Ex-Grünen-Chefin Antje Hermenau über ihren Auftritt bei der AfD, Debattenkultur und politische Überzeugungen
Dresden. Lange war sie das Gesicht der Grünen in Sachsen. Doch 2014, als die Idee Schwarz-Grün scheiterte, gab sie ihr Landtagsmandat zurück, trat aus der Partei aus und wurde selbstständige Politikberaterin. Antje Hermenau, die stets als konservativ galt, lässt sich jetzt von der AfD anheuern, am Mittwoch tritt sie beim Kreisverband Mittelsachsen in Döbeln auf. Warum? Oliver Hach sprach mit der 52-Jährigen.
Freie Presse: Frau Hermenau, haben Sie ihren Mitgliedsantrag bei der AfD schon abgegeben?
Antje Hermenau: Nein, was soll die Frage? Ich bin kein potenzielles Mitglied. Aber das heißt ja nicht, dass man nicht miteinander reden kann.
Was hat Sie zu diesem Auftritt bewogen, wie kam die Veranstaltung zustande?
Als mein Buch erschien, hatte ich erklärt: Diese Streitschrift gibt es auch, weil ich ein Redeangebot an potenzielle AfD-Wähler machen möchte. Nun wurde ich von der Partei gefragt, ob ich mit meiner Lesung zum Stammtisch der AfD Mittelsachsen kommen würde. Da kneift man nicht, ich habe natürlich ja gesagt.
Warum sehen Sie diesen Gesprächsbedarf?
Die AfD ist eine Protestbewegung. Da treffen sich ganz viele Leute, die gegen etwas sind, die viel Trauer oder Zorn verspüren. Es hat sich unglaublich viel in den Menschen angestaut seit dem Mauerfall und nun stehen wir an der Schwelle zu einem nationalen Sozialismus - offenbar aus Verzweiflung und Selbsterhaltungstrieb. Wenn man diese Leute mal fragen würde, wofür seid Ihr eigentlich? Dann würde es viel weniger geben, die der AfD die Lösungen anvertrauen würden. Es ist noch nicht klar erkennbar, ob die AfD zu einer Partei wird, die Lösungen anbietet. Man muss sich das anschauen und im Gespräch bleiben.
Sie wollen die AfD entzaubern. Aber lassen Sie sich nicht eher durch sie vereinnahmen?
Das Risiko, vereinnahmt zu werden, musste ich eingehen. Alle Parteien werden etwas übergriffig, wenn sie sich einen Nutzen davon versprechen. Da muss ich jetzt auch die Konsequenzen aushalten. In einer Demokratie kann der "Sieger" einer politischen Auseinandersetzung nicht von vornherein feststehen. Doch Sie haben Recht: Sie versuchen das natürlich. Der Plakatentwurf war mit mir nicht abgestimmt. Aber die Stimmung ist sehr aufgepeitscht - rechts wie links. Es gibt auch "auf der anderen Seite" schon wieder genügend anonyme Beschimpfungen, die im Netz kursieren, bis hin zu Drohungen gegenüber meinem minderjährigen Sohn, weil ich es wage, mit der AfD auf deren Einladung hin öffentlich in den Diskurs zu treten. Ich erwäge nun eine Anzeige gegen unbekannt.
Was trennt Sie denn inhaltlich von dieser Partei?
Viel. Erstens meine heitere Gemütslage und positive Grundstimmung. Zweitens ist meine politische Grundanschauung ja seit Jahrzehnten stabil: erkennbar liberaler und weniger konservativ. Drittens habe ich den Glauben an die Demokratie nicht verloren. Die Rolle, die die AfD der Familie und der Frau zuweist, ist mir zu engstirnig und entspricht auch nicht meiner Lebenswirklichkeit. Ich befürworte ausdrücklich gesetzlich geregelte Zuwanderung, das dürfte ein großer Unterschied sein. Es gibt auch noch andere Bereiche, in denen wir wohl nicht zueinander finden. Das ist auch nicht nötig. Es geht ja darum, dass verschiedene Meinungen in einer vernünftigen Debattenkultur ausgetauscht werden. Weltanschauungen müssen nicht gleichgeschaltet werden in einer Demokratie.
Was verbindet Sie mit der AfD?
Volksabstimmungen - über diesen Punkt muss man diskutieren. Das habe ich immer schon so gesehen. So wie die Parteien sich jetzt festgefahren haben in ihren ideologischen Schützengräben, wäre es gut, dass die Bürger ihnen durch einen grundsätzlichen Entscheid in der Sache die Aufgabe zuweisen, sich um bestimmte Anliegen zu kümmern. Die Parteien müssten dann in einen Wettbewerb der Ideen eintreten und das wäre für die Parteien produktiver als sich gegenseitig vorzuwerfen, man wäre weltanschaulich auf der richtigen oder falschen Seite.
Nach Ihrem Austritt bei den Grünen traten Sie bei einem politischen Aschermittwoch der CDU auf, nun bei der AfD. Sind Sie nach rechts abgedriftet?
Ich stehe da, wo ich immer stand: zwischen CDU und Bündnis 90. Ich bin politisch mit all meinen Positionen dieselbe geblieben, nur vor drei Jahren wollte diese Dinge niemand hören. Nun ist die Zeit für diese Diskussionen gekommen, aber die Grünen in Sachsen sind eindeutig nach links gerückt. Vielleicht rührt die Wahrnehmung daher oder soll sogar absichtlich erweckt werden. Das Wort "abdriften" finde ich hier übrigens merkwürdig. Rechts ist ja an sich kein schlimmer Ort innerhalb der demokratischen Vielfalt. Außerdem bin ich dafür bekannt, mir meine Meinung selbst zu bilden und sie auch begründen zu können.
Werden Sie überhaupt wieder in eine Partei eintreten?
Im Moment kann ich mir das nicht vorstellen, denn ich bin frei. Ich wusste gar nicht mehr, wie wohltuend das ist.
Lesen bildet
Antje Hermenau: ... des Lied ich sing?
-> http://meyview.com/antje-hermenau-des-lied-ich-sing/
[MeyView.com | 15.09.2016]