Erfolgreiche Antirassistische Aktionstage 2013 in Sachsen-Anhalt

Rassismus tötet- Kundgebung 15.5.13 Halle/Saale

Vom 10. bis zum 21. Mai 2013 fanden im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Rassismus tötet!“ in Magdeburg, Gräfenhainichen, Bitterfeld, Halberstadt und Halle verschiedenste Aktionen und Veranstaltungen statt. Aufgerufen zu den Aktionstagen hatte die Flüchtlingsbewegung Sachsen Anhalt und das Réfugié Comité Wittenberg gemeinsam mit dem Antirassistischen Netzwerk Sachsen-Anhalt. Hauptanliegen des Netzwerkes ist es, das Thema Rassismus und die damit verbundenen Auswirkungen für die Betroffenen über die jeweiligen lokalen Grenzen hinaus in die Öffentlichkeit zu tragen und gemeinsam und solidarisch mit Flüchtlingen und Flüchtlingsinitiativen für gleiche Rechte für alle zu kämpfen.

 

20 Jahre nach Abschaffung des Grundrechts auf Asyl
Im Mittelpunkt der Aktionswoche standen die aktuellen Lebens- und Wohnrealitäten von Flüchtlingen in Sachsen-Anhalt. Besonderes Augenmerk lag auf den Auswirkungen eines institutionalisierten Rassismus auf den Alltag von Menschen im Asylverfahren bzw. mit einer Duldung. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Aktionstage war die Stärkung der Selbstorganisierung und Vernetzung von Flüchtlingen und Initiativen aus den verschiedenen Lagern im Bundesland.

Über die Aktionstage
Den Auftakt am 10. Mai bildete eine Infoveranstaltung im Infoladen des Libertären Zentrums in Magdeburg über die Geschichte des deutschen Kolonialismus. Behandelt wurden seine Anfänge, Widerstände gegen die deutschen Kolonialisten, koloniale Kriege, die Rolle weißer Frauen und kolonial geprägte Vorgänge im deutschen Reich. In der inhaltlichen Ausrichtung der ersten Veranstaltung der Aktionswoche sehen wir einen wichtigen Schritt um erneut auf die lange Geschichte von Rassismus hinzuweisen. Die Veranstaltung wurde von vielen interessierten Menschen besucht.

Am Montag, den 13. Mai veranstalteten Antirassist_innen in Bitterfeld eine öffentliche Filmvorführung zum Thema Asylpolitik. Gezeigt wurde der Film „Residenzpflicht“. Es waren ca. 20 Menschen anwesend. Abschließend gab es noch eine Diskussionsrunde mit den Flüchtlingen aus Friedersdorf. Auch die Presse war anwesend und stellte einige Fragen zur Situation der Flüchtlinge. In der Presse wurde allerdings nichts über die Veranstaltung veröffentlicht. Die Veranstaltung fand im Jugendclub „Linde“ in Bitterfeld statt.

Am darauffolgenden Tag, dem 14. Mai beteiligten sich über 30 Flüchtlinge aus Vockerode, Wittenberg, Gräfenhainichen und Dessau, sowie  Unterstützer_innen an der Kundgebung „Rassismus tötet“ - Für die Dezentralisierung der Flüchtlinge und gegen den Rassismus der Ausländerbehörde Landkreis Wittenberg – Außenstelle Gräfenhainichen. Bei guter Stimmung, bestem Wetter, angenehmer Musik und Redebeiträgen der Flüchtlinge aus dem Landkreis fand die Kundgebung von 14 bis 18 Uhr  in Gräfenhainichen statt.
Betont wurde, dass als Konsequenz aus 20 Jahren „Asylkompromiss“ und dem Brandanschlag in Solingen endlich entschieden der alltägliche und institutionelle Rassismus bekämpft werden muss. Außerdem wurde die freie Wahl der Wohnung und des Wohnortes, Reise- und Bewegungsfreiheit und das Recht zu arbeiten gefordert. Weitere Forderungen der Redebeiträge waren: Schluss mit der diskriminierenden, rassistischen Politik und endlich ausreichende medizinische Versorgung sowie ein allgemeiner Stopp der Abschiebungen.
Nachdem es in den letzten Wochen bereits dreimal zu rassistischen Angriffen auf die Bewohner_innen des Lagers in Vockerode kam und die NPD vor Ort mehrmals einen „Infotisch“ durchführen konnte, verlief die Kundgebung erfreulicher Weise ohne Zwischenfälle durch Rassist_innen und Faschist_innen oder durch die Polizei.
Als ein Höhepunkt der Aktionstage kann die Kundgebung am 15. Mai in Halle/Saale gesehen werden. Unter dem Motto „Rassismus tötet!“ versammelten sich rund 250 Menschen auf dem Marktplatz. Direkt vor dem Rathaus der Stadt demonstrierten sie gemeinsam gegen die deutsche Asylpolitik, Alltagsrassismus und geistige Brandstiftung. Neben Infomaterialien, einer Fotoausstellung und Redebeiträgen  wurde im Rahmen der Kundgebung auch mit der Installation „home sweet home?“ die Lebenssituation von Flüchtlingen in der Öffentlichkeit sichtbar gemacht. Die Installation ist der 1:1 Nachbau eines Zimmers aus dem ehemaligen  Lager Möhlau, das mit den „typischen“ wenigen und gebrauchten Möbeln ausgestattet ist und mit Hilfe eines Original großen Prints des Fensters  Ausblick aus dem tatsächlichen Zimmer auf die Einöde des Lagers bietet.
Im Rahmen eines öffentlichen Hearings berichteten Flüchtlinge aus ganz Sachsen-Anhalt  über ihre alltäglichen Erfahrungen von Ausgrenzung, Isolation und der Diskriminierung durch rassistische Sondergesetze. Außerdem sprachen sie über ihre Erfahrungen mit Mitarbeiter_innen von Heimleitungen, Ämtern und Behörden. Aber auch über die Notwendigkeit sich zu organisieren und zu vernetzen um die Isolation aufzubrechen und den gemeinsamen Kampf gegen die herrschende Ungleichheit zu stärken betonten die Sprecher_innen immer wieder.
Darüber hinaus wurde den ungezählten Toten des deutschen und europäischen Grenzregimes gedacht und im Besonderen dem Tod von Cosmo Saizon.  Dies ist der jüngste, bisher ungeklärte, Todesfall eines Flüchtlings in Sachsen-Anhalt. Er verstarb am 25. April 2013 im Gesundheitszentrum Bitterfeld. Cosmo Saizon, der im Lager Friedersdorf leben musste, litt unter gesundheitlichen Problemen. Als sich sein Zustand im April diesen Jahres verschlechterte, wurde ihm nach Aussagen von Freunden keine angemessene Untersuchung und Behandlung gewährt. Die Einlieferung per Notarzt ins Bitterfelder Gesundheitszentrum fand zu spät statt. Nach einer Not-OP verstarb Cosmo Saizon unter bisher ungeklärten Umständen.
Musikalisch begleitet wurde die Kundgebung mit Hiphop von Sayes aus Leipzig und der Papa Dula Band aus Halle mit Dub und Reggae.

In Magdeburg fanden außerdem drei weitere Infoveranstaltungen und Filmvorführungen statt. Am Dienstag, den 14.Mai, wurde im Infoladen im LIZ der Film „The truth lies in Rostock“ gezeigt und anschließend diskutiert. In diesem Dokumentar-film werden die Hintergründe zum Progrom 1992 in Rostock-Lichtenhagen ausführlich dargestellt. Zusätzlich wird die mangelnde Reaktion und Informationsweitergabe von Seiten der Polizei und Politik beleuchtet und analysiert.

Am 16. Mai fand am Ulrichsplatz ein öffentlicher Filmabend mit einem ausführlichen Redebeitrag zweier Aktivisten des Réfugié Comité Wittenberg statt. Sie schilderten umfangreich ihre Situation als Asylsuchende in Deutschland. Dabei wurden die Schwierigkeiten, Schikanen und der Rassismus deutlich, welchem sie im alltäglichen Leben ausgesetzt sind. Im Mittelpunkt stand dabei das Asylverfahren. An einigen Fallbeispielen wurde ein Bild der Situation der Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt gezeichnet. Außerdem entstand ein Einblick in die Gründe, die sie dazu veranlassten, ihr Land zu verlassen.
Daraufhin wurde nach einer Pause mit Musik, kurzen Diskussionen und veganem Essen, wie auch in Bitterfeld der Film „Residenzpflicht“ gezeigt.
Durch die persönlichen Berichte von direkt Betroffenen sowie dem Dokumentarfilm entstand ein bewegendes und greifbares Bild der Umstände. Dies erzeugte umso stärker die Notwendigkeit des Handelns zur grundsätzlichen Veränderung der Lage von Flüchtlingen in Deutschland, hier speziell in Sachsen-Anhalt. Außerdem gaben die Redebeiträge auch anderen von Rassismus Betroffenen Mut, sich über ihre Erfahrungen zu äußern. Die zentrale Lage am Ulrichsplatz und der Nähe des Café Alex ermöglichte es, dass unterschiedliche Bürger_innen Magdeburgs erreicht wurden.

Bei der dritten Veranstaltung im Eine-Welt-Haus, am 17. Mai, stand die Situation von Flüchtlingsfrauen im Mittelpunkt. Mit einer Ausstellung, dem Film „Flüchtlingsfrauen werden laut“ und Vorträgen von Vertreter_innen der Flüchtlingsselbstorganisation „Women in Exile“ aus Brandenburg und dem Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt konnte ein intensiver Einblick in die Erfahrungen und die Arbeit von und mit Flüchtlingsfrauen gewonnen werden.

Zum Abschluss der Aktionstage fand am 21. Mai in Halberstadt ein Diskussions-abend zum Thema „20 Jahre Asylkompromiss – Flüchtlinge im Land der Frühaufsteher“ statt. Die Veranstaltungen diente zusätzlich der Mobilisierung für die „Fight Racism Now!“ - Demonstration am 25. Mai 2013 in Berlin. Es nahmen ca. 80 Flüchtlinge aus der „Zentralen Aufnahmestelle“ in Halberstadt (ZaSt) teil. Thematisiert wurden zum einen die Rechte der Flüchtlinge und zum anderem die „einjährigen“ bundesweiten Proteste der Flüchtlinge. Die Teilnehmenden waren sehr interessiert und stellten viele Fragen. Dabei nahmen die Probleme mit dem Dublin-II-Verfahren einen besonderen Schwerpunkt in der Diskussion ein. Das Dublin-II-Verfahren ermöglicht es dem (deutschen) Staat Flüchtlinge, welche durch einen sogenannten „sicheren Drittstaat“ eingereist sind, in dieses Land abzuschieben. Da die BRD nur von „sicheren Drittstaaten“ umgeben ist, kann sie sich der Verantwortung Flüchtlinge aufzunehmen, in der Regel entziehen. Diese Regelung stellt seit 1993 einen Teilaspekt der faktischen Abschaffung des Asylrechts hierzulande dar.

Ein kurzes Fazit
Abschließend können wir als Netzwerk festhalten, dass alle Veranstaltungen der Aktionswoche auf positives,  öffentliches Interesse gestoßen sind und gut besucht waren. Als besonderen Erfolg können wir die rege Teilnahme von vielen Flüchtlingen aus ganz Sachsen-Anhalt an den Veranstaltungen besonders in Gräfenhainichen, Halle und Halberstadt werten, was zu einer breiten Vernetzung unter den Flüchtlingen beigetragen hat, die durch die abgeschiedene Lage der meisten Lager meist schwierig zu realisieren ist.
Auch wenn weiterhin ohne Frage Rassismus in Sachsen-Anhalt zum Alltag von Migrant_innen und Flüchtlingen gehört, wie ganz aktuell die Debatte um das Lager in Vockerode, die versuchten Abschiebungen von Osman Tigani nach Dafur   oder der Tod Cosmo Saizon zeigen, bleibt festzuhalten, dass 20 Jahre nach dem „Asylkompromiss“ die von dessen Folgen betroffenen Menschen sich auch in Sachsen-Anhalt immer stärker und erfolgreich gegen Ausgrenzung, rassistische Sonderbehandlung und Abschiebungen wehren. Eine Entwicklung, die wir als Netzwerk sehr begrüßen und die wir weiter solidarisch unterstützen werden. Für ein Recht zu gehen! Für ein Recht zu bleiben! Für alle und weltweit!

Antirassistisches Netzwerk Sachsen-Anhalt
Mai 2013

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Presse zu den Aktionstagen
Solingen war kein Zufall, ND
http://www.neues-deutschland.de/artikel/821289.solingen-war-kein-zufall....
Protest gegen Rassismus, Wochenspiegel
http://www.wochenspiegel-web.de/wisl_s-cms/_wochenspiegel/7379/Halle__Sa...

weitere Artikel zu Protesten
Friedersdorf – Asylsuchende demonstrieren gegen Heimleitung, MZ, 30.04.2013
http://www.mz-web.de/bitterfeld/friedersdorf-asylsuchende-demonstrieren-...

Weitere Infos
http://antiranetlsa.blogsport.de/
http://ludwigstrasse37.de/nolager/
http://refugeeinitiativewittenberg.blogspot.de/