Anlässlich des am Freitagnachmittag abgelaufenen Räumungsultimatums der von Flüchtlingen besetzten Gerhard-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße in Berlin fand gestern Abend in Mainz eine kurzfristige Solidaritätsdemonstration statt. Trotz ziemlich kurzfristiger Mobilisierung fanden sich an die 40 Aktivist*innen ein. Nicht allzu groß, dafür aber umso kraftvoller und entschlossener, führte der Demozug eine Dreiviertelstunde lang durch die Mainzer Innenstadt, bis er von einem übermächtigen Polizeiaufgebot eingekesselt wurde.
Auf dem Weg vom Hauptbahnhof über den Schillerplatz und durch die Fußgängerzone und Römerpassage bis zur Kaiserstraße war das Interesse zahlreicher Passant*innen und Ladenmitarbeiter*innen bemerkenswert, die den Berichten über die Lage der Refugees in Berlin interessiert zuhörten und teils ermunternd reagierten.
Die Räumung der seit eineinhalb Jahren von Geflüchteten besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße in Berlin-Kreuzberg durch über 1.000 Polizist*innen hatte bereits am vergangenen Dienstag begonnen, ist aber bis dato nicht abgeschlossen, da sich in ihrem Kampf um ein einigermaßen würdevolles, selbstbestimmtes Leben einige der Refugees durch keine noch so massiven Drohungen abbringen lassen. Sie verkündeten, das Gebäude nicht zu verlassen, bevor nicht auf ihre Forderungen eingegangen wird. Die Schule wurde von der Presse und Unterstützer*innen isoliert, in den vergangenen Tagen gab es massenweise Festnahmen und körperliche Gewalt durch die Polizei.
Dass die Räumung von Behördern und Politiker*innen als „freiwilliger Umzug“ bezeichnet wird, ist der zynische Versuch einer Beschönigung, und die Angebote des von Grün regierten Bezirkes sind eine einzige Farce. Von den wohlklingenden Wahlversprechungen, die Rechte der Flüchtlinge zu stärken, ist leider nichts übrig geblieben.
Ohne die Gesamtsituation vergleichen zu können, wurde auch unser Demozug in Mainz von einem ungewöhnlich großen Polizeiaufgebot angegriffen. Nachdem zu Versammlungsbeginn eher die vollkommene Abwesenheit der Polizei auffiel, stießen im weiteren Verlauf der Demonstration immer mehr Polizeiautos hinzu.
Auf halbem Weg zur Landesgeschäftsstelle der Grünen, die mit der Mitverantwortung für die Situation in Berlin konfrontiert werden sollten, versuchten erst einzelne Polizist*innen, den Zug zu stoppen. An der Großen Bleiche sei „der Spaß“ zu Ende, hieß es. Wir machten deutlich, dass es nicht um Spaß, sondern leider um bitteren Ernst geht, um die unerträgliche Situation der Refugees in Berlin, Deutschland und inner- wie außerhalb der Festung Europa.
Ohne uns einschüchtern oder provozieren zu lassen, führten wir unsere Demonstration konsequent weiter, bis wir auf der Mittelinsel der Kaiserstraße von rund 40 Polizist*innen überwältigt und eingekesselt wurden.
Das Aufgebot war durchaus interessant: neben mehr als zehn Autos und Wannen erwarteten uns mindestens 8-10 Zivilpolizist*innen mit Knopf im Ohr sowie ein Polizeihund.
Dessen ungeachtet blieb die Stimmung unter den Teilnehmer*innen auch im Kessel entschlossen und gut. Um auch hinzukommenden Zuschauer*innen unser Anliegen klarzumachen, wurden weiterhin „Hoch die internationale Solidarität!“ oder „Refugees are welcome here!“ skandiert. Damit wurde auch deutlich gemacht, sich trotz der Einschüchterungsversuche der Staatsgewalt nicht vom eigentlichen Anlass abbringen zu lassen.
Besonders erfreulich war, dass sich ein uns bis dahin unbekannter Sympathisant spontan dem Kessel anschließen wollte. Er wurde jedoch von Zivilbeamten sofort zurückgedrängt, weggestoßen und wohl auch beleidigt. Dass er gar unter Einsatz von Pfefferspray brutal abgeführt und in Gewahrsam genommen wurde, nachdem er auf dem Namen des Beamten bestand, werten wir als Versuch, die Bevölkerung einzuschüchtern. Dem Unterstützer gilt unser tiefster Dank für sein solidarisches Engagement! Wir können nur hoffen, dass mehr und mehr Menschen den Mut finden, sich uns anzuschließen, und versprechen ihnen, so gut es uns möglich ist, für sie da zu sein.
Nacheinander wurden alle aus dem Kessel herausgezogen. Wer nicht umgehend freiwillig aufstand, wurde unsanft angepackt, teilweise am Boden entlanggeschleift oder am Hals gewürgt und in den Schmerzgriff genommen, um Personalien aufzunehmen und ungeachtet lautstarken Widerspruchs rechtswidrig abzufilmen. Aus Sorge, jemand könnte das brutale Vorgehen der Polizei dokumentiert haben, wurden mehrere Beobachter*innen gezwungen, Foto- und Videoaufnahmen zu löschen. Eine junge Demonstrantin wurde brutal in eine Wanne gezerrt und durchsucht. Ein weiterer Mitdemonstrant, der sich mit kleinem Kind auf den Schultern abzuwenden versuchte, wurde rabiat angepackt und am Arm verletzt. Dank der herzlichen Solidarität und Besonnenheit aller gelang es jedoch, dem Kind ein so sicheres Gefühl zu vermitteln, dass es die zumindest unangenehme Situation bestens verarbeiten konnte.
Im Anschluss gingen etwa 15 Beteiligte noch zum Polizeipräsidium in der Weißliliengasse, um sich um den Verhafteten zu kümmern. Dort wurde jegliche Aussage verweigert. Ein Freund des Festgenommenen verkündete den Wartenden jedoch nach zwei Stunden seine Freilassung. Rechtliche Schritte gegen die grundlose Festnahme werden eingeleitet.
Die Schikanen der Polizei in Mainz stehen freilich in keinem Verhältnis zu der Situation von Geflüchteten in Deutschland und Europa. Der unmenschliche Umgang durch die Staatsgewalt und Ignoranz großer Bevölkerungsteile treibt sie bisweilen zu drastischen Mitteln des Protestes, bevor sie sich einer Abschiebung stellen. Was wir als Unterstützer*innen tun können, ist, unsere entschlossene Solidarität zu zeigen und auf die konkrete Lage und Forderungen der Refugees aufmerksam zu machen. Im Einverständnis mit den Betroffenen gelingt es aber auch immer wieder, nächtliche Überfälle und Abschiebungen zu verhindern.
Die Polizeigewalt bei der Räumung in der Ohlauer Straße ist nur ein Beispiel, wie der deutsche Staat einer Menschengruppe grundlegende Rechte abspricht und bei einem Widerstand von Migrant*innen reagiert, die bisweilen ihr Leben aufs Spiel setzen, um Freiheiten zu erstreiten, die jede*r Deutsche von Geburt aus hat. Aufgrund der rassistischen Gesetze bleiben Refugees von Grundrechten der bürgerlichen Demokratie sowie den Überresten des Sozialstaates ausgeschlossen. Kämpfen sie um diese Rechte und Freiheiten, so antwortet die Staatsgewalt mit aller Härte und große Teile der Bevölkerung mit Gleichgültigkeit, Unverständnis bis hin zu offenem Hass.
Am heutigen Samstag um 16h startet am Berliner Hermannplatz eine große Solidaritätsdemo mit dem Titel „You can't evict a movement!“. Einige Genoss*innen aus Mainz befinden sich bereits auf dem Weg dorthin. Wir rufen alle dazu auf, sich an der Demo zu beteiligen und sich den Unterstützer*innen rund um das Schulgebäude in praktischer Solidarität anzuschließen!
Wir bleiben dran,
denn Ausschlafen gibt's erst im Kommunismus!
Morgen, Sonntag 13h: Kundgebung vor dem Hbf
Soeben erfuhren wir, dass aus antirassistischen Kreisen für den morgigen Sonntag eine Dauerkundgebung/Mahnwache vor dem Mainzer Hauptbahnhof angemeldet wurde. Sie findet von 13-17 Uhr statt und bietet neben Redebeiträgen, Informationsmaterial und Musik auch die Möglichkeit, mit Aktivist*innen näher ins Gespräch zu kommen.