Kommunikationsguerilla gilt als fancy, hip, chic und pop. Ihre Gegner*innen lehnen sie ab, ihre Fans verherrlichen das Konzept. Eine kritische Betrachtung der Chancen, Möglichkeiten und Risiken gibt es im Diskurs der linksradikalen Szenen hingegen kaum. Dass dies jedoch einen Versuch wert sein könnte, versucht der folgende Text aufzuzeigen.
Taktik der Defensive
Was die Fans von Kommunikationsguerilla regelmäßig vergessen oder nicht wahr haben wollen:
Kommunikationsguerilla ist eine Taktik der Defensive. Kommunikationsguerilla besetzt keine echten Räume. Kommunikationsguerilla eignet sich punktuell lediglich diskursive Räume an. Dies gelingt über das Kapern von Codes in der gesellschaftlichen Kommunikation. Irgendeine Position des Gegners wird gekapert, verfremdet, übernommen. Durch die dadurch entstehende Kommunikation wird es möglich, Inhalte zu transportieren, die sonst im öffentlichen Diskurs keinen Platz hätten.
Cops als „Gewalttäter?“
Beispielhaft dafür könnte eine Adbusting-Aktion aus dem Februar 2016 aus Berlin dies verdeutlichen. Der Polizeikongress steht vor der Tür. Die Mobilisierung in linker Szene ist nicht annähernd mit den Jahren davor zu vergleichen. Die Gegendemo mit 200 Leuten nimmt niemand wahr. Trotzdem diskutieren Tagesspiegel, taz und Berliner Zeitung anlässlich des Polizeikongresses die Frage, ob Cops „Gewalttäter“ seien.
Was war geschehen?
Hintergrund der Debatte ist eine Adbusting-Aktion. Bei dieser Aktion wurden mit Logo der GdP ausgestattete in Schwarz-Weiß gehaltene Großformat-Poster in die Werbekasten an Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs rund um den Alex gehängt. Und weil die Polizei-Fans in der Medienlandschaft ihr Publikum für so blöd halten, dass dieses etwas für „wahr“ auffassen, nur weil es mit ganz viel guten Willen und einer ordentlichen Portion gutem Gras „offiziell“ aussehen könnte, landet die Aktion einschließlich des Slogans „Gewalttäter“ in Verbindung mit dem Polizeikongress in den Massenmedien.
Codes kapern
Die gekaperten Codes sind die scheinbar offizielle Nutzung der in den Werbekästen hängenden Poster, die Verwendung des Logos der GdP und die scheinbare Einnahme der Sprechposition der Polizei. Das Poster sagt nicht: „Cops sind Gewalttäter und das ist schlecht!“ sondern „Gewalttäter? Einer muss es ja machen“. Und kleiner abgesetzt dann der Sinnspruch: „Ohne staatlich bezahlte Gewalttäter gibt es leider auch keinen Rechtsstaat. Stehen Sie deshalb zu ihrer Polizei, wenn sie mal wieder mit ungerechtfertigter Kritik überzogen wird!“
Kommunikationsguerilla als defensive Taktik
Spätestens an der Formulierung dürfte der defensive Charakter der Aktion deutlich werden. Es wird keine offensive Kritik geäußert, sondern die Selbstdarstellung des Gegners gecovert und überzogen. Damit setzen die Chaot*innen, die die Aktion durchführten nicht auf die eigene Kraft, sondern auf die Kraft des Gegners, um sie ähnlich wie im Judo für sich selbst zu nutzen. Und die defensive Taktik scheint im Februar 2015 aufzugehen, denn die Demo ist nicht groß genug. Für andere Politikformen fehlt weiten Teilen der linksradikalen Szenen in Berlin das Know-How und die praktische Erfahrung. Aber die kleine Adbusting-Aktion vermiest den Organisator*innen des Kongresses, den dienstlich eingesetzten Schläger*innen und der angereisten Gewalttäter*innen-Schickeria wenigstens die uneingeschränkt positive Selbstdarstellung und hoffentlich auch die gute Laune.
Was Kommunikationsguerilla nicht kann
Der defensive Charakter der Taktik „Kommunikationsguerilla“ wird noch deutlicher, wenn man sich anschaut, was Kommunikationsguerilla nicht kann. Kommunikationsguerilla tut sich schwer mit dem dauerhaften Besetzen von Räumen. Eine Haus- oder Platzbesetzung ist ohne klare Akteure, ohne eine direkte Botschaft etc. schwer vorstellbar. Ein noch entscheidenderes Manko ist jedoch, dass ohne das Besetzen von Räumen das Entstehen antagonistischer Zusammenhänge schwer ist. Nicht umsonst heißt es, „jede Revolution beginnt mit einen Auflauf“. Das dafür notwendige Zusammenkommen von Leuten mit gemeinsamen Interessen, was ja Kern einer jeden Politik ist, kann Kommunikationsguerilla nicht gewährleisten.
Kommunikationsguerilla wirkt anders
Kommunikationsguerilla ist aus verschiedenen Gründen in ihrer Wirkung nicht mit herkömmlichen Aktionsformen wie z.b. Demos zu vergleichen. Für Demos braucht man immer eine Masse an Leuten als Demobilderfüllmaterial und eine Handvoll selbsternannter ObercheckerInnen, die vermeintlich den Plan haben und anschließend medienwirksam ihre als Kollektivmeinung inszenierte Privatmeinung ins Mikrofon onanieren können (Zitat Rudi Dutschke: „Vier organisieren, 1000 kommen“; 1968 voller Ernst und und ohne jede ironische Hierarchiekritik geäußert).
Weder Masse noch Volk
Kommunikationsguerilla braucht weder Masse, Volk, ein Proletariat oder andere angeblich revolutionäre Kollektivsubjekte, noch die CheckerInnen. Im Gegenteil: Die Taktik der direkten Aktionen machen bereits kleine Gruppe und Individuen gegenüber Herrschaftsübergriffen sehr handlungsfähig. Dies wirft in der gegenwärtigen Situation allerdings auch Probleme auf. Kommunikationsguerilla gibt dem Einzelnen relativ viel Gestaltungsmacht über den Alltag zurück, fordert die Betroffenen aber auch sehr. Ein Verstecken und untergehen in der Masse ist hier nicht möglich. Schnell bekommen Linke da Angst vor der eigenen Courage. Die Erfahrung, das Veränderungen möglich sind, verängstigt nicht nur die vermeintliche Gegenseite, sondern auch die angeblich eigenen Leute, die es sich in der linken Subkultur-Nische in Zeiten der Defensive eigentlich ganz bequem eingerichtet haben.
Gegen Appell-Politik...
Dies liegt auch am durch Kommunikationsguerilla regelmäßig produzierten unterschwelligen Bruch mit traditionellen Politikformen. Linke Aktionen beharren viel zu oft auf einer Politik der Appelle im Rahmen einer klassischen Stellvertretungspolitik. Mal abgesehen davon, dass die politischen Inhalte der meisten linke Demos ohnehin nur der eigenen Selbstvergewisserung zu dienen scheinen, beschränken sie sich auch regelmäßig darauf, an die jeweils „Herrschenden“ zu appellieren, doch bitte zu erwägen, die ein oder andere Sache etwas netter zu gestalten. Gegen Studiengebühren, gegen Abschiebung, gegen Repression – „die Herrschenden“ mögen doch bitte geneigt sein, sich das noch einmal zu überlegen. Selbst in der radikalen Variante („Wenn Räumung - dann Krawall“) kommt die Demo nicht über einen Appell mit anschließender (politisch eher platten) Machtdemonstration a la „guckt wie viele wir sind“ hinaus.
...und Stellvertretung
Darüber hinaus stärkt linke Politik intern regelmäßig den Stellvertretungsgedanken. Fast überall treten die Individuen gegenüber selbst konstruierten Kollektiven in den Hintergrund. Einfach machen ist in fast allen Gruppen nur für die Leute mit entsprechend viel szeneinternen Sozialprestige möglich. Alle anderen haben gefälligst erst das Plenum oder ähnliche Instanzen zu fragen. Und dann werden regelmäßig Verantwortlichkeiten an Personen delegiert. Klassisch gilt dies z.B. für die Pressekontakte, die eine Gruppe nach außen vertreten und darüber sehr viel Einfluss erhalten.
Anti-Politik?
Eine subversive, umstürzlerische, antagonistische Form der Politik ist in der Linken meistens nicht zu finden. So hofft man bei Wahlen gegen jede historische Erfahrung doch noch auf die jeweils angesagte Links- oder Protestpartei, lässt sich bei konkreten Protesten z.B. von .ausgestrahlt und anderen Teilen der Zivilgesellschaft kritiklos vereinnahmen, weil die angeblichen Sachzwänge angeblich alternativlos dazu zwingen würden. Belohnt wird dies mit Fahrtkostenerstattungen, schicken Räumen, Seminar-Finanzierungen, Projekttage, Pöstchen und der klassisch bildungsbürgerlichen Berufsperspektive im Apparat.
Politische Codes und semantische Syntax angreifen
Mit der zugrunde liegende Akzeptanz von Appell-Politik und Stellvertretung bricht Kommunikationsguerilla. Kommunikationsguerilla macht einfach. Kommunikationsguerilla fragt nicht höflich um Erlaubnis. Kommunikationsguerilla wird nicht angemeldet. Kommunikationsguerilla legt los und schafft im besten Fall Fakten, die die Durchsetzung von Herrschaft erschweren. Und Kommunikationsguerilla attackiert subtil die Codes politischer Repräsentanz der Stellvertretung. Beides lässt die FunktionsträgerInnen im demokratischem Regime regelmäßig blöd dastehen. Wer so eine Politik macht, kann es vergessen, noch unter den schützenden Mantel von RLS, Jusos, Grüne oder dem Attac-Ortsverein zu schlüpfen. Aber dafür bewegt sich vielleicht endlich was.
Die Absurdität von Kommunikationsguerilla-Gruppen
Allerdings ist es absurd, „Kommunikationsguerilla-Gruppen“ gründen zu wollen. Kommunikationsguerilla schafft keine Begegnungsräume, in denen Menschen sich über ihre Anliegen und Interessen und die Handlungsmöglichkeiten dazu austauschen können (das dürfte einer der Gründe sein, warum die tollkühnsten Kommunikationsguerilla-Aktionen regelmäßig von auf jeden kollektiven Bezugsrahmen scheißenden total individualisierten Kunst-Freagles gemacht werden (Über das Verhältnis von Kunst und Politik beim Adbusting). Emanzipatorische Politik definiert sich über Inhalte, nicht über Formen. Das auch Rechte Kommunikationsguerilla können, beweisen z.B. die deutschlandweiten Fake-Kampagnen von sogenannten „Asylkritikern“ im Winter 2015 oder das großflächige Covern von Plakaten der Grünen durch Nazis im Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt.
Kommunikationsguerilla als Ergänzung
Eine emanzipatorische Kraft kann Kommunikationsguerilla nur sein, wenn ganz normale vermeintlich langweilige inhaltlich arbeitende Gruppen sie als eine ergänzende Taktik zusätzlich zu dem, was sie bisher machen, in ihr Arsenal mit aufnehmen und zu ihren Inhalten nutzen. Wenn das allerdings gelingen würde, könnte trotz der Defensive, in der sich linksradikale Szenen gesellschaftlich befinden, ganz schön die Post abgehen, wie die obigen Möglichkeiten andeuten.
Mehr Infos:
(B) Adbusting-Aktion zum Polizeikongress 2016:
Mehr Kommunikationsguerilla-Analysen:
http://maqui.blogsport.eu/kommunikationsguerilla-analyse/
Theoretisches praktisch erklärt:
http://maqui.blogsport.eu/theoretisches-praktisch/
Über das Verhältnis von Kunst und Politik beim Adbusting:
http://maqui.blogsport.eu/2015/11/20/das-verhaeltnis-von-kunst-und-politik-beim-adbusting/
Ein Fake ist auch ein Weg.
Aber in Grenzen, sonst nutzt sich das Spiel auch irgendwann ab. Die schönste Kommunikationsguerilla entsteht ohnehin ungeplant. Wie man hier sehen kann.
Sticker
Defensiv.
Was passiert, wenn menschen versuchen, so etwas wie Kommunikationsguerilla offensiv einzusetzen, kann mensch hier sehen:
flugbereitschaft.de
Text nicht verstanden
Sorry, du hast den Text nicht verstanden.
Nur weil das Zentrum für Politische Schönheit viel Geld für Tiger hat, wird aus der gesellschaftlichen Siituation, in der die Tiger-Show stattfindet, keine Offensive.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, was das ZPS mit politischer Bewegung zu tun hat...
Der Kunst-Star Ruch ist eher mit den im letzten Absatz gemeinten Kunst-Freagles zu vergleichen.
Du kannst ihn ja mal fragen, wie er sich das mit der Soli-Arbeit zur Reichstagswiese denkt und ob er sich für die Datenbankeinträge des Demobilderfüllmaterials interessiert, das mit ihm auf dem Balkan unterwegs war.
Ich glaube fast niemand hat die Aktion verstanden
Das ZPS ist doch vollkommen bedeutungslos - in Worten Maos ein Papiertiger. Das ZPS macht sogar aus echten Tigern Papiertiger. Das ist der Witz. Eine Polemik auf eine ästhetisierte Linke, die das ZPS verkörpert wie sonst nichts. Mit der zur Schau Stellung ihrer Bedeutungslosigkeit formuliert das ZPS die letzte Kritik an der radikalen Linken. Diese kennt aber ihre Wurzeln zu wenig und bleibt davon unbeeindruckt. Sei's drum, es ist ja egal.