[MS] Aktion zu Opfern tödlicher Polizeigewalt

Tödliche Polizeigewalt 1

Am 13.04.2013 wurden von Aktivisten und Aktivistinnen insgesamt acht Kreideumrisse in der Münsteraner Innenstadt angebracht. Jeder dieser Umrisse symbolisiert exemplarisch ein Opfer tödlicher Polizeigewalt in Deutschland. Vor der nächste Woche stattfindenden Polizeimesse “IPOMEX” erinnern sie an einen oft ignorierten und gerne verdrängten Aspekt der Polizeiarbeit. 

 

Nahezu täglich gibt es Übergriffe durch Polizistinnen und Polizisten im Dienst. Die meisten davon werden nicht aufgeklärt, fast keine haben Konsequenzen für die Täter und Täterinnen. Ob psychischer Druck, erniedrigende Kontrollen oder rohe Gewalt – Polizeigewalt hat viele Gesichter und kann uns alle treffen.

 

Vermehrt trifft sie jedoch diejenigen, die bereits von anderen Formen gesellschaftlicher Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen sind. Sogenannte soziale Brennpunkte werden schwerpunktmäßig überwacht, ihre Einwohner und Einwohnerinnen als verdächtig abgestempelt und ebenso behandelt. Die Bundespolizei ließ sich 2012 sogar gerichtlich bestätigen, dass sie Menschen anhand ihrer Hautfarbe für Kontrollen auswählen darf. Die Polizei “als Spiegel der Gesellschaft” reproduziert so auch ihre diskriminierenden Muster.

 

Polizeigewalt wird auf Messen wie der IPOMEX nicht thematisiert. Stattdessen werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit über die neuesten Waffen und Einsatzstrategie diskutiert, während bei Presseterminen das Bild einer professionellen und freundlichen Polizei gezeichnet wird. Den Betroffenen und Opfern von (tödlicher) Polizeigewalt und ihren Angehörigen gegenüber muss dies wie Hohn wirken. Sie verdienen eine Aufklärung ihrer Fälle und eine offene Auseinandersetzung über die Ursachen von Polizeigewalt.

 

Die dokumentierten Fälle tödlicher polizeilicher "Zwangsmaßnahmen":

 

Aamir Ageeb

Am 28.5.1999 starb der sudanesische Flüchtling Aamir Ageeb während seiner Abschiebung von Frankfurt am Main über Kairo nach Khartum (Sudan) in einem Lufthansa-Flug durch die Hand von Bundesgrenzsschutz-Beamten.
Mit einem Motorradhelm auf dem Kopf saß Ageeb gefesselt zwischen zwei BGS-Beamten, die ihn festhielten und nach unten drückten. Ein dritter kniete auf seinem Platz in der Vorderreihe und presste Ageebs Oberkörper von oben herunter. Als die drei Beamten den Sudanesen nach dem Verlöschen der Anschnallzeichen losließen hing Ageeb tot im Sitz. Er ist erstickt – weil offenbar zu lang und zu fest zugedrückt wurde.

Die beiden BGS-Beamten wurden zu neun Monaten Haft wegen “Körperverletzung mit Todesfolge in einem minderschweren Fall” auf Bewährung veruteilt.

Zwangsabschiebungen werden in Deutschland regelmäßig durchgeführt, dabei kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen durch die Abschiebe-Praxis: Zu rassistischen Sprüchen, gefährlichen Fesselungen und erniedrigender Behandlung.

Statt einem Stopp der Abschiebungen werden neue Mittel entwickelt, um Flüchtende aufzuspüren und zurückzuschicken. Beispielsweise durch polizeiliche europäische Zusammenarbeit und Datenübermittlung. Auf der internationalen Polzeifachmesse IPOMEX gibt es einen “grenzüberschreitenden Erfahrungsaustausch über alle aktuellen Fragen der Sicherheitstechnik”. – Kurzum zur Bekämpfung von Migration und unliebsamen Protesten.

 

Weitere Informationen zum Tod von Aamir Ageeb: www.aamirageeb.de/ageeb/index.php

 

Slieman Hamade

Am 1. März 2010 starb der 32jährige Slieman Hamade aus Berlin-Schöneberg an den Folgen eines brutalen Polizeieinsatzes. Kurz zuvor gab es in der Familie Streit, die Musik der Nachbarn war zu laut und Sliman war wütend. Die hinzugerufene Polizei sollte die Situation beruhigen. Stattdessen zerrten diese Sliman aus der Wohnung, schlugen in mit Schlagstöcken zusammen, fesselten ihn und sprühten ihm Pfefferspray direkt in die Atemwege.
Slieman bekam keine Luft mehr – die Polizisten wollen nicht bemerkt haben, dass er nicht mehr atmete. Nach einer versuchten Wiederbelebung stirbt er im Krankenhaus.

Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen die Polizei bereits Ende April 2010 ein.

Immer wieder gibt es Fälle, in denen Pfeffersprayeinsätze zum Tod führen, gerade im Zusammenhang mit Alkohol- oder Drogeneinfluss. Trotzdem wird Pfefferspray großflächig eingesetzt. Bei der Polizeifachmesse bietet die Firma Hoernecke ihre neuesten Pfeffersprays an und wirbt für den Einsatz des angeblich niedrigschwelligen aber trotzdem tödlichen Mittels.

 

Weitere Infos zum Fall: nojusticenopeace.blogsport.eu/2010/09/07/uber-den-tod-von-slieman-hamade

 

Laye Alama Condé

Am 27. Dezember 2004 wurde Laye Alama Condé in Bremen festgenommen. Rassistischen Stereotypen entsprechend unterstellte die Polizei dem Festgenommenen, er sei ein Drogendealer und hätte Kügelchen verschluckt. Trotz massiver Kritik wurden die Aufgegriffenen in der Folge einer Tortur unterzogen: Als der Igor V., Auftragsarzt der Polizei, Laya Alama Condé über einen Zeitraum von mindestens 90 Minuten den Brechsirup Ipecacuanha und literweise Wasser per Schlauch in den Magen pumpte, geriet Wasser in die Lunge. Der 35-jährige Condé fiel ins Koma und wurde am 7. Januar 2005 offiziell für Tod erklärt.

Im April 2007 begann am Landgericht Bremen die Verhandlung gegen den Polizeiarzt wegen fahrlässiger Tötung. Der Prozess endetete am 4. Dezember 2008 mit einem Freispruch durch das Bremer Landgericht. Dieses Urteil bedeutet: Staatlicher Rassismus schreckt vor Toten nicht zurück, die Taten bleiben ungesühnt.

Trotz der Feststellung des Bundesgerichtshofs vom Juni 2012, dass der Freispruch nicht rechtens ist, ist der Polizeiarzt Igor V. noch immer nicht verurteilt.

 

Weitere Infos:

Achidi John

Der 19jährige Nigerianer Achidi John kam bei einem am 9. Dezember 2001 gewaltsam durchgeführten Brechmitteleinsatz zu Tode. Er stand im Verdacht, Drogen zu handeln. Während fünf Polizisten ihn am Boden fixierten, flößte ihm eine Ärztin mittels einer Nasen-Magen-Sonde ein Brechmittel ein. Als Achidi John vom Stuhl kippte, weil ein Nerv in der Speiseröhre berührt wurde, der das Herz zum Stillstand brachte, wurde dies einige Minuten lang ignoriert. Reanimierungsversuche blieben erfolglos.

Die Staatsanwaltschaft weigerte sich, ein Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten Beamten einzuleiten – sie bleiben straflos.

Die Brechmitteleinsätze wurden in Hamburg 2001 als reguläre Maßnahme der Strafverfolgung zum Kampf gegen Drogendealer eingeführt. Seit dem Tod von Achidi John erfolgten (bis Ende 2003) weitere 286 Brechmitteleinsätze, obwohl die Hamburger Ärztekammer klarstellte, dass Brechmitteleinsätze gegen den Willen der Betroffenen ärztlich nicht zu vertreten sind. In den meisten Fällen hatte nicht mal ein Gericht den Einsatz angeordnet, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist.

Statt über die Auswirkungen der Mittel für die polizeilichen Ermittlungen zu diskutieren, werden auf der Polizeimesse IPOMEX immer neue und mehr Befugnisse für die Polizei gefordert.

 

Weitere Infos zum Fall: http://www.brechmitteleinsatz.de