Das Freiburger Amtsgericht verurteilt einen 32-Jährigen zu einer Geldstrafe, weil er mit anderen einen Protestzug der Piusbrüder verhindern wollte. Für das Gericht war die Blockade keine Demo.
Jedes Jahr demonstrieren die umstrittenen Piusbrüder, jedes Jahr gibt es eine Gegendemo. 2015 veranstalteten die Gegner eine Sitzblockade
 und einer davon stand jetzt vor Gericht. In der Verhandlung ging’s um 
Grundrechte und Gefahr für die Demokratie, um die Fragen, ob die 
Blockade auch nur eine Demo war, und ob es eine neue Freiburger Linie 
gibt, die Protest gegen Rechts verhindern soll. Beides beantwortete das 
Amtsgericht mit Nein und verurteilte den Angeklagten wegen Störung der 
Versammlung zu 350 Euro Strafe.
Es ist eine skurrile Tradition: Um Ostern melden Anhänger der Piusbrüder
 eine Demo gegen Abtreibung an, die sie in der Humboldtstraße starten. 
Die erzkonservativen Katholiken ziehen singend und betend durchs 
Zentrum, Gegner stellen sich ihnen entgegen und lärmen, die Polizei 
dazwischen, manchmal gibt es Rangeleien und immer ungläubige Blicke von 
Passanten. "Es ist ein großes Spektakel", sagt am Mittwoch Harry 
Hochuli, der den Großeinsatz der Polizei 2015 leitete.
Etwa 70 Gegendemonstranten saßen auf der Kaiser-Joseph-Straße direkt 
hinterm Martinstor, darunter auch Timo A., 32. Wie viele andere machte 
er den Weg nicht frei, als die Polizei sie dazu aufforderte. Das sollte 
die Demo der rund 130 Piusbrüder verhindern, sagt Staatsanwalt Andreas 
Schilling und sieht eine grobe Störung von Versammlungen und Aufzügen 
nach Paragraf 21 des Versammlungsgesetzes. Weil Timo A. wegen 
Widerstands gegen die Polizei bei der Demo im Vorjahr zu einer 
Geldstrafe verurteilt wurde, plädiert er schließlich für 20 Tagessätze à
 15 Euro.
Der Prozess hat rund 30 Zuschauer. Der Angeklagte – dunkle, kurze Haare,
 Vollbart, rotkariertes Hemd und Datschkapp vor sich – lässt Verteidiger
 Michael Moos erklären, dass die Gehwege frei gewesen seien und die 
Sitzblockade eine politisch begründbare Demonstrationsform sei. Die 
Piusbrüder stünden in antisemitischer Tradition, seien frauenfeindlich, 
hetzten gegen Homosexuelle "und fordern einen autoritären Gottesstaat". 
Viele Gegendemonstranten hätten Strafbefehle bekommen. "Diese 
Kriminalisierung steht in keinem Verhältnis."
Sowohl die Antifa als auch der Arbeitskreis kritische Juristen werteten 
dies im Vorfeld als Versuch, Proteste gegen rechte Aufmärsche zu 
unterbinden. 2014 hatte es so viele Verfahren gegeben, dass es die 
Landesstatistik zu politisch motivierten Gewalttaten hochtrieb. A. sieht
 eher eine moralisch-politische Frage als eine juristische. Richterin 
Jule Lempfert kann einiges nachvollziehen. "Aber es ist kein politischer
 Prozess, sondern ein juristischer." Die Staatsanwaltschaft hatte 20 
Verfahren nach der Demo 2015 eingestellt, bei dreien wurden Strafbefehle
 erlassen – einer wurde akzeptiert, einer eingestellt und gegen den 
dritten legte Timo A. Einspruch ein.
Hochuli erklärt, dass die Piusbrüder ein Recht auf den angemeldeten Weg 
hätten, und die Polizei sie auf den engen Gehwege durchs Tor nicht zum 
Schutz links und rechts hätte begleiten können. Auch in der Gerberau 
standen Gegendemonstranten. Die hinterm Tor gingen nicht alle 
freiwillig. "Wir haben unsere Arbeit gemacht und erstmal abgeräumt."
Die Gerberau wäre als Alternative gegangen, findet Moos. Die 
Gegendemonstranten seien genauso wie die Piusbrüder vom Grundrecht auf 
Versammlungsfreiheit geschützt. Sie seien passiv gewesen und "wollten 
aufmerksam machen auf eine für die Demokratie gefährliche 
Demonstration". Er fordert Freispruch.
Den Prozess als Sinnbild für eine neue Freiburger Linie zu sehen, sei 
"grober Unfug", erklärt Lempfert: "Was würde erwartet, hätten sich da 
Neonazis hingesetzt?" Das Grundrecht gelte für beide Seiten, aber der 
Schutzbereich werde von denen verlassen, die die Versammlung stören. Ein
 Gegendemonstrant hätte ja irgendwann aufstehen können. "Auch dann hätte
 man ein starkes Zeichen gesetzt." Gegen das Urteil – zehn Tagessätze à 
35 Euro – kann Timo A. Rechtsmittel einlegen.


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