[PF] Freispruch für Antifas

Amtsgericht Pforzheim

Zwei Antifaschisten wurden heute vor dem Amtsgericht Pforzheim freigesprochen. Ihnen wurde vorgeworfen vor der alljährlichen Fackelmahnwache am 23. Februar 2012 gemeinschaftlich eine Gruppe Neonazis angegriffen und verletzt zu haben. Durch ungenaue und widersprüchliche Aussagen der Neonazis und Anfängerfehler der Polizei ließen sich die Angeklagten aber nicht identifizieren.

 

Vor dem Prozess fand eine antifaschistische Kundgebung vor dem Amtsgericht statt, um Solidarität mit den Angeklagten zu zeigen und auf die Verfolgung von Antifaschist_innen aufmerksam zu machen. Der Prozesssaal war für die 30 Zuhörenden deutlich zu klein. Neben Unterstützer_innen der Angeklagten waren auch fünf Neonazis im Zuschauer_innensaal.

Nach der Verlesung der Anklageschrift, in der den beiden Angeklagten gefährliche, gemeinschaftliche Körperverletzung vorgeworfen wurde, folgte eine Erklärung, die die beiden Angeklagten gemeinsam vortrugen. Darin setzten sie sich mit der Rolle der Rüstungsstadt Pforzheim im zweiten Weltkrieg, der konterkarierenden städtischen Gedenkpolitik und der Repression gegen den antifaschistischen Widerstand auseinander, der über Jahren als einzige Kraft gegen das Neonazi-Gedenken am Pforzheimer Wartberg zum Jahrestag der Bombardierung der Stadt vorging. Zudem wiesen sie auf die konstruierte Anklage und widersprüchliche Aussagen der Neonazis hin. Ihre abschließende Losung "Antifaschismus bleibt legitim" sorgte für großen Applaus im Saal.

"Wer soll es denn sonst gewesen sein?"

Bei der anschließenden Beweisaufnahme zeigte sich, dass Absprachen nicht immer helfen. Einig waren sich die sechs Geschädigten, dass sie von einer Gruppe angegriffen und mit Schlägen und Pfefferspray attackiert wurden. Auch wussten alle, dass genau drei Personen sie angegriffen haben, bei ihren vorherigen Aussagen bei der Polizei gaben sie noch unterschiedliche Schätzungen zwischen zwei und fünf Angreifern ab. Ebenso uneinig waren sie bei der Dauer des Angriffs, die Spannbreite verlief zwischen 5 Sekunden und 10 Minuten. Ihr Ziel an dem Tag wollten die Geschädigten vor Gericht auch nicht mehr nennen. Zwar war die Mahnwache des neonazistischen "Freundeskreis - Ein Herz für Deutschland" Thema in der Gruppe, die hätten aber nicht gewusst, wohin die Gruppe ging.
Einzig Paul Schwarz (18) war sich sicher, die beiden Angeklagten als Angreifer identifizieren zu können. Auch bei einer anderen Person, die als Zeuge geladen war, "gehe er fast davon aus", dass es sich um den vermeintlich dritten Angreifer handele. Auf die Nachfrage woher er seine Sicherheit beziehe, antwortete er: "Die sitzen ja jetzt hier, wer soll es denn sonst gewesen sein".

Auch der einzige Polizeizeuge, der leitende Kriminalbeamte Harry Schnaitl brachte eher erschreckendes denn erhellendes Material in die Beweisaufnahme. In bemerkenswerter Offenheit gab er an, eine Art Gegenüberstellung durchgeführt zu haben, die eine Beweiskraft gegen Null hat. Dabei wurden einige der Neonazis nach ihren Aussagen gemeinsam an den Angeklagten vorbei geführt und danach gefragt, ob sie sie als Angreifer identifizieren konnten. Laut Polizeiakten hätten die Geschädigten diese dann übereinstimmend wiedererkannt. Selbst wenn einer der Neonazis seine Zustimmung vor Gericht nicht bestritten hätte, hat eine solche Gegenüberstellung ohne Vergleich keinerlei Beweiskraft.

Ungewohnte Einigkeit

Dementsprechend konnte dann auch die Staatsanwältin Bauer nur auf Freispruch plädieren, da eine Beweisführung nicht erbracht werden konnte. Zu ungenau und widersprüchlich waren die Schilderungen und Erinnerungen der überwiegenden Zahl der Neonazis. In der Aussage von Paul Schwarz erkannte sie dagegen einen großen Belastungseifer und bewies bei der anfänglichen Erklärung der Angeklagten gut zugehört zu haben. Sie bemängelte zudem die höchst suggestive Beweisführung der Polizei.

Die Verteidiger der Angekölagten konnten sich dem nur anschließen und stellte noch einmal heraus, dass die Polizei nach der Aussage von Schnaitl offensichtlich bewusst unzulässig handelte. So blieb auch für die Richterin letztlich nur ein Freispruch aus tatsächlichen Gründen.

 

Rote Hilfe Karlsruhe

 

 

Erklärung der beiden Angeklagten

 

Wir beide werden hier, heute vor dem Pforzheimer Amtsgericht mit dem Vorwurf der „gefährlichen Körperverletzung angeklagt, weil wir an einer Auseinandersetzung mit Neonazis beteiligt gewesen sein sollen.

Um jedoch dieses Verfahren und die Hintergründe weshalb die Neonazis und wir überhaupt an diesem Tag in Pforzheim waren wirklich verstehen zu können, ist es notwendig etwas weiter auszuholen.

Am 23. Februar 1945 bombardierte die englische Royal Air Force die Stadt Pforzheim. Hintergrund für diesen Flächenangriff war erstens die Tatsache, dass die hiesigen Bahnanlagen und Straßen für die Verlegung und Verschiebung von Truppen und Rüstungsgütern der Wehrmacht genutzt wurde und zweitens die feinmechanische Industrie seit 1942 weitgehend auf Rüstungsproduktion umgestellt hatte. Letztlich zum Verhängnis wurde der Stadt, dass die lokale Industrie in zahlreichen Kleinbetrieben organisiert und in Wohngebiete integriert war. 1944 arbeiteten in 101 Pforzheimer Betrieben  18.622 Arbeitskräfte, hiervon über 10.000 in der Rüstungsindustrie.

Die Bilanz des Luftangriffes liest sich in den Geschichtsbüchern in etwa folgendermaßen: Durch den 22 Minuten dauernden Angriff kamen am 23. Februar 1945 etwa 17.600 Menschen in Pforzheim ums Leben. Neben sämtlichen Wohn- und Fabrikgebäuden wurden auch alle Einrichtungen des zivilen Lebens in der Innenstadt gestört.

Der Auswertungsbericht der Royal Airforce K.3838 vom 12. März 1945 fasst es folgendermaßen zusammen: „The attac on the night of 23/24 FEB has reduced the buildings in the greater part of the town to hollow shells or heaps of rubble. Most of the identifiable factorys, including seven of priority 3 rating, have been destroyed or severely damaged.“ (Deutsch: Der Angriff in der Nacht vom 23/24 Februar hat die Gebäude im Großteil der Stadt in hohle Schalen oder Haufen aus Schutt und Asche verwandelt. Die meisten der identifizierbaren Fabriken, darunter sieben mit Priorität 3 Rating, wurden zerstört oder schwer beschädigt.“)

Sowohl die Geschichtsbücher, als auch die Berichte der Alliierten kennen jedoch eine Geschichte vor und nach dem 23. Februar.

Davor gab es eine 12 Jahre andauernde faschistische Gewaltherrschaft einhergehend mit einem mit nichts in der Menschheitsgeschichte vergleichbaren Massenmord an mindestens 6 Millionen Juden und anderen Menschen, die den Nazis missfielen sowie einem brutalen Angriffskrieg, der zum einen das Ziel hatte sollte für Deutsche Lebensraum im Osten Europas zu erobern und zum anderen in Europa eine alleinige Vormachtstellung zu erlangen unter Niederwerfung aller anderer Staaten wie Englands, Frankreichs usw.
In diesem deutschen Angriffskrieg ereigneten sich die ersten Flächenbombardements des 2. Weltkrieges auf London.

Rund zehn Wochen nach dem 23. Februar kapitulierte Nazideutschland bedingungslos. Hier wurde der Weg geebnet den Terror und die Unterdrückung, welche die Naziherrschaft permanent in sich trug, zu überwinden.


Innerhalb der vergangenen 25 Jahre hat sich innerhalb der Pforzheimer Erinnerungskultur rund um den 23. Februar ein deutlicher Paradigmenwechsel vollzogen.

So konnte 1990 der Historiker Professor Kurt Pätzold auf einer zentralen Veranstaltung vor hunderten PforzheimerInnen ausführen, dass die Zahl der am 23. Februar ums Leben gekommenen in etwa der Zahl der Pforzheimer NSDAP-Mitglieder entspreche. Jedoch treffe es immer die Falschen.
Nicht nur solch spitzfindige Feststellungen sondern bereits die historische Einordnung des Flächenbombardements in das gesamte Kriegsgeschehen sind sind inzwischen unerwünscht geworden.

Vor diesem Hintergrund versucht seit 1994 (Landesregierung sagt 1993) der faschistische Freundeskreis ein Herz für Deutschland e.V. das Gedenken an die angeblichen Opfer des Flächenbembardements im nationalsozialistischen Sinne zu radikalisieren.

Nennenswerter antifaschistischer Protest hiergegen wurde erstmals im Jahr 2002 sichtbar. Unter dem Motto „Gegen den Fackelmarsch der Nazis vorgehen! - die rechte Normalität durchbrechen!“ sammelten sich 300-400 AntifaschistInnen auf dem Pforzheimer Marktplatz. Anschließend führte eine Spontandemonstration auf den Wartberg wo der Kundgebungsplatz der Faschisten  kurzerhand besetzt wurde.

Seither gab es immer wieder antifaschistische Interventionen und Aktionen rund um den 23. Februar. Die Polizei reagierte hierauf militärisch mit immer größeren Polizeieinsätzen zum Schutz der Faschisten. Auch seitens der Behörden wurden dem legitimen Protest immer wieder Steine in den Weg gelegt. Sei es mit erschwerenden Auflagen, beispielsweise dem Auferlegen von Demogebühren welchem erst durch das Verwaltungsgericht Einhalt geboten werden konnte, oder politische Äußerungen.

Die Unterteilung in „guten“ und „schlechten“ Protest zieht sich bis in das laufende Jahr hinein. So hieß es in einem von der Stadtverwaltung verfassten Kundgebungsaufruf für den 23. Februar 2012: „Pforzheim ist eine weltoffene und internationale Stadt, in der extremistisches Gedankengut ganz gleich ob von rechts oder links keinen Platz hat.“

Es mag sicherlich – für Pforzheimer Verhältnisse – ein Fortschritt sein, dass die Stadt 2012 gegen den Naziaufmarsch aktiv wurde. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung gab es allerdings nie den Versuch den Naziaufmarsch auf dem Wartberg zu verbieten. Auch in diesem Jahr wurde lediglich der halbherzige Versuch unternommen, das Mitführen von Fackeln per Auflagen zu unterbinden.

Für uns zeigt das, dass wir uns bei antifaschistischem Protest nicht auf städttische Behörden und staatliche Institutionen verlassen dürfen. Es liegt an uns Naziumtriebe aufzudecken und diesen gemeinsam entgegenzutreten.

Wir sollen hier verurteilt werden, weil wir an einer Ausseinandersetzung mit Neonazis beteiligt gewesen sein sollen. Trotz widersprüchlicher und diffuser Aussagen wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom Amtsgericht Pforzheim zugelassen.

Was hier kriminalisiert werden soll ist unser antifaschistisches Engagement. Der Belastungseifer der Nazizeugen ist unübersehbar. Wie die Staatsanwaltschaft bereits für ihre Anklageschrift die Rosinen herauszupicken um einen für sie irgendwie schlüssigen Tathergang zu konstruieren, wird wohl auch das Amtsgericht Pforzheim großzügig über Ungereimtheiten, Widersprüche und Lügen der Faschisten hinwegsehen um eine Verurteilung zu erzielen.

Über 130 Menschen wurden im wiedervereinten Deutschland durch Nazis ermordet. Nahezu jedes Wochenende formieren sich faschistische Akteure zu Aufmärschen und versuchen bundesweit „National befreite Zonen“ zu errichten. Auch in Pforzheim sind regelmäßig, nicht nur am 23. Februar, Naziumtriebe zu verzeichnen.

Es liegt an uns allen den faschistischen Umtrieben entgegenzutreten. Bei unserem antifaschistischen Engagement dürfen wir uns nicht durch Kriminalisierungsversuche und Repressalien einschüchtern lassen.

Antifaschismus war, ist und bleibt legitim!

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Aufsehenerregender Prozess zum 23. Februar endet mit Freispruch

Pforzheim. Mit einem Freispruch ist am Mittwoch im Pforzheimer Amtsgericht ein aufsehenerregender Prozess geendet. Anklage, Verteidigung und die Richterin waren sich am Ende einig, dass nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung am Gedenktag des 23. Februars zu viele Fragen offen sind. Alle Verfahrensbeteiligten übten Kritik an der Arbeit der Ermittler.

 

Verhandelt wurde ein Vorfall, der sich am Hauptbahnhof ereignet haben und im Zusammenhang mit der „Mahnwache“ des „Freundeskreises Ein Herz für Deutschland“ stehen soll. Wie am 23. Februar trafen gestern Angehörige der rechten und der linken Szene aufeinander. Die Polizei war gewarnt und mit 15 Beamten vor Ort. Das „Antifaschistische Aktionbündnis Stuttgart und Region“ veranstaltete vor dem Amtsgericht eine kleine Demo. Außerdem war für den Nachmittag ein Infostand nahe der Schlössle-Galerie genehmigt worden. Saal311 konnte die Besucher nicht fassen. Einige mussten draußen bleiben. Am späten Nachmittag zog Oliver Hiller, Leiter der Reviere Nord und Süd, dennoch ein positives Fazit: „Alles ruhig.“

Ungenau und teils widersprüchlich waren die Angaben der mutmaßlichen Geschädigten im Zeugenstand. Der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung gegen die beiden 22 und 24 Jahre alten Angeklagten aus Stuttgart, die laut Staatsanwältin Friederike Bauer der linken Szene zuzuordnen sind, ließ sich deshalb nicht erhärten.

Der Polizeibeamte im Zeugenstand räumte selbst ein, dass die im Revier vorgenommene Gegenüberstellung nicht beweiskräftig sei. Die Geschädigten waren an einem Zimmer vorbeigelotst worden, um einen Blick auf die mutmaßlichen Täter zu werfen.

„So geht’s nicht“, sagte Richterin Jill Predel in der Urteilsbegründung. Bei einer Gegenüberstellung müssten den Zeugen nicht nur die Verdächtigen, sondern auch weitere Personen ähnlichen Aussehens gezeigt werden. Zudem sei eine Zeugin überhaupt nicht befragt worden.

Die Kosten des Verfahrens und die Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse.

 

Autor: Claudius Erb

 

Quelle: http://www.pz-news.de/pforzheim_artikel,-Aufsehenerregender-Prozess-zum-...