Gemeinnützigkeit als Druckmittel nutzt, um unliebsamen 
Protest zu unterbinden. Dieser Druck des Staates wird indirekt von NGOs 
reproduziert, wenn diese fordern das keine Aktionen geschehen, die ihre 
Gemeinnützigkeit gefährden könnten. So hat beispielsweise eine größere 
Organisation dem Klimacamp eine Woche vor Beginn zugesagte Gelder 
verweigert, da ja zu den Klimaaktionen auch „gewaltbereite Aktivistinnen
 vom G20“ anreisen könnten. Nun fehlen mal eben 43.000 Euro. Ich will 
dabei nicht pauschal über alle NGOs urteilen – nur darauf hinweisen, wie
 gerade die größeren durch das Konstrukt der „Gemeinnützigkeit“ unter 
Druck gesetzt werden.
Zudem halte ich solidarische Kritik weiterhin für sehr wichtig. Ich 
denke, dass bei jeder Aktion die Frage gestellt werden sollte, was das 
Ziel ist und ob die gewählte Aktionsform dazu geeignet ist dieses zu 
erreichen?
In diesem Zuge finde ich es schade, wenn ein Austausch über solche 
strategischen Zwecke zugunsten einer „Gewaltlosigkeits“-Debatte vom 
Tisch gewischt wird. Sollte es nicht viel eher darum gehen, welche 
Aktionsformen effektiv sind und nicht um die moralische Bewertung 
einzelner Menschen? „Effektivität“ kann dabei vieles heißen. Ich zum 
Beispiel bewerte meine Aktionen danach, ob sie ermächtigend für Menschen
 sind, neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen und ob ich damit meine 
selbstgewählten Ziele erreicht habe. Und natürlich ist es für mich auch 
wichtig, ob ich meine Aktionen und deren Konsequenzen für ethisch 
vertretbar halte – aber ich erwarte eben nicht, dass letztere Ansichten 
von allen geteilt werden.
Im Übrigen war die indische Unabhängigkeitsbewegung unter Ghandi, die 
oft als Meilenstein der „Gewaltfreiheit“ gefeiert wird, gar nicht so 
gewaltfrei, wie immer behauptet wird. Selbst Ghandi war kein Befürworter
 von Gewaltfreiheit. Im Gegenteil, genauso wie Martin Luther King, Jr. 
radikalisierte er sich in späteren Jahren und unterstützte in diesem 
Zuge auch bewaffnete Befreiungsbewegungen und städtische Aufstände. ³
Ich freue mich sehr darüber, dass es in diesem Jahr erstmalig die 
Kampagne „Zucker im Tank“ geben wird. „Zucker im Tank“ möchte 
Kleingruppenaktionen unterstützen und ihnen helfen ihre Inhalte 
sichtbarer zu machen. Zudem werden auf dem Klimacamp und dem Connecting 
Movements Camp Skill-Sharing-Workshops angeboten. Bei diesen soll es 
u.A. um Aktionswissen, Pressearbeit und Umgang mit Repression gehen. 
Orte und Termine sowie sichere Kontaktmöglichkeiten findet ihr auf 
unserer Homepage. Zudem gibt es auf dem Klimacamp feste Sprechzeiten von
 Zucker im Tank. Und falls du dich noch nicht entschieden hast, was du 
während der Aktionstage tun möchtest findest du dort auch einen 
„Aktion-Finder“, der dir bei dieser Entscheidung helfen kann. Ganz egal,
 ob bunte Demo, ziviler Ungehorsam oder (militante) Kleingruppenaktion –
 wir freuen uns darauf, euch bei den Aktionstagen vom 24.-29.8. im 
Rheinland zu sehen! 
Lasst uns Zucker im Tank sein!
Homepage: https://zuckerimtank.nirgendwo.info
1) Der Name ist zwar irreführend, aber natürlich engagieren sich in 
Bürger-Initiativen nicht nur Bürger, sondern auch Bürgerinnen und 
vereinzelt auch Bürger_innen oder gar Bürger*innen oder Bürgis. Ich habe
 mich dennoch dafür entschieden die Selbstbezeichnung bei zu behalten, 
da im sprachlichen (Un-)sichtbarmachen von Geschlechtervielfalt eine 
Aussage steckt, die ich nicht wegzensieren wollte.
2) Quelle: http://hambacherforst.blogsport.de/2014/05/02/ein-paar-gedanken-zu-solid...
3) Quelle: „The failure of nonviolence“, Peter Gelderloos, 2013
