Harald Höppner will nicht mehr mit ansehen, wie Flüchtlinge ertrinken. Er hat einen Kutter gekauft - und macht ihn nun flott für seine eigene Rettungsmission.
Von MArina Kormbaki
Hamburg. Hoch am Himmel über dem Harburger Hafen leuchtet weiß eine Möwe. Die Frühlingsbrise nimmt ihr alle Last der Fortbewegung, ohne eigenes Zutun lässt sie sich durchs Blau tragen - unbeeindruckt vom Lärm der Schweißgeräte, Bohrer und Hämmer hier unten, an Deck des Fischkutters, wo Männer mit Mützen und dicken Pullovern werkeln. Sie reden nicht viel. Jeder geht seiner Aufgabe nach. Schweißen, bohren, hämmern im Dieseldunst.
Da fährt ein weißer Transporter an den Kai heran, und ein großer Mann 
steigt aus, grüßt laut mit tiefer Stimme. Die anderen schauen auf, sehen
 Harald Höppner, ihren Chef, und legen Schweißgeräte, Bohrer und Hämmer 
beiseite. Harald Höppner kommt gerade vom Einkaufen. Der Wagen ist voll 
mit Nudeln, Reis, Konservendosen. Die Männer machen sich daran, die 
Kartons und Paletten ins Schiff zu verladen. Arbeit, die ihnen sichtlich
 Freude bereitet. Wahrscheinlich, weil der Proviant das untrügliche 
Zeichen dafür ist, dass es bald los geht. Dass nach drei Monaten 
Plackerei an Deck die Leinen im Hafen von Hamburg-Harburg eingeholt 
werden und die "Sea Watch" in See sticht.
Harald Höppner und seine Besatzung werden in wenigen Tagen mit dem 
flottgemachten Kutter ans Mittelmeer fahren. Sie werden zwischen den 
Küsten Maltas und Libyens patrouillieren. Dort wollen sie Ausschau 
halten nach Flüchtlingen, die bei der Überfahrt von Nordafrika nach 
Europa zu ertrinken drohen. "Wir werden ein ziviles Auge auf hoher See 
sein. Wir werden auf Flüchtlingsboote in Seenot aufmerksam machen und 
stellvertretend für sie Notrufe absetzen. Und weil wir unter deutscher 
Flagge fahren, wird keiner unser SOS-Signal ignorieren können", sagt 
Höppner und stellt, noch ehe eine Frage in diese Richtung geäußert wird,
 gleich mal fest: "Ich bin kein Spinner."
Harald Höppner bittet zum Gespräch in seinen zum Wohnwagen umgebauten 
Unimog. Mit dem ist er mal nach Indien gefahren, Tausende Kilometer 
Landweg, seine Frau und die drei Kinder waren dabei. Die Familie lebt in
 einem brandenburgischen 300-Einwohner-Dorf, Tempelfelde, nahe Berlin. 
Von Schiffen und Seefahrt versteht Höppner nicht viel, "eigentlich gar 
nichts", sagt er. Was ihn aber nicht an seiner Mission zweifeln lässt. 
Ohnehin nimmt sich jeder Zweifel kleinlich aus angesichts des großen 
Sterbens auf dem Mittelmeer - so sieht Harald Höppner das. 
Er wuchs in Ost-Berlin auf, war 16 Jahre alt, als die DDR zu existieren 
aufhörte. Harald Höppner sagt: "Wenn die Mauer nicht gefallen wäre - wer
 weiß, ob ich mit 18, 20 Jahren nicht auch über die Ostsee in den Westen
 geflüchtet wäre." Solche Was-wäre-wenn-Fragen kamen ihm kürzlich wieder
 in den Sinn. Im Fernsehen liefen die Bilder vom Fest zur deutschen 
Wiedervereinigung vor 25 Jahren. Sie erschienen ihm irgendwie falsch, 
nicht ganz konsequent. "Wir feiern den Wegfall der innerdeutschen Grenze
 und bauen im Mittelmeer zur selben Zeit eine noch viel gewaltigere auf.
 Und Menschen, die aus Krieg und Elend kommen und diese Grenze 
überwinden wollen, lassen wir ersaufen." Deutsche Grenze, EU-Grenze - 
Harald Höppner unterscheidet da nicht: "Die EU - das sind 28 für ihr Tun
 und Lassen verantwortliche Staaten. Die EU-Außengrenze ist auch 
deutsche Grenze."
Die Flüchtlingspolitik der EU empört inzwischen viele Menschen. Sie 
stören sich am Widerspruch zwischen den feierlich hochgehaltenen Werten 
im Innern der Staatengemeinschaft und der Abwehr und Abschottung nach 
außen. Jede Meldung über im Mittelmeer ertrunkene Syrer, Eritreer und 
Somalier scheint dem Selbstverständnis Europas als Ort der 
Menschenrechte und der Freiheit zu spotten. Und doch bleiben das Leid an
 Europas Außengrenzen und die Empörung darüber ziemlich folgenlos.
Es gab die humanitäre Mission "Mare Nostrum" - eine Reaktion der 
italienischen Marine auf den Tod von 366 Flüchtlingen im Herbst 2013 vor
 der Insel Lampedusa. Die Mission zur Seenotrettung von Flüchtlingen 
war teuer. Italien bat um Unterstützung. Doch die blieb aus, und "Mare 
Nostrum" wurde im Herbst vergangenen Jahres eingestellt - just zu der 
Zeit, als das Fernsehen die Bilder von weißen Ballons zeigte, die zum 
Gedenken an den Mauerfall in den Berliner Nachthimmel aufstiegen. Und 
Bilder von Kurden, Syrern und Irakern auf der Flucht vor dem Tod, der in
 ihrer Heimat wütet. Die scheinbar zusammenhanglosen Beiträge brachten 
Harald Höppner auf die Idee mit dem Kutter. 
Höppner, seine Frau und ein Bekannter saßen abends in der Dorfkneipe. 
Jemand sagte, man müsse diesen Menschen doch helfen, und Höppner warf 
ein: "Wir brauchen ein Schiff." Die drei suchten im Internet - und 
staunten darüber, dass ein Hochseekutter schon für 50000 Euro zu haben 
ist. "Eine Menge Autos, die auf Harburgs Straßen unterwegs sind, sind 
teurer als unser Schiff", sagt Höppner. Er hat als Importeur und 
Verkäufer von asiatischen Möbeln und Textilien etwas Geld ansparen 
können. Höppner, seine Frau und der Bekannte legten zusammen, reisten 
nach Holland und kauften den Kutter - ein hölzernes 
Fischerei-Hochseeschiff, 1917 erbaut, in den letzten 30 Jahren 
allerdings ausschließlich als schwimmendes Domizil eines Rentnerpaares 
im Einsatz. 
Höppners Idee wäre wohl bloß eine Idee geblieben, wenn der Mann mit den 
großen Augen und der sonoren Stimme nicht so viel Zuversicht ausstrahlen
 würde. Müsste, könnte, sollte - Wörter, die im Gespräch mit Höppner 
nicht fallen. Er macht einfach und sorgt dafür, dass sich sein 
Tatendrang herumspricht; zum Beispiel freuen ihn Medienanfragen. Mehr 
als 60ehrenamtliche Helfer hat Höppner schon für sein "Mare Nostrum" im 
Mini-Format gewinnen können. Handwerker, Kapitäne, Ärzte und Anwälte, 
ohne deren Unterstützung die "Sea Watch" nicht bald in See stechen und 
die nächsten drei Monate mit wechselnder Besatzung auf dem Mittelmeer 
unterwegs sein könnte. Einer der Helfer ist Tilmann Holsten, Steuermann 
aus Greifswald. Er hat Höppners Kutter aus Holland nach Harburg gebracht
 und in den Wintermonaten die Arbeiten an Bord betreut. Warum? Tilmann 
Holsten findet die Frage seltsam. Er sagt: "Es kann nicht angehen, dass 
Leute im Meer versaufen."
An Bord lagern Rettungsinseln für 500 Menschen und 1000 Schwimmwesten. 
Für den Ernstfall. Und für die Symbolik. Denn Flüchtlinge aufzunehmen 
und nach Europa zu bringen ist nicht die Absicht Höppners, das betont 
er. "Wir würden nur im Ausnahmefall Menschen an Bord nehmen. Unser Ziel 
ist es, alle Aufmerksamkeit auf die Not an Europas Grenze zu lenken." 
Dazu dient der große weiße Klotz an Deck: eine Satellitenanlage, die 
Livebilder vom Geschehen auf hoher See senden kann. 
Nicht jeder findet gut, was Harald Höppner vorhat. Oft hört er, er 
arbeite mit seiner Aktion den Schleppern zu; er ermuntere Flüchtlinge 
geradewegs zu der gefährlichen Überfahrt. Höppner findet den Einwand 
lebensfern. "Ein Eritreer, der das ganze Geld seiner Familie erhalten 
hat, die Kriegsgebiete Afrikas durchquert und endlich das Mittelmeer vor
 Augen hat - der wird sich von den letzten 250 Kilometern bis zu seinem 
Ziel nicht schrecken lassen", sagt Höppner. "Es gibt nun mal Menschen 
mit eisernem Willen." 
Höppner meint die jungen Migranten. Und wohl auch sich selbst.

gehört noch dazu
Vorbild aus Malta: Harald Höppner und seine Helfer sind nicht die einzigen Privatleute, die zum Schutz von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer unterwegs sind. Ihr Vorbild ist eine privat finanzierte maltesische Stiftung namens "Moas" - "Migrant Offshore Aid Station". Die wohlhabenden Eheleute Christopher und Regina Catrambone gründeten "Moas" im Jahr 2013, nach dem Tod Hunderter Menschen vor der italienischen Insel Lampedusa. Im vergangenen Sommer war "Moas" erstmals im Einsatz - mit deutlich professionelleren Mitteln, als sie der deutschen Initiative "Sea Watch" zur Verfügung stehen: "Moas" besitzt ein 40 Meter langes Schiff, zwei kamerabestückte Drohnen und zwei Luftboote. Die Crew setzt sich aus 17 erfahrenen Rettern und Notärzten zusammen, Maltas ehemaliger Verteidigungsminister Martin Xuereb koordiniert deren Arbeit.
"Moas'" Hauptanliegen ist es, Schiffe in Seenot ausfindig zu machen und die Seenotrettungsstelle zu informieren. "Moas" und "Sea Watch" berufen sich auf die Gesetze der internationalen Seefahrt, wonach jeder verpflichtet ist, in Seenot geratenen Schiffen zu helfen. Dazu stellt die "Moas"-Crew den Behörden Bildmaterial und Informationen zur Verfügung. Auf Anweisung nimmt die Besatzung auch Flüchtlinge auf und bringt sie an Land - "aber unser Ziel ist es in erster Linie, Leben zu retten, nicht Flüchtlinge von einem Ort zu einem anderen zu bringen", heißt es in einer Mitteilung der ansonsten öffentlichkeitsscheuen Privatinitiative. Harald Höppner hat vor, mit "Moas" zusammenzuarbeiten. Beide Initiativen werden im Sommer auf der zurzeit tödlichsten Flüchtlingsroute patrouillieren. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben auf der zentralen Mittelmeerroute im vergangenen Jahr mehr als 3400 Menschen. kor
"Moas"-Gründerin Regina Catambrone.