In Essen-Frintrop fand gestern ein Vernetzungstreffen ‚besorgter Burger‘ statt. ‚Besorgte Bürger‘ sind hier, wie faktisch überall sonst im Deutschland, nichts als ein Konglomerat von rechtsradikalen Menschen, die sich nicht als Rechtsradikale sehen wollen und Rechtsradikalen, die zuliebe dieser faschistoiden Naiven mit jedweden Selbstbezeichnungen allzu gerne sparsam umgehen. Als Anlass wählte man primär die angebliche Vergewaltigung eines 14-jährigen Mädchens durch einen albanischen Bewohner der Frintroper Unterkunft, deren Stattfinden mittlerweile widerlegt ist. Binnen kürzester Zeit kam es zu Eskalationen und Gewaltverbrechen.
Die Veranstaltung wurde öffentlich (unter anderem in der Facebook-Gruppe ‚Essen hintergeht Essener‘) angekündigt, woraufhin einige dutzend „Asylkritiker“ sofortig ihre Sympathien und ihren Teilnahmewillen bekundeten. Ihre politische Forderung, wenn auch relativ gemäßigt und beinahe verfassungskonform formuliert, war bereits im Vorfeld als das Ertrinkenlassen von Flüchtenden und (politisches) Vorgehen gegen Geflüchtete identifizierbar.
Schon vor der vereinbarten Uhrzeit, Punkt 17.00 Uhr, finden sich vor der Gaststätte Wienert erste Teilnehmer, vorwiegend Menschen mit (u.A. nach Paragraph 86a verbotener) Nazisymbolik auf der Kleidung und teilweise unter die Haut gestochen, ein. Sie beginnen damit Parolen zu rufen und Bier zu trinken. Auch einige zivile Sympathisanten gesellen sich dazu und stoßen mit an. „Wer Deutschland nicht liebt soll Deutschland verlassen“, schallt es aus aller Munde und die Kameraden scheinen recht glücklich, mal wieder ausschließlich unter ihresgleichen zu sein. Trotz des unmissverständlich formulierten Aufrufes und der Rhetorik des „Besorgtseins“ der Bürger – über welche schon diverse überregionale Zeitungen berichteten und sogar die Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses Berlin, Anja Schillhanek, sich unlängst auf twitter ausließ – ist nämlich keinerlei Polizei zugegen, während der Ansturm immer größer und das Geschrei immer trunkener wird. Auch der zu erwartende Gegenprotest lässt auf sich warten. Zur Beobachtung waren Max Adelmann (Sprecher des Bündnis ‚Essen stellt sich quer‘), zwei Politiker und eine Journalistin anwesend. Der unterrepräsentierte ‚Feind‘ wird dennoch schnell identifiziert: An seiner Weigerung, in den Sprechchor mit einzustimmen. Wer sich abseits des Mobs befindet, hat mich Schmähungen zu rechnen.
Die Artikelautorin und Grünen-Stadtrat Walter Wandtke werden beim jeweils eher kurzen Versuch das Geschehen bildlich zu dokumentieren vielfach beleidigt und schlussendlich sogar körperlich angegangen. Die Artikelautorin wird von mehreren Menschen in die Mitte der mäßig befahrenen Kreuzung geschubst und dabei mit unschönen, sexistischen Beleidigungen angesprochen; ihm schlägt man sein Mobiltelefon und seine Geldbörse aus der Hand, woraufhin er sich bald – sichtlich verstört – auf die gegenüberliegende Straßenseite begibt, von dort aus noch hübschere Aufnahmen machen zu können. (An dieser Stelle, einmal vollkommen unsachlich: Chapeau!)
Während Aufmerksamkeit und Augen aller ‚Besorgten‘, freilich nicht gerade besorgt, sondern viel eher spottend, noch auf Wandtke gerichtet sind, nutzt ein junger Neonazi die Gelegenheit, dem zufällig vorbei spazierenden Christian H. aus Wuppertal eine Ladung Tränengas direkt ins Auge zu sprühen. Der junge Mann flüchtet sich in die Toilette einer Eisdiele gegenüber, um sich auf der Toilette die Augen auszuwaschen. Die Eisverkäuferin bemerkt: „Ich bin älter als der Durchschnitt da drüben, und somit auch schon länger hier. Und die kamen an und meinten, ich solle nach hause gehen.“ Nicht, dass das irgendetwas auszusagen hätte, aber: „Meine Kenntnisse der deutschen Sprache sind auch nicht schlechter als deren.“
Drei ebenfalls zufällig passierende Jungen (Alter 9-13) beobachten den Vorfall und beabsichtigen partout nicht weiterzugehen. Als Helden des Abends fordern sie Umstehende dazu auf die Polizei zu verständigen. Die Polizei wird verständigt, die ‚besorgten Bürger‘ singen. Ein gutbeleibter älterer Herr mit starker Bierfahne, welcher sich schon durch sein Outfit positioniert, zeigt auf die zivil-ausschauenden Unbeteiligten vor der Eisdiele; „Seht mal, das ist die Antifa“, spricht’s. „Das dort sind die, die am ersten Mai hier die Autos Eurer Eltern anzünden.“ Die Kinder geben sich unbeeindruckt: „Sollte man nicht auch noch einen Krankenwagen rufen?“, wenden sie sich an ruhrbarone.
Nach und nach entwickelt sich so etwas wie eine angemessene Polizeipräsenz – etwas zu spät leider. Laut Bekunden der drei Jungen, ist der Angreifer auf Christian H. bereits getürmt, und der andere hat sich augenscheinlich in Luft aufgelöst. Die Artikelautorin wird, während sie mit der Polizei redet, genau dafür beleidigt. Ein Beamter bittet darum, den dematerialisierten Gewalttäter wieder ausfindig zu machen, während die eigentliche Veranstaltung in dem Etablissement erst beginnt; das Mikrofon wird gerade eingestellt. Beim Versuch sich umzusehen, fallen weitere Beschimpfungen in Richtung der Artikelautorin. Zwei andere Polizisten bitten die Presse darum, sich ganz einfach zu entfernen: „Das war ja mit Ansage“ und: „Sie wissen ja, dass Sie hier nicht erwünscht sind.“ Auf Nachfrage wird versichtert: „Nachher müssen wir Sie noch daraus retten. Keine Lust, Zeit zu gehen!“ Die drei Schüler werden nicht weggeschickt. Verängstigst, aber interessiert stehen sie mittig zwischen den Polizeiautos und der noch immer dicht belagerten Eingangstür der Gaststätte Wienert. „Und wir dachten, Du gibst uns noch ein Eis aus“, verabschieden sie Ruhrbarone. Die Artikelautorin weiß, wer nun später Feuerwehrmann, Fußballprofi oder Rockstar werden will. (Noch einmal unsachlich: Ätsch.)
Im Anschluss an das Treffen findet spontan eine Demonstration statt. Eine Teilnehmerzahl von bis zu 100 Personen wird geschätzt, wovon mehr als die Hälfte sogar nach normalen besorgten Bürgern aussieht. „Wir wollen keine Asylantenschweine“ krakelt es. Ein Kioskbesitzer schließt spontan seinen Laden, nachdem er den sich nähernden Mob bemerkt. Weil die Route, wie es eben so üblich ist, per Polizeibeschluss nicht an der Flüchtlingsunterkunft vorbeiführen darf, wurde es einem Großteil der Teilnehmer bald zu langweilig und die Abendgesellschaft löst sich allmählich auf. Man will in Kontakt bleiben.
Nachspiel: In der Facebook-Gruppe ‚Stadt Essen hintergeht Essener‘ wird wild darüber spekuliert, was der – in der Tat fehlerhafte – WAZ-Artikel zur Veranstaltung ihnen, den Besorgten überhaupt sagen wollte, was die Lügenpresse gefrühstückt habe und warum Sanitäter und Polizeibeamte überhaupt vor Ort gewesen wären. Von den oben geschilderten Vorfällen will niemand etwas gewusst haben.
Das Bündnis Essen stellt sich quer indes fragt sich in ihrer Stellungnahme, warum die Polizei nicht von Beginn an anwesend war. Eine mögliche Ausrede wird jedoch mundgerecht mitserviert: „Lage falsch eingeschätzt?“ überlegen sie gnädig. Dass die Polizei in gesamt NRW die Machenschaften der ansässigen Rechten kein bisschen im Blick, sondern diesen Aufgabenbereich geradezu vollständig an derartige Bündnisse outgesourct hat, will man noch immer nicht wahrhaben. Sollte diese Einsicht demnächst kommen, könnte man genauere Rahmenbedingungen hierfür demnächst ja mal in der Gaststätte Wienert vereinbaren.
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