Supermarkt statt Essenskisten in Baden-Württemberg

Erstveröffentlicht: 
02.06.2013

Bargeld für Asylbewerber statt fertig gepackte Essenskisten – jahrelang haben Flüchtlingsverbände und Betroffene für dieses Ziel gekämpft. Seit einigen Monaten stellen viele Kreise um – zur Freude der Asylbewerber. Aber nicht alle machen mit.

 

Nur zwei schulterhohe Stapel aus blauen Plastikkisten lehnen noch an der grauen Betonwand. Jahrelang kam in diesen Kisten das Essen zu den Asylbewerbern, die in dem schmucklosen dreistöckigen Bau im Tübinger Ortsteil Weilheim leben. Meist zweimal wöchentlich wählten die Asylbewerber auf einer Liste Nahrungsmittel aus – und die kamen fertig gepackt ins Haus.

 

Im Dezember hieß es dann plötzlich: Von jetzt an gibt es nur noch Geld – nicht mehr bloß knapp 41 Euro Taschengeld im Monat. "Wir konnten ein Sparbuch eröffnen", sagt der 40-jährige Mazedonier Ismet, der da mit seiner Frau Ilmie (38) und den beiden Töchtern schon seit mehr als einem Jahr in Tübingen lebte. Ihren Nachnamen wollen sie nicht in der Zeitung lesen. "Endlich in den Supermarkt zu gehen, fühlte sich normal an", sagt Ilmie.

 

Organisationen wie der baden-württembergische Flüchtlingsrat fordern seit Jahren Geld statt Kisten. Regelmäßig suchen auch Betroffene die Öffentlichkeit, oft unterstützt von lokalen Gruppen. In Tübingen etwa kaufte eine studentische Initiative den Asylbewerbern Kisten ab, kochte aus dem Inhalt Essen und verteilte es an Informationsabenden. Auch Ismet und Ilmie waren häufig dort.

 

"Kaufen, was man will"

 

Dabei seien Essenskisten nicht schlimm, betont sie: "Wir waren immer froh, versorgt zu werden", sagte Ilmie. "Aber jetzt kann man kaufen, was man will." Und ab und an habe es doch Probleme gegeben. "Mir wurde sogar mal schlecht vom Essen", sagt Ismet. Was auf der Liste fehlte, mussten sie vom Taschengeld kaufen – zusätzlich zu Bustickets oder Schmerztabletten.

 

Die Wünsche der Flüchtlinge sind den Behörden seit langem bekannt. Dass jetzt darauf reagiert wird, liege vor allem an der Landesregierung, sagt Karlheinz Neuscheler vom Tübinger Landratsamt. Im August 2012 veröffentlichte das Integrationsministerium Hinweise an die Kommunen, wie mit Asylbewerbern umzugehen sei. Denn auch wenn das sogenannte Sachleistungsprinzip auf Bundesebene festgeschrieben ist, gibt es gewissen Spielraum, den die Mehrzahl der Länder seit Jahren ausreizt. Baden-Württemberg tat das lange nicht.

 

In den aktuellen Hinweisen, die gelten, bis das neue Flüchtlingsaufnahmegesetz im Land erarbeitet ist, heißt es: Der Großteil der Leistungen – Unterkunft, Strom und Heizung – sei als Sachleistung zu gewähren. Zusätzlich könne eine Form gewählt werden, die "sachgerecht erscheint" – etwa Essenspakete, Shops, Gutscheine oder eben Geld. Damit, glaubt Ministeriumssprecher Christoph Häring, sei "Rechtssicherheit gegeben, die zuvor nicht bestand."

 

Geringerer Verwaltungsaufwand

 

In jedem Fall hat seitdem eine ganze Reihe von Landkreisen umgestellt. Die Evangelische Landeskirche hat ermittelt, dass es bereits im März in zwölf von 44 Kreisen Geld und in 15 geldwerte Gutscheine gab. In einigen anderen ist die Umstellung angekündigt. Das sei nicht nur im Sinne der Asylbewerber, sondern auch wegen des geringeren Verwaltungsaufwandes billiger, sagt Karlheinz Neuscheler.

 

In Freudenstadt, einem von 13 Kreisen, in denen die Asylbewerber noch Essenspakete bekommen, sei das ganz anders, sagt dagegen Robert Bornhauser, der Leiter des Sozialamtes. Der Kreis spare durch die Kisten viel Geld, denn etliche Asylbewerber kämen selten in die Unterkünfte. "Diese Menschen bestellen oft keine Pakete, das Geld würde aber automatisch aufs Konto kommen." Außerdem gebe es in der Umgebung einiger Unterkünfte keine Einkaufsmöglichkeiten.

 

Auch im Rhein-Neckar-Kreis werde es vorerst bei Essenspaketen bleiben, sagt der Leiter des Ordnungsamtes Stefan Becker. "Wir glauben, dass es Aufgabe des Bundes wäre, das zu ändern." Dennoch werde eine Umstellung mittlerweile zumindest diskutiert: "Wir sehen ja auch, wohin der Trend im Land geht."