[Heidelberg] Fast 800 Menschen auf AntiRa-Demonstration

Die Demo in der Kurfürstenanlage

Am 1. Oktober demonstrierten in Heidelberg rund 800 Menschen unter dem Motto "Solidarity 4 ALL - Gegen jede Form von Rassismus und Ausgrenzung!". Aufgerufen hatte das Antirassistische Netzwerk Baden-Württemberg. Die Demonstration wurde von über 50 Gruppen unterstützt.

 

Die Aktion richtete sich unter anderen gegen das so genannte Registrierzentrum auf dem Gelände der ehemaligen US-Kaserne "Patrick Henry Village" (PHV) in Heidelberg. Dort werden seit September 2015 Geflüchtete untergebracht. Die Einrichtung der Registrierzentren war der Kompromiss zu den von der CSU vorgeschlagenen Transitzonen direkt an den Grenzen. In diesem Registrierzentrum, das seit Dezember 2015 in Betrieb ist, werden Asylanträge innerhalb von 24 bis 48 Stunden entschieden. Grundlage sind die verschärften Asylgesetze und die Verabschiedung eines Datenaustauschverbesserungsgesetzes im Februar 2016. Umgesetzt wird dort die Ideologie der Bleiberechtsperspektive.
Die im PHV praktizierten Schnellverfahren richten sich gegen Geflüchtete aus sogenannten "sicheren Herkunftsländern", jene, die über einem "sicheren Drittstaat" eingereist sind, Folgeantragsteller*innen und Personen, denen unterstellt wird, sie hätten ihre Ausweispapiere vernichtet. Das Verfahrens- und Prozessrecht im Asylbereich wurde zum Sonderrecht. Ein effektiver Rechtsschutz existiert für diese Geflüchteten nicht mehr.

Nach der Auftaktkundgebung mit Redebeiträgen am Heidelberger Hauptbahnhof bewegte sich die Demo lautstark über die Kurfürstenanlage zum Landratsamt, wo eine erste Zwischenkundgebung abgehalten wurde. Das Landratsamt ist im Rhein-Neckar-Kreis der wichtigste Akteur bei der Verteilung und Unterbringung von Geflüchteten.
Auf dem Weg zum Bismarckplatz wurde die Demonstration vom Dach des Bauhauses mit einem Banner sowie kleinen Feuerwerk begrüßt.
Bei der Kundgebung am zentralen Bismarckplatz kam neben Geflüchteten auch die Interventionistische Linke (IL) Karlsruhe zu Wort, die mit dem deutschen Asylregime hart ins Gericht ging.
Weiter ging es durch die Hauptstraße zum Uni-Platz, wo die Abschlusskundgebung mit Reden und Musikbeiträgen stattfand.

Im Folgenden lest ihr den Redebeitrag der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD/iL):

Liebe Genossinnen und Genossen,
liebe Antirassistinnen und Antirassisten,

wir setzen heute hier in Heidelberg ein wichtiges Zeichen: ein Zeichen, dass wir es nicht zulassen, dass Rassismus, Rechtspopulismus und Hetze gegen Geflüchtete hoffähig werden.


In den vergangenen Monaten wurden viele von den rassistischen Übergriffen gegen Unterkünfte und gegen Geflüchtete, von den rechten Aufmärschen der PEGIDA-Ableger und von den Wahlerfolgen der rechtspopulistischen AfD aufgeschreckt. Es ist richtig und wichtig, klar gegen rassistische Veranstaltungen wie den Auftritt des AfD-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen vorzugehen: Sein Versuch, in Mannheim-Feudenheim rechtspopulistische Hetze zu verbreiten, wurde vorgestern nicht unwidersprochen geduldet, sondern von lautstarken antirassistischen Protesten begleitet.


Solche rechten Großveranstaltungen und Aufmärsche sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Sie sind der augenscheinlichste Ausdruck eines Rechtsrucks, der alle Bereiche der Gesellschaft durchzieht. Die staatlicherseits befürwortete Willkommenskultur vom Sommer 2015, das damit verbundene Verständnis für Fluchtursachen und das freundliche Interesse an den Geflüchteten waren nur von kurzer Dauer: Schon im vergangenen Herbst kippte die Stimmung wieder - nicht zuletzt auf Betreiben der so genannten bürgerlichen Parteien. Die Parolen der CSU unterscheiden sich nicht merklich von denen der AfD, wenn etwa der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer gegen "ministrierende, Fußball spielende Senegalesen" hetzt, die wegen dieser Integration nicht mehr "loswerde".


Auch wenn die Politikerinnen und Politiker von SPD und Grünen keine so unverhohlenen Stammtischparolen äußern, setzen sie doch in ihrer praktischen Arbeit genau diese Punkte um: gerade die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg war eine Vorreiterin bei der Verschärfung der rechtlichen Lage von Geflüchteten und vor allem bei der Erweiterung der so genannten "sicheren Herkunftsländer". Geringfügige Verbesserungen der Lebensbedingungen - etwa im Bereich der Residenzpflicht - dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die grün-rote Regierung war, die es durch ihre Stimme im Herbst 2014 ermöglichte, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu "sicheren Herkunftsländern" zu erklären. Ein Jahr später wurden auch Albanien, Montenegro und Kosovo als sicher deklariert. Von dieser Maßnahme waren in erster Linie Roma betroffen, die in diesen Ländern offener Diskriminierung und Ausgrenzung, massiver struktureller Benachteiligung und Armut sowie immer wieder körperlichen Übergriffen und pogromartigen Angriffen ausgesetzt sind. Gerade Roma, die als eine der Hauptopfergruppen der Nazis in diesem Land besonderen Schutz genießen sollten, werden somit erneut vertrieben und in einem offen rassistischen und antiziganistischen Diskurs als so genannte Asylschmarotzer diffamiert.


Ein weiteres Beispiel der rassistischen Politik der damaligen grün-roten Landesregierung war die Einrichtung des Registrierzentrums in Heidelberg, mit dem geflüchtete Menschen weiter entrechtet und ohne genauere Überprüfung "abgefertigt" und schnellstmöglich abgeschoben werden. Unter der jetzigen grün-schwarzen Regierung beschleunigt sich diese Politik der Ausgrenzung und Abschiebung noch weiter; die Möglichkeiten für Geflüchtete, einen sicheren Aufenthaltsstatus und Grundrechte zu bekommen, werden in Baden-Württemberg ebenso wie im gesamten Bundesgebiet immer geringer.


Die Mauer um die "Festung Europa" wird immer höher, die Zahl der Menschen, die an den Außengrenzen ums Leben kommen, steigt von Tag zu Tag. Die Abwehr der EU-Staaten gegen Menschen, die vor Krieg, Not und Verfolgung Zuflucht suchen, trägt inzwischen offen militärische Züge und ist zu einem offenen Krieg der EU gegen Geflüchtete geworden. Bei der Wahl ihrer Bündnispartner haben die Bundesregierung und die anderen EU-Staaten jegliche Schamgrenzen überschritten: offen paktieren sie mit Diktatoren und Warlords, damit diese fliehende Menschen in Lager internieren. Unwidersprochen liefern sie Waffen an kriegführende Regierungen, die die Menschenrechte mit Füßen treten, damit diese die sShutzsuchenden schon vor den Außengrenzen Europas abwehren. Um das repressive Erdogan-Regime milde zu stimmen, bezahlt die Bundesregierung der Türkei große Summen und verfolgt als Gefälligkeitsgeste kurdische und türkische Linke in der BRD.

Doch nicht nur auf Regierungsebene verschärft sich der Kurs gegen Geflüchtete: Parallel zur staatlichen rassistischen "Auslese" und Abschiebepraxis sowie der Abschottung nach außen gehören rassistische Stimmungsmache in den Medien sowie in der Gesamtgesellschaft inzwischen zum Alltag. Die Diskurse über Geflüchtete und Menschen aus anderen Ländern werden geprägt von absurden Debatten wie über Kopfbedeckungen und Badekleidung - die Forderung nach Kleidervorschriften ist ein Rückfall in die Gesetzgebung des Spätmittelalters. Durch skandalisierende Berichterstattung und unwidersprochene Hetze im öffentlichen Raum werden permanent Ängste in der Bevölkerung geschürt und die Ursachen für gesellschaftliche Probleme, für die Folgen von kapitalistische Ausbeutung und Sozialabbau, für alltägliche Ausgrenzung und Diskriminierung denjenigen angelastet, die frisch hierherkommen.

Anstatt den Abbau sozialer Rechte, die Prekarisierung großer Teile der Bevölkerung und die wachsende Zahl der Armen als Folge verschärfter kapitalistischer Ausbeutung zu erkennen, werden Geflüchtete zu wohlfeilen Sündenböcken gemacht.
Wir sagen: Kapitalismus ist das Problem, nicht diejenigen, die vor seinen mörderischen Folgen flüchten müssen!

Anstatt den systemimmanenten und den alltäglichen Sexismus sowie die Gewalt gegen Frauen in allen Teilen dieser Gesellschaft anzuprangern, wird das Problem auf männliche Geflüchtete projiziert und sie als alleinig Schuldige dargestellt. Rechtspopulistische Sexisten entdecken seit den Übergriffen in der Silvesternacht erstmals das Recht von Frauen* auf körperliche Unversehrtheit.
Wir sagen: Sexismus ist das Problem, nicht die Geflüchteten! Wir lassen nicht zu, dass der Kampf gegen Sexismus von Rassisten und Rechtspopulisten instrumentalisiert wird.

Mit der heutigen Demonstration setzen wir eine Zeichen für unseren gemeinsamen Kampf für eine solidarische Gesellschaft, gegen Rassismus in Staat und Gesellschaft, gegen kapitalistische Ausbeutung und für ein Bleiberecht für alle.


Lasst uns dem alltäglichen Rassismus entschlossen entgegentreten - heute
und im Alltag, hier in Heidelberg und überall!
Streuen wir der rassistischen Abschiebemaschinerie Sand ins Getriebe!
Kein Mensch ist illegal - Bleiberecht überall!

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Schön!

Sehen wir diesen Herbst als Auftakt für einen wirklich gemeinsamen Kampf, in dem wir Gräben überwinden, auf Vereinnahmungsversuche verzichten und Spaltungen nicht zulassen. Es ist schön zu sehen, dass die Gruppen im Südwesten eine antirassistische Demo unter ein klar antikapitalistisches Zeichen stellen, also die Realität benennen.

Die Selbstorganisation von Geflüchteten nimmt zu, geflüchtete Frauen vernetzen sich verstärkt, eine Belegschaft zeigt mit einem zweistündigen Ausstand Solidarität mit einem von Abschiebung bedrohten Kollegen, Menschen stehen auf gegen rassistische "Integrationsgesetze", Teile der Linken versuchen, ihre Routinen zu überwinden und ihre kleinen Gartenteiche zu verlassen (auch wenn sie dann nicht mehr der dickste Fisch im Gewässer sind).

Jeder Schritt in die richtige Richtung wird zu Hohn und Angriffen führen, denn einige Kräfte haben keine andere Aufgabe, als die Linke da anzupissen und zu behindern, wo sie sich bewegt und wirkungsmächtig zu werden versucht.

Ich hoffe, die HeidelbergerInnen tragen ihren Ausdruck am 29. Oktober zum BAMF nach Nürnberg und nächstes Jahr zu noch wirkungsvolleren gemeinsamen Aktionen. Solidarische Grüße aus Bayern!

... für dieses konstruktive, zukunftsweisende Statement. Gefällt mir wesentlich besser, als das permanente Lametieren, Rumjammern und Spalten. Vorwärts blicken ist angesagt. Raus aus den Buden, raus aus dem Sumpf! Gemeinsame Perspektiven in einem solidarischen Miteinander zu entwickeln, muss das gebot der Stunde sein.