Zug der Erinnerung in der Südpfalz

Zug der Erinnerung in der Südpfalz - 1

Auf ihrer diesjährigen Herbsttour machte die fahrende Gedenkstätte „Zug der Erinnerung“ auf sechs Bahnhöfen in Rheinland – Pfalz Station, um der Kinder und Jugendlichen zu gedenken, die in Waggons der „Reichsbahn“ in die Konzentrations- und Vernichtungslager der deutschen Faschisten deportiert wurden. Stationen waren Landau, Germersheim, Schifferstadt, Neustadt, Haßloch und Pirmasens.


Gerade die kleineren Gemeinden und Dörfer der Vorderpfalz zählen mit zu den Rückzugs- und Aktionsgebieten der ideologischen Erben der damaligen Täter.
Dies wird ermöglicht durch ein gefährliches Zusammenspiel von politischer Gleichgültigkeit, öffentlichem Leugnen und kleinbürgerlichen Alltagsrassismen, sowie durch die dreiste Gleichsetzung faschistischer Organisationen und ihrer konsequenten Gegner_innen im Sinne der revisionistischen Extremismustheorie. Gleichzeitig wird das Andenken an Täter und Beihelfer der faschistischen Aggression häufig in Ehren gehalten, wie sich auch auf Stationen der diesjährigen Herbsttour zeigen sollte.

-Nach wie vor - Behinderung des Gedenkens durch die Deutsche Bahn AG-

Nach wie vor erhebt die Deutsche Bahn AG hohe Standgebühren - jede Stunde, in der an die verschleppten Kinder in den Bahnöfen erinnert wird, lässt sie sich mit 45 Euro bezahlen.
Nach wie vor berechnet die Deutsche Bahn AG über 4 Euro für jeden Kilometer, den die mobile Gedenkstätte auf dem deutschen Schienennetz zurücklegt. Jenes Schienennetz, über das ihre Vorgängerin – die kriminelle Vereinigung „Deutsche Reichsbahn“- mehr als drei Millionen Menschen in die NS – Zwangs- und Vernichtungslager deportierte und daran -ohne Berücksichtigung der aufgelaufenen Zinsen- umgerechnet wenigstens 445 Millionen Euro verdiente.
Unter den Deportierten befanden sich über eine Million Kinder und Jugendliche. Nur wenige kehrten zurück. Den Ermordeten wird bis heute keine angemessene Ehrung an den Startbahnhöfen ihrer aufgezwungen Fahrten zuteil.
Jene, die überlebten, warten vergeblich auf eine Restitution und werden in unerträglicher Weise durch die DB AG und Vertreter_innen ihrer Mehrheitseignerin, der Bundesrepublik Deutschland, hingehalten und verhöhnt. ( http://de.indymedia.org/2010/10/291415.shtml , http://zug-der-erinnerung.eu/aktuell07-2010.html )

Trotz der hohen Gebühren unterlässt es die DB AG weiterhin, die in Rechnung gestellte Infrastruktur in vollem Umfang zur Verfügung zu stellen.
Statt dessen behindert das global agierende Logistikunternehmen nach wie vor das Gedenken, wo immer es ihm möglich ist.

In Neustadt/Weinstraße wurde der Zugang zum Hauptbahnhof verwehrt.
Berufstätigen Menschen sollte auf nahezu jeder Station bereits im Vorfeld der Besuch der Gedenkstätte unmöglich gemacht werden: wegen angeblicher Störungen des Betriebsablaufs wurde der Abzug der Waggons zum frühen Nachmittag angeordnet. Erst nachdem diese versuchte Blockade des Gedenkens öffentlich gemacht wurde, lenkte die Bahn teilweise ein.

Auch der vereinbarte und in Rechnung gestellte Stromzugang für die Ausstellungswagen sollte an keiner einzigen Station ohne Probleme zur Verfügung stehen. Zum Teil musste auf ein spontan organisiertes Aggregat zurückgegriffen werden.

-„Wir sind nicht alle“ - Die lokale Spurensuche-

Der letzte Bereich der Ausstellungswagen ist den Ergebnissen der lokalen Spurensuche vorbehalten. Diese wird in der Regel von Schüler_innen getragen, die teilweise über Monate die Schicksale der deportierten und meist ermordeten Bürger_innen ihrer Orte recherchieren.

Auf den überwiegend mühevoll gestalteten Plakaten lassen die Jugendlichen diese ihrem Zuhause und dem Leben entrissenen Menschen ins Bewusstsein ihrer ehemaligen Nachbar_innen und deren Nachkommen zurückkehren.

Die Namen und Gesichter der Opfer in Verbindung mit dem Wiedererkennen der „eigenen“ Straßen, Schulen oder Betriebsstätten machen für die Besucher_innen die Brutalität und das Ausmaß der rassistischen Großverbrechen der Generation ihrer Eltern/Großeltern auf einer Ebene greifbar, die durch die alleinige Nennung der Opferzahlen genauso wenig zu erreichen ist wie durch das Zeigen der grausamen, anonymisierten Bilder aus den Vernichtungslagern.

Besonders beeindruckend waren die lokalen Exponate in Haßloch, die von Schüler_innen der Hannah-Arendt-Schule und der Realschule plus gestaltet wurden.
Aber auch in Landau, Germersheim, Schifferstadt und Neustadt wurden sehr gute Plakate ausgestellt, denen teils sehr unterschiedliche Herangehensweisen zugrunde lagen.

-Täterschutz in Neustadt und ein unbeantworteter Brief-

Da die DB AG nicht bereit war, die Erinnerung an die „Reichsbahn“ - Opfer im Hauptbahnhof Neustadt/Weinstraße zuzulassen, musste die Gedenkstätte auf den Bahnhof NW – Böbig ausweichen.

Dort fuhr der „Zug der Erinnerung“ am 22.Oktober ein, am 72 Jahrestag der ersten planmäßigen, antisemitisch motivierten Deportationen von 6538 Bürger_innen aus der Pfalz, dem Saarland und aus Baden.
Ziel der „Wagner - Bürckel – Aktion“ genannten Verschleppungen war das Lager Gurs in Südfrankreich. Viele der verschleppten Menschen, unter ihnen auch Kinder und Jugendliche, fielen bereits den unmenschlichen Bedingungen während des Transportes in Viehwaggons der „Reichsbahn“ zum Opfer.
Die den Transport überlebten, mussten in Gurs ihr Leben lassen oder wurden weiter verschleppt nach Rivesaltes und in die NS - Vernichtungslager in Osteuropa.

Verantwortlich für diese Aktion war neben dem Badischen „Gauleiter“ Robert Wagner der „Gauleiter“ der Rheinpfalz und des Saargebietes Josef Bürckel.
Bereits im Jahre 1939 war Bürckel mit verantwortlich für die Deportationen Wiener Juden_Jüdinnen ins polnische Nisko, die von dem österreichischen Widerstandskämpfer und späteren Historiker Jonny Moser als Beginn der Shoah bezeichnet werden.

Bürckel starb 1944 eines natürlichen Todes in Neustadt/Weinstraße, wo er auf dem christlichen Friedhof begraben wurde. Das Andenken an den Täter Bürckel wird von Seiten der christlichen Gemeinde und der Neustädter Stadtverwaltung noch heute auf unerträgliche Weise in Ehren gehalten. Das Familiengrab gleicht einem Ehrendenkmal und erinnert an die größenwahnsinnige Architektur aus der Zeit des deutschen Nationalsozialismus.
( http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:NW_Grab_Gauleiter_B%C3%B... )

Die Forderung, das provokante Grab zu entfernen, wird vom Neustädter Oberbürgermeister Hans Georg Löffler (CDU) zurückgewiesen. In einer vor Fahrtbeginn veröffentlichten Pressemitteilung des Vereins „Zug der Erinnerung“ heißt es hierzu unter Anderem:

„Das Gedenken an die Opfer darf nicht dazu führen, dass von den Tätern geschwiegen wird.“
Und weiter: „Der Einfluss der Täter hörte nach der Befreiung nicht auf. Ihre Spuren führen in die Gegenwart.“

In einer internen Ausarbeitung des Vereins heißt es außerdem:
"Ohne eine generationsübergreifende Weitergabe der ideologischen Elemente, die in der NS-Zeit radikalisiert wurden und zu millionenfachen Opfern führten, wären politische Gruppierungen wie die NSU-Zelle nicht denkbar".

Bereits im August 2011 wandte sich Frau Wicki-Schwarzschild, eine Überlebende der „Wagner-Bürckel - Aktion“ mit einem persönlichen Schreiben an OB Löffler, in dem sie ihr berechtigtes Anliegen formuliert, in Neustadt Hinweistafeln anbringen zu lassen, die über die Verbrechen des faschistischen Täters Bürckel aufklären.

Dieser Brief war Oberbürgermeister Löffler nicht einmal eine Antwort wert.
In einem offenen Brief an den Neustädter OB schreibt der „Zug der Erinnerung e.V.“ unter Anderem:

Eine Antwort an die Überlebende der Bürckel-Deportationen „wäre allein aus Gründen bürgerlicher Höflichkeit unbedingt geboten gewesen, erst recht aus Gründen moralischer Scham vor den Leiden der Opfer, die in diesem Brief erwähnt werden“

In einer Pressemitteilung vom 23.10.2012 heißt es außerdem:
„Der Neustädter Oberbürgermeister lehnt jeden Hinweis an dem repräsentativ ausgestalteten Grab von Bürckel ab. Man wolle „keine Pilgerstätte für Neonazis“ schaffen und das „Nutzungsrecht“ der Familie achten, heißt es in einer Stellungnahme von Löffler.
Löffler handele „aus offenkundiger Rücksicht auf die Umtriebe heutiger NS-Rassisten“, schreibt der „Zug der Erinnerung“ in seiner Antwort; die Erwähnung eines vermeintlichen Nutzungsrechts für den Neustädter Gedenkort an Josef Bürckel sei „verheerend“.
Im Gegensatz zu den Tätererben fehle den Überlebenden „nicht nur ein 'Nutzungsrecht' für das Andenken an die Opfer; ihnen fehlen sogar die Gräber, an denen sie die Ermordeten betrauern können.
Deren sterbliche Überreste wurden in den Krematorien der NS-Vernichtungslager zu Rauch verbrannt.“

Um die Besucher_innen der Gedenkstätte in Neustadt über das (Nicht-)Verhalten ihres OB zu informieren veröffentlichte der „Zug der Erinnerung e.V.“ mit Billigung von Frau Wicki-Schwarzschild Auszüge ihres Briefes an OB Löffler. ( http://zugdererinnerung.de/aktuell20121022.html )

Der Einladung, die Bürckel – Opfer im Rahmen einer Gedenkzeremonie am „Zug der Erinnerung“ in Neustadt zu ehren, kamen weder OB Löffler noch ein_e Vertreter_in der Neustädter Stadtspitze nach. Von Seiten der anwesenden Neustädter Ratsmitglieder bekamen die Aktivist_innen am „Zug der Erinnerung“ jedoch immer wieder zu hören, dass in Neustadt „wahrlich genug getan“ würde, dass das Gedenken eine „gute Sache“ sei, der „Angriff“ auf den OB aber nicht hätte sein müssen.
In diesen Chor stimmt auch die Lokalredaktion der „Rheinpfalz“ ein: Der Trägerverein hätte einen „bösen Streit vom Zaun gebrochen“.
Der Anlass ist aus Sicht der der_des Redakteur_in „nichtig“.
( http://www.rheinpfalz.de/cgi-bin/cms2/cms.pl?cmd=showMsg&tpl=rhpMsg_thic... )

Wo man sich im ritualisierten „Gedenken“ wohlfühlt, weil man so die bis in die eigenen Lebenswelten führenden Spuren der NS – Täter immer mehr verwischt, sind jene, die den Vernichtungsplänen der Großeltern entkommen konnten nur dann erwünscht, wenn man sie instrumentalisieren kann, um den Fokus von den Tätern auf die Opfer abzulenken.

-Ein Bahnhof ohne Vergangenheit?-

Die letzte Station der mobilen Gedenkstätte war Pirmasens Nord.Dort unterhielt die „Deutsche Reichsbahn“ neben der „Reichsbahn – Baumeisterei“ ein so genanntes "Einschleusungslager für sowjetische Zwangsarbeitskräfte in den Gau Westmark“. Mehrere Tausend sowjetische Kriegsgefangene, darunter auch Kinder und Jugendliche, wurden gezwungen, für die Reichsbahn sowie für Pirmasenser Privatbetriebe zu arbeiten. Im benachbarten Waldfischbach wurden erkrankte Gefangene, die noch als arbeitsfähig galten im sog. „Ostarbeiterkrankenhaus“ untergebracht.

Nach einer Hinweistafel sucht man sowohl in Pirmasens Nord als auch in Waldfischbach vergeblich.

Weitere Informationen unter. http://zug-der-erinnerung.eu/