Free Mumia – ein neuer Film in den USA

Long Distance Revolutionary - A Journey With Mumia Abu-Jamal (Filmplakat)

Heute, am 24. April hat Mumia Abu-Jamal seinen 59. Geburtstag. Er wird ihn, wie die meisten anderen seines Lebens, im Gefängnis verbringen. Denn seit 1981 ist der ehemalige Vorsitzende der afroamerikanischen Journalistenvereinigung Philadelphias in den USA für ein untergeschobenes Verbrechen inhaftiert (1). Beinahe 30 Jahre kämpfte er mit weltweiter Unterstützung gegen seine Hinrichtung - im Dezember 2011 gab der Staat an diesem Punkt endgültig nach, allerdings ohne das Verfahren neu aufzurollen oder ihn endlich freizulassen. Seit Anfang des Jahres läuft nun ein neuer Film in us-amerikanischen Kinos: "Long Distance Revolutionary - A Journey with Mumia Abu-Jamal" (2).

 

Anders als frühere Filme über Mumia Abu-Jamal (3) setzt sich dieser Film nicht mit seinem juristischen Fall auseinander. Hier wird der Aktivist vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA portraitiert. Die Migrationsbewegung der 1950er, die seine Eltern aus dem Süden der USA in ein vermeintlich besseres Leben in Pennsylvania brachte, seine Kindheit in den Sozialbauten der wachsenden Metropole Philadelphias, die Bürgerrechtsbewegung und der rassistische Rollback in Form von Polizeigewalt und Segregation (4). Das waren die prägenden Voraussetzungen für Tausende junger Aktivist*innen, die ab 1967 in die Black Panther Partei eintraten. Die greifbare Hoffnung auf revolutionäre Umwälzung und eine konkrete Verbesserung der Lebensumstände in den afroamerikanischen Ghettos ließen viele Jugendliche die Schule abbrechen und auf eine (für viele lebenslange) Reise gehen – unter ihnen der damals noch 14 jährige Mumia, der sich schnell zum lokalen Presssprecher und us-weiten Journalist der jungen Partei entwickelte. Der Film zeigt ihn anhand von Fotos, kurzen Videos und vielen Interviewpassagen mit Zeitgenoss*innen und vermittelt ein lebendiges Bild der späten 1960er. Zwar sind über diese Zeit bereits verschiedene hervorragende Filme veröffentlicht, aber die breite Auswahl von politischen Aktivist*innen, persönlichen Bekannten bis hin zu seiner Familie machen die Motivation verständlich, die Mumia wie so viele Gleichaltrige dazu brachte, die soziale Revolution als Lebensweg zu wählen.

 

Der Film begleitet Mumia auch durch die von Repression und COINTELPRO (5) bestimmten 1970er. Am Goddard-College in Vermont macht Mumia nicht nur seinen Schulabschluss sondern auch Bekanntschaft mit der weißen Untergrund- und Gegenkultur und entdeckt den Radio-Journalismus, den er seitdem ausübt. Seine kompromisslose und unangepasste Arbeitsweise – sowohl im Stil als auch in der Auswahl der Themen – bringt ihn letztendlich in das Visier der politischen Polizei, während er zeitgleich Anerkennung und zahlreiche Auszeichnungen als Journalist erfährt. Durch Druck der Behörden verliert er immer häufiger Arbeitsstellen und hat ernsthafte Probleme, seine damals noch junge Familie zu ernähren.

 

Trotzdem lässt er sich gerade bei der Auswahl der Themen nicht davon abbringen, institutionellen Rassismus, behördliche Korruption und die tödliche Polizeigewalt neben den in anderen Medien eher marginal behandelten Aspekten afroamerikanischen Lebens zu behandeln. Auch nach seiner Festnahme und dem skandalösen Verfahren von 1982, welches Amnesty International und andere zurecht als „Bruch internationaler Mindeststandards (...) für faire Verfahren“ (6) bezeichnet haben, arbeitete Mumia aus dem Todestrakt heraus weiter als Radiojournalist. Das revolutionäre Verständnis seiner Arbeitsweise lies ihn in den Folgejahren zu einem viel beachtenden Autor und Kommentator us-amerikanischer Gefängnisse werden. Hatten die Behörden 1982 versucht, den unbequemen und kritischen Journalisten ruhig zu stellen, bewirkten sie durch seine Inhaftierung das genaue Gegenteil. Nicht nur die Todesstrafe sondern auch die Masseninhaftierung und die dahinter stehende Gefängnisindustrie sind heute weltweit Entsetzen auslösende Phänomene der rassistischen und neoliberalen Gesellschaftsordnung in den USA, über die Mumia Abu-Jamal seit 30 Jahren „von der Basis“ geschrieben und berichtet hat.

 

Natürlich gaben sich unterschiedliche Behörden wiederholt Mühe, Mumias Arbeit aus dem Todestrakt zu unterbinden. Gerade auf Betreiben der extrem rechten Polizei-Bruderschaft F.O.P. gab es in den vergangenen Jahrzehnten keine*n gewählten Mandatsträger*in in Pennsylvania, die sich nicht öffentlich für Mumias Hinrichtung aussprach. Mumias Gefängnisleitung versuchte, seine telefonischen Übertragungen zu verbieten. Nicht zuletzt durch „Prison Radio“ (7) und die unermüdliche Übersetzungsarbeit in zahlreichen Medien sind Mumias wöchentliche Berichte ähnlich wie seine Bücher  inzwischen einem Millionenpublikum vertraut und gelten als unerlässliche Stimme in der Auseinandersetzung um Gefängnisse in den USA. Der Film begleitet Prison Radio durch Studios und Knastbesuche und gibt einen Einblick in die effektive Anti-Repressionsarbeit, welche die politischen Inhalte derjenigen in den Mittelpunkt rückt, die genau wegen diese Inhalte eingesperrt werden.

 

An der Ost- und Westküste premierte  „Long Distance Revolutionary – A Journey with Mumia Abu-Jamal“  teilweise über eine Woche lang mit ausverkauften Vorstellungen. In New York und Los Angeles wurde der Film wg. starken Publikumsinteresses sogar um eine Woche verlängert, was für Dokumentarfilme in US Kinos eher ungewöhnlich ist.

 

Der Film von Steven Vittoria (Autor) hat us-weit für Medienberichte und Besprechungen gesorgt. Obwohl der Film nicht Mumias juristischen Fall behandelt, ist eben dieser trotzdem seit Monaten präsent.

 

Neil Genzlinger kommentierte in der New York Times am 31. Januar 2013, dass der Film diejenigen überzeugte, die „Mr. Abu-Jamal als politischen Gefangenen und Opfer eines rassistischen Systems sähen“. John Hartl schrieb am 21. Februar 2013 in der Seattle Times, dass Vittoria „die Anklage gegen den ‚Polizeistaat’, welcher von Philadelphias Behörden in den späten 1970iger und frühen 80ern installierten,“ führe, und so verständlich mache, wie „einfach Unschuldigen ein Verbrechen untergeschoben werden konnte“. Jana Monji kommentierte am 28. Februar 2013 in dem Film- und Medienportal Examiner.com, der Film kombiniere „eine beeindruckende Anzahl afroamerikanischer Denker*innen und erinnert uns daran, dass Obamas Aufstieg ins Weiße Haus durch die Wirrungen des Rassismus gebahnt wurde“. Letzteres mag angesichts der Geschichte von Völkermord, Sklaverei und anhaltender Gefängnisindustrie zwar beinahe verharmlosend klingen, zeigt aber, dass selbst bürgerliche Konzernmedien nicht umhin kommen, über den gesellschaftlichen Gehalt eines Filmes zu diskutieren, der sich dem Namen nach nur mit einer Person beschäftigt. Filmkritiker Michael Fox brachte es auf den Punkt, in dem er schrieb: „Ein beeindruckender Chor prominenter Stimmen (u.a. Cornel West, Alice Walker, Dick Gregory, Angela Davis, Amy Goodman) leisten guten Beistand, aber es sind die Ansichten und Einblicke des Mannes selbst, die sich einprägen'.

 

Weitere Pressestimmen finden sich auf der Webseite von “Long Distance Revolutionary“ (8).

 

Es wäre jedoch kein „Mumia-Film“, wenn es nicht auch Blockaden und Hindernisse gegeben hätte. So setzte z.B. das Cityplex Kino im Newark den Film im April 2013 ohne Erklärung ab, obwohl es auch dort ein großes Publikumsinteresse gibt (9).

 

Derzeit wird der Film in verschiedenen Sprachen (deutsch, spanisch, französisch) untertitelt. Auf einzelnen Festivals lief er bereits außerhalb der USA. 2013 werden vermutlich auch Aufführungen in Europa stattfinden.

 

Die Free Mumia Solidaritätsbewegung hat für heute zu Protesten (USA, Mexico) und Veranstaltungen am kommenden Wochenende (Frankreich, UK, BRD) eingeladen, um die Forderung nach Freilassung von Mumia Abu-Jamal zu untermauern:

 

Free Mumia – Free Them All!

 

 

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(1) Hintergrund des Verfahrens: „Mumia Abu-Jamal - 26 Jahre Kampf um Freiheit“ – Indymedia 2007

http://de.indymedia.org/2007/11/200552.shtml

 

(2) Long Distance Revolutionary - A Journey with Mumia Abu-Jamal

http://www.mumia-themovie.com/

 

(3) z.B. "Hinter diesen Mauern" (KAOS-Film, BRD 1996)

https://www.youtube.com/watch?v=Tn6FsTbyPIs

"In Prison My Whole Life" (Marc Evans, UK 2008)

http://www.laika-verlag.de/sites/default/files/In_Prison_My_Whole_Life_Trailer_683.mp4

Justice On Trial (Kouross Esmaeli, USA 2010)

http://www.laika-verlag.de/sites/default/files/Justice_on_trial_-_Trailer_712.mp4

Alle Filme sind im Band "Mumia Abu-Jamal" der Bibliothek des Widerstands im Laika Verlag enthalten:  http://www.laika-verlag.de/bibliothek/mumia-abu-jamal

 

(4) Segregation - (von lateinisch segregare, ‚absondern‘, ‚trennen‘)-  der Begriff umfasst rassistische Vorgänge einer von der US Justiz u.a.. auch als sogenannte „Rassentrennung“ bezeichneten Unterdrückung gegen die afroamerikanische Bevölkerung

 

(5) COINTELPRO = Counter Intelligiance Programme, zu dt. 'Gegenspionage Programm': zwischen 1952 und 1975 geheim vom FBI praktiziertes Aufstandsbekämpfungsprogramm gegen die politische Linke innerhalb der USA. Zunächst gegen die Gewerkschaften und die Kommunistische Partei im Kalten Krieg entwickelt, wurde es später auf die Bürgerrechtsbewegung ausgeweitet. Nach dem Entstehen der Black Panther Partei wurde diese als größte innere Gefährdung des Staates seit seiner Gründung eingestuft und mit staats-terroristischen Mitteln bekämpft. Zahlreiche Morde der Behörden an Black Panthers mussten 1975 in Gerichtsverfahren zugegeben werden. Einige Gefangene mussten nach langer Haft freigelassen werden, weil es öffentlich nicht mehr zu verheimlichen war, dass sie mit durch das FBI gefälschten Beweisen verurteilt worden sind. Viele sitzen jedoch schon bis über 40 Jahre im Gefängnis und müssen dringend freigelassen werden (http://www.mumia-hoerbuch.de/post.htm )

Siehe zu COINTELPRO auch das ausführliche Interview mit Noam Chomsky in den Film „In Prison My Whole Life“ (3)

 

(6) (Amnesty International, 2000 ) UNITED STATES OF AMERICA - A Life in the Balance: The Case of Mumia Abu-Jamal http://www.amnesty.org/en/library/asset/AMR51/001/2000/en/0987a185-dfd3-11dd-8e17-69926d493233/amr510012000en.pdf

 

(7) Prison Radio

http://www.prisonradio.org/

 

(8) einige Reviews

 http://www.mumia-themovie.com/articles.html

 

(9) Kommentar zu Newarks Absetzung des Films auf dem Blog der Autor*innen

http://www.mumia-themovie.com/newark.html

 

 

neuere Buchveröffentlichungen von Mumia Abu-Jamal in deutscher Sprache:

 

“We Want Freedom - Ein Leben in der Black Panther Party“

http://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/we-want-freedom-377-detail

 

"Jailhouse Lawyers – Knastanwälte - Strafgefangene im Kampf gegen die Vereinigten Staaten von Amerika"  http://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/jailhouse-lawyers-knastanwaelte-395-detail

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Mi. 24. April: Demonstration für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal in Philadelphia
18 Uhr - City Hall Area, Pennsylvania Square, Philadelphia
http://www.freemumia.com

Mi. 24. April: Kundgebung für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal vor der US-Botschaft in Mexico City - 16 Uhr US Embassy in Mexico City

Mi. 24. April: Kundgebung für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal vor der US Botschaft in Paris - 18 Uhr Place de la Concorde
http://www.mumiabujamal.com

Fr. 26. April: Film und Veranstaltung für Mumias Freilassung in Heidelberg
- 19 Uhr Deutsch-Amerikanisches Institut (DAI), Sofienstr.2
 http://www.freiheit-fuer-mumia.de

Sa. 27 April: FREE MUMIA Soliparty in Berlin
- ab 20 Uhr in der Kreutzigerstr. 19, 10247 Berlin-Friedrichshain
 http://www.mumia-hoerbuch.de

Adresse: 

Mumia Abu-Jamal
#AM 8335
SCI Mahanoy
301 Morea Road
Frackville, PA 17932
USA

Tipps zum Schreiben an Gefangene:
http://archiv.abc-berlin.net/wie_schreibe_ich_gefangenen.pdf

Heute werden Unterstützer*innen von Mumia Abu-Jamal u.a. vor dem Büro von Seth Williams, dem Bezirksstaatsanwalt von Philadelphia demonstrieren.

Dieser hatte am 7. Dezember 2011 zwar die weitere Verfolgung der Todesstrafe gegen Mumia endgültig aufgegeben, sich aber nicht für eine neue Verhandlung in dem Fall eingesetzt, was eigentlich der logische Schluß aus der jahrelangen, juristischen Auseinandersetzung gewesen wäre.

Es ist inzwischen bis zum US Supreme Court geklärt, dass bereits die Verhängung der Todesstrafe gegen Mumia im Jahr 1982 einen Verfassungsbruch darstellte. Warum damals der Rest dieses politischen Verfahrens in irgendeiner Form juristischen Mindeststandards genügt haben soll, ist eine der offenen Fragen, die Seth Williams der Öffentlichkeit noch beantworten muss.

Mumia sitzt seit dem 9. Dezember 1981 in Haft ...

Gerade auf Prison Radio gehört:

 

Another April 24th (1:52) by Mumia Abu-Jamal

http://www.prisonradio.org/media/audio/mumia/another-april-24th-152-mumia-abu-jamal

(Video) Rebel Diaz: Free Mumia - Free Them All!
http://www.freiheit-fuer-mumia.de/#rebeldiazfreemumiafreethemall

PHILLY: KEEP THE LOVE STRONG - "MUMIA" OPENS MAY 3

http://mumia-themovie.com/philly_apr_26/