„Wir müssen ansprechbar sein“

Interview mit Jakob von der radikalen linken | berlin über linke Perspektiven gegen die AfD

Gestern zog die AfD mit über zwanzig Prozent in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein. Das Ergebnis wird nicht nur innerhalb der Regierungsparteien und bürgerlicher Medien die Diskussionen der nächsten Wochen bestimmen. Auch heizt der Erfolg der Rechtspartei die Debatte innerhalb der Linken in Deutschland wieder an. Seit einiger Zeit läuft in linken Zeitungen wie Neues Deutschland und analyse & kritik eine Auseinandersetzung über den geeigneten Umgang mit der neuen rechten Partei. Wenige Stunden nach der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern sprachen wir mit Jakob von der radikalen linken | berlin über das Ergebnis − und über linke Strategien gegen die AfD.

 

Die AfD fährt in Mecklenburg-Vorpommern erneut ein Spitzenergebnis ein und landet sogar noch vor der CDU. Wo seht ihr die Ursachen für den Erfolg der Rechten?

Die AfD versucht unterschiedliche Gruppen anzusprechen. Das zentrale Wahlklientel ist das Kleinbürgertum. Aber auch Arbeiterinnen, Arbeiter und Erwerbslose wählen zunehmend die Partei. Die AfD war erneut bei diesen Gruppen stärkste Partei, also bei denjenigen, die Angst vor sozialem Abstieg haben oder diesen bereits erleben mussten.

Die Angst ist nicht unbegründet: Die seit den 1970er Jahren forcierte neoliberale Wirtschaftspolitik hat die soziale Ungleichheit und Ausgrenzung verstärkt. Seit der Krise, die nun bereits seit fast zehn Jahren vorherrscht, haben sich global gesehen und vor allem in Europa die Spaltungen noch vertieft. Zwar geht es der Arbeiterklasse in Deutschland im Gesamten vergleichsweise nicht ganz so dreckig wie den unteren Klassen etwa in Südeuropa, aber auch hierzulande spüren die Menschen den verschärften Konkurrenzdruck − gerade in Regionen wie im Osten Mecklenburg-Vorpommerns, wo die AfD auch Direktmandate holte.


Die AfD sitzt nun in neun Länderparlamenten. In zwei Wochen wird sie sehr wahrscheinlich auch in das Berliner Abgeordnetenhaus einziehen. Erleben wir gerade einen Rechtsruck?

Die Rede vom Rechtsruck ist problematisch, denn sie suggeriert, dass es vorher keine oder kaum rechte Positionen in der Gesellschaft gab. Außerdem besteht die Gefahr, sich nur noch mit der AfD zu beschäftigen. Doch rechte Politik war und ist keineswegs exklusiv für die AfD. Es war die rot-grüne Bundesregierung die eifrig in Kriege zog, die Agenda 2010 umsetzte und damit die Möglichkeiten der Ausbeutung durch das Kapital deutlich verbesserte.

Unter Merkel hat sich daran nichts geändert, sie hat diesen Kurs im Wesentlichen fortgesetzt. Die Ungleichheit in Deutschland ist nach wie vor sehr hoch, die Vermögenden werden kaum zur Kasse gebeten, und der Anteil der Menschen, die mit immer weniger Kohle über die Runden kommen müssen, wächst beständig.


Ihr betont immer wieder, dass der AfD mit Klassenkampf begegnet werden muss. Das klingt erst einmal gut, aber wie stellt ihr euch das konkret vor?

Wir kommen mit den bisherigen Strategien gegen Neonazis wie Outings und Blockaden allein nicht weiter. Es ist für immer weniger Menschen in der Gesellschaft ein Tabu, sich selbst als rechts zu bezeichnen. Wir müssen uns fragen, warum die Rechte so viele Menschen der unteren Klassen ansprechen kann. In diesem Zusammenhang müssen wir uns mit der Analyse der Rechten, ihren Strategien, ihren Inhalten auseinandersetzen, wollen wir wirksam gegen die neue rechte Formierung vorgehen.

Entgegen ihrer Präsentation als »Alternative« vertritt auch die AfD im Kern eine neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die AfD greift aber in Reden immer wieder die soziale Frage auf, beantwortet sie aber rassistisch, etwa wenn Björn Höcke von der neuen deutschen sozialen Frage spricht. Die sei nicht mehr die zwischen oben und unten, sondern die zwischen innen und außen. Um aufzuzeigen, dass die AfD nicht nur rassistisch, sondern im Kern auch neoliberal ist, haben wir vor einigen Tagen eine Wandzeitung herausgebracht.

Dass wir die soziale Frage bei der Auseinandersetzung mit der AfD ins Zentrum rücken wollen, ist auch Resultat der Erkenntnis, dass wir als radikale Linke aufhören müssen, uns auf Szenepolitik zu beschränken. Wir müssen uns eingestehen, dass viele Linke den Draht zu den Menschen ganz unten verloren haben. Die meisten unserer Selbstverständlichkeiten sind für viele Menschen völlig unbekannt. Wenn wir etwas gewinnen wollen, müssen wir uns auch mit denjenigen auseinandersetzen, die viele Linke allzu gerne verteufeln oder über die sie sich lustig machen. Ein moralisches »Wir sind besser als ihr« aus unserem kleinen Szene-Elfenbeinturm wird uns da keinen Schritt weiterbringen.

 

So richtig kann ich mir darunter allerdings immer noch nichts vorstellen. Was folgt aus eurer Analyse konkret?

Wir konzentrieren uns auf die Selbstorganisierung in Kiezen und den alltäglichen Orten. Selbstorganisierung und Gegenmacht entstehen natürlich nicht von heute auf morgen, aber Ansätze gibt es zu genüge. Da lohnt ein Blick über den biodeutschen Tellerrand hinaus. In Griechenland entstehen zur Zeit selbstverwaltete Krankenhäuser. Dort engagieren sich Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegerinnen und -pfleger. In Spanien besetzen Menschen Häuser, damit weniger Menschen auf der Straße pennen müssen. Arbeiterinnen und Arbeiter setzen die Besitzer ihrer Fabriken vor die Türen, weil sie nicht länger für andere schuften wollen. Das alles sind Beispiele von Solidarität im Einklang mit einer Politik der eigenen Interessen.

Doch um die eigene Position in der Gesellschaft zu begreifen, muss es nicht gleich eine Fabrikbesetzung sein. Wir können damit anfangen, wenn wir anderen Menschen im Treppenhaus begegnen und uns mit ihnen über unsere kürzlich eingetroffene Mieterhöhung austauschen. Ich merke dann: Ich bin mit meinem Problem nicht alleine. Vielleicht begreife ich dann auch, dass das Problem auch nicht alleine zu lösen ist. Wir müssen nicht alleine ins Jobcenter gehen, sondern können jemanden fragen, ob sie oder er uns begleitet. Wir können unserem Nachbarn, der aus Syrien fliehen musste, bei Behördengängen unterstützen, wir können alle Nachbarinnen und Nachbarn einladen, damit wir uns über den neuen Hauseigentümer austauschen, der unsere Mieten erhöhen und einige von uns zwangsräumen möchte.


Doch so etwas ist aus der Berliner Perspektive leicht gesagt, wo es immer noch eine gewisse Aufgeschlossenheit gegenüber linken Ansätzen gibt. In Mecklenburg-Vorpommern allerdings existieren deutlich weniger linksradikale Strukturen. Sollen nun alle Linken aus Berlin aufs Land ausschwirren?

In Städten wie Berlin läuft ja längst nicht alles rosig. Es gibt zwar linke Strukturen, die sind aber häufig eher geschlossen als offen. Aber klar: Auf dem Land fehlen häufig selbst solche Strukturen. Diejenigen, die bleiben oder dort hinziehen, müssen immer wieder von vorne anfangen, weil viele ihrer Genossinnen und Genossen wegziehen. Auch viele von uns sind nach Berlin gekommen, weil sie nicht weiter dort leben wollten, wo sie aufgewachsen sind. Und viele von uns genießen auch die linke Subkultur in Berlin. Doch kämpfen wir auch außerhalb der eigenen Szene?

Wir müssen dort politisch arbeiten, wo wir leben: in den Kiezen, auf der Arbeit, im Jobcenter, an der Schule, in der Uni. Das ist mühselig und Erfolge werden wir, wenn überhaupt, erst nach Jahren sehen. Doch es gibt keine Alternative dazu. Und wenn wir eben im Wedding oder in Kreuzberg leben, müssen wir zuvorderst dort Politik machen. Das heißt nicht, dass wir uns nicht für die Kämpfe außerhalb des eigenen Rahmens interessieren. Wir unterstützen unsere Freundinnen und Freunde in Heidenau, in Greifswald und außerhalb Deutschlands.

Wir sollten aber auch nicht denken, dass es gar nichts gibt. Es gibt immer wieder Menschen, die sich engagieren gegen rechts. So wie etwa die Kampagne »Noch nicht komplett im Arsch« in Mecklenburg-Vorpommern. Sehr niedrigschwellig versuchen sie der rechten Hegemonie auf dem Land etwas entgegenzusetzen.


In Berlin gibt es einige Bündnisse gegen die AfD. Ihr macht aber eure eigene Kampagne. Warum?

Es gibt in der Stadt mit »Aufstehen gegen Rassismus« bzw. dem »Bündnis gegen rechts« ein eher breiteres Bündnis und mit »Nationalismus ist keine Alternative« ein linksradikales. Das erste Bündnis ist für uns keine Option gewesen, da auch die Grünen und SPD mitmachen. Auch wenn wir wissen, dass die Basis dieser Parteien häufig anders tickt als die Spitzenfunktionäre, können wir mit ihnen nur schwer zusammenarbeiten. Diese Parteien haben die Asylrechtsverschärfungen beschlossen, beschlossen Kriegseinsätze, sind für viele Fluchtursachen mitverantwortlich. Außerdem haben sie die Ungleichheit in Deutschland verschärft. Sie sind damit auch für den Aufstieg der Rechten mitverantwortlich. SPD, Grüne und Co. stellen daher auch keinen Zusammenhang zwischen dem neoliberalen Kapitalismus und den Erfolgen der AfD her. Daher sind solche Bündnisse auch inhaltlich nicht das, was wir als radikale Linke machen wollen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass auch SPD und Grüne sich gegen rechts engagieren, aber das heißt noch lange nicht, dass wir uns daran beteiligen müssen. Wir müssen angesichts der Schwäche der radikalen Linken insgesamt sorgsam mit unseren Kräften umgehen. Anstatt außerparlamentarisches Feigenblatt für SPD und Grüne zu sein, sollten wir lieber einen starken eigenen Punkt setzen.

Die Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« (NikA) ist zwar ein linkes Bündnis, aber auch darin wird die soziale Frage eher am Rande behandelt. Außerdem konzentriert sich NikA zu sehr auf die AfD. Das ist zwar einerseits nachvollziehbar, weil die Partei gerade die rechten Kräfte bündelt, aber es wäre ein großer Fehler, wenn dabei die Kritik an der Politik der Herrschenden vernachlässigt würde.

Um genau dies nicht zu tun, setzen wir darauf, uns mit der materiellen Basis des Aufstiegs der Rechten zu beschäftigen. Es reicht nicht, nur die Ideologie der AfD zu kritisieren. Wenn die AfD von Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt oder auf dem Wohnungsmarkt spricht, genügt es nicht zu sagen, dass das rassistisch ist. Wir müssen vielmehr aufzeigen, dass Arbeits- und Wohnungsmarkt durch kapitalistische Konkurrenz geprägt sind − und nicht Geflüchtete an der verschärften Konkurrenz schuld sind.

Aber wir wollen auch nicht sektiererisch sein. Wir haben mit NikA ein solidarisches Verhältnis, haben uns selbst auch an dem Bündnis beteiligt und zum Beispiel Veranstaltungen zu völkischen Nationalismus und der sozialen Frage organisiert. Es wäre schlimm, wenn sich linksradikale Gruppen jetzt auch noch bei der Diskussion im Umgang mit der AfD die Augen ausstechen würden. Wir müssen offen diskutieren − und streiten, aber natürlich solidarisch.

Vor allem müssen wir als Linke präsent, ansprechbar sein und dafür sorgen, dass die Rechten nicht die Vorherrschaft im Kampf um die Köpfe, die Straße und schließlich die Macht erlangen. Das machen wir am besten, wenn wir linke Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit geben.

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