Freital liegt in Sachsen

Refugees Welcome
Anfang März wurde in Freital das Hotel Leonardo als Asylsuchendenunterkunft eröffnet. Bereits im Vorfeld organisierte sich die “Bürgerinitiative” Freital wehrt sich – Nein zum Heim. Seitdem fanden wöchentliche Demonstrationen statt und es gab Angriffe mit Böllern und Steinen auf die Unterkunft, sowie Pöbeleien. Seit knapp einer Woche ist Freital eine Außenstelle der Erstaufnahme in Chemnitz. Angeblich wurde der Freitaler Bürgermeister eine Woche vorher informiert, der kann sich allerdings an nichts mehr erinnern. Trotz monatelanger Proteste, mehrerer Angriffe und dem öffentlichen Wissen darüber wurde diese Entscheidung getroffen - ohne Vorbereitungen zum Schutz des Heimes und seiner Bewohner_innen zu treffen, ohne die Anwohner_innen oder Unterstützer_innennetzwerke zu informieren.

So kam am Montagabend der erste Bus mit Asylsuchenden nach Freital. Kein freundliches Anwohner_innenfest begrüßte sie, sondern Freital wehrt sich rief über soziale Netzwerke dazu auf, zum Heim zu kommen, um die neuen Bewohner_innen einzuschüchtern, damit diese gar nicht erst auf die Idee kommen, sich in der Stadt wohlzufühlen. Zwischen 80 und 100 Rassist_innen und Neonazis folgten dem Aufruf und postierten sich auf dem Parkplatz vor dem Heim. Darunter unter anderem Pegidainitiator Lutz Bachmann, welcher ebenfalls auf Facebook aufrief, jetzt vor dem Heim zu protestieren. Diesem Mob standen zunächst ein dutzend Polizist_innen und Ordnungsamtmitarbeiter_innen sowie 20 Antirassist_innen gegenüber. Abgesehen von anfänglichen Provokationen, bei denen drei Steine in Richtung der Supporter_innen geworfen und vier Böller gezündet wurden, verhielt sich der Mob ruhig. Der Unterstützer_innenkreis vor dem Heim wuchs auf ca. 60 Menschen an. Im Laufe des Abends und bis Mitternacht trollte sich der rassistische Haufen, bis auf einzelne Anwohner_innen. Die Polizei hätte auch gerne Unterstützung gehabt, aber bekam sie nicht, so die Beamten vor Ort.

Als Reaktion auf den Montagabend fand am Dienstag eine angemeldete Kundgebung direkt vor dem Heim statt. Umgehend wurde auf Freital wehrt sich gepostet, dass die Anwohner_innen sich jetzt nicht nur durch die Asylsuchenden, sondern ebenso durch die Antifa bedroht fühlten und doch bitte alle kommen sollen, um die Anwohner_innen zu unterstützen. Daraufhin sammelte sich erneut ein Mob von ca. 100 Rassist_innen, Anwohner_innen und Neonazis. Die Ordnungsbehörde gestattete dem Mob sich bis 22 Uhr zu versammeln. Anschließend löste sich dieser langsam auf, verteilte sich im angrenzenden Wohngebiet, am Bahnhof Freital-Deuben bzw. fuhr teilweise nach Hause. 

Die Bilanz der Nacht: Eine Gruppe Antirassist_innen, die zum Bahnhof ging, wurde mit Böllern attackiert, bei einem Auto wurden die Reifen zerstochen. Auf dem Heimweg wurde ein Fahrzeug mit Unterstützer_innen von zwei Naziautos verfolgt, an einer Tankstelle eingekeilt und schließlich mit einem Baseballschläger angegriffen. Dabei wurde eine Scheibe zerstört und ein Insasse durch Glassplitter leicht verletzt (Quelle: https://www.addn.me/antifa/uebergriffe-nach-solidaritaetsaktion-in-freital/).

Am Mittwoch versammelten sich erneut Unterstützer_innen vor dem Heim und standen 160, diesmal deutlich aggresiver wirkenden Rassist_innen und Neonazis gegenüber. Im Laufe des Abends kam erneut ein Bus mit Asylsuchenden aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz an und wurde durch den Mob pöbelnd kommentiert. Gegen halb Elf hatte sich der Mob widerwillig aufgelöst und in der Stadt verteilt. Es kam zu Flaschenwürfen gegen eine kleine Unterstützer_innengruppe, zudem wurden wie schon am Abend zuvor einzelne Menschen auf dem Weg zum Bahnhof von Nazis attackiert.

Am Donnerstag ließ es sich Ministerpräsident Tillich nicht nehmen, im Leonardo Hotel vorbeizuschauen. Dabei verurteilte dieser die Drohungen gegen Politiker_innen, zu den weitaus drastischeren Drohungen und Angriffen gegen Asylsuchende und Unterstützer_innen äusserte er sich jedoch nicht. Über hundert Unterstützer_innen fanden sich am Donnerstagabend vor dem Heim ein, die Band Banda Comunale spielte. Was zur Entspannung und fröhlichem Tanzen auf der Seite des Heims führte und eher zu schlechter Laune auf der anderen Seite beitrug. Zudem waren die Rasssist_innen weniger als am Vortag.

Pogrom oder Projektion
Die Bewertung der gesamten Ereignisse bleibt nun die große Frage. Von der medial vermittelten Pogromstimmung ist, auch wenn teilweise der Eindruck entstanden sein muss, vor Ort aktuell nur bedingt etwas zu spüren. Dass sich diese scheinbar einige Menschen herbeiprojizieren oder fast schon wünschen, hat unserer Ansicht nach mehr mit dem Reproduzieren üblicher Feindbilder, als der von uns wahrgenommenen Realität in Freital zu tun. Der dreckige Osten ist immer noch rassistisch und nach Hoyerswerda warten wir nun auf den nächsten Beweis. Zwar hat rassistische Gewalt im Osten eine andere Quantität, den strukturellen Rassismus seitens der Behörden und der Bevölkerung gibt es auch andernorts. Ja, Sachsen ist herausragend – autoritär und konservativ. Eine alleinige Fokusierung darauf, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es ähnlich gelagerte Probleme auch an anderer Stelle gibt und diese mindestens genauso dringend bearbeitet werden müssten. 

Seit drei Tagen sind die Medien jeden Abend vor Ort. Sie warten, warten auf Bilder, warten auf DIE Bilder. Wenn über Nazis und Ostdeutschland gesprochen wird, gibt es klare Bilder in ihren Köpfen. Doch vielleicht ist es ein klein wenig anders und vielleicht bedingen sich bestimmte Situationen auch und es läßt sich nicht einfach ins Schema pressen. Die Projektion des "braunen Ostens" auf Freital erfüllt nicht die erwarteten Klischees und Bilder der Medien. Ersatzweise wird geradezu voyeuristisch jeder Moment vor dem Heim abgefilmt. Die Menschen werden als Projektionsfläche verwendet und als medialer Hype ausgebaut. Was dabei vergessen wird ist die Beleuchtung des eigentlichen Problems.

Dauerkundgebung in Freital
Allgemeine Ratlosigkeit besteht zur Frage, wie mit der Situation weiterhin umgegangen werden soll. 
Es scheint sich gerade zum Teil ein völlig unvorbereiteter Aktionstourismus bei einigen Menschen einzustellen. Eine Ursache dafür kann in der Nutzung digitaler Medien liegen. Wir finden es wichtig, bei der Bewertung von Informationen die Eigenheiten des jeweiligen Formates mit zu betrachten. Twitter ist immer mittendrin, emotionale Momente werden live geschrieben. Dass der Rest des Abends völlig langweilig war, wird dabei oft ausgeblendet, da die Emotion des einzelnen Tweets so überwältigend scheint. 

Die Rassist_innen fühlen sich offensichtlich auch mobilisiert durch die antirassistische Unterstützung. Ohne diese bleibt es aber momentan fragwürdig, ob die Polizei ihre Präsenz in ausreichender Stärke beibehält. Allerdings dürfte die allgemeine Aufmerksamkeit und die Tatsache, dass selbst Tillich vor Ort war, die Brisanz verdeutlicht haben.

Trotzdem finden wir es eine gute Idee sich etwas zurück zunehmen und dennoch da zu sein, wenn es darauf ankommt. Das scheint eventuell die bessere Lösung als Freital zum Ort einer sich immer weiter multiplizierenden Dauerkundgebung werden zu lassen und das wird es momentan von allen Seiten. Bei welcher Interaktion auch immer sollte sich nicht nur selbst bestätigt, sondern in erster Linie auf die Bedürfnisse der Heim-Bewohner_innen eingegangen werden.
Antirassistische und antifaschistische Zusammenhänge aus Dresden 
Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen vier mutmaßliche Angreifer, nach einer Demo in Freital das Auto abreisender Demonstranten mit einem Baseballschläger attackiert haben. Es handelt sich um drei Männer und einer Frau.

 

http://www.mz-web.de/mitteldeutschland/nach-demo-in-freital-vier-verdaec...

Haben nichts mit Flüchtlingen zu tun noch nie einen gesehen aber dann umso lauter brüllen.

Kommentar von Ayran Brotherhood [1] zum hier verschriftlichtem Redebeitrag
von der anti-rassistischen Veranstaltung am Hotel Leonardo/Freital
am 26.06.15
''Im Folgenden möchten wir auf einen bei PEGIDA#watch und Indymedia dokumentierten Beitrag reagieren und unseren Teil zu der Diskussion beitragen. Vorauszuschicken ist, dass wir den Aktivisten aus Freital in höchstem Maße dankbar sind, sind sie doch diejenigen, die Ihrerseits alles menschenmögliche tun, um sich einer klaren Gefahrenlage entgegenzustellen.

Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass politisches Handeln nur dann glaubwürdig emanzipatorisch ist, wenn die Aktion von einem konstanten Prozess der Reflexion begleitet wird. In diesem Sinne haben die nicht näher benannten Aktivisten aus Freital, deren Stellungnahme als Redebeitrag am 26.06. in Freital vorgetragen wurde, mit dem Verfassen des Textes eine richtige und wichtige Entscheidung getroffen. Das Ergebnis erinnert allerdings an den selben Aktionismus, der von jenen anderen vorgeworfen wird - viel sagen, viel ärgern, aber vor dem eigentlichen Problem mit einem verzweifelten Schulterzucken stehenbleiben. Dieses ist mit wenigen Worten umrissen: die regressive Mobilsierung in Deutschland, die mit solch einer Geschwindigkeit an Boden gewinnt, die sich so sehr immer weiter in die verschiedensten Gesellschaftsschichten vorarbeitet, dass die emanzipatorische Linke kaum noch adäquate Antworten zu finden vermag. Der ewigen Forderung, nicht nur Feuerwehrpolitik zu betreiben, sondern auch die tieferliegende, gesellschaftspolitische Dimensionen in den Fokus zu nehmen, wird im Zusammenhang mit den Zwängen, die sich aus den deutschen Verhältnissen, mit all ihren Brandanschlägen und Übergriffen ergeben, nicht mehr - oder nicht ausreichend - entsprochen. Auch der veröffentlichte Text macht da keine Ausnahme, denn er benennt Deutschland, aber er vermag seinerseits keine Antworten zu geben. Das ist seine zentrale Schwäche.

Stattdessen versetzt der Text den Leser in die Position des Schülers, der von dem erfahrenen Oberlehreraktivisten von vor Ort Handlungsanweisungen für die "richtige Form" der direkten Aktion erhalten soll.

Nach einer langen Abhandlung über die Geschehnisse der letzten Tage eröffnen die Genossen den Diskurs mit einem ab dem ersten Moment irritierend Passus, in dem der obsolete Hinweis gereicht wird, dass die sächsischen Verhältnisse ja sehr schlimm und nicht relativierbär wären, es andernorts aber auch sehr schlimm zugehe. Wissen wir und weiß auch der Leser. Wenn man aber jegliche Relativierung von sich weißt und fast krampfhaft auf andere Regionen mit Rassismusproblemen verweist, deklassiert das die eigene Aussage zum irritierend wirkenden Lippenbekenntnis.

Besorgten Genossen im weiteren Verlauf der Stellungnahme Sensationsgeilheit und Aktionismus vorzuwerfen, wirkt, als ob die Genossen glauben würden, was der wahre Weg zur Behandlung des Problemes sei. Es ist ein verächtliches und arrogantes Wegdrehen vor Menschen, deren Besorgnis echt und deren Handeln dem Mut zur Reaktion entspringt.

Rassismus funktioniert in Deutschland nicht nur so gut, weil er für immer mehr Menschen in diesem Land ideologisch anschlußfähig geworden ist, sondern weil er sich in der Stille entfalten und wirken kann - übrigens überall dort, wo es keine Kameras und keinen "Aktionstourismus" gibt. Insofern sind uns Legionen von Kamerateams und wütend brüllende Jugendliche im Moment des Bevorstehens der Realisierung rassistischer Praxis lieber, als dass Menschen ohne Zeugen zu Schaden kommen (ja, auch in Westdeutschland). Natürlich ist es zu überzogen, die Aktivisten und Kamerateams in Freital als die Lebensversicherung der Refugees vor Ort zu bezeichnen. Trotzdem behaupten wir, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt. Wir sind überzeugt, dass viele unschuldige Menschen heute noch leben könnten, wenn sie in dem Moment des Angriffes nicht alleine gewesen wären. Wenn es eine Öffentlichkeit gegeben hätte, die den Finger auf das stinkende Sachsen gezeigt hätte. Oder auf Bayern. Oder irgendwo anders.

Es ist die ungebremste Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die den Genossen vor Ort scheinbar Angst macht, weil diese ihrerseits neue lokale Dynamiken entfalten kann. Das ist ein berechtigter Einwand, der aber nur so lange funktioniert, bis der Mob zahlenmäßig so groß ist, dass er nicht mehr aufgehalten werden kann. Zweifelsfrei kann der Einwand auf Feuer nicht Panik sein - in diesem Sinne ist der Verweis auf Falschinformationen bei Twitter ebenso richtig und wichtig - die Türe aber stattdessen mit Vorwürfen zuzuschlagen, ist eine ebenso törichte Reaktion. Denn: es ist nur die sozialmediale und nachrichtliche Dauerpräsenz der Thematik die dazu führen kann, dass in dem Moment, in dem der Funke überspringt, sich wenigstens fünf Menschen mehr motiviert fühlen, in die sächsische Provinz zu fahren. Wessen Wohnort nicht Sachsen oder Umland ist, möchte sich deswegen nicht darauf verlassen, dass die Leute vor Ort "das schon regeln". In diesem Zusammenhang implizit so zu tun, als würde das Handeln solidarischer Genossen von außerhalb oder am PC dazu führen, dass Rassisten ebenfalls durch den Gegenprotest mobilisiert werden, ist schlichtweg eine inakzeptable Frechheit. Es ist die selbe Haltung, mit der man Opfern rassistischer Gewalt nahelegt, nicht "so aufzufallen", um "nicht zu provozieren". Es verlagert die Ursachen des Problemes auf diejenigen, die versuchen etwas gegen jenes zu unternehmen, auch wenn es sich letztlich natürlich wieder nur um Feuerwehrpolitik handelt. Übrigens: die körperliche Unversehrtheit gehört zu den zentralen Bedürfnissen der "Heim - Bewohner".

Letztlich teilen wir aber die Haltung der Genossen, dass eine "allgemeine Ratlosigkeit zur Frage besteht, wie mit der Situation weiterhin umgegangen werden soll".

Wir sind überzeugt davon, dass der regressiven Mobilsierung nur durch eine dauerhafte, vehemente und bundesweite Kampagnenarbeit begegnet werden kann. Dies erfordert die Reaktivierung, Vernetzung und Entwicklung von Strukturen, die lokal autonom wirken und bundesweit in einen größeren Handlungszusammenhang nach dem Prinzip der freien Assoziation eingebunden sind. Es erfordert einen Antifa - Kongress, aus dem sich nicht der Austausch guter Ideen, sondern konkrete Pläne ergeben. Es erfordert das Zusammentragen der Erfahrungen von Kampagnen wie "Bambule", "Schöner Leben ohne Nazis" oder "Keine Zukunft für Nazis - Naziläden dichtmachen" im Sinne der Entwicklung ebensolcher. Es erfordert vor allem, dass einer stetig wachsenden und bundesweit wirkenden rechten Querfront mit Einfluss in alle gesellschaftlichen und subkulturellen Bereiche mit der selben, breitenwirkenden Reaktionen entgegnet wird.

Ja, das bedeutet das Überwinden von Differenzen.
Ja, das bedeutet die Bildung temporärer, strategischer Bündnisse.

Aber es gibt keine Alternative - denn entweder reagiert die emanzipatorische Linke jetzt oder sie wird, wie so oft schon in der Geschichte,
von der historischen Entwicklung überrollt.

Ayran Brotherhood, Juni 2015

[1] facebook.com/AyranBrotherhood/posts/876200465793879