Erklärung zur innerlinken Diskussionskultur [tü]

Symbolbild Diskussionen

Die verbalen Auseinandersetzungen, die innerlinke und szeneinterne Konflikte zwischen Personen, Gruppen und (existierenden oder vermeintlichen) Strömungen der radikalen Linken in Tübingen in den letzten Monaten be­gleitet haben, haben ein für uns nicht mehr akzeptables Niveau erreicht.

 

Von solidarischen Umgangsformen, kritischer Reflektion und Selbstreflektion, die für uns grundlegend zu einem linken Politikverständnis und linker Praxis gehören, ist hier oft gar nichts mehr zu merken - am deutlichsten wird dies in Artikeln und Kommentaren auf Tueinfo.

 

Kritik ist notwendig und kann auch bereichernd sein, dabei ist jedoch zu überlegen, in welcher Form, an welchen Orten und zu welchen Anlässen Kritik formuliert wird. Tueinfo ist nicht als Diskussionsportal konzipiert wor­den und eignet sich hierfür auch nur bedingt.

 

Warum eskalieren diese Diskussionen so ? Das Medium Internet lässt Kommunikation ausschließlich auf inhalt­licher Ebene zu. Dinge, die im Gespräch durch Mimik, Gestik Lautstärke usw. vermittelt werden, können hier nicht ausgedrückt werden. Weil diese Informationen beim Lesen fehlen, kommt es oft zu Missverständnissen, auch auf der inhaltlichen Ebene. Das Internet ist ein sinnvolles Medium um Informationen zu verbreiten, wenn es aber zur Diskussion und zum Austausch von Meinungen benutzt wird, muss eine hohe Sensibilität dafür vor­handen sein, WAS WIE geschrieben wird. Nicht kopflos antworten, eigene und fremde Postings zweimal durch­lesen, Zweideutigkeiten vermeiden, nicht beleidigend sein usw. Beim Lesen oder Beantworten von Postings sollte beachtet werden, dass weder die Verfasser_innen noch die Intention hinter dem Geschriebenen bekannt sind. Das sich Abarbeiten an und sich Empören über gewollte Provokationen führt im schlimmsten Fall dazu, dass sich Menschen vereinzeln und linke Bewegungen zerstreuen.

 

In diesem Zusammenhang sollte grundsätzlich auch überlegt werden, wie öffentlich Diskussionen geführt wer­den müssen und welche Informationen Polizei und Verfassungsschutz, aber auch Nazis und Burschenschafter aus diesen öffentlich geführten Auseinandersetzungen für ihre Zwecke verwenden können.


Ganz konkret für tueinfo - aber in der Hoffnung und Annahme, dass das auch den sonstigen Kommunikationsstil und Umgang verändern wird - erklären wir uns bereit, uns an folgende Mindeststandards eines solidarischen Um­gangs zu halten, den wir als politische Gruppen auch von unseren Mitgliedern erwarten:

 

  • Kritik konkret, inhaltlich und politisch formulieren, dann kann sie besser verstanden und angenommen werden. Kritik sollte sich auf konkrete Positionen der Gruppe beziehen – ggf. über Rückfragen die Gruppenposition ab­klären.
  • Keine persönliche/beleidigende und abwertende Kritik
  • Keine verallgemeinernde Kritik: Wenn eine Position einer Gruppe mit der einer Strömung übereinstimmt, heißt das nicht automatisch, dass die Gruppe sämtliche Ansichten dieser Strömung teilt.
  • Keine Drohungen oder (körperliche) Gewalt als Mittel der innerlinken politischen Auseinandersetzung – auch eine Zuschreibung von anderen als "nicht links" rechtfertigt ein solches Verhalten nicht.
  • persönliche Konflikte sollen in persönlichen, direkten Gesprächen geführt werden - diese sollen nicht auf poli­tische Konflikte projiziert werden.
  • Keine öffentliche Nennung von und keine Spekulation über nicht-öffentliche Namen, Pseudonyme oder De­tails über Personen, Gruppen und Strukturen.

Als unterzeichnende Gruppen bitten wir die Moderator_innen von Tueinfo, den oben genannten Punkten ent­sprechend in Zukunft Kommentare und Artikel schnellstmöglich zu löschen, in denen sich nicht an diese Um­gangsformen gehalten wird. Wir betrachten solche Texte nicht als sinnvolle Diskussionsbeiträge und wollen uns von diesen unseren innerlinken Umgang nicht kaputtmachen lassen

 

 

Unterzeichnende Gruppen:

Antifa Reutlingen Tübingen (ART)
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Tübingen
libertäre que(e)rulant*innen
lu15
Infoladengruppe
Interventionistische Linke Tübingen

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Vielen Dank an die Linken Gruppen aus Tübingen,

 

danke, dass ihr ein wirklich zermürbendes Problem ansprecht, das so leider nicht nur in der radikalen Linken in Tübingen, sondern bundes/europaweit bei uns in der radikalen Linken zu beklagen ist. Es ist sicher kein neues Phänomen, dass sich radikale Linke untereinander abarbeiten, anstatt ihre Energie darauf zu lenken, gemeinsam für die Verwirklichung radikal linker Ideen und Utopien zu kämpfen. Die Kommunikation und die inhaltliche politische Auseinandersetzung innerhalb der radikalen Linken hat aber nach meinem Empfinden (vor allem im Internet) eine Qualität erreicht, die für mich  überhaupt nicht mehr nachvollziehbar ist. Lassen wir mal alle Postings von Trollen, Nazis, und VS/Bullen außen vor (die wie ich finde, nicht so schwer zu identifizieren sind). Auf viele mündliche Äußerungen bei persönlichen Begegnungen, auf jeden Artikel bei "linksunten", auf jeden hier eingestellten Kommentar werden reflexartig Antworten formuliert, die sich nur noch an bestimmten Stichwörtern orientieren, ohne dass eine wirkliche Reflexion des Gesagten oder Geschriebenen stattfindet. Ihr habt vollkommen recht, wenn ihr schreibt, "Nicht kopflos antworten, eigene und fremde Postings zweimal durch­lesen". Und genau das passiert nicht! Jede linke Gruppierung beklagt in ihrer Kapitalismuskritik zu Recht die soziale Kälte, den Egoismus, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeitt, die Vereinzelung, die Aggression gegenüber Andersdenkenden/lebenden, also überhaupt eine Verrohung innerhalb der Gesellschaft. Wollen wir dieses widerliche Gesellschaftsmodell wirklich auch innerhalb linker Strukturen haben ?

Leute denkt nach, wofür die radikale Linke steht!