Ich werde häufig gefragt, was ich denn so den ganzen Tag mache - da oben in "meinem" Baumhaus. Nun, meistens bin ich nicht den ganzen Tag hier oben und erledige meine Dinge wie die meisten anderen auch - am Boden. Wenn es - wie jetzt - nötig ist, dass die Baumhäuser auch tagsüber besetzt sind, verlagert sich mein Alltag in die Baumkrone. Auch wenn mein Leben nach außen hin außergewöhnlich wirken mag und manche denken mögen, dass ich den ganzen Tag nur komische Sachen mache, verbringe ich meine Zeit überwiegend mit denselben "normalen" Dingen wie der Rest der Welt.
Gerade habe ich mir zum Beispiel etwas gekocht - auf einem Campinggaskocher, einem der nützlichsten Dinge, die sich hier oben befinden. Ich habe hier ein Regal mit Gewürzgläsern, Töpfen, einem Schneidebrett und allerlei Lebensmitteln, die ich überwiegend in Dosen und Gläsern verstaue, damit die Vögel und die Haselmaus (die gerade noch Winterschlaf hält) mir nicht alles wegfuttern. Das Baumhaus hat drei Plattformen, in der obersten verbringe ich den größten Teil meiner Zeit. Sie erinnert mich an die Verstecke, die wir als Kinder gebaut haben. Das Dach besteht aus Haselzweigen, die zu einer Kuppel gebogen sind und ist bedeckt mit bunten Decken, Stroh und Planen, damit es drinnen trocken und einigermaßen warm bleibt. An manchen Stellen guckt das Stroh aus den Wänden, wodurch der Raum wie ein gemütliches Nest wirkt. Vielleicht trägt das Baumhaus auch deshalb diesen Namen.
Fenster gibt es 
auch - ein großes und ein kleines, das man aufmachen kann. Durch diese 
Fenster kann ich morgens aus dem Bett heraus den Sonnenaufgang über den 
Baumwipfeln betrachten und tagsüber das Leben im Wald. Durch diese 
Fenster habe ich schon Kohlmeisen, Buntspechte, Gänse, Wildschweine und 
Rehe gesehen und manchmal Helikopter. Auch die gehören mit in das Bild 
von diesem Wald, genau wie die lauten Geräusche von den Maschinen, die 
nebenan die Autobahn aufreißen und das Rauschen, Stöhnen und Brummen aus
 dem Tagebau, das sich manchmal wie ein Klagelied anhört, das die Bagger
 singen, die dort jahrtausende alte Erdschichten abtragen. Wenn mal 
wieder ein paar dieser riesenhaften Maschinen gewartet werden, bin ich 
ganz irritiert von der Stille, die dann hier herrscht, weil ich mich 
schon so an diesen Lärm gewöhnt habe.
Ich habe schon viel Zeit
 in diesem Baum verbracht, seit ich vor 8 Monaten in den Hambacher Forst
 kam, um hier zu leben. Seit fast fünf Tagen bin ich mehr oder weniger 
durchgehend hier und verlasse den Baum nur, wenn ich eins der 
benachbarten Baumhäuser besuche oder nachts manchmal, um ein bisschen 
Bewegung am Boden zu kriegen.
Die Situation hier hat sich 
nämlich verändert, als sie am Montag in den Wald preschten, alle 
Barrikaden auf den Waldwegen räumten, einige Baumbesetzungen zerstörten 
und die Bäume, die wir mit diesen schützen wollten, fällten. Sie - das 
ist das Kuddelmuddel aus Polizei , dem Wachschutz von RWE und Menschen 
in großen Maschinen - Harvestern, Radladern und Kettensägen - Maschinen 
zum kaputtmachen und plattwalzen.
Zwölf Stunden - von sieben Uhr 
morgens bis sieben Uhr abends - standen bis zu zehn Cops bei mir unterm 
Baum. In der ersten Hälfte des Tages habe ich mit einer Räumung 
gerechnet und begann, mich auf diese vorzubereiten - Räumrucksack packen
 und Kraft sammeln für die nächsten Stunden, die auf keinen Fall die 
angenehmsten meiner Woche werden. Gegen Mittag erfuhr ich, dass die Cops
 nicht vorhaben, uns zu räumen. Was genau da im Wald passierte, wollten 
sie allerdings nicht verraten, jedenfalls schien es, als ob die 
Waldbesetzung und die Wiese umstellt worden wären, um uns daran zu 
hindern, ertwas gegen "Was auch immer die da machen" zu tun. Ich war den 
Rest dieser Belagerungszeit sehr aufgewühlt, Gefühle der Erleichterung 
über eine nicht stattfindende Räumung mischten sich mit der Nervosität 
darüber, was gerade im Wald passierte. Mit den Menschen in den 
benachbarten Bäumen hattte ich Kontakt über ein Funkgerät, wir tanzten 
gemeinsam auf unseren jeweiligen Balkonen, erlaubten uns hin und wieder 
ein Späßchen mit den Cops oder schwiegen zusammen, wenn uns Wut oder 
Ohnmacht über die Zerstörung um uns herum die Kraft für alles andere 
raubte. Und trotzdem fühlte ich mich isoliert. Erst als es vollständig 
dunkel war, hörten wr vielstimmiges Wolfsgeheul unter den Bäumen - 
Menschen, die kamen, um uns abzuholen - für uns daqs Zeichen, dass der 
Terror im Wald für diesen Tag sein Ende gefunden hatte.
Den 
bisher so vertrauten Wald erkannte ich auf meinem Weg zur Wiese kaum 
wieder. Die verwachsenen, mit Barrikaden bebauten Wege, auf denen ich 
mich bisher so sicher und wohl gefühlt hatte, waren breiten Waldstraßen 
gewichen, auf denen nun tagsüber die Polizei patroulliert. Nicht nur 
Barrikaden, auch andere Orientierungspunkte sind jetzt verschwunden, zum
 Beispiel eine Pfütze, die meine Lieblingspfütze wurde, weil ich dank 
ihr in der Dunkelheit nie den Eingang zum Brennesselfeld verpasste - 
eine Abkürzung zwischen Jesus Point und Wiese. Ich fühlte  mich wie 
blind, als ich diesen neuen, plattgewalzten Weg das erste Mal 
entlanglief - meine Sinne müssen sich jetzt an eine neue Umgebung und 
eine veränderte Situation gewöhnen. 
Die nächsten zwei Tage 
verbrachte ich wie gelähmt im Baum. In regelmäßigen Abständen fuhren 
Polizeibusse über die Waldwege. Die Bäume sind seitdem durchgängig 
besetzt, damit sie in unserer Abwesenheit nicht einfach so gefällt 
werden können. 
Sie haben uns den Wald weggenommen, den ersten Ort, 
an dem ich mich sicher und frei gefühlt habe und der für mich nicht mehr
 nur ein Ort des Widerstands sondern in den letzten Monaten zu so etwas 
wie meinem Zuhause geworden ist.
Auch den heutigen Tag habe ich 
in den Bäumen verbracht, zusammen mit den Menschen, mit denen ich 
momentan diese Baumstatdt besetzt halte. Von oben haben wir beobachtet, 
was im Wald gerade geschieht. Morgens wurden Barrikaden geräumt und 
Löcher gefüllt, die in der Nacht davor gebaut und gegraben wurden, 
nachmittags zog eine Wandergruppe Cops durch den Wald, die Blicke 
suchend auf den Boden gerichtet. Was die da wohl sammeln wollten? 
Vermutlich keine Blätter oder Zweige zum Basteln und Dekorieren oder 
Pilze, wie es Menschen, die im Wald spazieren gehen, normalerweise tun 
würden. 
Wir haben Pudding und Pfannkuchen gefuttert und auch 
Menschen gegrüßt, die durch den Wald spaziert sind, weil sie gerne hier 
sind und nicht, weil sie uns - die potenzielle Bedrohung - übverwachen 
wollen.
Ich versuche mir die Zeit hier oben angenehm zu 
gestalten, trotzdem stehe ich unter einer ständigen Anspannung. Jedes 
Motorrad, das ich höre, klingt für mich wie eine Kettensäge, jedes 
Knattern der Maschinen auf der Autobahn wie ein Helikopter, der den 
nächsten Großeinsatz ankündigt.
Mir ist wieder schmerzlich bewusst 
geworden, dass der Wald, in dem ich mich befinde, bedroht ist. Bedroht 
von profitgierigen Menschen, die auch den letzten Grashalm auf diesem 
Planeten ausreißen würden, um das wirtschaftliche Wachstum zu fördern, 
während sie das reale Wachstum in unserer Welt zerstören.
Ein 
jahrtausende alter Wald, der sogar Kriege überlebt hat, muss weichen für
 ein bisschen Strom, der überwiegend nicht in Nachttischlampen oder 
Kühlschränke fließt, sondern in seine eigene Produktion und die 
Produktion von Dingen, die wir nicht brauchen oder die Schaden anrichten
 - wie die xte Generation des IPhones oder Kriegswaffen. Ich bin nicht 
nur hier, weil ich diesen Baum oder den Wald im Allgemeinen vor dem 
Raubbau durch RWE schützen möchte, sondern weil ich das größere Bild vor
 Augen habe.
Wir richten durch unsere Lebensweise Schaden an, indem 
wir Menschen für ihre Arbeitskraft ausbeuten, Kriege befeuern und 
Lebensräume zerstören. Während wir hier in unserem selbstgeschaffenen 
Überfluss ertrinken, immer mehr Menschen krank und handlungsunfähig 
werden und an Burn Out und Depressionen leiden, weil sie dem Leistungs- 
und Konsumdruck nicht mehr standhalten, sterben in anderen Teilen auf 
der Welt Menschen an Unterernährung, fliehen vor Armnut, Krieg und 
Klimawandel - alles Dinge, die wir durch unsere Art zu leben, 
verursachen und unterstützen.
Ich will eingreifen, andere dazu 
bringen, ihr Denken und Handeln zu hinterfragen und mitentscheiden, wenn
 es darum geht, ob wir diesen Planeten erhalten oder zerstören wollen. 
Damit auf der Erde Überleben möglich ist, brauchen wir auch 
funktionierende Ökosysteme. Die Natur lässt sich nicht mit Strom 
künstlich betreiben oder mit Geld zurückkaufen. Wenn wir sie zerstören, 
zerstören wir auch uns. Dieser Erkenntnis werden wir fürher oder später 
hilflos gegenüber stehen, wenn wir nicht jetzt anfangen, radikal zu 
verändern, wie wir leben und anderes Leben beeinflussen.
Wir spüren 
die Konsequenzen,. die unser bisheriger Umgang mit der Welt hervorruft, 
noch nicht. Wir erahnen sie nur, wenn im Winter der Schnee ausbleibt, 
die Preise steigen und wir in den Nachrichten immer öfter von Krieg, 
Katastrophen und Korruption lesen. Aber uns rennt die Zeit davon, für 
vieles auf der Welt ist es bald zu spät, um gerettet zu werden.
Ich 
werde auch morgen hier sein, in diesem Wald und auch die Tage danach, um
 mich in den Weg zu stellen, wenn wieder Bäume gefällt und Lebensräume 
zerstört werden sollen, um einen Teil des riesigen, zerstörerischen 
Getriebes am Laufen zu halten. 
Wenn ich also gefragt werde, was 
ich denn so den ganzen Tag da oben in "meinem" Baumhaus mache, dann 
lautet die Antwort: Ich denke nach über Ideen, deren Umsetzung die Welt 
ein kleines bisschen weniger scheiße machen könnte und ich warte - auf 
den richtigen Moment, um diese Ideen umsetzen zu können. 
Wenn ich 
jetzt zu einem der benachbarten Baumhäuser schaue, das mit Kerzenlicht 
beleuchtet ist, bin ich ganz bewusst dankbar für und stolz auf die 
Menschen, die mit mir hier sind.
 
Jedes Herz ist eine revolutionäre 
Zelle. Mein Herz ist jetzt gerade bei diesem Wald und bei den Menschen, 
die ihn mit mir verteidigen.






sehr warmherziger text
wahrlich angenehm zu lesen, schön und irgendwie aber auch verloren zugleich.
Tausend gute Wünsche zum durchhalten aus , ja ... , bequemlicher Ferne ... Menschen wie ihr seid das genaue Pedant zu zu diesem ganzen nationalchauvinistischem Drecksgesindel, was sich derzeit an der an die Wand gemalten Überfremdung abarbeitet.
Die wollen garnicht wissen, wie scheisse es mittlerweile um unseren Planeten steht, sondern nur siegen oder sterben ...
Wünsche Dir / Euch jedenfalls jede Menge Energie !
Der Begriff
"warmherzig" trifft es genau. Er war mir zum obigen Bericht leider nicht eingefallen. Danke.
Und danke für die Ein- und Rausblicke in und um den "Kampf" um die Lebensgrundlagen. Nur Menschen scheinen so dumm zu sein, an dem Ast zu sägen, auf dem sie sitzen. Leider nehmen sie dabei nicht nur sich selbst, die Menschheit, mit in den Abgrund, sondern auch die ganz unschuldigen Lebewesen.
Die Erde ist nun mal nur ein riesiges, aber sehr begrenztes, Biotop. Alles ist miteinander und voneinander abhängig. Es kommt keine Frischluft von "aussen", kein Frischwasser oder fruchtbarer Ackerboden. Die Regeneration der natürlichen Ressourcen hängt schon lange hinter der Gier und der Verschwendung der Menschen hinterher. Die Menschen sind ganz offensichtlich nicht in der Lage, diese Diskrepanz mittels Technologien auszugleichen. Der immer schneller werdende Schwund der Artenvielfalt belegt das. Ob die Ozeane aussterben, ob die Wälder immer weniger werden und die Atemluft immer vergifteter oder das Trinkwasser immer knapper - die Menschen scheinen nicht zu begreifen - und fliegen mit Dreckschleudern weiter zum Spaß um die halbe Welt "in Urlaub".
Der Planet Erde wird sich auch noch in Jahrtausenden durchs Universum bewegen, ob mit Leben auf seiner Oberfläche, oder ohne.
"Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann!" - Weissagung der Cree
Danke euch, die ihr aktiv um die Erhaltung der Natur kämpft. Wenn ich euch schon nicht mehr körperlich zur Seite sein kann, so bin ich solidarisch im Herzen an eurer Seite. Meine "Mitmenschen" drangsaliere ich täglich mit diesen Gedanken.
Viel Kraft und Ausdauer wünsche ich euch. Bleibt gesund und passt auf euch auf.