Ein bekannter Spitzel der Heidelberger Polizei tritt öffentlich im Internet auf
Von Hanning Voigts
Der junge Mann liebt die Berge und Schweizer Schokolade. So steht es zumindest auf der Homepage des alternativen Reiseveranstalters, für den er Mountainbike-Gruppen über die Alpen führt. Für ihn sei Radfahren „Spannung, Spiel und Schokolade“, heißt es neben dem Foto des sympathischen Sportlers, der offenbar Wert auf Sicherheit legt: Zum orangefarbenen T-Shirt trägt er einen Fahrradhelm.
Was im Internet so harmlos daherkommt, birgt politisch möglicherweise einigen Sprengstoff. Denn der junge Mountainbiker ist im Hauptberuf Polizist, und zwar nicht irgendeiner. Vor vier Jahren geriet er bundesweit in die Schlagzeilen, weil er sich unter der falschen Identität des Germanistik-Studenten „Simon Brenner“ in Heidelberger Studentenkreise eingeschlichen hatte. Seit April 2010 hatte der verdeckte Ermittler studentische Initiativen ausgehorcht und sich an Protesten von Globalisierungs-Gegnern beteiligt. Als er im Dezember 2010 auf einer Party zufällig von einer Urlaubsbekanntschaft als „der Simon von der Polizei“ wiedererkannt wurde, flog „Brenner“ auf – und erklärte seinen vermeintlichen Mitstreitern nach deren Angaben, sein eigentliches Ziel sei die „Antifaschistische Initiative Heidelberg“ gewesen.
Erst nach wochenlangem Schweigen hatte die damals schwarz-gelbe Landesregierung von Baden-Württemberg den Einsatz des Polizeispitzels eingeräumt und ihn mit „Gefahrenabwehr beziehungsweise vorbeugender Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ gerechtfertigt. Welche Straftaten „Brenner“ verhindern sollte, teilte die Regierung nicht mit. Der enttarnte Ermittler, dessen Klarname schon bald auf linken Webseiten kursierte, tauchte unter.
Zumindest bis jetzt. Dass sich der Polizist wieder mit Foto und vollem Namen in die Netz-Öffentlichkeit traut, könnte auch rechtlich brisant sein. Denn die Frage, ob der Einsatz von „Simon Brenner“ überhaupt rechtmäßig war, ist bis heute nicht geklärt.
Seit Sommer 2011 versuchen ehemalige Mitstreiter von „Brenner“, die Rechtswidrigkeit seines Einsatzes über eine Fortsetzungsfeststellungsklage zu beweisen. Doch das Verfahren zieht sich, weil das Innenministerium die Akten zu dem Fall mit einer Sperrerklärung für die Gerichte unzugänglich gemacht hat. Die Begründung: Die Akten ließen zu viele Rückschlüsse auf die interne Arbeitsweise der Polizei zu. Und: Der verdeckte Ermittler müsse vor Angriffen durch die linke Szene geschützt werden.
Für Martin Heiming ist zumindest diese Begründung mittlerweile hinfällig. „Jemand, der sich im Netz tummelt, weiß ja, dass das öffentlich ist“, sagt der Heidelberger Rechtsanwalt, der die Spitzel-Opfer bei ihrer Klage vertritt. Der Polizist dokumentiere durch seinen Auftritt als Mountainbike-Guide, dass er sich nicht besonders gefährdet fühle. Dass er und seine Familie „persönlich diffamiert und körperlich bedroht“ seien, wie es in der Sperrerklärung heiße, könne jedenfalls niemand mehr ernsthaft behaupten.
Das Verfahren selbst stockt seit mittlerweile einem Jahr beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Die Heidelberger Studierenden haben Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim eingereicht, der im Januar vergangenen Jahres weite Teile der Sperrerklärung für rechtlich zulässig erklärt hatte. Beim Bundesverwaltungsgericht heißt es, eine Entscheidung könnte in einigen Wochen fallen. Irgendwann dürfte das Verfahren schließlich ans Verwaltungsgericht Karlsruhe zurückgehen, wo die ursprüngliche Klage gegen den Spitzel-Einsatz seit nunmehr drei Jahren anhängig ist.
Im SPD-geführten Innenministerium in Stuttgart will man sich gar nicht zu dem Fall äußern. Irgendjemanden scheint die Anfrage der Frankfurter Rundschau an das Ministerium aber aufgescheucht zu haben: Wenige Stunden später waren das Foto des radfahrenden Polizisten und seine Schwärmerei für Schweizer Schokolade aus dem Internet verschwunden.
-_-
https://firstlook.org/theintercept/2014/02/24/jtrig-manipulation/