Eine Nachbetrachtung zur "Konferenz zum sozialen Wohnungsbau" am 13. November 2012 in Berlin

Erstveröffentlicht: 
01.01.2013
von Karl-Heinz Schubert


Als nach der Bildung des "rot-roten" Senat von Berlin 2001 die Diskussion über die Auflösung der vier Oberschulzweige zugunsten einer Gemeinschaftsschule begann, meldete sich alsbald die Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) zu Wort und machte deutlich, dass eine derartige Schulreform den zukünftigen Ansprüchen des Kapitals an die Vernutzungsqualität der Ware Arbeitskraft nicht gerecht würde. Gegen eine Zusammenlegung von Haupt- und Realschule mit der Gesamtschule hätte man dagegen nichts einzuwenden, wenn denn das Gymnasium als davon unabhängiger Schulzweig weiterbestünde. His Masters Voice folgend reformierte dieser Senat ab 2010 die Schulstrukturen jenen IHK-Vorgaben entsprechend.

 

Am 20. Dezember 2012 ließ die IHK per PM verlauten, dass sie eine Studie „Wohnungspolitik in Berlin mit neun Handlungsempfehlungen als Maßnahmenbündel für eine Berliner Wohnungspolitik der Zukunft veröffentlicht habe. Die globalen Ziele darin lauten - gerichtet an die Adresse der SPD/CDU-Senats: 1) Neubau von Wohnungen "auf breiter Front", 2) mehr Bestandswohnungen "marktgängig machen" und 3) last not least, "Instrumente zur Steigerung des Wohnungsangebots für Nachfrager des unteren Preissegments entwickeln."

Solche "Nachfrager" - d.h. MieterInnen vom Kotti und aus anderen Sozialbaukiezen - trafen sich, begleitet und unterstützt von ihren "Experten" (O-Ton, Ulrike Hamann, Kotti&Co-Sprecherin), am  13.11. 2012 im Berliner Abgeordnetenhaus mit Senatsvertretern, um "gemeinsam nach Lösungsansätzen zu suchen", wie eine Bruttokaltmiete von max. 4 Euro pro Quadratmeter für ihre Wohnungen ab 1.1.2013 zu finanzieren sei und Zwangsumzüge verhindert werden könnten.

 

Mit markigen Sprüchen wie z.B. "Wir – nicht die Politik – haben diese Konferenz organisiert." wurde diese Konferenz eröffnet. Wer sich nun im Nachgang die Konferenzergebnisse bei Youtube anschaut, wird (leider) unschwer feststellen, dass diese Konferenz nicht mehr war als eine Meuterei auf den Knien. Die MieterInnen und ihre Experten spielten in dieser Aufführung lediglich die Rolle eines stimmungspolitischen Seismographen für den Senat - der ganz gleich wie er parteipolitisch ausgestellt ist - seine strukturpolitischen Leitplanken - so wie beim Umbau des Schulwesens - immer von der Kapitalseite bezieht. Und diese hat in der Form der o.a. Studie für den sozialen Wohnungsbau ganz aktuell folgende "Handlungsempfehlungen"  ausgegeben:

"Die Einkommensschichten, die von Transferleistungen abhängig sind und starken Zugangsbeschränkungen für Wohnraum unterliegen – also bedürftig sind – sollten auch weiterhin staatlich unterstützt und mit einer Wohnungsförderung versorgt werden.  (IHK-Studie S. 26)

"In Berlin ist der Zuschlag zur Miete aus den Leistungen der Wohnaufwendungenverordnung (WAV) eine wirksame Maßnahme zur Versorgung der unteren Einkommensschichten und der Randgruppen im Bestand. Allerdings ist die derzeitige Ausgestaltung in Bezug auf zulässige Warmmiethöhen und formulierte Lage- und Flächenkriterien unzureichend."  (IHK-Studie S. 30, Unterstreichung von mir)

In drei AG's (Anschlussförderung, Kostenmiete, Unterbringungskosten/Jobcenter) von vieren thematisierten die "Nachfrager" gemessen daran nur das, was die Kapitalseite dem Senat bereits in dessen Sozialbau-Roadmap geschrieben hatte: Warmieten kappen und Bemessungsgrenzen erhöhen. Folglich bedankte sich Staatsekretär Groth in seinem Schlußwort ausdrücklich für diese "schöne Tagung auf Augenhöhe" und konnte als Stimmungsbild  mitnehmen, dass abgesehen von der "Lärmdemo" Ruhe im Kiez herrscht; nicht zuletzt dadurch begründet, dass in der AG Rekommunalisierung die sozialdemokratische Wohnungspolitik in Salzburg als sozialpartnerschaftlicher Ausweg aus Wohnungsnot und Mietpreistreiberei gefeiert wurde, was Groth veranlasste, eine Prüfung des "Salzburger Modells" ins Auge zu fassen.

 

Widersprüchliche Lösungsvorschläge

Als ich nach der Konferenz Kritik an dem senatsaffinen Auftreten der MieterInnen-Inis äußerte, belehrte mich ein Kotti-Aktivist, dass es sich bei Kotti&Co nicht um ein linkes Polit-Projekt handele, sondern um MieterInnen, die ihre Interessen - nämlich eine bezahlbare Miete  zu erhalten - wahrnehmen und daher nicht auf diese Weise kritisiert werden dürften. Nun richtete sich meine Kritik jedoch nicht gegen die MieterInnen, deren Engagement und Kampfeswillen ich bewundere, sondern gegen diejenigen, die sich sich als deren ExpertInnen ausgeben und ihnen abgeblich vernünftige Wege weisen.

 

Zur Verdeutlichung:

1) Die ExpertInnen der AG Kostenmiete kamen diskursiv zu dem Ergebnis (siehe dazu Youtube-Video), dass die bisher subventionierten Sozialbaumieten weiterhin gefördert werden müssten und dass - ganz gleich wie - irgendeine Anschlussförderung zur Sicherung der bisherigen Miethöhe bzw. zur Absenkung auf 4 € pro m²  dringend erforderlich ist. Dieser Lösungsvorschlag impliziert für die Kapitalseite den Erhalt der Kostenmieten - nämlich Zinsgewinne plus Bewirtschaftungskosten incl. Abschreibungen - zu den bisherigen Bedingungen  - was im Klartext am Beispiel der Aktiengesellschaft GSW weiterhin hohe Dividendenausschüttung und kräftige Kursgewinne bedeutet.

2) Die Expertinnen von AG Anschlußförderung (siehe dazu Youtube-Video) betrieben stattdessen mithilfe dreier Professoren, die im Rahmen der Berliner Wissenschaftsbund GmbH auch für die "Interessengemeinschaft der Kapitalanleger im sozialen Wohnungsbau Berlin e.V." beratend tätig sind,   volkswirtschaftliche Berechnungen, aus denen sie ableiteten, dass der Berliner Senat auf die noch ausstehenden Forderungen an die Immobilienkapitalisten in Höhe von rund 375 Millionen Euro für erhaltene Darlehen zur Finanzierung ihrer bisherigen Kostenmieten verzichten sollten. Dies würde angeblich zu einer deutlich spürbaren Senkung der Miete führen, da nun nicht mehr die Kostenmiete, sondern die ortsübliche Miete verlangt werden dürfte.

Zwei Wege, die auf den ersten Blick so widersprüchlich sind, dass sie sich gegenseitig auszuschließen scheinen. Einerseits subventionierter Beibehalt der Kostenmiete - andererseits Abschaffung der Kostenmiete. Renditegarantie versus Schuldenerlass.

 

In der zur Konferenz herausgegebenen Broschüre "Nichts läuft hier richtig" war vorgerechnet und nachzulesen, dass die MieterInnen ihre Sozialbauhäuser mit ihren Mieten im Laufe der Jahre längst bezahlt hatten. Beide Vorschläge nehmen allerdings diese Erkenntnis nicht zum Ausgangspunkt für eine Lösung der Wohnungfrage im sozialen Wohnungsbau, sondern versuchen nur, auf zwei unterschiedlichen Wegen die Eigentumsverhältnisse zur weiteren kapitalistischen Verwertung zu erhalten, indem sie die bisherigen Instrumente staatlicher Regulierung - jedoch immer zugunsten der  Rendite- entweder beibehalten bzw. verlängern oder verändern wollen.

 

Solche scheinbar konträren Konzepte bilden erfahrungsgemäß den wunderbaren Stoff für neverending Debatten zur politischen Lahmlegung von regierungskritischen Stadtteilinitiativen. Davon war im Nachgang der Konferenz nichts zu verspüren. Wahrscheinlich auch deswegen, weil der Senat sehr schnell deutlich machte, dass er die Lösung, die sein Staatssekretär Groth auf der Konferenz bereits stimmungsmäßig angetestet hatte - nämlich die selektive Anschlußförderung zur Kappung der Sozialmiete bei 5.50 € - favorisiere und dies wenige Tage nach der Konferenz bekanntgab. Die konferenzveranstaltenden Gruppen feierten diese Entscheidung mit der Parole "Mietsenkungen für 35.000 Haushalte erkämpft",  wenngleich sie einräumen mussten, dass ihr Konferenzziel von 4 € damit weit verfehlt wurde.

 

Sozialpartnerschaftliche Politikberatung

Dem Konferenz-Mainstream des Akzeptierens der kapitalistischen Verwertungslogik als ökonomisches Triebwerk des sozialen Wohnungsbaus folgten natürlich auch die Vorschläge aus den beiden anderen AGs. In der einen wurde z.B. im Stil einer Politikberatung dem Jobcenter empfohlen, sein Personal besser zu schulen. Dann gäbe es weniger Reibungspunkte im Alltagsgeschäft dieser Behörde mit ihrem Klientel und es könnte effektiver geholfen werden. In der Sache forderte man lediglich höhere Bemessungsgrundlagen, damit der utopisch hohe Sozialmietenzins auch für Hartz-Vierer bezahlbar bliebe. Auf Zwangsumzüge und -räumungen sollte doch bitte ab sofort verzichtet werden.

In der AG Rekommunalisierung ging es nicht etwa um Enteigung und Übertragung der Häuser auf die Kommunen zur Selbstverwaltung durch die BewohnerInnen, sondern um die Finanzierung von Wohnraum durch eine Art Staatsbank mit dem schönen Etikett "revolvierender Fonds", um mit dessen Hilfe EU-Mittel abzugreifen, die als Kredite vergeben werden, die unter der sonst banküblichen Verzinsung liegen, damit  Wohnungen weiterhin - nun sozusagen zu ehrlichen Preisen - von Immobilienkapitalisten gebaut und vermietet werden können.

 

In einem Gespräch über diese Konferenz mit einem Genossen der Gruppe Avanti, die sich bei Kotti & Co politisch stark eingebracht hat, räumte mir dieser ein, dass es richtig sei, sich im Kontext dieser Konferenz inhaltlich nicht von sozialpartnerschaftlicher Politikberatung durch eigene Beiträge unterschieden zu haben. Als Grund gab er das Fehlen eines linken wohnungspolitischen Programms an. Nicht einmal in Grundzügen sei so etwas vorhanden; aber nicht nur bei ihnen, sondern dies gelte auch für die anderen Gruppen, die  seit 2011 begonnen haben, sich in die Wohnungspolitik einzumischen.

Nun soll es zur Behebung dieses Mangels in Berlin erste theoretische Bemühungen geben. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen wurde berichtet, dass es sich dabei um einen zirkelübergreifenden "wohnungspolitischen Salon" handeln soll, der z.Z. schon handverlesen begonnen hat zu tagen.

 

Antikapitalistische Wohnungspolitik

Im November 2010 vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus diskutierte der Landesparteitag der SPD die Erhöhung der Grunderwerbsteuer von 4,5 % auf 7 %. Tatsächlich wurde sie vom SPD/CDU-Senat 2012 nur auf 5 % - d.h. auf das Niveau der meisten Bundesländern - erhöht.

Mit 7 Prozent hätte Berlin zum Beispiel 2010 knapp 613 statt 394 Millionen Euro Grunderwerbsteuer eingenommen. 

38 Mio Euro Steuergelder wird das vom Senat verkündete Abfangen der kommenden Mietensteigerungen  bei 5,50 € bzw. 5,70 € pro m³  von 2013-2017 in 16 Sozialbauwohnsiedlungen kosten. Gelder mit denen scheinbar klassenunspezifisch die Allgemeinheit - sprich die Masse der Werktätigen - durch Umverteilung im bestehenden Haushalt belastet wird. Mit einer Erhöhung der Grunderwerbssteuer auf 7 % hätten die Mieten locker bei 4 € eingefroren werden können und nicht nur dort.

Die Geschichte des Wohnungsbaus im Kapitalismus lehrt, dass dies ein Feld der Kapitalverwertung ist, dass ohne staatliche Eingriffe nicht auskommt. Als bekanntestes Beispiel aus der deutschen Geschichte sei hier nur die so genannte Hausszinssteuer von 1924 erwähnt, wodurch die Mieteinnahmen bis 1940 direkt besteuert wurden, um die Inflationsgewinne (komplette Entschuldung der Grundstücke und Häuser) volkswirtschaftlich zu kompensieren. Dieses ragt aus anderen Beispielen insofern hervor, als es sich hier um einen direkten Eingriff in die Verwertung von Immobilienkapital handelt, um im Wege einer klassenbezogenen Umverteilung dem Staatshaushalt Mittel zuzuführen. Dies geschah bis 1932 in diesem Sinne und führte zum Bau von über 2 Millionen öffentlich finanzierten und damit mietzinsgünstigen Wohnungen.(1)

Kapitalverwertung von Immobilien kann auf diesem Umverteilungswege nicht abgeschafft sondern nur teilweise und oft nur zeitlich begrenzt werden. Um dem Kapital den Zugriff auf die Immobilien endgültig zu entziehen, bedarf es der vollständigen Aufhebung der kapitalistischen Warenproduktion als ökonomischer Grundlage der Gesellschaft. Diese Aufhebung liegt sowohl im logischen wie auch im historischen Interesse derer, die nur ihre Arbeitskraft zur persönlichen Reproduktion besitzen und diese als Ware verkaufen müssen. Ihnen tritt die Wohnung als auf Zeit gegen Geld zu leihende Ware gegenüber oder wie es im kommunistischen Manifest von 1848  bereits schon heißt:

"Ist die Ausbeutung des Arbeiters durch den Fabrikanten so weit beendigt, daß er seinen Arbeitslohn bar ausgezahlt erhält, so fallen die anderen Teile der Bourgeoisie über ihn her, der Hausbesitzer, der Krämer, der Pfandleiher usw. (2)

Revolutionäre - d.h. kapitalismusaufhebende - Realpolitik muss sich von der Einsicht in diesen Klassenzusammenhang leiten lassen und daher bei jeder politischen Aktion die simple Frage des "cui bono" (wem zum Vorteil) stellen. Doch das Einfache ist zumeist das Schwierigste. Eine antikapitalistische Wohnungspolitik kommt nämlich nicht daran vorbei zu begreifen, wie kapitalistische Wohnungswirtschaft funktioniert und der Staat als ideeller Gesamtkapitalist diese reguliert. So richtig es ist, den Dreischritt "Enteignen - Übertragen - Selbstverwalten" zu propagieren, so folgenlos bliebe diese Parole, wenn sie nicht aus den konkreten Verhältnissen entwickelt wäre.

Die Grundzüge einer antikapitalistischen Wohnungspolitik werden sich nur herausbilden und sich als sozialer Faktor materialisieren, wenn solche klassenpolitische Verteilungskämpfe im Stadtteil mit Formen der Selbstermächtigung (3) der lohnabhängigen Klasse verbunden werden und diese ihrerseits über ausreichende Einsichten in das Funktionieren kapitalistischer Verwertungsstrukturen verfügt.

Solange MieterInnen in ihren Kämpfen auf Experten angewiesen bleiben wollen, anstatt sich von ihnen zu emanzipieren, werden die Formen und Inhalte ihres Kampfes weiterhin dem eines quasi selbstorganisierten Quartiermanagements gleichen (4).  In diesem Fall wird sich auch bei der nächsten wohnungspolitischen Konferenz der Regierungsvertreter wieder mit den Worten verabschieden können, dass er an "einer  schönen Tagung auf Augenhöhe" teilgenommen habe -  wohlwissend, dass, wenn man sein Ohr einem Knienden leihen will, um dessen geflüsterte Bitten zu hören,  man sich kurz zu diesem herabbeugen muss. Und so befinden sich beide dann tatsächlich für einen Augenblick auf Augenhöhe.

 

Anmerkungen

1) siehe dazu: Peter-Christian Witt: Inflation, Wohnungszwangswirtschaft und Hauszinsteuer, in: Wohnen im Wandel, hrg. von Lutz Niethammer, Wuppertal 1979; S. 385-407

2) Kommunistisches Manifest, MEW 4 /169

3) Die Formen der Selbstermächtigung sind sehr vielfältig und richten sich immer nach den konkreten Kampfbedingungen; auch  lassen sich nicht hierarchisieren. In den Mieterkämpfen der westberliner Sozialbausiedlung Märkisches Viertel (MV) reichten die Formen von der Herausgabe einer Zeitung zur Schaffung einer eigenen MV-Öffentlichkeit bis zur Bildung einer eigenständigen Mieterorganisation zur Erkämpfung von Mieterräten.(TREND 11/2012)
Siehe zum Thema Selbstermächtigung und Mietkampf auch in dieser Ausgabe: Mieterstreik in New York.

4) Das Quartiersmanagement ist eine aus den 80er Jahren gegen Formen der Selbstermächtigung (z.B. Instandbesetzung) entwickelte Methode präventiver Sozialpolitik, die auf eine Verinnerlichung von staatlichen Interessen bei den Akteuren der sozialen Revolte abstellt, umso eine Bereitschaft zur Kollaboration mit staatlichen Behörden zu erwirken. Den Gipfel solcher Verinnerlichung bildet die ausschließliche Selbstorganisation für staatliche Regulierungszwecke von StadtteilaktivistInnnen. Siehe dazu auch: Karl Homuth: Pädagogisierung des Stadtteils - Über die Bedeutung von 'behutsamer Stadterneuerung' als präventive Sozialpolitik in TREND 10/2012.

Editorische Hinweise

Den Aufsatz erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.