Die Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz und ihr Mann Volkmar Wölk decken rechtsextreme Netzwerke auf
Von Andreas Debski
 Grimma. "Wir sind besser informiert als der sächsische 
Verfassungsschutz." Das sitzt. Das ist eine klare Ansage. Kerstin Köditz
 mag klare Ansagen. Vielleicht hat sie sich gerade deshalb als 
Stehauffrau der Linken profilieren können - seit 2001 im Landtag, musste
 sich die Grimmaerin (Kreis Leipzig) nicht nur manchen hämischen 
Kommentar der Konkurrenz anhören, sondern auch innerhalb ihrer Partei 
immer wieder gegen Alt- und Realo-Vertreter wehren. Bislang mit Erfolg. 
Sie hat alle politischen Ränke überlebt.
 Das liegt vermutlich daran, dass Kerstin Köditz diese Kämpfe mag, 
genauso, wie sie den Zigarettenqualm inhaliert, um zu genießen. Und wenn
 die Vize-Vorsitzende des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses 
behauptet, besser als der Inlandsgeheimdienst informiert zu sein, sollte
 man genau hinhören. "Wir schauen ganzheitlich, analysieren im Sinne von
 Vernetzungen, nicht nur Einzelfälle betrachtend", erklärt Kerstin 
Köditz, die sich mit ihrem Ehemann Volkmar Wölk seit fast zwei 
Jahrzehnten den Ruf als Neonazi-Jäger erarbeitet hat, "und das ganz ohne
 nachrichtendienstliche Mittel, allein mit Hilfe öffentlich zugängiger 
Quellen." Binnen weniger Minuten ist dies bereits die zweite schallende 
Ohrfeige für die sächsischen Schlapphüte. Sie kann einfach nicht anders.
Es ist eine Melange aus linkem Gewissen und erbitterter Streiterin, das 
sich in einem geduckten Grimmaer Fachwerkhaus, eingerahmt von einem 
Archiv aus fast 5000 Büchern zum Thema Rechtsextremismus, ausbreitet. In
 einer Atmosphäre, die zwischen Schwarzkaffee und Aschenbecher 
oszilliert. Hier, im Schatten des historischen Marktes, werden in ihrem 
heimatlichen Abgeordnetenbüro die Strategien der Neuen Rechten und deren
 schlagender Straßenkämpfer analysiert. Auf abgewetztem Ikea-Holz 
stapeln sich Magazine wie "Volk in Bewegung", "Die Aula" oder "Magazin 
für die Freie Welt" - Sprachrohre der extremen Rechten. Hinzu kommen 
Flyer und Fanzines, die von Neonazis unter der Hand gedruckt werden, und
 kiloweise Material aus dem Internet. 
 "Wir versuchen, möglichst alles zu bekommen, denn nur so lassen sich 
Strukturen und personelle Konstanten erkennen. Das braucht Zeit, und 
diese Zeit nehmen wir uns", sagt Kerstin Köditz, und immer, wenn die 
48-Jährige vom Wir spricht, hellt sich ihre Stimme auf. Denn Kerstin 
Köditz, die Sprecherin für antifaschistische Politik in der 
Linken-Fraktion, ist ohne ihren Mann Volkmar Wölk kaum noch zu denken. 
Seit 2000 ein Paar und seit dem vergangenen Jahr verheiratet, verkörpern
 die beiden so etwas wie gleichermaßen Herz und Hirn des 
informiert-aufgeklärten Antifaschismus in Sachsen. Ein Engagement, das 
inzwischen von vielen - und selbst vom Landeskriminalamt, das schon mal 
bei ihnen nachfragt - goutiert wird.
 Lange Jahre galt die 1,50 Meter große Frau, die auch für ihren 
wallenden schwarzen Kleidungsstil bekannt ist, in Dresden als reine 
Nerverin. Als jemand, der poltert und ätzt. So ist die 
Linken-Abgeordnete beispielsweise unangefochtene Spitzenreiterin bei den
 Kleinen Anfragen im Landtag: In der vergangenen Legislatur brachte sie 
es auf 919 Drucksachen, die von verschiedenen Ministerien, bevorzugt vom
 Innenminister, zu beantworten waren; in der Wahlperiode zuvor waren es 
702. Darunter sind viele jahres- und monatsweise Anfragen zu Aktivitäten
 der extremen Rechten, Straftaten aus dem Bereich der politisch 
motivierten Kriminalität sowie zu antisemitischen und rassistischen 
Vorfällen. Im Innenministerium hat man sich inzwischen an den 
Köditz-Rhythmus gewöhnt, milde lächelnd darauf eingestellt. Selbst in 
der Regierungsfraktion CDU wird die Kärrnerarbeit des Duos mittlerweile 
honoriert, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. 
Eine Anerkennung, die die Grimmaerin durchaus zu schätzen weiß: "Ich 
stelle fest, dass man mir immer häufiger zuhört, zunehmend Feindbilder 
fallen. Das empfinde ich schon als Wertschätzung." So war zuletzt, bei 
der Einsetzung des neuen NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag, ein 
wohlwollendes Murmeln zu vernehmen, als Kerstin Köditz, die 
Nachwende-Philosophin und Katzenliebhaberin, am Rednerpult stand - die 
Poltererin brillierte als Rhetorikerin. "Ich überrasche gern. Und ich 
habe auch verstanden, dass es nicht unbedingt immer der Säbel sein muss,
 auch das Florett kann gut sein", sagt die wortgewaltige Linken-Frau, 
die eine neue Sachlichkeit formulieren will. 
 Davon bleiben ihre klaren Ansagen allerdings unberührt. "Der Freistaat 
Sachsen muss sich endlich zu seinem Rechtsextremismus-Problem bekennen, 
das viele immer noch nicht wahrhaben wollen", redet sich die 48-Jährige 
dann doch in Rage, "denn nur wenn man sich bekennt, lässt sich etwas 
dagegen tun und ändern." 
 Das umfangreiche Archiv ist öffentlich zugänglich und während der  
Sprechzeiten des Bürgerbüros (Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr) 
nutzbar.  Anmeldungen und nähere Informationen unter Telefon 03437 
919627.
... Neonazi-Kameradschaften: Die bekannten Kameradschaften sind nicht verschwunden - es gibt nur neue Formen in den Strukturen, oftmals mit personeller Kontinuität in der Führung. Die Organisation verzichtet zum großen Teil auf Organisation, will möglichst wenig Struktur haben. Gerade im ländlichen Raum haben solche eher losen Verbindungen starken Zulauf.
 ... Pegida/Legida: Eine verhängnisvolle Entwicklung. Die einen 
formulieren die bis zum Hass reichende Ablehnung - die anderen, die 
Neonazi-Schläger, fühlen sich dadurch bestärkt und setzen die Parolen in
 Gewalt um. Der Alltagsrassimus wird immer noch unterschätzt, dabei geht
 von ihm eine sehr große Gefahr aus.
 ... den Verfassungsschutz: Die Analysefähigkeit der Ermittler in
 Sachsen muss endlich gestärkt werden. Viele Fälle werden einzeln 
betrachtet, ohne dass Strukturen erkannt werden können. Die Behörden 
unterschätzen die Gefahr des Rechtsterrors und des Rechtsextremismus 
seit Jahren. 
 ... die Terrorgruppe OSS: Spätestens seit dem NSU war klar, dass
 es terroristische Konzepte in der rechtsextremen Szene gibt. Doch es 
erfolgte kein Umdenken in den Sicherheitsbehörden. Wohin das unter 
anderem führen kann, ist jetzt an den Anschlägen auf 
Flüchtlingsunterkünfte zu sehen. Der OSS ist letztlich nur aufgeflogen, 
weil sich die Gruppe so trottelig angestellt hat. 
 ... Linksextremismus: Dieser darf nicht mit Rechtsextremismus 
gleichgestellt werden - der Ursprung liegt nicht in einer Gesinnung, die
 Menschen aufgrund von äußerlichen Merkmalen, wegen des Geschlechts, der
 sexuellen Orientierung oder der Religion ablehnt und verfolgt. 
 ... SED/PDS: Ich bin 1989 eingetreten, weil ich die Illusion 
hatte, von Innen heraus etwas ändern zu können, ich wollte einen 
Übergang zu neuen Strukturen.  ski
