Rote Flora in Hamburg: Polizei unterwandert die linksradikale Szene

Erstveröffentlicht: 
05.01.2015

HAMBURGSechs Jahre lang spionierte eine geheime Ermittlerin der Polizei die linksradikale Hamburger Szene aus. Dabei scheint die Beamtin sich irgendwann in ihrer eigenen Rolle verloren zu haben. Eine Analyse.

Die versteckte Stahltür an der Tordurchfahrt ist fest verrammelt. Wer nicht angemeldet ist beim Radiosender „Freier Sender Kombinat“ (FSK), der kommt auch nicht rein. So ist das im Schanzenviertel rund um die Rote Flora, dem Epizentrum der Hamburger Subkultur- und Anarchoszene. Man kennt sich, oder man muss jemanden kennen, der einem die Tür öffnet. „Es gibt genug, die uns nicht mögen“, verteidigt Werner Pomrehn vom FSK die Vorsichtsmaßnahme, und er zählt auf: „Nazis, rechte Politiker, der Verfassungsschutz, die Polizei …“

 

Und doch hatten sie so jemanden in ihrer Mitte, wie jetzt herausgekommen ist. Eine Polizistin, die sich als verdeckte Ermittlerin eingeschlichen und mindestens sechs Jahre lang, zwischen 2001 und 2006, die Hamburger Flora-Szene ausspioniert hatte. Sie tauchte in dieser Zeit auch in den Studios vom FSK auf, moderierte dort Sendungen. Daneben war sie in der Roten Flora aktiv, diskutierte in nichtöffentlichen Debattierrunden mit, schrieb Beiträge für das autonome Blatt „Bewegungsmelder“. Und sie ging in diesen Jahren Liebesbeziehungen zu anderen Frauen ein – während sie hauptberuflich für Polizei und Bundesanwaltschaft Informationen über verdächtige Linksradikale beschaffte.

 

Eine neue Identität

 

Unter dem Namen „Iris Schneider“ war die Beamtin unterwegs, Iris Plate heißt sie tatsächlich. Diesen Namen kann man nennen, er ist in Hamburg inzwischen stadtbekannt, seit der Jahre zurückliegende Einsatz der verdeckten Ermittlerin vor zwei Monaten bekannt geworden ist. Gut möglich, dass die Polizei sie deshalb aus der Stadt geschafft und ihr eine neue Identität verpasst hat. Das Reihenhaus in einer dieser gesichtslosen Stadtrandsiedlungen, wo die Beamtin nach ihrem Rückzug aus der Flora zuletzt wohnte, hat schon einen neuen Mieter.

 

Im FSK-Radio tauchte „Iris Schneider“ das erste Mal 2003 auf, da war sie schon seit zwei Jahren im Undercover-Einsatz. „Wir hatten damals eine neue Sendung entwickelt, das ‚Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen‘“, erzählt Werner Pomrehn. „Zwei Freundinnen, die in der Redaktion der Sendung mitarbeiteten, hatten sie mitgebracht. „Iris Schneider“ war ziemlich bekannt in der Roten Flora, betrieb das Café Niemandsland mit, saß im Flora-Plenum, das sich wöchentlich traf. Viele von uns kannten sie daher.“

 

Pomrehn ist im FSK das, was man ein Urgestein nennt. Und er sieht auch ein bisschen so aus: ein verstrubbelter grauer Haarschopf, Ringe unter den müden Augen, ein etwas schlurfender Gang. Seit dem Jahr 2000 betreibt der 59-Jährige den unabhängigen Sender mit, der als das Radio der Hamburger linksautonomen Szene gilt. Seine Erinnerungen an „Iris Schneider“ sind aber nur noch vage. „Sie hat sich damals, in der Redaktion des Nachmittagsmagazins, wenig eingebracht. Ich hatte da immer das Gefühl, dass sie noch kein eigenes Thema hat.“ Später habe sich das geändert, sagt er, als sie in die Redaktion des queer-feministischen Magazins „Revolte“ wechselte.

 

Ihren Freundinnen hatte sie erzählt, dass sie mit ihren Eltern gebrochen habe, weil diese ihre Homosexualität nicht akzeptierten. Ob das stimmt? Pomrehn zuckt mit den Achseln. „Was soll man da heute noch glauben? Vielleicht gehörte das nur zu ihrer Legende, um Fragen zu ihrer Vergangenheit abzublocken.“ Selbst ihr Alter habe ja nicht gestimmt. „Uns erzählte sie damals, sie sei 1979 geboren worden – dabei war sie sieben Jahre älter“, berichtet Pomrehn.

 

Im Internet kursiert eine Art Passfoto der Beamtin aus ihrer Einsatzzeit in der Flora. Es zeigt ein ernstes, ein wenig rundes Gesicht. Die Lippen sind zusammengepresst, die Augen schauen wachsam, distanziert. In einem Ohr trägt sie ein Piercing. „Es gab einige Leute, die hatten sie mal in ihrer Wohnung besucht“, erzählt Pomrehn. Unpersönlich sei diese Wohnung demnach gewesen, als würde darin niemand wirklich leben. Einer Besucherin sei aufgefallen, dass auf dem Zimmertisch als einzige Zeitschrift das Frauen-Magazin Brigitte gelegen habe. „Das ist ja nicht unbedingt die Lektüre einer queeren Flora-Frau, da wäre einiges mehr an Zeitschriften und Blättern zu sehen gewesen“, sagt Pomrehn.

 

Aufgeflogen ist die Polizistin schon im Oktober 2013. In einer Hamburger Schule gibt es damals eine Aufklärungsveranstaltung der Polizei über islamistische Gewalttäter. Ein zufälliger Besucher, der auch regelmäßig in der Roten Flora verkehrt, traut seinen Augen nicht, als eine Frau ans Rednerpult tritt: Die Referentin, die als LKA-Beamtin Iris Plate aus der Abteilung Prävention islamischer Extremismus vorgestellt, wird, ist die „Iris Schneider“, die er aus der Flora kennt.

 

2006 hatte er sie das letzte Mal gesehen. Damals verabschiedete sie sich aus der Szene, wollte für ein Jahr in die USA reisen, um dort angeblich ein soziales Kinderprojekt zu betreuen. Später ließ sie die Genossen und Genossinnen noch wissen, dass sie nicht mehr zurückkehre aus den Staaten, weil es ihr dort so gut gefalle. Danach blieb sie verschwunden – bis zu jenem Oktobertag 2013.

 

Nach der Entdeckung recherchieren die „Floristen“ ein Jahr lang, tragen über die vermeintliche „Iris Schneider“ alles zusammen, woran sich ihre Mitstreiter noch erinnern können. Im vergangenen November stellt das Recherche-Team ein 18 Seiten langes Dossier ins Internet. Zusammen mit einem Foto der Beamtin und ihrer Wohnanschrift in Hamburg-Rahlstedt.

 

Sprachlos und wütend

 

Marie gehörte zu den ersten in der Flora, die von dem Auftritt der LKA-Beamtin Plate im Oktober 2013 erfuhren. „Das hat mich getroffen wie ein Schlag, mit allem was dazu gehört: Sprachlosigkeit, Wut, Trauer, Selbstzweifel, Schuldgefühle“, sagt sie. „Es wird einem plötzlich bewusst, wie sehr man getäuscht, manipuliert wurde. Denn sie war ja eine meiner besten Freundinnen.“ Die 36-jährige Marie möchte nicht, dass ihr vollständiger Name in der Zeitung steht. Seit vielen Jahren ist sie eine „Floristin“, hat andere in der Szene kommen und gehen sehen. „Iris war eine von uns, Teil unseres politischen und privaten Lebens“, erzählt sie. Sehr loyal sei sie gewesen, immer da, immer hilfsbereit, aber gleichwohl nicht so aufgesetzt herzlich. Ihre gemeinsame Freundschaft sei dann auch langsam gewachsen, war dafür dann später aber sehr eng und vertraut. Man traf sich auf Partys, auf WG-Abenden, spielte Karten miteinander, half anderen beim Umzug und beim Renovieren – was man eben so tue unter Freunden. „Für Iris hätte ich meine Hand ins Feuer gelegt“, sagt Marie.

 

Was sie ja auch tat 2004, als erste Verdächtigungen gegen „Iris Schneider“ durch die Szene waberten. Einige Misstrauische fanden zum Beispiel ihren Job als Verwaltungsangestellte in der Galeria Kaufhof seltsam, und auch, dass sie nie über ihre Familie und politische Vergangenheit sprach. Doch Marie stellte sich zusammen mit anderen aus der Flora vor die Freundin.

 

„Es waren diffuse Vorwürfe, substanzlos, wie es leider immer wieder vorkommt in der Szene“, sagt Andreas Blechschmidt. „Heute wissen wir zwar, dass sie zutrafen. Aber damals konnte man das noch nicht erkennen.“ Der 49-Jährige ist Sprecher der Roten Flora. Er war mit „Iris Schneider“ seinerzeit nicht so gut bekannt wie andere. „Ich wusste aber auch, dass sie eng befreundet ist mit Marie und noch mit anderen Leuten aus der Flora, und so was hat natürlich Strahlkraft. Dann ist es klar für mich, das ist eine von uns, das ist eine vertrauenswürdige Person, sie ist Teil der linksradikalen Szene.“

Hollywoodreif

Dennoch habe man damals natürlich den Verdacht erst einmal ernst genommen. Da aber diejenigen, die ihn erhoben hatten, keine Fakten nachlegen konnten, die falsche Iris nicht in die Enge zu treiben vermochten, liefen die Vorwürfe ins Leere. Und „Iris Schneider“ tat das ihrige dazu, die für sie gefährliche Situation zu überstehen und anschließend sogar noch unangefochtener dazustehen als vorher.

 

Hollywoodreif sei ihr Agieren damals gewesen, spottet Blechschmidt. Eiskalt und sehr kalkuliert habe sie Zwietracht gefördert und einzelne Personen, die das Misstrauen gegen sie schürten, isoliert. „Bloß erkannt haben wir das damals nicht“, sagt er. Auch Marie kann sich an tränenreiche Auftritte der Freundin erinnern, aber sie will darin nicht nur Kalkül erkennen. „Die Tränen, die damals bei ihr flossen, als man ihr Verrat an uns unterstellte, waren echt“, sagt sie. Das glaube sie heute noch.

 

„Die Flora war ihre homebase in dieser Zeit, nicht nur in politischer Hinsicht. In den zwei Jahren zuvor hatte sie dort enge Freundschaften gefunden, großes Vertrauen erlebt und vielleicht auch selbst gefasst. Sie wusste auch, die Vorwürfe gegen sie kamen nicht von dort, sondern von Leuten außerhalb der Flora. Deshalb suchte sie bei uns ihre Unterstützer, und die fand sie auch.“ Marie sagt, es sei ihr damals gar nicht in den Sinn gekommen, dass was dran sein könnte an den Spitzelvorwürfen gegen ihre Freundin. „Ich habe sie authentisch erlebt und bin noch heute davon überzeugt, dass Iris damals kein gespieltes Leben in und für die Szene führte. Sie war mit ihrem Herzen dabei.“

Flora-Szene erschüttert

Aber kann ein Leben so zerrissen sein? Kann man gleichzeitig eine Lebensweise und die Menschen, die dazugehören, lieben und beides verraten? Andreas Blechschmidt zuckt die Schultern. „Ich glaube schon, dass sie in bestimmten Situationen in Rollenkonflikte geraten ist“, sagt er. „Weil man es eben auch spürte, dass ihr das Leben, so wie wir es führen, gut gefallen hat. Und sie hatte sich ja auch verliebt damals, das waren zwei tief emotionale Beziehungen, die sie führte in ihrer Flora-Zeit.“

 

Die Enttarnung der doppelten Iris hat nicht nur die Flora-Szene erschüttert, sondern auch das politische Hamburg. Im kommenden Februar wird die Bürgerschaft neu gewählt, und der Erste Bürgermeister Olaf Scholz will den Stadtstaat gern weiter regieren. Für ihn kommt die Affäre zur Unzeit, denn in seine kurze Amtszeit als Hamburger Innensenator 2001 fällt der Beginn des verdeckten Einsatzes der Staatsschützerin.

 

Die Opposition wittert denn auch ein Wahlkampfthema. An diesem Mittwoch wird sich der Innenausschuss noch einmal mit dem Fall „Iris Schneider“ befassen. Es geht um die Frage, ob mit dem Einsatz der Ermittlerin, etwa beim Radio FSK, gesetzliche Grenzen überschritten wurden. Die Polizei bestreitet dies bislang – nach ihrer Darstellung sei die Beamtin als „Beobachterin für Lagebeurteilung“ in linke Kreise eingeschleust worden, ohne dem LKA über konkrete Personen zu berichten. Allerdings sei sie parallel dazu auch für den Generalbundesanwalt tätig geworden, für den sie in zwei Strafverfahren Informationen über Beschuldigte beschaffte. Man habe aber keine Hinweise darauf, so die Polizei, dass die Beamtin ihre Erkenntnisse vermischt habe.

 

Aus dem Ruder gelaufen

 

„Ich habe Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass die Ermittlerin und ihr Führungsbeamter die Trennung bei der Informationsweitergabe so strikt eingehalten haben, wie man es jetzt darstellt“, sagt der Hamburger Strafverteidiger Ralf Ritter. Dagegen sprächen das Eingehen von Liebesbeziehungen der Ermittlerin unter ihrer Legende und ihr rechtswidriger Einsatz beim Radio FSK. Er halte es für möglich, dass der Einsatz von „Iris Schneider“ einfach aus dem Ruder gelaufen ist.

 

Ralf Ritter, ein jugendlich wirkender Mann mit kurzen Haaren und schwarzer Architektenbrille, hat seine Kanzlei schräg gegenüber von den FSK-Sendestudios. Der renommierte Strafverteidiger hat im Auftrag des Senders Akteneinsicht beim Generalbundesanwalt beantragt. Aus den Unterlagen erhofft sich Ritter weiteren Aufschluss darüber, mit welchen Aufgaben „Iris Schneider“ tatsächlich im Radiosender ermittelte. Dabei geht es auch um eine – später vom Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig erklärte – Razzia der Hamburger Polizei beim FSK im November 2003. Schon damals war die Staatsschützerin für die Bundesanwaltschaft im Einsatz. Die Verfahrensakten aus Karlsruhe könnten möglicherweise die Frage klären, ob sie die Razzia mit vorbereitet hatte, was ein weiterer klarer Verstoß gegen die grundgesetzlich gesicherte Rundfunkfreiheit wäre.

 

In der Roten Flora hofft man darauf, dass sich die Hamburger Bürgerschaft auch nach den Wahlen im Februar um die weitere Aufklärung des Falles bemüht. „Uns interessiert weniger, was sie über uns berichtet hat“, sagt Andreas Blechschmidt. „Ziel der Aufarbeitung sollte sein, dass solche Einsätze künftig anders gehandhabt werden.“ Denn der Illusion, dass Polizei und Verfassungsschutz künftig darauf verzichten, die linke Szene auszuspionieren, gibt sich niemand hin. „Das Hase-und-Igel-Spiel geht weiter“, sagt Blechschmidt, „wir sind eben die Rote Flora.“

 

 

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