Zwickaus neuer Polizeipräsident im Interview

Erstveröffentlicht: 
16.06.2016

Zwickau. Seit März  hat die Polizeidienststelle Zwickau einen neuen Leiter. Vergangene Woche wurde er offiziell in seinem Amt bestätigt. Reiner Seidlitz ist 57 Jahre und seit 1977 bei der Polizei. Ein Mann, mit jeder Menge Erfahrung  auf seinem Gebiet also. Ein Mann, der Klartext redet.

 

Mit der Leitungsfunktion in der Polizeidienststelle in Zwickau ist er wieder in seine Heimat gelangt. Geboren in Reichenbach, ging es durch den Beruf des Vaters immer wieder in eine andere Stadt. Später lernte er Elektromonteur und wollte allerdings die Montage außer Acht lassen. Also ging es zur Polizei.

 

Im Gespräch mit WochenEndSpiegel-Redakteurin Alice Jagals erzählt er, welche Schwerpunkte er in Zwickau setzt, was er über Pegida und Co. denkt, ob er mehr Personal braucht und warum Polizisten für mehr zu gebrauchen sind, als für Fußball- und Versammlungsabsicherungen.

 

Sie waren unter anderem in Dresden und Leipzig tätig. Was ist das Besondere oder auch reizvolle an Zwickau?


Sicherlich ist es ein Karriere-sprung. Es macht schon einen Unterschied, ob man in einer Stellvertreter-Position ist oder eben die Leitung innehat. Zudem ist Zwickau sicherer als Dresden oder Leipzig.

 

Stichwort Sicherheitsgefühl: Wünschen Sie sich mehr Personal?

 

Da muss man sich erst einmal fragen, wie viel Polizei überhaupt gewollt ist. Was passiert denn, wenn an jeder Ecke ein Polizist stehen würde?

Mit mehr Personal ist auch unsere Flexibilität größer, beispielsweise, wenn wir in einem Gebiet Streife fahren. Da wäre das Entdeckungsrisiko auch größer.

Somit war der Personalabbau vor zehn Jahren falsch. Die Polizeiführung hatte damals davor gewarnt und ein Ampelsystem erstellt. Derzeit sind wir zwischen Phase gelb und rot. Wir bekommen zwar immer wieder neue Leute, aber im Gegenzug verlassen uns aus Altersgründen immer mehr Polizisten. Konnten wir im März 30 Polizisten begrüßen, gingen hingegen 50. Und selbst wer jetzt in die Ausbildung geht, ist erst in vier Jahren richtig im Dienst.

 

Worin liegen die Schwerpunkte der Arbeit der Zwickauer?

 

Unsere Arbeit besteht nicht nur aus dem Absichern von Versammlungen und Fußballspielen. Wir werden in Sachen Einbrüche aufstocken, uns verstärkt der Verkehrsdisziplin widmen, die Drogenszene nicht aus den Augen verlieren, an einer Anti-Terror-Konzeption arbeiten und  unsere Dienstwaffen gegen neue tauschen.

 

Wie werden Sie gegen Einbrüche vorgehen?


Wir haben eine Ermittlungsgruppe „Terrasse“ gegründet, die sich auf Wohnungseinbrüche spezialisiert. Sie setzt sich aus Bediensteten der Personalpolizei und denen der Zentralen Dienste zusammen. Sie prüfen unter anderem die Ansatzpunkte beispielsweise technischer Art von Fahndungen. In Zwickau gehen wir derzeit von zwei Banden aus, die nicht deutscher Herkunft sind. Allerdings gibt es auch deutsche Täter. Sie sind allerdings nicht so mobil.

 

Speziell sind wir zwei Tätern rumänischer Herkunft auf der Spur. Sie hinterließen ihre Spuren binnen drei Tagen von Portugal über Deutschland bis in die Ukraine.

 

Dennoch kann man nicht genug an die Bevölkerung appellieren, auch selbst für ausreichenden Schutz zu sorgen. Wer die Taschen im Auto sichtbar platziert, den Schlüssel im Nebeneingang stecken lässt oder die Rollläden nicht runterfährt und Schlösser an bestimmte Fenstergruppen anbringt, der macht es Einbrechern leicht. Und die suchen den schnellen und einfachen Weg. Es ist wirklich unglaublich, wie viel Geld manche Leute unterm Kopfkissen liegen haben. Und noch immer funktioniert der Enkel-Trick. Das ist unglaublich. Und wer glaubt, Kriminalität 100-prozentig bekämpfen zu können, irrt. Immerhin verdienen auch viele daran: Rechtsanwalt, Möbelindustrie, Autoindustrie, Tischler und so weiter. Wer nichts daran verdient ist die Polizei und die Opfer.

 

Hat Zwickau ein Drogen-Problem?


Es gibt keine enorme Drogenszene. Man muss auch klar sagen: Gebe es keine Konsumenten, hätten wir auch keine Dealer.  Allerdings ist die Unaufgeklärtheit noch groß. Insofern habe ich für Drogenlegalisierung kein Verständnis. Die Präventionsarbeit beispielsweise an Schulen werden wir aber nicht eindämpfen, auch wenn ich die Polizei nicht als Aufklärer verstehe.

 

Auch was den Schmuggel angeht, gibt es immer „neue Wege“. Gleiches gilt für den Waffenhandel. Im Endeffekt bekommt man solche Dinge heutzutage überall her. Es gibt nur stichpunktartige Kontrollen

 

Inwiefern wollen Sie an der Verkehrsdisziplin arbeiten? Fordern Sie mehr Blitzer?


Zunächst ist das ein Dauerproblem und im Endeffekt sind meist die Unbeteiligten die Opfer. Die A 72 ist in manchen Abschnitten recht kurvig. Das kommt daher, dass die Straße 1932 geplant wurde. Dort häufen sich die Unfälle, weshalb eine Begrenzung von 130 Kilometer pro Stunde sinnvoll ist.  Neben Geschwindigkeitskontrollen werden auch mehr Alkohol- und Drogenkontrollen durchgeführt.

 

Sie wollen Ihrer Arbeit nach dem Leitsatz „Bewährtes beibehalten und offen für Neues bleiben.“  nachgehen. Wie meinen Sie das?


Es müssen einige interne Abläufe verbessert werden, unter anderem im Bereich der Tatortarbeit. Hier müssen Qualität und zeitliche Abläufe optimiert werden.

 

Gerade bei Demos oder Veranstaltungen werden Polizisten angepöbelt. Wie steht es um die Anerkennung in diesem Beruf aus Ihrer Sicht?


Ich bewundere meine Leute immer wieder, da sie oftmals für Defizite der Gesellschaft verantwortlich gemacht werden. Zudem belastet uns auch so manche Berichterstattung. Da wäre eine genauere Recherche wünschenswert. Ein Beispiels ist Heidenau: Dort wurde die Polizei beworfen. Ein weiteres Beispiel aus der Journalistenszene: Wenn bei einer Pegida-Versammlung ein Journalist einen Demonstranten anpöbelt, braucht er sich nicht wundern, dass er das gleiche zurückbekommt.

 

Wir werden für Dinge verantwortlich gemacht. Wir agieren in den Defiziten der Gesellschaft. Wir werden die Defizite aber nicht heilen.

 

Wie erklären Sie sich das Verhalten?


Das ist eine Frage der Streitkultur. Jahrzehntelang war es in diesem Umfang ruhig. Sehen Sie sich doch mal die Wahlbeteiligung der letzten Landtagswahl in Sachsen an. 51 Prozent waren nicht bei der Wahl – warum auch immer. Daraus schöpfen Pegida, und so weiter.  Nun gibt es soziale Spannungen. Jetzt werden die Leute wach. Und jede Versammlung ist ein Grundrecht. Es gilt Meinungsfreiheit. Und im Übrigen schrillen bei der IG Metall seit Jahren die Trillerpfeifen. Und jetzt – Beispiel 1. Mai – wird so ein Geschrei gemacht, wenn jemand anderes die Trillerpfeifen benutzt.

 

Das Versammlungsrecht, Artikel 8, ist ein grundlegendes Abwehrrecht gegen den Staat. Der Bürger darf seine Meinung sagen. Ob mir das passt oder nicht. Eine Versammlung findet eigentlich ohne Polizei statt.

 

Ich sehe immer wieder polizeiliche Absicherungen, auch beim 1. Mai.


Was ist denn da passiert? Eine Gruppe, die sich verbal mündlich äußert. Die Polizei hat denen gesagt „Hier an der Linie ist Schluss“. Die Versammlungsleiterin hat wehemend darauf bestanden, dass die da bleiben dürfen. Die Polizei ist weder aufgefordert worden noch gab es rechtlichen Anlass, die Leute auszuschließen. Und jetzt regt sich jeder auf, dass die Federführende der Versammlung es erlaubt hat, dass die Menschen mit einer anderen Meinung da bleiben durften. Und schon hieß es „Die Veranstaltung wurde gesplittert“.

 

Und warum hat die Polizei am vergangenen Sonntag die Versammlungsteilnehmer vom Kornmarkt nicht zum Hauptmarkt durchgelassen?


Die Versammlung fand ja auf dem Kornmarkt statt. Das Fest der IG Metall Zwickau auf dem Hauptmarkt. Die Polizei hat die Leute deshalb nicht durchgelassen, weil nach Ende der Versammlung auf dem Kornmarkt aufgerufen wurde, die Veranstaltung auf dem Hauptmarkt zu stören.

 

Warum „wettern“ solche Veranstaltungsteilnehmer wie hier gegen die IG Metall, also gegen Leute, die sich doch für gerechte Löhne einsetzen?

Das ist eine Frage der Streitkultur. Inwiefern die Auseinandersetzung inhaltsreich ist, ist fraglich. Seit Herbst 2014 geht Pegida in Dresden auf die Straße. Inwiefern findet denn da eine Auseinandersetzung statt.

 

Nirgens.

 

Richtig.

Ein Brüller war, als bei einer Pegida-Versammlung der Galgen für Politiker gezeigt wurde. Da war Himmel und Hölle in Bewegung. Zwei Tage zuvor wurde bei einer TTIP-Versammlung eine Giotine mit der Aufschrift „Gabriel“ öffentlich gezeigt. Das war eine Linke-Veranstaltung. Das war der Spuk nicht mal halb so stark.

 

Ist die Kriminalität seit der Flüchtlingskrise auch in Zwickau gestiegen?


Ja, aber wenn mehr Leute da sind, kann diese Zahl natürlich auch steigen. Probleme bereiten uns vordergründig Personengruppen aus Nordafrikanischen Ländern.

 

Was wurde beispielsweise aus den „Steinewerfern“ vor dem Verwaltungszentrum?


Soweit ich weiß gab es Bewährungsstrafen und sonst nichts.

 

Das heißt?


Das heißt, dass ich mir generell andere Strafen wünschen würde, unabhängig von dieser Tat. Beispiel Jugendstrafrecht: Ein Täter kann bis 21 Jahre danach bestraft werden. Das ist viel zu wenig. Eine Sanktion muss wehtun. Da muss der Graffiti-Sprayer mal den Putzlappen in die Hand nehmen oder gemeinnützige Arbeit leisten.

 

Vielen Dank.

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"Giotine"

 

Ich brech ab vor lachen. :D