Seit Gestern gibt es Gewissheit, Khaled Idris Bahray wurde ermordet. Der aus Eritrea geflohene Mann hatte sich am Montagabend kurz zum Einkaufen in den nahegelegenen Supermarkt bei seinen Mitbewohnern abgemeldet und kam nie wieder. Am Morgen darauf fand ihn ein Sozialarbeiter tot auf einer Wiese am Hintereingang seines Wohnhauses im Stadtteil Leubnitz-Neuostra. In der Hoffnung auf ein besseres Leben, starb Khaled mitten unter uns, er wurde nur 20 Jahre alt.
Für die zum Tatort gerufene Polizei offenbar ein Routinefall, dass der Asylsuchende Opfer eines Verbrechens geworden sein könnte, schlossen sie aus. Kurz nach dem Auffinden der Leiche traten erste Ungereimtheiten zutage, Freunde und Bekannte des Toten berichteten von regelmäßigen Beschimpfungen und Drohungen, ein Nachbar davon, dass an der Wohnungstür des Toten erst kurz vor Silvester zwei Hakenkreuze geschmiert worden waren. Ein rassistisches Motiv für die Tat, so unsere Einschätzung, kann und darf bei den Ermittlungen nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Die Polizei, die nach Angaben der Dresdner Morgenpost erst 30 Stunden nach dem Mord mit der Spurensicherung vor Ort war, um Beweise zu sichern, befragte gestern ausschließlich Angehörige und Bekannte des Opfers. Nach der Bekanntgabe der gestern Nachmittag veröffentlichten Obduktionsergebnisse, nach denen das Opfer mehrere Stichverletzungen im Hals und Bauchbereich hatte, bleibt fraglich, wie das beim Vorfinden des Toten übersehen werden konnte.
Als erste Reaktion kam es gestern Nachmittag zu einer Mahnwache auf dem Jorge-Gomondai-Platz (Fotos). In sehr emotionalen Redebeiträgen durch Freunde von Khaled berichteten diese davon, dass sie sich seit Wochen Montags nicht mehr auf die Straße trauen, weil immer wieder aggressive Teilnehmerinnen und Teilnehmer der wöchentlichen PEGIDA-Demonstrationen an ihre Eingangstür treten und sie aus vorbeifahrenden Autos heraus wüst beschimpfen. Auch eine Frau aus Südamerika, die seit mehr als zehn Jahren in Dresden lebt, erzählte, dass sie noch nie so viel Angst hatte auf die Straße zu gehen, wie in diesen Tagen. Die Mahnwache sollte ein erstes öffentliches Zeichen setzen, um den Menschen damit einen gemeinsamen Ort der Trauer zu schaffen.
Im Anschluss daran zogen die etwa 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Albertinum im Stadtzentrum, wo zu gleicher Zeit Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zu einem Neujahrsempfang unter dem Motto “Aus aller Welt – zu Hause in Sachsen” geladen hatte. Er selbst zog es vor, nicht zu den demonstrierenden Menschen zu sprechen. Stattdessen trat Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) vor die Tür und sprach den Menschen ihr Beileid und Mitgefühl aus.
Die Landesregierung werde alles tun, um den Fall aufzuklären. Angesichts der Bedrohungen, denen sich migrantische Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt derzeit ausgesetzt sehen, wurde die Ministerin aufgefordert, mehr zum Schutz für geflüchtete Menschen zu tun. Als erste Reaktion auf den Mord wurde noch noch am Mittwochabend von Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) eine stärkere Präsenz der Polizei in der Nähe der Wohnungen der betroffenen Eritreer beschlossen. Inzwischen wurde die Mordkommission der Dresdner Polizei auf 25 Beamte aufgestockt. Sie sucht nun nach Hinweisen auf eine mögliche Auseinandersetzung. Wer Angaben zum Tathergang machen kann, wird gebeten, sich unter der 0351-4832233 bei der Dresdner Polizei zu melden.
In einer Pressemitteilung der Linksfraktion im Sächsischen Landtag appellierte Juliane Nagel daran, “den Tod von Khaled zügig aufzuklären und dabei eine mögliche rassistische Tatmotivation sorgfältig zu prüfen”. “In vielen anderen Fällen, wie beispielsweise dem Mord an dem erst 19-jährigen Kamal 2010 in Leipzig, wurde ein solches Motiv trotz zahlreicher Indizien frühzeitig ausgeschlossen.”
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Albrecht Pallas, rief zur Besonnenheit auf, “so lange die Todesumstände nicht geklärt sind, sollte es keinerlei Schuldzuweisungen geben. Spekulationen – in welche Richtung auch immer – helfen nicht weiter”. Auch Valentin Lippmann von den Grünen zeigte sich bestürzt und sprach der Familie und Freunden seine Anteilnahme aus. “In der aufgeheizten Atmosphäre in Dresden”, so der Politiker weiter, “kommt nun auf die Ermittlungsbehörden eine große Verantwortung zu. Es darf weder Vorverurteilungen noch Schnellschüsse geben.” Zuvor hatte sich bereits Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) geschockt gezeigt und vor “Spekulationen in die eine oder andere Richtung” gewarnt. Gleichzeitig sprach sie der Polizei und Staatsanwaltschaft ihr “vollstes Vertrauen” auss und kündigte eine Betreuung von Khaleds Mitbewohnern an.
Noch am gestrigen Abend kam es zu einem großen Treffen im Alternativen Zentrum Conni, an dem auch sehr viele Asylsuchende teilnahmen. Auch dort berichteten sie wieder vom Klima in der Stadt und den Bedrohungen, denen sie sich tagtäglich ausgesetzt fühlen und forderten Unterstützung. Bereits kurz nach Bekanntwerden der Tat war es auf der Facebook-Seite der Dresdner Morgenpost mehrfach zu Beschimpfungen und rassistischen Äußerungen gekommen.
Das “Netzwerk Asyl, Migration, Flucht” (NAMF) rief zu Solidarität mit den von Rassismus betroffenen Menschen in Dresden statt zum Dialog mit PEGIDA auf. “Seit einigen Monaten können Migrant*innen in Dresden nicht mehr sicher vor die Tür gehen. Immer wieder kommt es zu rassistischen Beleidigungen und zu Attacken. Dies passiert im Kontext der PEGIDA-Bewegung und ist eine direkte Folge der Hetze, die jeden Montag von diesen Demos ausgeht. PEGIDA hat es geschafft, offenen Rassismus in Dresden wieder salonfähig zu machen.
Der bisher größte Angriff ereignete sich am 22. Dezember nach einer PEGIDA-Demo. Eine Gruppe Kurdin*innen wurde von Dutzenden Neonazis und Hooligans angegriffen. Weder Zeugin*innen noch die Polizei griffen ein.” Angesichts der Vorfälle forderte das Netzwerk den Rücktritt von Sachsens Innenminister Ulbig und richtete seinen Appell an die politisch Verantwortlichen, “endlich für die Sicherheit der Menschen zu sorgen”. Aus gegebenen Anlass wird am Samstag in Dresden um 15 Uhr eine Demonstration stattfinden, als vorläufiger Treffpunkt wurde der Albertplatz ausgegeben.
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