Ich bin Antifaschist seitdem ich denken kann, ich lebe danach, habe jedoch zunehmend das Gefühl, dass die Arbeit der radikalen Linken vollkommen ihren Fokus verliert.
Wenn ich auf Demos, Infoveranstaltungen oder im Gespräch mit Gleichgesinnten bin, nehme ich viele alte und überlaufene linke Muster war, mit der wir den Großteil der Bevölkerung, und vor allem die Jugend nicht mehr erreichen. Immer dieselbe Marx-Rethorik, ziellose Gewalt gegen was auch immer und eine in sich vollkommen unkoordinierte und planlose radikale Linke. Ein bisschen detailierter:
1. Marx ist kein Heiliger
Wer sich etwas intensiver mit dem Thema der Sozialstrukturanalyse beschäftigt kann nicht ignorieren, dass sich im 20. Jahrhundert weitere Intelektuelle mit den sozialen Ungleichheiten (Erwerbs-, Einkommens-, Bildungsungleichheit etc.) unserer modernen Gesellschaften beschäftigt haben. Dahrendorf, Ahrend, Bourdieu und viele weitere haben den Gedanken ausdifferenziert, was nicht bedeutet, dass Marx' Lehre keine Bedeutung mehr besitzt. Aber wir können die Welt im 21. Jahrhundert nicht mehr ausschließlich mit marxistischer Rethorik (besitzende Klasse, die Arbeiter, Lohnarbeit, Mehrwert) erklären, was meiner Meinung nach ein Grund dafür ist, dass die radikale Linke kaum noch politische Relevanz besitzt.
2. Was ist zielgerichtete Gewalt?
Ein Thema, was rund um die Ereignisse in der Rigaer Straße höchste Relevanz hat. Alle getätigten Aktionen werden, u.a. auf dieser Seite stets aus der Sicht der Agierenden legitimiert bzw. rechtfertigt, aber warum orientiert sich niemand an der Wirkung, dem Output der Aktion? Wer sich aus seiner linksautonomen Klientel ab und zu mal rausbewegt, merkt, dass viele uns für solche Taten verachten oder uns als politischen Witz bezeichnen. Häufig sind das Menschen, die unserer Kernidee, einer grundsätzlichen Neustrukturierung unserer Gesellschaft nicht gänzlich verschlossen gegenüberstehen. Doch zur Zeit schließen sich diese Menschen eher rechtsradikalen Gruppierungen (Autonome-Nationalisen, Identitäre Bewegung, Junge Alternative etc.). Wenn es darum gehen soll, eine breite Bevölkerungsschicht gegen die bestehenden Strukturen zu vereinen ist das sicherlich nicht der richtige Weg. In dem Fall geht es wohl eher um reinen Aktionismus, ohne ausgearbeiteten Plan.
3. Die planlose und unkoordinierte Linke
Ich war bei jeder Anti-Nazi-Demo (ja, auch in den Randbezirken) im letzten Jahr in Berlin anwesend und hab langsam genug vom plumpen angerenne gegen die Polizei, um mir anschließend stundenlang den Pfeffer aus den Augen zu waschen. Die Gruppen sind untereinander schlecht vernetzt, alle suchen verzweifelt nach jemandem, der irgendeine Idee hat. Doch auch unabhängig unserer Präsenz auf der Straße, gibt es strukturelle Probleme. Jeder Hipster in Berlin denkt eher links als rechts, aber kaum einer findet den Weg zu unseren Veranstaltungen. Warum? Weil unsere Sprache, unsere grundsätzliche Struktur einer vergangenen Zeit angehört und viele nicht bereit sind, weiter zu denken.
4. Lösungsansätze: Der unbequeme Weg
Das Stichwort, was vielen hier sicher nicht gefallen wird ist Pragmatismus. Ja, man kann Ideale vertreten, gern auch radikale, aber man MUSS auch situativ und pragmatisch denken können. Wie viel Schlagkraft verliert unsere Politik dadurch, dass wir uns im Kleinen zerstreiten? Viele reden von Revolution aber missachten völlig, dass wir MEILENWEIT davon entfernt sind, eine derart relevante Bewegung zu formieren. Wenn man sich die Revolutionen der jüngeren (arabischer Frühling, Euromaidan) und älteren (Oktoberrevolution, kubanische Revolution) Weltgeschichte anguckt, kann man ihre destruktive und häufig verschlechternde Wirkung nur schwer ignorieren. Kaum einer ist bereit die derzeitige politische Situation anzunehmen und sinnvolle Projekte auszuarbeiten. Viele reden von Anarchie, missachten aber, dass die Zeichen ausserhalb ihres Lebens nicht im Ansatz auf Anarchie stehen, ganz egal wie viele Autos wir anzünden! Aber oft ist es schlicht einfacher alles abzulehnen und sich in linken Subkulturen zu verkriechen, als flexibler im Auftreten zu werden.
Ich hoffe, dass zumindest einige fähig sind, diesen Beitrag als konstruktive Kritik entgegenzunehmen.
Solidarität
Wenn die Menschen füreinander eintreten würden, und zwar dort, gerade dort erst, wo es selbst anfängt weh zu tun, dann würde sich etwas ändern.
Die jetzige Linke aber braucht immer einen äußeren Antagonisten, um ihre Widersprüche zu exportieren, anstatt ihre inneren Konflikte auszutragen. Wo einem dann die Nazis, die Ausbeuter oder nur deren Autos ausgehen, gibt es dann das Prinzip Definitionsmacht. Erst wo man jenseits dessen bereit wäre, füreinander einzutreten, weil man sich ansonsten umbringen würde, würde sich etwas ändern. Das wäre auch kein gesellschaftlicher Sieg, sondern als niederliegende Gesellschaft dessen Gegenteil.
Die radikale Linke steht an dieser Stelle auch nicht ausserhalb dieser Gesellschaft, sondern nimmt nur die avantgardistische Spitze des sozialdemokratischen Eisbergs vorweg, dessen siegesgewisses Engagement schon immer das Altbackenste überhaupt gewesen ist.
Geht doch alle nach Hause, auch gerade wenn dieses noch nie gegeben hat.
1)
Die genannten waren Soziologen, Liberale; links höchstens in einem sozialdemokratischen Sinne. "Sozialstrukturanalyse" ist etwas, mit dem man die Zahl an Sozialarbeitern justieren kann.
All das hat mit Kommunismus, mit Marx, mit Befreiung nichts zu tun, im Gegenteil. Die Soziologie an den Akademien hatte nie einen anderen Zweck als die Bewahrung des Status Quo.
Marx Frage war keine soziologische. Er wollte keine Almanach der Klassen schreiben. Er wollte nur den Kapitalismus verstehen. Verstehen wie die Klassen entstehen und wie sie letztlich überwunden werden können. Seine Terminologie, die er dafür geschaffen hat, trifft die Klassengesellschaft des 19., des 20. und des 21. Jahrhunderts, auch wenn die Sozialstrukturanalytiker lieber Milieus, Schichten oder Kulturen untersuchen.
2)
Darum soll es gehen? Breite Bevölkerungsschichten unter Einbeziehung von Autonomen Nationalisten gegen bestehende Strukturen zu vereinen? Nein danke! Das Ziel von Marxisten ist die Übernahme der Macht und Errichtung der klassenlosen Gesellschaft im passenden historischen Moment; nicht die Volksfront mit Nazis gegen die da oben.
Den historischen Moment
wird es leider nicht geben, da irrte Marx und all seine Anhänger. Das Kapital weiß diesen Moment zu verhindern, auch wenn es dabei milliarden Tote geben sollte. Es geht also schon um die Frage, wie man die verblödeten Massen (auch Nazis u.a.) vor ihrem Elend bewahren kann.
3)
Links ist etwas ganz anderes als linksradikal oder kommunistisch. Dazwischen liegen Welten. Weiter zu denken heißt für Dich, die Kapitulation vor der Macht der anderen. Vor dem Geschwafel, das deine saturierten Professoren Dir vorkauen, vor den Kommentaren aus hundert Tageszeitungen, die sich nur zwischen rechts-liberal und links-liberal bewegen, vor den Phrasen der Fernsehnachrichten. Weiter denken heißt für Dich, sich in den Schoß der herrschenden Klasse zu kriechen, Mitglied bei solid oder der Grünen Jugend zu werden und fortan ein wenig Kritik an der Gesellschaft zu üben. Das hat nur nichts mit denen zu tun, die Du kritisierst. Wir sind linksradikal und gehen weil wir etwas ganz anderes anstreben, als einen gerechteren Kapitalismus, Deinen Weg nicht mit.
4)
Dein Pragmatismus und Dein flexibleres Auftreten sind Synonyme für Bündnisse mit breiten Gesellschaftskreisen, Reformismus und liberale Forderungen. Geh Deinen Weg, aber glaube doch nicht, wir hätten Deine Argumente nicht schon tausend Mal gehört. Auch von Leuten, die zumindest ein rudimentäres Verständnis davon haben, was Marxismus ist und was ihn grundsätzlich vom soziologischen Herumlaborieren an Missständen unterscheidet.
Zur "zielgerichteten Gewalt"
lässt sich soviel sagen: Es stellt sich doch viel eher die Frage, ob die aktuell massiv fortgschrittene bzw. vollendete Gentrifizierung überhaupt noch andere Strategien zulässt als brennende Autos. Ob das vermittelbar ist, also die verblödeten Massen das nun gut finden oder nicht, spielt dabei überhaupt keine Rolle mehr. Investoren werden es zumindest nicht so dolle finden, und diesen Minimalerfolg muss du erstmal irgendwie mit anderen, "zielgerichteteren" Mitteln erzielen.
Aber wozu?
Weshalb sollte Auto abfackeln die letzte Antwort auf Gentrifizierung sein? Was soll denn das bringen außer irgendwie Sachschaden?
Da wirds ja noch schiefer als sich mal einige Tage unbestimmtes Chaos und Remmidemmi zu gönnen nach einer Räumung. Was durchaus Ok ist!
Politische Antworten gegen Gentrifizierung sehen anders aus. Z.B. mal nicht die eigenen Interessen als subkulturelle Gruppe in den Vordergrund zu stellen, sondern für die Rechte von Obdachlosen, gegen Repression gegenüber der Drogenszene oder Trinkerszenen einzutreten. Das kommt natürlich nicht ganz so revolutionär rüber wie gefährlich gucken und sich selbst als Speerspitze der Antigentrifizierung und Repression zu sehen, ist aber wirkungsmächtiger und näher an der Realität im Kiez. Kann mensch natürlich auch als verblödete Massen betrachten, aber ein etwas weniger selbstbezüglicher Blick über den Tellerand täte auch mit Mitte Zwanzig und Kapuzze gut. Im übrigen Gentrifizieren auch Autonome und ritualisierter Krawall als Touri, Yuppie und Arschlochmagnet.
Gezieltere Aktionen oder Massenmilitanz sind auf dem Rückzug, einfache und ebenso beliebige Autoabfackelei nehmen zu. Generell erscheint die dies eher als Schwäche der Bewegung und sollte nicht als Stärke oder gar als Erfolg gelesen werden. Es macht eben einen gravierenden Unterschied ob ich irgendein Auto, von irgendeiner Privatperson, über die ich überhaupt nichts weiß, anzünde oder z.b. das Fahrzeug einer Sicherheitsfirma.
Aus diesem Erklärungsnotstand kommt mensch auch nicht mit noch so radikalen Phrasen oder Kampfparolen. Und wo Militanz sich nicht mehr selbst vermittelt, schadet sie sozialen Bewegungen und den Dingen für die wir kämpfen.
ne
"Gezieltere Aktionen oder Massenmilitanz sind auf dem Rückzug"
Das stimmt doch einfach gar nicht. So viel Aktionen und Massenmilitanz wie es derzeit gibt hat es doch seit zig Jahren nicht mehr gegeben. Gezielte Aktionen und Massenmilitanz sind entgegen deiner Behauptung auf dem Vormarsch. Aber es gibt halt immer ein paar Linke, die wollen, dass alles so bleibt wie es ist, und weil sich gerade vieles ändert, wenden sie sich gegen diejenigen, die militant agieren. Mit welchem Ziel? Es dient einzig dem Schutz der bürgerlichen Gesellschaft, was du da schreibst. Und fang mir gar nicht erst an mit "wir bruachen neue Konzepte, Ideen, die die Leute begeistern" etc, weil das ist ein Gelaber, dass es schon seit Jahren gibt. Es ist das Gerede, dass den Stillstand produziert und in keiner Weise dafür taugt, ihn aufzulösen. Du kannst doch einfach das machen, was du für richtig hältst. Es muss gar keinen Konsens in der Linken geben darüber, was wie am besten funktioniert. Unsere Stärke erwächst aus unserer Verschiedenheit, nicht aus unserer Gleichheit, aus der Gleichheit unserer Überzeugungen.
Entweder jung oder kurzes Gedächtnis
Zu behaupten das die militante Aktionsformen in der Qualität und Quantität zunehmen würden ist ziemlicher Unsinn. Sowohl in den Neunziger Jahren, als auch in den Achtzigern war wesentlich mehr los. Seitdem stagnieren die radikale Linke und militante Kampagnen. Heißt ja nicht das ganz gar nix passiert. Einmal im Jahr großer Krawall und Remmidemmi, dann ein paar kleinere Sachen und mal schnell ein Grillanzünder unter Nachbars BMW, bedeutet ja nicht, dass da eine militante Massenbewegung im entstehen wäre. Soviel solltest du der Springer Presse und den Bullen auch nicht glauben. Eine Teilräumung eines besetzten Hauses und abends grade mal 2-300 Leute in Berlin auf der Straße ist kein gutes Zeichen. Da hat es früher (auch vor ein paar Jahren) noch ganz anders gescheppert.
Der Rest was du schreibst ist Gepöbel auf das ich mir eine Antwort spare. Hatte auch nichts mit dem Beitrag zu tun. Niemand will das alles so bleibt wie es ist, weshalb mühst du dich also in Allgemeinsätzen um Pappfiguren umzuschießen, die hier gar nicht zur Debatte stehen? Eine typische Reaktion wenn mensch inhaltlich nichts zu entgegnen hat. Langweilig!
Du bist aber auch ein ganz schöner Pisser
So viele brennende Autos wie diese Woche gabe es in den 80iger und 90igern nicht in Berlin, auch gab es vor einigen Jahren eine riesige Feuerwelle. Dafür gab es früher andere Formen der Militanz, v.a. auf Demos. Will heißen: Die Aktionsformen haben sich geändert. Heutzutage sind die Cops bestens gerüstet, da bringt ein Kräftemessen auf der Straße null und die "2-300 auf der Straße" sind eher ein Zeichen, dass die Repression greift und keiner hat Bock auf Knast oder Juristenstress. Brennende Autos sind in Zeiten von Facebook, Verblödung und totaler Repression ein adäquates Mittel, was natürlich nicht bedeutet, das nicht auch andere Mittel zur Anwendung kommen sollten. Vor allem der Verblödung sollte entgegengewirkt werden ;-)
pff
Du bist ne laberjacke! Alt genug bin ich wohl, um da nen Überblick zu haben. Schau dir dochmal die Zeit von Anfang der 2000er an und dann bis heute. Und selbst auf Demos gibt es wiede rmehr Krawall als seit 15 Jahren oder so. Der Vergleich mit den 8ßern ist doch einfach völlig uninteressant, es geht doch um ein auf oder ab, und da gibt es eben gerade ein auf im Vergleich zur Flaute vorher. Naja. Ich wette du bist so n Berliner, von euch haben ja die meisten den Schuss nit gehört. Komm mal raus aus deinem Elfenbeinturm ;)
Ja ist schon schlimm in Berlin
Da gibts Terrornester wie die R94!
Aber im ernst, es geht nicht um 80er, es geht darum das Quatsch ist zu sagen wir wären grade in einer Hochphase der Bewegung.
Das merkst du doch selbst...
Endlich mal jemand mit Blick.
Danke, du sprichst mir aus der Seele.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt anbringen zu #3: die "Szene" ist heillos zerstritten.
Egal wo man hinfährt und man sich mit AktivistInnen unterhält, immer dieselben Sprüche: "Ja, hier is jeder mit jedem auf Kriegsfuß" / "Die von xxx sind militante Anarcho-Spinner" / "Die von yyy sind scheiß Hippies" / "was will ich mit nem Sozialist/Kommunist/Demokrat/... auf ner Demo" / "die von zzz sind Querfront".
Leute, die Demos anmelden, werden niedergemacht (weil man als "ordentlicher" Autonomer grundsätzlich gegen die Bullen/das System sein muss), Israel-Freunde und -Kritiker schlagen sich teilweise offen die Schädel ein, als Sozialdemokrat (oder generell als Demokrat) ist man ganz schnell unten durch obwohl die "Antifaschistische Aktion" in ihren Anfangszeiten (1932) eine für alle Klassen und Schichten offene Bewegung war,...
trauerarbeit
Verdrängte Trauer hält die Linke dahingehend zusammen, wie sie um die letzten Reste produktiver Verdrängung konkurriert.
Sich dem einmal zu stellen würde Platz schaffen zum Atmen.
Misstrauen
Dazu kommen auch gerne mal Bullen und Zivi Verdächtigungen dazu wenn jemand äußerlich nicht ins Schema passt.
Ich bin der Meinung "Vorsicht ist wichtig! generelles Misstrauen ist das Ende jeder sozialen Bewegung"
Idealismus wird nicht zum Ziel führen
Es geht doch nicht darum, sich eine Welt und deren Zustand idealistisch zu backen. Es geht doch darum materialistisch festzustellen welche Verhältnisse auf dieser Welt bestehen und darum, diese hin zum Fortschritt zu verändern.
Und das die kapitalistische Gesellschaftsordnung wieder die ganze Welt beherrscht, wäre eigentlich leicht erkennbar, wenn man nicht so viel mit bürgerlich/dekadenter Ideologie beschäftigt wäre.
Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist Grundlage für die hiesigen Verhältnisse, ist Grundlage für alle völkermörderischen imperialistischen Eskapaden und ist Grundlage für die aktuelle internationale Fluchtbewegung. Sie basteln intensiv daran den 3.Weltkrieg zu entfachen und eine sogenannte Linke ergeht sich in Diskussionen über Tierbefreiung, veganer Lebensweise und anderen bürgerlichen Verirrungen.
Marx muss, wurde und wird weiterentwickelt, das ändert aber nichts an der objektiven Wahrheit des Marxismus. Diejenigen die sich als Linke begreifen, müssten sich vielleicht nur mal wieder, oder erstmalig, mit dem Marxismus befassen.
Dritter Weltkrieg?
Es mag vielleicht an der Formulierung liegen, aber glaubst du ernsthaft, dass irgendein Mensch den Dritten Weltkrieg möchte?
Zum Thema Gewalt, gesellschaftliche Akzeptanz, etc.: Ich persönlich habe den Eindruck, dass viele es einfach nicht schaffen von ihrem hohen Ross zu steigen und mit einer unglaublichen Arroganz der/dem "normalen Bürger" gegenüber auftreten, wodurch natürlich mit verhindert wird, dass man so etwas, wie Akzeptanz für die Überwindung einer kapitalistischen Gesellschaft auch nur ansatzweise schafft. Im übrigen erreicht man so etwas eben auch nicht durch militante Massenaufmärsche oder Bullenwagen klauen. Der "unpolitische" Mensch sieht nur Gewaltausbrüche und ähnliches und es ist auch irgendwie verständlich, dass nicht jeder Lust auf Straßenschlachten oder sonstwas hat. Was bringt die Revolution, wenn sie niemand will?
Imperialistische Weltordnung ist kein Wunschkonzert
Hat jemand den 1. Weltkrieg "gemocht", den 2. Weltkrieg, die Verwüstung Indo-Chinas in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Hat jemand die Verwüstung des Irak, Afghanistans, von Staaten des nordafrikanischen bzw. arabischen Raumes "gemocht".
Es hat stattgefunden und findet statt und wer sich die Aktivitäten der NATO aktuell im europäischen Raum ansieht, müsste schon mit Blindheit geschlagen sein, wenn er die wachsende Kriegsgefahr nicht erkennen würde.
Bezüglich dem "hohen Ross" würde ich dir unbedingt beipflichten und mich selber dabei gar nicht ausnehmen. Solch eine elitäre , bornierte Haltung, wie sie nicht selten in dieser Linken verbreitet ist, kann natürlich nicht Ausgangspunkt zur Gewinnung des arbeitenden Teils der Bevölkerung sein.
Zur Militanz ist zu sagen, das es immer darauf ankommt das diese im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen steht und die Ziele derselben spielen natürlich auch eine Rolle, siehe aktuell in Frankreich.
In der Bevölkerung gibt es immer mehr Menschen die nicht mehr unpolitisch sind. Leider bricht uns ein Teil davon zu den Rechtspopulisten weg, ein anderer Teil sieht auch in der hiesigen Linken keine wirkliche Alternative. Das liegt wie mindestens wir beide feststellen konnten eben auch nicht wenig an dieser Linken, wir sollten versuchen dies zu ändern.
Marx'scher Materialismus statt politikidealisierender Marxismus?
"Es geht doch nicht darum, sich eine Welt und deren Zustand idealistisch zu backen. Es geht doch darum materialistisch festzustellen welche Verhältnisse auf dieser Welt bestehen und darum, diese hin zum Fortschritt zu verändern."
D'accord. Es hat schon eine Weile gedauert bis in der weitgehend irrelevanten Diskussion einmal das Wort materialistisch fiel. In der Analyse der materiellen Verhältnisse und deren Kritik liegt schon der impetus diese zu verändern. In der Erkenntnis über unser Dasein selbst ist die Fähigkeit und Forderung angelegt, die Verhältnisse umzuwerfen. Umgekehrt erlaubt jede Veränderung im materialistischen Sinne, bessere Erkenntnis über die Verhältnisse, über die verrückt und destruktiv gestaltete Beziehung "Kapitalismus" zu erlangen.
"Und das die kapitalistische Gesellschaftsordnung wieder die ganze Welt beherrscht, wäre eigentlich leicht erkennbar, wenn man nicht so viel mit bürgerlich/dekadenter Ideologie beschäftigt wäre."
Ja und Nein. Ein materialistischer Ansatz verspricht schnell Kenntnis über die Allgegenwart kapitalistischer Herrschaft, die doch noch weiter wächst, so weit die Zustimmung. Dass der Blick auf solcherlei Tatsachen verstellt ist, liegt aber nicht an einem zu viel an Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie, sondern an der falschen. Es ist nämlich gerade die bürgerliche Ideologie, die im bürgerlichen Staat Erkenntnis verspricht, wird sie verstanden und kritisiert. Ein zeitgemäßer materialistischer Ansatz wird weder die Arbeiter*innen der Fabrik noch die die Unterdrückten im Trikont im Blick haben, sondern die/den vereinzelte*n Angestellte*n oder Selbstausbeuter*in, die wir alle sind. Hierzugegen macht die bürgerliche Existenz mit all ihren Eigenschaften unsere Möglichkeiten aus, unsere Arbeitskraft zu verkaufen. Mit der Kritik dieses Umstands, der Zerstörung des Ideals der bürgerlichen Existenz und Entlarvung derselben als erbärmlichen Überlebenskampf gelingt die Erkenntnis über das eigene Dasein als verächtliches, geknechtetes Wesen, ganz automatisch folgt die Forderung diesem Dasein zu entkommen,
die Verhältnisse umzuwerfen. Es ist deshalb nicht falsch, dass
"Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist Grundlage für die hiesigen Verhältnisse, ist Grundlage für alle völkermörderischen imperialistischen Eskapaden und ist Grundlage für die aktuelle internationale Fluchtbewegung."
aber dafür, eine Umwälzung anzustrengen, die über fair trade und Ökostrom hinausgeht, nicht besonders wichtig. Wir müssen uns wieder mehr über unsere Rolle als ausgebeutete Produzenten klar werden. Die politischen internationalen Implikationen sind einigermaßen nebensächlich. Dann fällt auch die Befürchtung:
"Sie basteln intensiv daran den 3.Weltkrieg zu entfachen"
zum Teil in sich zusammen oder wenigstens anders aus. Es ist durchaus richtig, dass dem Frieden nach und nach die Grundlage entzogen wird. Aber daran hat ein jeder hier Anteil, Sie, ich. Britische Pensionisten zerschlagen das europäische Friedensbündnis, während französische, deutsche Vorstadtjugendliche ihre Präkarisierung nicht erklären, sondern der Emanzipation in Syrien offen den Krieg erklären. Dazwischen zündet Otto Normal auf dem Weg zur Arbeit noch ein Flüchtlingsheim an. "Sie" braucht es da gar nicht und gibt es daher auch nicht. Wir taumeln dem Krieg schon selbst immer hastiger entgegen. Es ist auch obsolet, sich über Tierbefreiung im Detail noch groß aufzuregen. Wenn die "sogenannte Linke", nennen wir sie linksverbrämte Antimaterialisten, sich damit aufhalten, sollten wir sie links liegen lassen. Die Linke ist eh nicht mehr die Verfasstheit revolutionären Potentials (auch nicht sehr schlecht verfasst).
Auch wenn sich hier endgültig die Geister scheiden mögen, ganz und gar nichts erkenne ich an der "objektiven Wahrheit des Marxismus" an. Es ist ein Fehler, die Marx'sche Kritik zu entwerten, indem man behauptet sie müsste als Marxismus in politische Form gegossen werden. Die Organisierung als Ausgebeutete folgt selbst für das Individuum direkt aus materialistischer Auseinandersetzung mit dem Kapitalverhältnis. Nicht notwendig, gar hinderlich, ist die politische Verfasstheit, schon gar nicht als avantgardistisce Partei oder anders verkehrt als propagandistisch vereinte Masse.
Diejenigen die sich als Linke begreifen, müssten sich vielleicht nur mal wieder, oder erstmalig, mit dem Marxismus Marx befassen. Dann begreifen sie sich vielleicht auch nicht mehr als "Linke", das heißt als politischer Arm der emanzipativen Kräfte (links im Parlament), sondern als Menschen, die zuallererst ihre Arbeitskraft in den Händen halten wollen, also unmittelbar emanzipativ.
Ein bisschen zu umfangreich
ist mir deine Erwiderung, ich müsste jetzt eigentlich ähnlich ausführlich antworten. Da aber hier relativ häufig Kommentare, auch wenn es dafür keinen vernünftigen Grund gibt, gelöscht werden, möchte ich mir diese Fleissarbeit sparen. Trotzdem ein paar kurze Anmerkungen.
"Das der Blick auf solcherlei Tatsachen verstellt ist, liegt aber nicht an einem zuviel an Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie, sondern an der falschen." Wenn denn wenigstens Auseinandersetzung stattfinden würde, müsste man ja gar nicht meckern. Was ich meinte, ist das eben fast gar keine Auseinandersetzung stattfindet, sondern das beträchtliche Teile derjenigen welche sich hier der Linken zuordnen, bürgerlichen Kampagnen recht kritiklos hinterhertrotten.
Dies würde ich auf ökonomische Fragen beziehen (Energieerzeugung, Öko-Bewegung), in Fragen der sittlichen und sozialen Verhältnisse in diesem Land (z.B. Verhältnis zur Prostitition) und auch in der Flüchtlingsfrage. In diesen und diversen weiteren Fragen wird unkritisch weiten Teilen der herrschenden Klasse einfach auf den Leim gegangen, unter Umständen hat dies aber auch einiges mit der eigenen Klassenherkunft zu tun.
Diese Linke die hier besteht, hat doch in weiten Teilen ihre eigene Sprache, ihre eigenen abgeschotteten Treffpunkte und Foren und will eigentlich mit "normalen" Menschen auch gar nichts zu tun haben. Sie betrachtet sich, in grossen Teilen zumindest, als weitaus intelligenter und auch politisch durchblickender, wie der schäbige Rest der Bevölkerung.
Ein Teil dieser Borniertheit schimmert ja auch bei dir durch, "Britische Pensionisten zerschlagen das europäische Friedensbündnis," das dies so gar nicht stimmt, setze ich an Wissen bei dir eigentlich voraus.
Den Teil der Bevölkerung, sei es in Grossbritanien, Frankreich oder Deutschland, welcher die Schnauze voll davon hat, verarscht und an den Rand gedrängt zu werden, borniert und abfällig abzutun, wird eine Tendenz zum Rechtspopulismus mit Sicherheit nicht drehen. Solche Haltung, wie sie auch bei dir Ansatzweise erkennbar ist und leider in breiten Teilen der Linken dieses Landes , aber scheinbar auch in anderen Ländern, stösst viele Menschen vor den Kopf. Einige wenden sich Rechtspopulisten zu, andere denen die Verhältnisse stinken, wenden sich verständlicherweise aber auch nicht einer Linken zu, die sich wie oben beschrieben geriert.
Lässt sich der Umfang denn reduzieren? Mach Vorschläge.
Wir scheinen aneinander vorbei zu reden:
"Wenn denn wenigstens Auseinandersetzung stattfinden würde, müsste man ja gar nicht meckern."
In deinem ersten Post dieses Threads beklagtest du noch zu viel Beschäftigung (zugegebenermaßen nicht Auseinandersetzung, machst du da einen großen Unterschied? Welchen?). Ich denke schon, dass das befolgen bürgerlicher Moralvorstellungen nicht ganz ohne Auseinandersetzung stattfinden kann. Der psychologische Gewinn, das darin enthaltene Reproduktionspotential von Arbeitskraft, ist immens. Für den Einzelnen ist das Festhalten an der Moral ein Teil der Überlebensstrategie im Kapitalismus. Wie alles, was Reproduktion und Produktion ist, aber auch Teil des Problems, Weiterstrickung des Verhältnisses, Verschärfung des Konkurrenzkampfes. Mit der linken Moral haben wir uns eine Nische geschaffen, die jedem einzelen Dazugehörigen Lebenserleichterung verspricht, in der Gesamtheit geht die Rechnung freilich nicht auf.
Ich denke deshalb nicht, dass die Auseinandersetzung mit bürgerlicher Moral ganz vermieden wird. Es wird nur der Widerspruch zwischen instrumenteller Vernunft (psychologischen Gewinn einstreichen, besser überleben) und emanzipativem Anspruch (die bürgerliche Gesellschaft samt ihrer Moral hinter sich lassen) nicht in den Fokus genommen. Die plumpe Abwehr der bürgerlichen Ideologie ist auch nicht ausreichend. Natürlich hat ein*e Präkarisierte*r oder ein*e Prolet*in den das vernünftige Interesse, Zugang zum bürgerlichen Leben zu erhalten. Die Bürgerlichen haben das vernünftige Interesse ihr bürgerliches Leben zu enthalten. Das ist ihnen doch nicht vorzuwerfen. Dem Widerspruch darin sollte man sich zuwenden.
Die bürgerlichen Kampagnen sind ein interessantes Feld dafür. Eine linke differenzierte Kritik dieser wäre möglicherweise erkenntnisfördernd für viele Beteiligte, da ich dir ja zustimme, dass eine abstrakte Auseinandersetzung mit abgehobener Sprache zurückgezogen in Szeneforen, sicherlich viele Aspekte und Widersprüche ausklammert.
Ich widerspreche dir aber, was die Überlegenheitsgeste betrifft, die du im linken Intellektualismus ausmachst. Ich denke, es ist eben besser, sich mit den relevanten Fragen zu beschäftigen, sich nicht mit Bullshiterklärungen zufrieden zu geben. Ich möchte auch niemandem Unwissenheit vorwerfen, ich weiß ja selbst nicht besonders gut über mich Bescheid, wer wäre ich denn... Mir geht es aber um die mangelnde Bereitschaft, sich mit den Verhältnissen auseinanderzusetzen, in denen man lebt. Die Rechten wissen, dass der Ali ihnen nicht den Job klaut, aber ziehen diese Erklärung dazu vor, sich mit den tatsächlichen Problemen auseinanderzusetzen.
Es ist auch so: Vor Augen geführt zu bekommen, dass man halt nicht recht hat, ist das schmerzhafteste an der Kritik. Das stellt eine bornierte, abfällige Sprache oder eine provokante Polemik doch bei weitem in den Schatten. Es dürfte den Kritisierten eher willkommen sein, einen Vorwand zu haben, sich der Kritik eben nicht in der Diskussion zu stellen, sondern sich über Sprache oder die Aktionsform beklagen zu können. Sie kommen aber nicht umhin zu wissen, dass sie Unrecht haben. Die Kritik verfängt. Sie nagt und erschüttert die Selbstverständlichkeit mit der sie Falsches vortragen und wiederholen. Und wenn eine*r kritisiert, dann soll er*sie bloß nicht versuchen dem*der Kritisierten eben dieses Schmerzhafte zu ersparen, denn das geht mit dem Zweck der Kritik, nämlich das Kritisierte abzuschaffen, nicht zusammen.
Im Übrigen halte ich es nicht für ein Entgegenkommen oder eine Geste des Respekts, Positionen, die ich für Blödsinn halte, als ernstzunehmend zu behandeln, oder auf eine Sprache verzichten, in der ich mich am präzisesten ausdrücken kann, nur weil der Verdacht bestehen könnte, dass die gegenüberstehende Person nicht über den Bildungsstand verfügt, das zu verstehen. Ich bin selbst nicht akademisch gebildet, habe selbst nicht besonders viel gelesen, gehe selbst 30-40 Stunden die Woche arbeiten. Es ist nicht mein Job, den Leuten meine Gedanken vorzukauen oder sie so weit zu entschärfen, dass sie ihnen in 5 Minuten runtergehen. Eben weil ich mein Gegenüber für voll nehme, benutze ich eine Sprache, die dem Thema meines Erachtens angemessen ist, vielleicht auch hie und da das Bedürfnis weckt, doch einmal den Marx zu lesen und nicht nur den verunfallten oder absichtlich verkürzten Scheiß vom Demoaufruf nachzulabern. Ich bin sicher, dass jeder Mensch das verstehen kann oder zumindest nicht allzu große Schwierigkeiten hat, das Verständnis dafür zu entwickeln. Allein, es fehlt wohl der Wille und das mache ich natürlich zum Vorwurf.
Der Teil der Bevölkerung, der sich verarscht fühlt, verarscht sich halt auch selbst. Es ist jämmerlich, so zu tun, als wären da nur andere am Werk, die sie hinters Licht führten. Dies offenzulegen ist dann auch keine abfällige Geste oder schon gar nciht Versuch "diesen Teil der Bevölkerung abzutun", was ich selbstverständlich nicht tue. Diese Menschen in ihrer Existenz ernstzunehmen, heißt offenzulegen, dass sie so erbärmliche Wesen sind wie du und ich. D.h., dass wir vom Kapitalverhältnis geknechtet sind, an dem wir alle mitstricken. Ich akzeptiere es nicht und ich nehme es ihnen übel, dass sie sich lieber den Lügen der Rechten anvertrauen, das eigene verkrüppelte Wesen lieber in der faschistischen Masse auflösen, anstatt sich mit ihrer Existenz auseinanderzusetzen. Es scheint fast so, als würden ihnen die Verhältnisse auch nicht allzu sehr stinken, jedenfalls geben sie sich alle Mühe die Thesen zu wiederholen, die jede ehrliche Sicht auf die Verhältnisse verdecken und sie damit unangreifbar machen.
Und ja, du kannst mir natürlich einen gewissen Zynismus vorwerfen, wenn ich Europa als Friedensbündnis bezeichne. Das ist sicher falsch. Dennoch ist umgekehrt die Sorge berechtigt, dass ein Zerfall der Union, die Konflikte innerhalb Europas auch wieder kriegerisch aufbrechen lassen könnte. Ein deutschdominiertes Europa, dem ein korrigierendes vereinigtes Königreich nicht mehr regulierend eingeprägt ist, wird auch die inneren Konflikte mit mehr Härte ausfechten. Die Knute über Griechenland bisher war ein Witz gegenüber dem, was uns mit dem jetzigen Status droht, ist wiederum ein Witz dagegen, was uns droht, wenn bei weiterer Desintegration Europas alle Nationalstaaten für sich dem Hegemon im Zentrum ausgeliefert sind. Das vereinigte Königreich, wenn es denn unwahrscheinlicherweise zusammenhält, wird auch kein starkes äußeres Gegengewicht bilden können.
Und ja, du hast auch recht, wenn du mir vorwirfst, ich würde den britischen Pensionisten zu sehr allein die Schuld geben an dieser Entwicklung. Ich wollte eigentlich auch gar nicht mehr zu Europa schreiben an dieser Stelle. Mit dem Aufzählung ging es mir eh darum das Gegenteil zu zeigen, dass jede soziale Schicht, jedes Milieu eingebunden ist in den Ausbau der kapitalistischen Ordnung, aber auch in die Faschisierung. Ich habe die britschen Pensionisten als ein Beispiel hervorgehoben, weil ich bei den Beweggründen, die ich ihnen zuschreibe, nichts erkennen kann als Todestrieb, Zerstörungswut, eine Lust, der Welt vom Wohnzimmersessel aus beim Scheitern zuzuschauen. Andere Bevölkerungsschichten mögen ihr Dasein im Produktionsprozess verkehrt verarbeitet haben, wieder andere der ohnehin schon vorhandenen Perspektivlosigkeit (z.B. durch Nichtwählen) Ausdruck verliehen haben, die Rentner*innen werden ihre Rentenkürzungen nur damit (mehr schlecht als recht) aufwerten können, dass allerorten die Welt brennt.
Sorry, dass der Text wieder so lang wurde. Ich finde deine Kommentare eben auch herausfordend. Daumen hoch.
Ja, du hast recht,
wir reden oder besser schreiben aneinander vorbei. Ich würde zu deinem letzten Text noch ein paar Anmerkungen machen und diese Debatte damit beenden.
"Der Teil der Bevölkerung, der sich verarscht fühlt, verarscht sich halt auch selbst," wenn du die für viele Menschen real spürbare kapitalistische Unterdrückung als Eigenverarschung deklarierst, sagst du eine ganze Menge über deine eigene Abgehobenheit aus. Und wenn sich diejenigen, die alle Grundlagen, alle Werte dieser Gesellschaft schaffen als "erbärmliche Wesen" verstehen sollen, ist dann auch nur aus deiner elitären Stellung in dieser Gesellschaft erklärbar. Diese Menschen werden hoffentlich über kurz, ganz sicher aber über lang die hier herrschenden Verhältnisse ändern.
Du verstehst nicht oder gibst vor nicht zu verstehen, worum es geht. Es ist eben nicht so "dass sie sich lieber den Lügen der Rechten anvertrauen" sondern diese Rechten greifen sehr wohl eine Reihe von schwerwiegenden Problemen dieser Gesellschaft auf, was sie allerdings daraus machen, ist eine andere Frage.
Die Linke verweigert sich allerdings weitestgehend bei der Benennung dieser Probleme und ist größtenteils auch nicht zur Selbstkritik bereit. Im Schulterschluss mit dem kapitalistischen Staatsapparat meinten einige dieser Menschen, alles unter Kontrolle zu haben. Und nun macht ihnen die "blöde Masse" einen Strich durch die Rechnung.
Widersprüche innerhalb der herrschenden Klasse ausnutzend, haben sich die Menschen einen Hebel gesucht um die Verhältnisse zum tanzen zu bringen. Das ist natürlich nicht gut, aber die Verantwortung trägt in erster Linie eine Linke, die ihre Aufgaben nicht erfüllt.
"Ein deutschdominiertes Europa", würde ich gar nicht als erste Gefahr sehen. Interessant, dass du den US-Imperialismus vollkommen aussen vorlässt. Ich würde eher die Gefahr in einem US-deutschdominierten Europa sehen, oder auch in einem russisch-deutschdominierten Europa, aber du wirst Gründe haben, die offensichtliche Kriegstreiberei des US-Imperialismus in Europa unter den Tisch zu kehren.
Dass die "britischen Pensionisten" für den Brexit verantwortlich sind, ist ein Märchen. Wer sich die Abstimmungsergebnisse näher ansieht, kann dies leicht feststellen, das meinte ich bezüglich dieser Frage.
Das war es dann für mich, vielleicht bist du ja doch bereitwilliger wie es mir scheint und betrachtest die verschiedenen Fragen auch mal selbstkritisch, das würde ich dir jedenfalls empfehlen.
Nee, sorry Dude, so lässt sich die Debatte nicht beenden
"wenn du die für viele Menschen real spürbare kapitalistische Unterdrückung als Eigenverarschung deklarierst,..."
tue ich aber nicht. Ich behaupte, dass die Menschen es vorziehen die real spürbare kapitalistische Unterdrückung direkt wieder veräußern und einer Strohpuppe anhängen anstatt ihrer Existenz ins Auge zu blicken, worin das Potential zu ihrer Befreiung läge (oder einmal gelegen wäre, wenn man ehrlich ist) Ich behaupte nicht, dass die erlebte Unterdrückung nicht real wäre. Es ist aber eben der falsche Ausweg, der gegangen wird. Man kann das analog zu dem Beispiel der linksbürgerlichen Fairtradegemeinschaft ansehen. Während jene lieber zu teure Bananen kauft anstatt die Verhältnisse umzuwerfen (sie wählen den instrumentell vernünftigen Weg: reines Gewissen bei ihrer "ehrlichen Arbeit"), springen diese auf den Zug der Rechten auf, behaupten bspw. das Problem läge darin, dass ihnen jemand den Job klaue und nicht darin, dass sie überhaupt gezwungen sind, arbeiten zu gehen und dann auch noch zu einem schlechten Tarif. Auch das bringt psychologischen Gewinn, macht sie aber zu Bütteln einerseits des Kapitals, dessen Funktionsweise sie verdecken, andererseits der Faschisten, deren Propaganda sie selbst verbreiten und deren Handlungsweise sie zunehmend für sich annehmen.
"diese Rechten greifen sehr wohl eine Reihe von schwerwiegenden Problemen dieser Gesellschaft auf" ? Es ist das Wesen der Rechten tatsächlich vorhandene Probleme der Gesellschaft schon in ihrer Pseudoanalyse zu verkehren, die Krisenlösungsstrategien sind schon deshalb falsch, aber meistens nochmals perfide verdreht. Man kann diese Verkehrungen nicht mitgehen ohne den eigenen Verstand, das eigene Leid empfindende Restsubjekt noch weiter zu prügeln. Kurz: es ist für jeden spürbar, dass man sich auf Lüge einlässt. Auch das lässt sich zwar leicht wieder veräußern und bspw. der Lügenpresse unterstellen, ändert aber nichts daran, dass die Anhänger der Rechten sich eben auch selbst unterwerfen und weiter verkrüppeln. Es kommt auch gar nicht so sehr darauf an, "was die Rechten daraus machen" Es ist schon von Anfang an eine falsche Analyse, ein auch nach innen gewalttätiger falscher Umgang, den jede*r Rechte auch ein Stück mitgehen muss. Die verführerischen Chefstrategen, die die eigentlich gutmütige Masse an der Nase führen, gibt es nicht. Die Führer gehören selbst zu denen, die die Lügen glauben und es ist ja auch so, dass jeder Führer ausgetauscht werden kann durch einen fanatischen Trottel aus der Masse. Da kann es einen Björn Höcke plötzlich an die Spitze spülen ohne, dass er sich's versieht. Die Rechten greifen also gar nichts auf. Sie betreiben in der Tat Selbstverarsche über die Ursache des erlebten Leids. Sie lügen.
"Die Linke verweigert sich allerdings weitestgehend bei der Benennung dieser Probleme und ist größtenteils auch nicht zur Selbstkritik bereit." Ja, aber das Problem liegt doch eher darin, dass es der Linken ebenso meist an der Schärfe in der Analyse mangelt. Das allzu oft Parallelen zu dummrechten Erklärungsmustern akzeptiert werden, die letztlich zu Widerstandssimulation führen statt zu einem Angriff gegen die Verhältnisse. Eine Linke müsste eben in der Lage sein, eine treffende, scharfe Analyse und Kritik der Verhältnisse zu formulieren, die nichts mit den rechten Parolen gemein hat. Eine Linke müsste nicht die derzeit Rechte Rolle einnehmen und im Unvermögen die scheinbaren Probleme der Gesellschaft aufgreifen, sondern den tatsächlichen Kern der Probleme angreifen und benennen. Ob so eine Linke noch existiert...
"Und nun macht ihnen die "blöde Masse" einen Strich durch die Rechnung. " Mit ihnen meintest du einen Schulterschluss zwischen Linker und dem kapitalistischen Staatsapparat. Ein solcher Schulterschluss kann aber gar nicht existieren, weil eine Linke, die ihn einginge, gar keine Linke wäre. Ich halte einen solchen Schulterschluss auch für eine dubiose Phantasie, weil vermeintliche Bündnisse zwischen Linker und dem Kapital oder dem Staat für gewöhnlich von Rechten behauptet werden. Bezüglich des Zitats ziehe ich weiterhin in Zweifel, dass die Masse den Interessen von Staat und Kapital oder gar in Verbindung mit einem ominösen Bündnis mit der Linken einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Sie hat den autoritären Kräften dies- und jenseits des Kanals den Rücken gestärkt, hat erkämpfte Rechte wie die Freizügigkeit wenigstens der europäischen Arbeiter*innenschaft eingeschränkt, sie hat eine wirtschaftliche Krise ausgelöst, die den Stand der arbeitenden und präkären Bevölkerung weiter verschlechtern wird, sie hat gezeigt, dass regressive Krisenlösungsstrategien zum politischen Erfolg führen und damit politische Ambitionen der Linken erstmal untergraben. Sie hat im Übrigen auch gezeigt, dass sie sehr gewillt ist, sich einer Kontrolle zu unterwerfen. Auf die kapitalistische Kontrolle antwortet sie nur mit Eskapaden, der faschistischen erweist sie sich als nützlich. Die Verhältnisse kommen damit wohl kaum "ins Tanzen". Eher konsolidiert sich kapitalistische Herrschaft mit der verstärkten Drohung einer faschistischen Machtübernahme.
"Das ist natürlich nicht gut, aber die Verantwortung trägt in erster Linie eine Linke, die ihre Aufgaben nicht erfüllt." Hach vielleicht. Aufgabe der Linken ist aber nicht die Integration der regressiven Kräfte. Ihre Aufgabe ist die Kritik der Verhältnisse, auf dass diese umgeworfen werden mögen und es keinen Weg zurück mehr gibt. Der Regression ist nicht beizukommen, wenn man die Funktionsweise des Kapitalverhältnisses heutzutage nicht kritisieren kann. Vielleicht ist die Linke aber auch einfach nicht mehr dazu in der Lage.
Das USA, Russland Thema lasse ich weiterhin außen vor. Nur so viel: Europa ist schon deutschdominiert. Das ist real und nicht "Gefahr". Die Folgen sind in Griechenland zu beobachten. Kannst aber gerne hinfahren und den Leuten dort erklären, dass die Amis (die eine Lockerung der Sparpolitik fordern) und die Russen (die ihnen auch Geld leihen ohne disziplinarische Sparmaßnahmen wider jede Vernunft durchzusetzen) die eigentlichen Gegner sind.
Du wirst keinen Erfolg haben.
PS: Wie gesagt, ich habe nicht in erster Linie behaupten wollen, die britischen Pensionisten seien diejenigen gewesen, die den brexit verursacht haben. Ich meine: Die Briten haben falsch für den Ausstieg entschieden, dafür gibt es viele falsche Gründe. Die Gründe der Pensionisten bspw. waren auf die beschriebene Weise falsch. Sie zeigen, wie absurd weit entfernt die Menschen von einer vernünftigen Analyse der Verhältnisse sind. Genauso wie die anderen beiden Beispiele, die ich in meinem ersten Post nannte.
und btw:
"Und wenn sich diejenigen, die alle Grundlagen, alle Werte dieser Gesellschaft schaffen als "erbärmliche Wesen" verstehen sollen, ist dann auch nur aus deiner elitären Stellung in dieser Gesellschaft erklärbar."
Vgl dazu den kategorischen Imperativ nach Marx:
Es sind alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.
Ich habe "erbärmlich" geschrieben, welches sicherlich nicht mit verächtlich gleichgesetzt werden kann. Jedoch halte ich verächtlich auch gerade für weniger angebracht: Wie du schreibst, ist Verachtung denjenigen gegenüber, die alle Grundlage, alle Werte der Gesellschaft schaffen, unangebracht. Auch auf einer Reflexionsebene passt es nicht so gut: Der/die Arbeiter*in darf sich selbst ja nicht verachten, denn das hieße ja gerade die Tatsache zu verleugnen, dass er/sie die Fähigkeit besitzt (besaß?) die Verhältnisse umzuwerfen.
Erbarmen hingegen ist schon wünschenswert und daher erbärmlich als Begriff passend. Nichts anderes fordern wir doch, als eine Beendigung des Leidens, dass diejenigen, die das Leid schaffen, das sind wir alle, endlich damit aufhören. Wir bitten um Erbarmen. Ebenso auf der Ebene der Selbstreflexion: Die Verhältnisse zwingen uns in den Widerspruch vernünftigerweise gegen die vernünftigerweise erstrebenswerte Befreiung im wahrsten Sinne des Wortes anzuarbeiten. Erbarmen mit sich zu haben, hieße, sich nicht weiter durch diesen auferlegten Widerspruch zu erniedrigen, sondern eine Handlungsweise zu entwicklen, die widerspruchsfrei sein darf und nicht mehr gegen sich selbst gerichtet ist.
Seiner Existenz als erbärmlich ins Auge zu sehen hat also rein gar nichts mit einer elitären Stellung zu tun. Es ist fast der einzige Weg, sich sowohl als leidend wahrzunehmen, aber sich gleichzeitig die Fähigkeit zur Emanzipation zuzuschreiben und diese auch noch einzufordern.
Du kannst dich aber gerne weiter mit der bösen Elite rumschlagen, statt dein eigenes Heil in die Hand zu nehmen. Dann trennen sich hier eben unsere Wege. Du darfst auch gerne in Anspruch nehmen, deinen Weg als den linkeren zu bezeichnen. Die historische Linke hat oft genug versäumt ihre Befreiung in die Hand zu nehmen, dieser Tradition kannst du dich gerne anschließen - ich möchte mit dieser Tradition gerne brechen. Den Materialismus überlasse ich dir jedoch nicht.
reformistisches querfrontgeschreibsel
http://www.trend.infopartisan.net/trd7809/t677809.html
"Damit der Aufstand erfolgreich sein kann...
müssen wir uns erst selbst zerstören."
https://translationcollective.files.wordpress.com/2012/06/selbst-zerstc3...
oh, wie süß, die viele facetten, die diese diskussion entfacht..
...aber mal ehrlich (und punkt für punkt):
zu 1.:
marx und engels sind auch nur "einer von vielen", die eine wundervolle beobachtung, erklärung und mögliche lösungsansätze dessen, was im begriff war, das zu werden, was wir allgemein nun als kapitalismus erleben, geliefert hat.
im zusammenhang dessen, was sie unmittelbar zu ihrer zeit beobachtet haben.
dabei haben sich viele parameter dessen, was sie umgeben hat, verändert. vieles hat sich als bloße hypothese herausgestellt, es wurde an der theorie weitergetüftelt, mit all den richtungen, die das ganze "toolkit marx/engels" hergeben. dabei haben sich faschistoide triebe, libertärere usw. herausgebildet, eben ein sammelsurium all dessen, was eine theorie nunmal hergeben kann.
EINE theorie, wohlgemerkt. es gibt, zum glück, weder die EINE theorie, noch die EINE wahrheit.
und, was man hierbei auch nicht vernachlässigen sollte: theorie ist nunmal nichts weiter, als ein totes geflecht verschiedenster, persönlicher feststellungen. entscheidend ist die PRAXIS.
zu 2.:
gewalt ist ein drastisches mittel zur beilegung in konfliktsituationen. ob man diese nun befürwortet oder nicht, ist jedem individuell selbst überlassen. je nach (a)moralischem standpunkt sollte man allerdings zumindest betrachten, ob diese gewalt tatsächlich aus der aktuellen situation heraus entsteht, oder ob diese nicht in einem tieferligenderem, persönlicherem konflikt innewohnt (sexismus / faschismus/ whatever). für die gewalt als mittel der direkten aktion spricht allerdings der fast ausschließlich reaktive charakter dieser gewalt: sie richtet sich nicht gezielt an einzelne individuen, sondern diejenigen, die sich zum instrument eines staatlichen gewaltmonopols, mit dem ziel dieses auch zu erhalten, transformiert haben und somit gegenüber einem auf libertären prinzipien selbstbestimmtem leben zur gefahr werden, die es zu bekämpfen gilt.
ich teile deine meinung zur kritischen betrachtung willkürlicher gewalt dabei teilweise: aufgrund der teilräumung eines autonomen zentrums als reaktion einen gleichwertigen sachschaden anzukündigen, zeigt nichts weiter als das leidenschaftliche potential dessen, was in gezielterer form, z.b. ausschließlich auf die strukturen dessen, was diese teilräumung überhaupt erst möglich gemacht hat (bullen; div. infrastruktur zur überwachung; bau- und immobilienunternehmen und banken, die diese situation herbeiführen; usw. usw.), definitiv wirksamer wäre, aber auch, dass sich diese gewalt impulsiv, allerdings exakt im systemischem rahmen dessen bewegt, was sie zu zerstören erzielt, undzwar einem quantitativ-marktwirtschaftlichem ausgleich der "schuld", die durch die teilräumung und weiterführende gentrifizierung im kiez entsteht.
wie und ob andere teile der gesellschaft dazu eine reaktion zeigen, ist nicht nur zweitrangig, sondern, sofern man in einer radikalen grundhaltung konsequent (weiter-)agieren will, irrelevant: wenn es hierbei auch "nur" um den egoistischen selbsterhaltungstrieb eines alternativen wohnprojekts geht, so hat diese mindestens genauso eine berechtigung auf ein "freies leben" wie das system, dem es innewohnt. dies zu unterstützen oder zu verteidigen bedeutet auch nicht, es symbolisch zu überhöhen oder zu mystifizieren: in einer libertären überzeugung ist es eine selbstverständlichkeit, diese freiräume, seien sie nun physisch oder psychisch, selbst-erstellte oder schon vorhandene, bis ans äußerste zu verteidigen.
die weitere radikalisierung, die durch die aktuellen, (welt-)politischen repressalien entsteht, sei diese nun rechts-, links-, oben- oder untenrum, ist, wenn überhaupt, in ihrem ansatz positiv zu beobachten: große teile der menschheit werden sich darüber bewusst, dass es systemimmanente probleme, somit also auch das system an sich, sind, die der wie-auch-immer-interpretierten selbstbestimmtheit ihrer lebensführung gefährden. dabei entstehen, aufgrund der angst einer individuellen umstrukturierung oder, bestenfalls sogar, einer zerstörung dieses systems, verschiedenste "lösungs-"möglichkeiten. faschistisch sind dabei diese, die dabei systeme fordern, die "historisch-rückwärtsgewandt", überhaupt "historisch", "humanistisch", "vernünftig", "natürlich" oder sonstwie strukturiert sind: faschismus entsteht dort, wo einem neu-entstandenem machtvakuum ein altes (oder überhaupt irgendein!) hierarchiemodell aufgezwungen wird.libertär
genug des intelektuellen geschwurbels hier: die reaktion war impulsiv, wild, ziellos, aber eben auch nur der anfang dessen, wohin diese anfängliche energie noch führen kann, sobald man sie weiter konzentriert. wichtig ist hierbei nicht die aktuelle bestandsaufnahme dessen, was sie bisher bewirkt hat (denn es agieren hier sämtliche, autonome, voneinander teilweise gänzlich unabhängige individuen/kollektive), sondern die achtung davor, dass sie in form direkter aktion überhaupt erstmal stattgefunden hat und die weitere konzentration darauf, wohin sie noch verstärkt hineingelenkt werden sollte.
zu 3.:
es ist einfach ein unglaublich nerviger irrglaube, dass es sowas wie eine zusammenhängende "linke" gibt: welche linke? die im parlament? die in einer partei organisierten appendixe dieses systems? liberale? anarchisten? kommunisten? hier muss man differenzieren, oder, besser noch: drauf scheissen.
was interessiert mich der öko-hipster-berliner, der mal marx gelesen hat, zizek cool findet und sein gewissen, etwas "für diese welt getan zu haben", darin beruhigt sieht, fairtrade-kaffe bei starbucks bestellt zu haben oder an einem NGO-dorf für umsonst felder in südamerika umgepflügt hat, statt die strukturen dessen, was ihn dazu bewegt hat, den ganzen weg nach südamerika zu gehen, um den menschen dort zu helfen, ernsthaft ins wanken zu bringen?
genug der polemik: eine kathegorisierung in solche teilbereiche, vor allem aber in "links", "zentrum" und "rechts" ist nicht nur unnötig, sondern einfach nicht praktikabel für eine effektive gefahr gegenüber dem system, dem wir ALLE zum opfer fallen. wichtiger ist hierbei nicht eine politische agitation, die einem missionaren aufzwängen eigener "moral-"vorstellungen gleicht, sondern DIREKTE AKTION: hypothesen darüber, was danach geschieht, sind nichts weiter als hypothesen. und wer sich mir im kampf anschließt, ist mir vorrangig egal: es geht um die realitätsnahe zerschlagung dessen, was mich überhaupt erst in diesen "kampf gegen das system" getrieben hat. und im moment der aktion ist mir da jede unterstützung recht. was davor und danach geschieht, ist eine andere sache. aber es sollte wohl klar sein, dass, im falle einer ernstzunehmenden zerschlagung dieses systems der eigentliche, wirklich relevante kampf anfängt: der antifaschistische. aber lasst uns doch erstmal dahin kommen...
zu 4.:
MEIN (also persönlicher) lösungsvorschlag: get over it!
"die linke" ist zu genau einem solchen mystischen konstrukt verkommen, wie all die systeme, die sie zu zerschlagen drohte. der historische ursprung dieses problems liegt an all den kompromissen, den diese mit dem kapitalismus nach dem einzigen moment einer wirklichen möglichkeit zur zerstörung dieses systems, direkt nach den 68'ern also, eingegangen ist (siehe: "künstlerkritik)
ergebnis dieser kompromisse ist der sog. neoliberalismus.
wer sich theoretisch hiermit weiter beschäftigen will:
-> https://de.wikipedia.org/wiki/Der_neue_Geist_des_Kapitalismus
des weiteren gibt es ausreichend praktisch-anwendbare konzepte und ideen zur weiteren handlungsfähigkeit radikaler, libertärer (im sinne von "anarchistisch" und "kommunistisch", NICHT "liberalistisch") individuen/bewegungen.
am interessantesten sind hierbei, meiner meinung nach, betrachtungsweisen eines post-linkem anarchismus:
"ist der anarchismus noch links?" -> http://www.anarchie-mannheim.de/schriftenreihe/01_Ist_der_Anarchismus_li...
"barbarische gedanken" -> https://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/2014/12/4957327305...
deine Theoriekritik schlägt ein wenig fehl
"theorie ist nunmal nichts weiter, als ein totes geflecht verschiedenster, persönlicher feststellungen. entscheidend ist die PRAXIS."
Praxis ist aber der Übergang von kritisch festgestellter Notwendigkeit zur Veränderung in Handeln - sowohl auf rationaler als auch auf psychologischer Ebene. Die Notwendigkeit wird aber erst durch die Theorie, diesem seltsamen Rationalisierungsversuch des subjektiven Bedürfnisses das Leid zu beenden, festgestellt und aus der Diffusität hervorgeholt. Praxis selbst ist diffus, wenn man sich über die Beweggründe dazu nicht bewusst ist.
Durchaus interessant finde ich deine Vorschläge, sich der Direkten Aktion zuzuwenden, einen postpolitischen Anarchismus zu betreiben. Jedoch muss eine bewusste Kritik der Aktion zur Seite stehen. Die Kritik muss sich zudem am Target der Aktion, nämlich den materiellen Gegebenheiten orientieren. Etwas anderes vermag sie nicht zu treffen. Wer die Praxis idealistisch begründet, macht sie wirkungslos, da sie dann ihr Ziel verfehlt.