Vor dem Beginn eines Verfahrens gegen baskische Politiker werden deren Anwälte verhaftet, kurz nachdem 80.000 für Gefangenenrechte und Frieden demonstriert haben
Dass Spanien enorme Demokratiedefizite hat, wurde nicht erst dadurch deutlich, dass Kommunikationsmedien reihenweise zensiert, illegal verboten und sogar baskische Journalisten bisweilen bestialisch gefoltert werden oder nun diese Woche sogar ein spanischer Humorist vor das Sondergericht Nationaler Gerichtshof gezerrt wurde. Nur wenige Stunden nach der Rückkehr des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy von der Demonstration in Paris, wo auch er vorgab, demokratische Grundrechte zu verteidigen, ließ Spanien dann die Guardia Civil ausströmen. Am frühen Montag wurden gleich 12 Anwälte und vier mutmaßliche Mitglieder der Hilfsorganisation Herrira verhaftet.
Gegen die Verhaftungen wird am heutigen Samstag eine Großdemo in Donostia (span. San Sebastian) stattfinden. Gefordert wird die Freilassung der drei Verhafteten. Die Anwälte wurden alle schnell wieder, sogar ohne Kaution aber mit Auflagen) freigelassen. Damit wird schon deutlich, wie schwach die Anschuldigungen sogar in einem Spanien sind, wo in solchen Fällen nicht so genau hingeschaut wird. Gefordert wird die Freiheit der drei noch Inhaftierte, für ein Friedenslösung, eine Amnestie für die politischen Gefangenen und für die Rückgabe von 90.000 Euro. Denn die hat die Guardia Civil bei der Stürmung der Zentral der baskischen Gewerkschaft LAB beschlagnahmt. Das war das Geld, das auf einer Großdemonstration am vergangenen Samstag gespendet worden war.
Mit der Festnahme der Angehörigen wurde auch das Recht auf eine effektive Verteidigung ausgehebelt. Drei der Anwälte sollten diese Woche beim nächsten Massenprozess gegen baskische Politiker die Verteidigung vor dem Nationalen Gerichtshof übernehmen. Wie die 35 Führungspersönlichkeiten der baskischen Linken dort beschuldigt werden, angebliche Mitglieder der Untergrundorganisation ETA zu sein, sollen nun auch die Anwälte „ETA-Mitglieder“ sein. Schon die Anklage vor dem Sondergericht erstaunt. Es waren diese Politiker, welche die ETA vor mehr als drei Jahren dazu gebracht haben, die Waffen nach 50 Jahren „endgültig“ niederzulegen. Doch neu ist das nicht, schließlich sitzen auch die Politiker in Haft, die federführend den einseitigen Friedensprozess auf den Weg gebracht haben. Das Bundestagsmitglied Andrej Hunko kam nach einem Besuch im Baskenland schon vor einem Jahr zum Ergebnis: „Auch in der Türkei habe ich so etwas noch nie erlebt.“
Es ist bekannt, dass die spanische Regierung den Friedensprozess nicht fördert, sondern eher boykottiert und hintertreibt. Sie fordert zwar vollmundig die Entwaffnung der ETA, beteiligt sich aber nicht daran. Sogar Internationale Vermittler werden als Beschuldigte vor das Sondergericht gezerrt, die stattdessen diese Aufgabe übernehmen. Die Vermittler und Prüfer sind immer wieder sehr erstaunt über Spanien, weil sie so etwas in anderen Prozessen nie erlebt haben, in denen sie erfolgreich wie in Nordirland vermittelt haben.
Der Nationale Gerichtshof hat nach einem Aufschrei der Empörung das Verfahren zunächst ausgesetzt, aber ohnehin ist nun eine effektive Verteidigung nicht möglich, weil die Guardia Civil die Verteidigungsstrategie kenn. Zu den Angeschuldigten gehört auch Pernando Barrena, für den ebenfalls eine Haftstrafe von 10 Jahren gefordert wird. Er erklärte: „Wir sind schockiert, die Prozessbedingungen sind kafkaesk.“ Er spricht von einer „Sehnsucht nach Rache“ in Madrid gegen Anwältinnen wie Amaia Izko. Denn die Anwältin, die ab heute die Verteidigung übernehmen sollte, hatte vor gut einem Jahr vor dem Menschenrechtsgerichthof in Straßburg erreicht, das die willkürliche Verlängerung der Haftstrafen von ETA-Gefangen über die „Parot-Doktrin geschleift wurde.
Deshalb mussten mehr als 50 Gefangene freigelassen werden. Nun haben die Anwälte erneut die Freilassung von 54 der noch etwa 500 Gefangenen beantragt, die auf Grund des Konflikts mit Spanien inhaftiert sind. Denn Spanien hat kürzlich eine EU-Richtlinie in nationales Recht übernommen. Danach müssen in anderen Mitgliedländern abgesessene Strafen in Spanien abgezogen werden. Oft wurden Basken schon in Frankreich verurteilt und haben eine Strafe abgesessen. Nach der Abschiebung werden sie in Spanien zum Teil wegen der gleichen Vergehen erneut verurteilt. Das ist rechtswidrig, weshalb kürzlich Richter zwei Gefangene nach 27 und 21 Jahren freigelassen haben. Dagegen klagt die konservative Regierung vor dem Verfassungsgericht, um dies rückgängig zu machen. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Vorgang erneut in Straßburg erörtert werden muss, denn die Verfassungsrichter hatten auch die offensichtlich verfassungswidrige Parot-Doktrin abgenickt.
Die Verhaftungen stehen auch in direktem Zusammenhang mit einer Großdemonstration am Samstag. Für die Gefangenenrechte gingen in der baskischen Metropole Bilbao gut 80.000 Menschen auf die Straße. Sie war dieses Jahr nicht verboten. Erstaunlicherweise hatte Spanien diese jährliche Demonstration 2014 erstmals verboten, die sogar in den Jahren der tödlichen Auseinandersetzung jedes Jahr stattfinden konnte.
„Sare“ (Netzwerk) hatte extra zu einem Schweigemarsch aufgerufen und mit „Now“ (Jetzt) den Slogan für eine sofortige Änderung der Gefängnispolitik zur Förderung des Friedensprozesses ausgeben, um eine möglichst breite Beteiligung zu erreichen. Das Netzwerk spricht von einem vollen Erfolg. Ihr Sprecher Joseba Azkarraga hofft darauf, „dass dies die letzte Mobilisierung gegen die Zerstreuung ist“. Der frühere baskische Justizminister wies darauf hin, dass die Gefangenen gegen das Strafrecht fern des Baskenlands inhaftiert sind, obwohl eine heimatnahe Strafverbüßung auch zur Wiedereingliederung vorgesehen ist. Nur fünf sitzen im Baskenland ihre Strafe ab.
Die Verlegungen fordern die Angehörigen auch aus humanitären Gründen. Sie müssen wie Mayi Ugartemendia am Wochenende fast 2000 Kilometer ins andalusische Jaén zurücklegen müssen, um ihren Sohn sehen zu können. „Fast zehn Stunden einfache Fahrt für 40 Minuten Besuch hinter einer Trennscheibe“ erklärt sie, welche Strapazen und Kosten die Angehörigen und Freunde über viele Jahre auf sich nehmen müssen. Sie führten deshalb die Demonstrationszüge an. Und bei den langen Fahrten am Wochenende kommt es immer wieder zu schweren und zum Teil tödlichen Unfällen, erklärt die Sprecherin der Angehörigenorganisation Etxerat (Nach Hause), Jone Artola.
© Ralf Streck, Bilbao den 17.01.2015
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