[Suhl] Redebeitrag und Einschätzung der Antifa Suhl/Zella-Mehlis zu den jüngsten Ausschreitungen im Suhler Erstaufnahmelager

Zerstörte Wache nach Eskalation im Flüchtlingsheim in Suhl

Am Donnerstag, den 20. August 2015 nahmen ca. 400-500 Neonazis die jüngsten Ausschreitungen auf dem Friedberg in Suhl zum Anlass um für die Schließung des Lagers und die Abschiebung der Bewohner zu demonstrieren. Dagegen protestierten ca. 100 Nazigegner (Bericht folgt). Auch wir haben uns am Protest beteiligt, u.a. mit einem Redebeitrag, der den Auslöser der Ausschreitungen und ein gern beschwiegenes Problem zum Thema macht.

 

Am gestrigen Mittwochabend hat im Erstaufnahmelager auf dem Friedberg eine Minderheit der Heimbewohner einen Ausnahmezustand herbeigeführt. Während der Auseinandersetzung wurden 15 Menschen, zum Teil mit Stichwunden, verletzt und Teile des Lagers verwüstet. Die Nazis um Tommy Frenck berichteten währenddessen feixend von den Entwicklungen. Ihnen kam es aus mehreren Gründen gelegen, dass die Bewohner ihre eigene Unterkunft zerlegen. Die angespannte Stimmung in der Bevölkerung drohte längst endgültig zugunsten der Nazis zu kippen. Zahlreiche Menschen, die bisher gehemmt blieben und sich von Naziaufmärschen fern hielten, werden heute zum offenen Menschenhass überlaufen. Die Nazis zementieren damit in bestimmten Bevölkerungskreisen das Bild, dass die Bundesrepublik Deutschland sich das Problem des Islamismus aus dem Nahen Osten importiert habe.

 

Allen, die jetzt darauf nichts zu antworten wissen, als das hilflose, all das habe mit dem Islam nichts zu tun, den wollen wir an dieser Stelle widersprechen. Wenn die übereinstimmenden Berichte zutreffen, dann nahmen die Ausschreitungen ihren Ausgang in der Schmähung des Koran durch einen Lagerbewohner und der Reaktion eines islamistisch motivierten Mobs, der den „Ungläubigen“ zur Rechenschaft ziehen wollte. Dieser flüchtete sich in das Büro des Wachpersonals, das daraufhin geradezu gestürmt wurde. Während der stundenlangen Auseinandersetzung auf dem Friedberg waren durchgängig „Allahu akbar“ – „Gott ist groß“ – Rufe zu hören. Sicher ist die bedrückende Situation im völlig überbelegten Lager, die Traumatisierung vieler Bewohner und nicht zuletzt die andauernde Hetze deutscher Rassisten, die an den Flüchtlingen nicht spurlos vorüber geht, ein Grund, warum es vor Ort immer wieder zu Spannungen und Auseinandersetzungen unter den Bewohnern und mit der Polizei und dem Wachpersonal kommt. Am gestrigen Abend kam eindrücklich ein weiterer Punkt hinzu: es ist der politische Islam, eine reaktionäre Ideologie, die eine Minderheit der aktuellen Bewohner des Erstaufnahmelagers mitgebracht hat und der sich die Mehrheit nicht widersetzt hat. Die Lösung, die beispielsweise Ministerpräsident Ramelow anvisiert, nämlich die Trennung nach Ethnien, geht an diesem Problem vorbei. Es ist ein Problem, das zwischen säkularen und religiösen Muslimen aus Syrien jederzeit auftreten kann und dem man sich in anderer Weise annehmen muss, als durch Verharmlosung, Ignoranz oder sogar Abschiebung. Die Tatsache, dass Flüchtlinge reaktionäre Ideologien mitbringen, übersteigt zu oft die Vorstellungskraft zivilgesellschaftlicher Optimisten, deren Bild vom Flüchtling irgendwo zwischen „edlem Wilden“ und besserem Untertan schwankt. Die Auswüchse des politischen Islam können wir in Syrien und dem Irak beobachten. Dort vernichten islamistische Mörderbanden, unterstützt durch die islamistische Regierung der Türkei, alles was sich ihnen in den Weg stellt. Die einzige Kraft in der Region, die dem Islamischen Staat die Stirn bietet, sind kurdische Kämpferinnen und Kämpfer, die u.a. in Südkurdistan durch den NATO-Staat Türkei bombardiert werden. Der politische Islam ist nun kein Alleinstellungsmerkmal des Islamischen Staates, sondern Bestandteil der Ideologie nicht weniger Menschen, die vor den Kriegsfolgen fliehen. Er steht für ein totalitäres Gesellschaftsmodell, das alle Lebensäußerungen der jeweiligen Auslegung des Koran unterordnet und damit in Frontstellung gegen den westlichen, säkularen Verfassungsstaat, gegen die sexuelle und politische Selbstbestimmung und damit gegen jede Bewegung, die die zerstörerische kapitalistische Weltordnung zur sozialistischen Weltgesellschaft revolutionieren will, statt sie ins Mittelalter zurückzuwerfen. Der politische Islam muss als reaktionäre Ideologie demaskiert und kritisiert werden, auch wenn die menschenwürdige Unterbringung und der Kampf gegen Faschisten den antirassistisch Engagierten derzeit andere Prioritäten aufnötigt.

 

Deswegen steht auf unserem Transparent seit dem ersten SÜGIDA-Aufmarsch in Suhl: „Gegen Islamismus und Faschismus“. Weil der Islam dort, wo er keine private Marotte, wie hierzulande vielerorts der christliche Glaube, ist; dort, wo er eine politische Ideologie darstellt, ein Problem für die fortschrittlichen Kräfte in der Gesellschaft ist. Das schließt die Nazis selbstverständlich aus, die mit einer Mischung aus Verachtung und Neid auf den Islamismus schauen, deren Ideal von der Volksgemeinschaft dem vom Islamischen Staat gar nicht so verschieden ist. Nicht zufällig arbeiteten Adolf Hitler und der Mufti von Jerusalem zusammen und schätzten einander. Brückenpfeiler und Bindeglied von Islamismus und Faschismus sind der Antisemitismus, die Projektion allen Weltübels auf das Judentum.

 

Den Islamisten, die bei jeder Schmähung ihrer Religion an die Decke gehen, ähneln unter den Biodeutschen die Nazis, deren Opium nicht die Zugehörigkeit zur Umma (islamische Weltgemeinschaft) ist, sondern die Zugehörigkeit zum deutschen Volk. Während die Islamisten die Welt von den „Ungläubigen“ säubern wollen, haben es die Nazis auf „Volksschädlinge“ abgesehen, das sind wahlweise Ausländer, Obdachlose, Homosexuelle, Juden und andere Gruppen. Beide Ideologien, Islamismus und Faschismus, sind mitunter ein Produkt kapitalistischer Vergesellschaftung, der Überflüssigmachung und Vereinzelung großer Teile der Bevölkerung und der daraus resultierenden Identitätskrise politökonomisch konstituierter Subjekte. Unter den rassistischen Biodeutschen macht sich die Angst geltend, sich demnächst selber ins Heer der Mittellosen und Nutzlosen einreihen zu müssen, die kein Sozialstaat und kein Mindestlohn mehr über Wasser hält. Deswegen geilen sich die Nazis um Tommy Frenck an Schauergeschichten und dem diese bestätigenden Bildmaterial auf. Wenn sich die Asylbewerber nicht benehmen, hat man immerhin einen Grund mehr, ihre Ausweisung oder Tötung zu fordern, ohne direkt eingestehen zu müssen, dass man sie eigentlich um mindestens zweierlei beneidet: ein leistungsloses Auskommen und die Gemeinschaft (Umma), die sie selbst dann noch bereit sind zu verteidigen, nachdem sie vor ihren Auswüchsen geflohen waren.

 

Wir dürfen uns nicht die Illusion machen, die Konflikte im Nahen Osten hätten mit der hiesigen Gesellschaft nichts zu tun und schon gar nicht darf dem Drängen der Faschisten nachgegeben werden, die das Problem durch Abschiebung und Grenzsicherung in den Griff bekommen wollen. Das Drängen auf die Aufnahme von Flüchtlingen und menschenwürdige, dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen bleibt daher das Gebot der Stunde. Darüber hinaus ist es aber politisch geboten, für die säkularen Muslime genauso Partei zu nehmen wie für den Kampf gegen reaktionäre Ideologie, also gegen Islamismus und Faschismus, sowie für die Solidarität mit den fortschrittlichen Kräften im Nahen Osten, die Menschen Schutz bieten können vor islamistischen Mörderbanden und das sind Teile der Kurden und Israel!

 

http://www.agst.afaction.info

https://www.fb.com/agst.afaction

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Eine Einschätzung der Situation, die sich nicht an die Meinung der bürgerlichen Medien klammert, finde ich näher an der Realität.

Diese verlinkte "Einschätzung" fängt an mit:

Im Moment wird im imperialistischen Deutschland die Angst geschürt, die Profite, die aus den unterdrückten Nationen heraus gequetscht werden, zu Bruchteilen für Flüchtlinge aus eben diesen Ländern, denen dort die Lebensgrundlage entzogen wurde, aufwenden zu müssen.

Ganz klar, die deutschen Konzerne bereichern sich ja unglaublich an der Unterdrückung und Ausquetschung von Syrien, Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan. Darüber, daß ein religiös aufgeladener Mob stundenlang randaliert hat, und versucht hat einen anderen Refugee zu lynchen, nur weil es Streit um ein paar Seiten Papier aus einem angeblich heiligen Buch gab, steht dort dafür nicht.

 

Genau solche Blindheit ist es, die eine ernsthafte und hilfreiche Arbeit für Flüchtlinge schwerer macht.

Der zitierte Satz von der Seite "Dem Volke dienen" ist zugegebenermaßen ein wenig holzschnittartig. Jedoch ist es doch grundsätzlich richtig, dass die westlichen, in der klassischen Diktion "imperialistischen", Staaten ein Weltsystem aufrecht erhalten, von dem sie profitieren und das andere Weltregionen in Armut und Abhängigkeit hält. (Wobei es mittlerweile auch andere mächtige Akteure gibt, die ebenfalls imperialistische Politik betreiben - China, Russland, Iran etc.) Ob man nun in Syrien, Irak etc. Machenschaften deutscher Konzerne ausfindig machen kann oder nicht, spielt für diese Analyse insofern keine Rolle, als Deutschland durch Militärbündisse, Wirtschaftsverflechtungen etc. so oder so in das imperialistische System eingebunden und damit für dessen verheerenden Wirkungen beispielsweise auf den Nahen Osten mit verantwortlich ist. Tatsächlich spielt dieser Aspekt in der ansonsten brauchbaren Analyse der Suhler Antifa keine Rolle.

Umgekehrt geht der Text von "Dem Volke dienen" gar nicht auf die konkreten Vorfälle in Suhl ein und ignoriert die Berichte über die islamistischen Übergriffe komplett. Wenn man den diesbezüglichen Berichten der bürgerlichen Lügenpresse nicht glaubt, wie es bei dem vorletzten Kommentatoren der Fall zu sein scheint, dann müsste man schon eigenen Recherchen anstellen und aufzeigen, wie es wirklich zu den Ausschreitungen gekommen ist. Andernfalls scheint es doch so, dass man bestimmte Aspekte der Wirklichkeit, die nicht zum eigenen Weltbild passen, einfach ausblenden will.

Wie ich den verlinkten Artikel lese, ist es bei der Situation in Suhl nicht relevant, was denn die Ursache war, die das Fass zum überlaufen gebracht hat.
Wenn man verzweifelte und mittellose Menschen in dieser Anzahl in so engem Raum eingeschlossen sind, dann wird es früher oder später zu solchen Auseinandersetzungen kommen.
Tut es auch regelmässig in Flüchtlingsunterkünften überall in Deutschland.
Ob jetzt der Streit wegen Religionsstreitigkeiten oder anderen Widersprüchen, die natürlich auch unter den Flüchtlingen bestehen, eskaliert ist, ändert die Sache nicht, und ist lediglich ein weiterer Aufhänger der bürgerlichen Presse, die Flüchtlinge gegeneinander auszuspielen.

Die Besonderheit in Suhl ist, dass nach der Einmischung des Staates die Flüchtlinge zusammen gegen diesen gekämpft haben.


Die generelle Einschätzung der Antifa Suhl, das Problem der Differenzen unter Flüchtlingen angehend, ist durchaus brauchbar.


Dass vom Kommentator zuvor einfach nur weder Imperialismus, noch die Handlungen des deutschen Staates begriffen wurde, darin stimme ich dem Vorposter zu.

!