Der ehemalige Kommunarde und Alternativ-Politiker Dieter 
Kunzelmann wirft gerne Eier. Zum Beispiel auf Eberhard Diepgen oder auf 
ein Gefängnistor (Foto). Sind Eier Bomben? Vom Hamburger Politologen 
Wolfgang Kraushaar wird Kunzelmann bezichtigt, »am Anfang des Terrors« 
(FAZ) in der BRD gestanden zu haben. Nach Erkenntnissen von Kraushaar 
habe Kunzelmann den gescheiterten Anschlag auf die Jüdische Gemeinde in 
Westberlin am 9. November 1969 initiiert. Das habe Kraushaar von Albert 
Fichter, dem Mann, der die Bombe gelegt haben will, und – 
selbstverständlich – aus Akten der Staatssicherheit erfahren. Die Bombe 
selbst hätte ein Agent des Verfassungsschutzes bereitgestellt. 36 Jahre 
nach dem Scheitern des antisemitischen Anschlags, zu dem sich die 
»Tupamaros Westberlin« bekannt hatten und den sie bewußt am Jahrestag 
der Reichspogromnacht von 1938 geschehen lassen wollten, hat Kraushaar 
hierzu das Buch »Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus« vorgelegt.
 
 Der Politwissenschaftler Wolfgang Kraushaar versucht sich als 
Extremismusforscher zu profilieren. In seinem neuen Werk »Die Bombe im 
Jüdischen Gemeindehaus« verhandelt er den erfolglosen Anschlag auf das 
Jüdische Gemeindehaus am 9.11.1969 in Westberlin. Für Kraushaar hat der 
Extremismus etwas undurchdringliches. »Der Nebel, der über der ganzen 
Angelegenheit schon lange lag, lichtete sich nicht«, schreibt er schon 
zu Beginn seines Buches, und auch 250 Seiten später weiß er noch immer 
von »Nebelschwaden« zu berichten, »die über dem Ganzen hingen«. Wo viel 
Nebel ist, sind oft dunkle Ahnungen – sie scheinen auch Kraushaar 
befallen zu haben, wenn er am Ende seiner Einleitung allerlei 
»Linienführungen«, »Figuren«, »Fäden«, »Mikrotexturen«, »Strukturen«, 
»Beziehungsteppiche« und sogar »gegenwärtige Gefahren« sich auf 
verwirrende Art und Weise miteinander kreuzen läßt. 
 
Reise in den Nebel
 Die Reise in die Nebel beginnt mit Ausführungen über die 
»Überdeterminierung eines historischen Datums«, womit der 9. November in
 der deutschen Geschichte angesprochen ist. Die weiteren Kapitel führen 
den Leser über den Bombenfund im jüdischen Gemeindehaus zu 
Bekenner-Flugblättern, Knast-Camps, Palästina-Reisen, Verhaftungen, 
Agent provocateurs, Staatssicherheit und einen »linken 
Schuldabwehrantisemitismus«. Glaubt man Kraushaar, dann soll das alles 
schließlich in der »Konstituierung der Stadtguerilla als antisemitischer
 Akt« münden. Allerdings deutet der Autor bereits in seiner Einleitung 
den Mangel eines »inneren Zusammenhangs« an. Dieses Problem macht ihm 
auch am Ende Buches zu schaffen. Denn dort findet man zwar unter anderem
 das von Kraushaar ohne juristische Belehrung angefertigte 
Zeugeneinvernahmeprotokoll eines ehemaligen Aktivisten der 
Studentenrevolte, der sich selbst der Tat eines erfolglosen 
Bombenanschlages auf das Jüdische Gemeindehaus in Westberlin des Jahres 
1969 bezichtigt. Und natürlich hat jeder Leser das Recht, dies 
gutgläubig zur Kenntnis zu nehmen. Überraschenderweise findet sich kein 
Literaturverzeichnis zu den 406 in den Text eingestreuten Fußnoten.
 
 Nach der Lektüre drängt sich der Eindruck auf, daß Kraushaar mit diesem
 Buch noch einmal, nunmehr 36 Jahre nach dem hier zur Rede stehenden 
erfolglosen Bombenanschlag, seiner tiefen Empörung über diese Aktion 
Ausdruck verleihen will. Und zwar ähnlich wie es bereits der Dienstherr 
des auch in dieser Angelegenheit umtriebigen Spitzels, Peter Urbach, der
 Westberliner Innensenator Kurt Neubauer, in einer Debatte des 
Abgeordnetenhauses am 11. November 1969 überzeugend zum Ausdruck 
gebracht hat: »(Es gibt) in diesem Hause (niemanden), der nicht mit 
Intensität und Leidenschaft bereit ist, antisemitische Erscheinungen 
(...) mit allen ihm zur Verfügung stehen Mitteln zu bekämpfen«. 
 
 Kraushaar läßt bei vielen der über 250 von ihm im Buch erwähnten 
Personen kaum einen Zweifel daran, wen er mag und sympathisch findet, 
und wen nicht. So gilt ihm beispielsweise der Politikwissenschaftler 
Tilmann Fichter als ein »profilierter« Historiker, der PLO-Repräsentant 
Abdullah Frangi als ein »ebenso besonnener wie zuverlässiger Politiker 
und Diplomat«, der nun aber »kein Feuerkopf, sondern eher ein 
Pragmatiker« sei. Die Hauptbelastungszeugin in dem von ihm in Sachen 
Bombenanschlag durchgeführten Ermittlungsverfahren, Annekatrin Bruhn, 
weiß er unter anderem als »attraktive 19jährige« zu beschreiben, die 
aber durch ihr politisches Engagement »Jahre gebraucht« habe, um wieder 
»in die Gesellschaft zurückzufinden.« 
 
 Dann gibt es aber auch 
Personen, die Kraushaar suspekt erscheinen. So muß Fritz Teufel fortan 
damit leben, daß Kraushaar ihn schlicht für »ein Medienprodukt« hält, 
obwohl er ihn wiederum rund hundert Seiten später als einen »Anführer 
der Tupamaros München« verdächtigt. Auch die von Kraushaar als 
»Deutsch-Französin« in den Text eingeführte Beate Klarsfeld darf 
vermuten, daß er ihr so gewogen nicht ist, wenn er sie als 
»selbsternannte Nazi-Jägerin« bezeichnet. Doch die zentrale Unperson, 
der schurkische Bösewicht per se, ist ganz eindeutig Dieter Kunzelmann. 
In dem 300seitigen Buch wird der Exkommunarde mit großem Abstand zu 
allen anderen Personen laut Register 63mal aufgeführt, davon 12mal in 
längeren Textpassagen. Stellt man auch das in Rechnung, so taucht der 
Name Kunzelmann im Schnitt alle drei Seiten im Buch auf. 
 
 Folgt
 man den Kraushaarschen Zuschreibungen, dann muß es sich bei Dieter 
Kunzelmann zunächst um jemanden handeln, »der nicht so recht 
dazugehörte«, der gleichwohl als ein »insgeheimer Magnet« – welch 
seltsam Ding – »unter der Oberfläche von Gruppenbeziehungen«, 
gewissermaßen als ein »Dr. Kimble« funktionierte. Dessen Radikalität 
weiß Kraushaar als eine »fortwährende Sucht« zu deuten, sei dieser doch 
schließlich jemand, der »auf der ständigen Flucht vor sich selber« sei, 
sprich: »die Personifikation des nicht mit sich identisch werden 
könnenden Intellektuellen«. Kunzelmann ist nach Kraushaar wahlweise ein 
»politisches Chamäleon«, »Bock« und »Gärtner« zugleich, eine 
»Schlüsselfigur« und »inspirierender Geist«, dem jederzeit »Vertuschung,
 Unterschlagung und Manipulation« zuzutrauen seien. Er »verriet« sich, 
»offenbart« sich, hat eine »Halbglatze und einen wilden Haarschopf«, 
reckt die Faust und ruft einem Kameramann »mit euphorisierten 
Gesichtsausdruck« und »einer expressiv übersteigerten Mimik« etwas 
entgegen. Er »spielt (...) Schmierentheater«, denn »Untertauchen, 
Täuschung, Geheimniskrämerei, Simulation und Selbstinszenierungen haben 
schon immer dessen Lebenselixier ausgemacht.« Kunzelmann ist »der 
Trickreiche, der mit allen Wassern gewaschene«, der aber immer mal 
wieder »in jenes Halbdunkel« zurückkehre, »in dem er sich schon immer 
bewegt hat.« »Besondere Heimtücke« sei ihm dabei genauso wenig fremd, 
wie er auch »die Zögernden (terrorisiere), er täuscht die ihm 
Vertrauenden und treibt die eingebildet Revoltierenden in Aktionen 
hinein, mit denen sie Kopf und Kragen riskieren.« Nach Kraushaar ist 
Kunzelmann die »pure Verkörperung des Bombenlegers« und zudem auch noch 
»mit rötlichem Vollbart und stechendem Blick ausstaffiert«. Er ist nach 
Kraushaar der »selbsternannte Gruppen-Guru«, für den seinen Genossen 
immer nur »Objekte von Manipulation, Domestizierung und Gehirnwäsche« 
gewesen seien. Aber dennoch, der von ihm gleich zweimal als »Sohn eines 
Sparkassendirektors« Vorgestellte »hat ein Gesicht und eine Aura.« 
 
 Fast scheint es, als wolle der Autor mit seinen wenig freundlichen 
Zuschreibungen an Kunzelmann dessen eigene Worte aus dem von ihm im Buch
 mehrfach zitierten »Brief aus Amman« aus dem Jahre 1969 erfüllen: »Hier
 ist alles sehr einfach. Der Feind ist deutlich. Seine Waffen sind 
sichtbar. Solidarität braucht nicht gefordert zu werden.« Eine ganze 
Reihe dieser Zuschreibungen, wie das »Halbdunkel« eines »Drahtziehers«, 
der mit »Geschick (...) aus dem Untergrund die Fäden« zog, sind bislang 
aus dem Arsenal antisemitischer Klischees vom sowohl omnipotenten, 
intellektuell gewieften, gleichwohl heimtückischen und häßlichen Juden 
bekannt. Frei nach Adorno erscheint Kraushaar hier so in den »Gegenstand
 gebannt« zu sein, das er ihn einfach so entgrenzt. Kraushaar ahnt die 
Problematik, da er selbst ein paar »basale Strukturprinzipien« des 
»Weltbilds des modernen Antisemitismus« referiert. In Anlehnung an den 
Antisemitismusforscher Haury zählt er dazu unter anderem einen 
Manichäismus dazu, in dem »die Personifizierung (...) ein grundlegendes 
Strukturmerkmal« sei, mit der versucht werde, »abstrakte Beziehungen in 
Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zwanghaft auf konkrete Personen 
zurückzuführen«. Auch Kraushaar personifiziert, indem er Kunzelmann zum 
Repräsentanten einer bestimmten Form des Widerstands gegen den 
gesellschaftlichen Mainstream der 60er Jahre stilisiert. 
 
 Und 
diese Personifizierung findet ihren funktionalen Ort in einer 
manichäischen Scheidung zwischen einer »guten« Linken, die nunmehr 
staatstragend geworden ist, und die mit dem Hamburger Institut für 
Sozialforschung sozusagen auf Duzfuß steht, und der staats- und 
ordnungsfeindlichen Linken der 68er Jahre. Letztere hat ganz offenkundig
 im Historischen Prozeß verloren und spielt mittlerweile die Rolle des 
toten Hundes, auf den man ohne Risiko einschlagen kann. Dieses implizite
 Schwarz-Weiß-Schema verleiht dem vorliegenden Text auch den Ruch des 
Verlogenen.
 
Gleißendes Licht
 Wo von Kraushaar viel gleißendes Licht auf eine heute besiegte 
politische »Schlüsselfigur« von damals gerichtet wird, gerät im Text 
eine andere unverdient in den Randbereich: Kurt Neubauer, der es in dem 
Buch weit abgeschlagen, auf gerade einmal zehn Erwähnungen bringt. Dabei
 kann auch dieser durch seinen die Bombe liefernden Subalternen Urbach 
als sehr frühzeitig in das Tatgeschehen 1969 verwickelt angesehen 
werden. Dieser offenkundige Zusammenhang hat Sebastian Haffner in einem 
unter dem Titel »Ein Fall Neubauer?« publizierten Kommentar zu der 
Schlußfolgerung veranlaßt: »Wenn es sich als wahr herausstellen sollte, 
daß (der Innensenator) durch einen seiner Agenten die Bombe im jüdischen
 Gemeindehaus hätte legen lassen (....), dann hätte er selbst eine 
schwere Straftat begangen – und zwar eine Tat, die dem Ansehen Berlins 
mehr Schaden zugefügt hat, als irgendein wirklicher oder angeblicher 
Apo-Exzeß.« Haffner schließt seinen Kommentar mit den Worten: »Die 
deutsche Öffentlichkeit kann es sich nicht leisten, mit diskretem 
Schweigen darüber hinwegzusehen.« Was ist aus den Überlegungen Haffners 
zu Neubauer geworden und vor allem: Was hat Kraushaar mit ihnen über 30 
Jahre später angefangen? Um es kurz zu machen: Der Autor macht sich 
gegenüber dem Innensenator in Form einer ungewöhnlich gewundenen 
Formulierung, wenn schreibt, daß dieser für »die Machenschaften eines 
Undercover-Agenten, (...) wohl letzten Endes (...) die Verantwortung zu 
tragen« habe, eben dieses von Haffner befürchtete »diskrete Schweigen« 
zu eigen gemacht
 
 Für nicht wenige der im Text von Kraushaar 
aufgestellten Behauptungen gibt es auch nicht den geringsten Beleg. 
Manche Quellen werden zwar in den Fußnoten aufgeführt, sind aber 
offenbar vom Autor selbst nicht zur Kenntnis genommen worden. Nicht viel
 mehr können wir mit der aufgestellten Behauptung, daß es »bezeichnend 
(sei), daß es für (...) den Übergang von einer subkulturellen Szene in 
erste bewaffnete Gruppierungen bislang keine ernstzunehmende 
zeithistorisch analysierende Literatur« geben soll, anfangen. Mit Blick 
auf die 160 eng bedruckten Seiten der 1982 publizierten Studie von 
Dieter Claessens und Karen de Ahna über »Das Milieu der Westberliner 
›scene‹ und die ›Bewegung 2. Juni‹« ist Kraushaar bestenfalls 
Ahnungslosigkeit zu bescheinigen. Das gilt auch für die im Buch 
aufgestellte These, daß die Kriminalpolizei erst am 17. April 1970 
»vermutet (...), daß das Sprengstoffpaket« von der Kunzelmannngruppe »im
 jüdischen Gemeindehaus abgelegt worden sein könnte. 
 
 Als Beleg
 für diese Vermutung wird eine Äußerung angeführt, die der Kommunarde 
Bodo Saggel in SDS-Kreisen angegeben haben soll. Das läßt sich mit Blick
 auf eine in dem Archiv des Hamburger Instituts für Sozialforschung 
unter der Signatur SAK 300,46 aufbewahrte Akte erheblich präziser 
beschreiben: Darin findet sich ein auf den 5. Dezember 1969 datiertes 
Aussageprotokoll des Betreffenden, in dem dieser nicht vor 
»SDS-Kreisen«, sondern direkt mit Amtsgerichtsrat Lehmann, Staatsanwalt 
Tscheppan und dem Justizangestellten Leonhardt spricht. Saggel gibt hier
 vom Hörensagen die Namen von Albert Fichter, Georg von Rauch und 
Kunzelmann als Täter für den Sprengstoffanschlag auf das jüdische 
Gemeindehaus an. Weil er »etwas für die Juden übrig habe«, sei er am 17.
 November 1969 zur Polizei gegangen, um seinen Verdacht zu äußern. Es 
überzeugt uns einfach nicht, daß es dann noch – glaubt man Kraushaar – 
weitere fünf Monate gedauert haben soll, bis auch die »Kriminalpolizei« 
Kenntnis von den Saggelschen Einlassungen bekommen haben soll.
 
Bombenthema
 Wie man es auch dreht und wendet: Das mit dem Angriff auf das 
jüdische Gemeindehaus Westberlin angestimmte Bombenthema scheint für 
Kraushaar einfach zu schick zu sein, um sich mit solchen 
Nebensächlichkeiten aufzuhalten. Die Bearbeitung des in diesem Land in 
der Tat allerorten existierenden Antisemitismus verdient aus der Sicht 
des Extremismusforschers den in der Nähe der aktuellen Staatsräson 
plazierten Skandal und gerade keine Genauigkeit. 
 
 So bleibt 
letztlich die Hoffung, mit dem vorliegenden Text Antwort auf die Frage 
nach dem warum damals so und nicht anders war, zu erhalten, vergeblich. 
Der größte Teil der von Kraushaar benutzten Quellen liegt seit Mitte der
 70er Jahre vor. Addiert man noch eine Zeitspanne von weiteren 20 Jahren
 dazu, steigt dieser Anteil auf weit über 90 Prozent. Leider läßt uns 
der zumindest noch Ende der 60er Jahre im linksradikalen Milieu als 
Mitläufer engagierte Autor mit der Frage allein, warum er eigentlich so 
lange mit den nun von ihm künstlich skandalisierten Befunden – wie wir 
hoffen – bequem hat leben können? 
 
* Wolfgang Kraushaar: Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus, Hamburger Edition, 2005, 300 S., 20 Euro

Zu Kraushaar gibt noch mehr Texte, die ihn demontieren.
http://www.streifzuege.org/2013/irgendwie-durchgerutscht