Wie nah waren sich NSU-Netzwerk und „Hammerskins“ wirklich? Im Münchener Prozess weigert sich ein wichtiger Zeuge, über die Verbindungen zur geheimen Bruderschaft auszusagen.
Von Andrea Röpke
Thomas Gerlach bestreitet nicht, Mitglied zu sein, aber ansonsten möchte er „zu dem Thema Hammerskins gar nichts sagen“. Ende Juli wird der bundesweit bekannte Neonazi zum dritten Mal vor das Oberlandesgericht geladen. Aus diversen Gründen ist der Thüringer „Hammerskin“ Thomas Gerlach für das NSU-Verfahren in München interessant: Er war mit der Helferin und engagierten Neonazistin Mandy S. befreundet, baute die Kameradschaftsszene in Zwickau mit auf, als sich das Kerntrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe dort versteckte, kannte das enge Umfeld des NSU-Angeklagten Eminger und organisierte gemeinsam mit dem mutmaßlichen Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben mehrere einschlägige Veranstaltungen.
Der quirlige, sprachbegabte Neonazi Gerlach kennt die autoritären Strukturen seiner Szene bestens. Einen Tag vor seiner Aussage am 10. Juli soll er den Chef der „Hammerskin Nation“-Division in Ludwigshafen, Malte Redeker, getroffen haben. Bis zwei Wochen vor dem Gerichtstermin war der als cholerisch geltende Jenaer Neonazi André Kapke sein Arbeitgeber auf dem Bau. Im Saal mauerte der 35-jährige Monteur aus Schmölln, er erzählte nur das Nötigste. Oben auf den Rängen saßen die einflussreichen Kameraden Maik Eminger aus Brandenburg und Enrico Marx aus Sachsen-Anhalt.
Seit 2002 beim „Hammerskin“-Chapter in Westsachsen
Zwischen 2001 und 2004 befand sich Gerlach in Haft, dort schulte er sich politisch weiter und lernte per Briefkontakt die Unterstützerin der „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene“ (HNG), Mandy S. aus dem Erzgebirge kennen. Bisher war angenommen worden, die beiden seien bereits 1998 liiert gewesen. Sie gab in ihrer Vernehmung an, Gerlach sei bereits vor der Haft Anwärter der „Hammerskin Nation“ gewesen. Nach seiner Entlassung waren die beiden ein paar Monate zusammen, er war in politischer Sache viel unterwegs. Noch Jahre später benutzte er ihren Namen als persönliches Passwort. S. half nicht nur den Abgetauchten aus Jena, sie war auch eng befreundet mit dem NSU-Angeklagten André Eminger. Den aber will er „bewusst“ nicht kennen, lautete Gerlachs schwammige Antwort im Zeugenstand. Seine Ex-Freundin traute ihm allerdings während ihrer Befragung zu, ihre Privatadresse an das Trio weitergegeben zu haben.
Tatsächlich bewegte sich Gerlach exakt im politischen Umfeld der NSU-Angeklagten Ralf Wohlleben und André Eminger, muss eigentlich auch Holger G. und Carsten S. aus Jena gekannt haben. Noch 2000 lief der umtriebige Thüringer Gerlach, genannt „Ace“, mit „Blood&Honour“-Shirt herum, seit etwa 2002 zählte er zum „Hammerskin“-Chapter in Westsachsen.
Würde Gerlach umfassend aussagen, könnte er den „Hammerskin“-Chef und Betreiber des Szene-Geschäfts „Gjallarhorn Klangschmiede“, Malte Redeker, womöglich belasten. Einerseits wird das militante internationale Netzwerk in den USA mit einem rassistischen Amoklauf mit mehreren Toten in Verbindung gebracht, andererseits verfügte auch Redeker über engere Kontakte zu mindestens einem NSU-Angeklagten, als bisher bekannt.
Gute Kontakte zur elitären Bruderschaft
Denn 2005 gehörte der mächtige Ludwigshafener zum engen Kreis der Händler, die unter Aufsicht von Ralf Wohlleben, André Kapke und Thomas Gerlach beim „Fest der Völker“ in Jena verkaufen durften. Filmkameras mochte der öffentlichkeitsscheue Neonazi, der ursprünglich aus Schleswig-Holstein stammt, schon damals nicht. Federführend war beim Fest des „Heimatschutz’ Thüringen“ auch das Chemnitzer Musiklabel „PC Records“ dabei. Dessen Chef Yves Rahmel gilt als ebenso einflussreich wie zurückgezogen. Rahmels Firma steht in enger Verbindung zu Bands und Akteuren der „Hammerskins“.
Auch der Angeklagte André Eminger aus Zwickau, bei dem der Zeuge Gerlach sich nicht sicher war, ihn zu kennen, bemühte sich früh um gute Kontakte zur elitären Bruderschaft. Nach dem Verbot von „Blood&Honour“ übernahm die „Hammerskin Nation“ (HSN) nach und nach in einigen Regionen die Musikstrukturen, baute autarke Chapter auf. Die Organisation arbeitete seit den 90er Jahren jedoch weitaus konspirativer und unbeachtend von Inlandsgeheimdiensten und Öffentlichkeit. Kontakte zu B&H-Aktivisten gab es, aber es wurde vorsichtig agiert. Seit dem Auffliegen eines führenden sächsischen „Hammerskins“ wurde kein namhafter V-Mann aus HSN-Reihen mehr geoutet. Interessenten benötigen Bürgen und müssen sich jahrelang beweisen, bis sie den Mitgliedsstatus erreichen. Schlechtes, auffälliges Verhalten, welches dem geschäftstüchtigen Netzwerk schadet, führt schnell zur Degradierung einzelner Mitglieder.
„Unser aller Ziel verwirklichen, die 14 Words“
Bereits in dem von den Brüdern Eminger etwa 2000 herausgegebenen Heften namens „The Aryan Law & Order“ spielten die Skinheads mit den gekreuzten Hämmern eine große Rolle. Ihre „Weiße Arische Bruderschaft“ sahen sie nicht als Konkurrenz für B&H und die „Hammerskin“-Bewegung: „Nein, wir gründeten uns, um den schon bestehenden Bewegungen den Rücken zu stärken und um vereint stark genug zu sein, unser aller Ziel zu verwirklichen, die 14 Words.“ Die Zwillinge von der „Bruderschaft Erzgebirge“ schienen deren Nähe offensiv zu suchen. So wurde zum Beispiel auch von einem anstrengenden Geländemarsch in Militärklamotten berichtet, organisiert von „Hammerskins“ im Vogtland. Sie stellten Konzerte vor und ein Autor führte ein Interview mit der Altenburger Band „Kreuzfeuer“, deren Mitglieder auch dem Zeugen Gerlach bekannt sind.
Immer offensichtlicher wird, dass Thomas Gerlach sich ebenso nah im Wohlleben- wie im Eminger-Umfeld bewegt hatte. Etwa 2008 baute der „Hammerskin“ die „Freien Nationalisten Zwickau“ mit auf. In diese Zeit fiel seinen Angaben zufolge auch die politische Zusammenarbeit mit Maik Eminger.
Mit gekreuzten Armen bei einem Ritteressen
Den führenden Jenaer Neonazi und mutmaßlichen NSU-Waffenorganisator Ralf Wohlleben kennt Gerlach bereits seit den 90er Jahren. Gerlach bewegte sich wie er zunächst im Umfeld des „Thüringer Heimatschutzes“, dann war er ebenfalls für die NPD aktiv und gemeinsam wechselten sie dann zum „Freien Netz“. Den „Hammerskins“ aber blieb Gerlach treu. Fotos zeigen ihn mit gekreuzten Armen, dem Gruß der Truppe bei einem Ritteressen. An dem nahm auch Wohlleben teil.
In einer Werkhalle in Altenburg fand 2007 ein kleines, exklusives Konzert unter Mitwirkung führender ostdeutscher „Hammerskins“ wie Gerlach statt. Unter den illustren Gästen befanden sich der jüngst verstorbene Neonazi Thomas Richter, bekannt unter seinem V-Mann-Namen „Corelli“, der Betreiber von PC Records aus Chemnitz sowie André Kapke und Jug P. Der Neonazi aus Baden-Württemberg verfügte über beste Connections nach Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Das BKA verdächtigte ihn, mit der Waffenbeschaffung des NSU zu tun gehabt zu haben. Auch Thomas Gerlach wurde wegen des Faibles der „Hammerskins“ zu scharfen Waffen mehrfach befragt – er streitet aber ab, mit solchen Lieferungen zu tun zu haben. Lieber zeigt sich der rührige Neonazi harmlos als Sportler oder mit neuem Häuschen in Heukewalde.
„Uwocaust“ und „Wüste“ bei Feier in Salchow
Im Mai 2011 feierte eine illustre Gesellschaft von rund 300 Neonazis im kleinen Dorf Salchow in Ostvorpommern das 15-jährige Bestehen des „Kameradschaftsbunds Anklam“. Der stand zunächst „Blood&Honour“ nahe, danach dem „Hammerskin-Chapter Pommern“. Zwischen den braunen Hintergrundstrukturen der Region und denen in Chemnitz bestehen seit langem enge Kontakte. Gemeinsam fuhren die Brüder Eminger nach Salchow. Dort trafen sie nicht nur auf zahlreiche „Hammerskins“, sondern auch auf bekannte Szene-Musiker wie den Sänger von „Gigi & die braunen Stadtmusikanten“, Mitglieder der Bands „Brainwash“ und „Blitzkrieg“ aus Altenburg und Chemnitz. Bekanntschaften, die im Terror-Netzwerk eine Rolle spielen könnten. Von „Gigi“ und seiner Band stammt der „Döner-Killer“-Song von 2010. Die Band „Brainwash“ beteiligte sich ebenso wie „Blitzkrieg“ und „Sonderkommando Dirlewanger“ (SKD) an einem Soli-Sampler von „PC Records“ , der unter anderem für den inhaftierten NSU-Angeklagten Ralf Wohlleben Geld einspielen soll.
Auch ein ehemaliges Mitglied der „Weißen Arischen Bruderschaft“ aus Sachsen war vertreten. Längst schien André Eminger nicht der einzige in Salchow, dem Kontakte zum direkten Untergrundumfeld von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nachgesagt werden, so nahm unter anderem auch Michael L., genannt „Wüste“ teil, der zum engen Kreis von „Blood&Honour“ in Chemnitz zählte. Auch der Musiker Uwe Menzel, genannt „Uwocaust“ aus Potsdam feierte in Mecklenburg-Vorpommern mit. Als Sänger der Band „Proissenheads“ taucht er immer wieder bei den Ermittlungen zum NSU auf, nicht zuletzt wegen seines Verstoßes gegen das Waffengesetz und der engen Drähte zu den Chemnitzer Helfern Thomas S. und Jan W. von „Blood&Honour“. Bis nachts um drei Uhr spielten die Bands, Skinheads tanzten Pogo. Zwei Armeezelte säumten das Gelände. Bei aller Szene-Prominenz durfte einer dort anscheinend nicht fehlen: David Petereit, heute NPD-Landtagsabgeordneter in Mecklenburg-Vorpommern, der direkt mit einer Spende des NSU von 2002 in Verbindung gebracht wird.
Wüste
Michael L. = Michael Lorenz, Mitbetreiber von OPOS Records.