Das NSU-Phantom

Erstveröffentlicht: 
14.08.2012

Mord an Polizistin Kiesewetter kann der Zwickauer Terrorzelle zugeordnet werden. Doch das Tatmotiv bleibt weiterhin im dunkeln

Von Sebastian Carlens

 

Das Mahnmal, das am Rande der Heilbronner Theresienwiese steht, wurde in diesem Jahr ausgetauscht. »Zum Gedenken an die Polizeimeisterin Michèle Kiesewetter«, stand ursprünglich auf einer gravierten Metallplatte, die an den Polizistenmord im Jahr 2007 erinnert. Seit April diesen Jahres, fünf Jahre nach dem Verbrechen, lautet der Text: »Neonazistische Verbrecher haben zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen in sieben deutschen Städten ermordet« – darunter auch Michèle Kiesewetter. Die 22jährige gebürtige Thüringerin war am 25. April 2007 mit einem Kollegen auf Streife, als beide von hinten niedergeschossen wurden. Kiesewetter starb sofort, ihr Kollege überlebte schwer verletzt.

Daß der »Nationalsozialistische Untergrund« (NSU), der neun Migranten ermordet haben soll, auch für den Tod der Polizistin verantwortlich ist, scheint unterdessen zweifelsfrei erhärtet. An einer Jogginghose des NSU-Terroristen Uwe Mundlos, die im niedergebrannten Versteck der Zelle in Zwickau gefunden wurde, konnten laut einem Bericht des Spiegel vom Montag DNA-Spuren Kiesewetters festgestellt werden. Die Stele an der Theresienwiese wird also kaum erneut ausgetauscht werden müssen. Das ist, gerade bei diesem Fall, immerhin ein Fortschritt. Denn die Jagd nach den Heilbronner Polizistenmördern scheint einem Krimimanuskript entnommen, das jeder Verlag wegen vollkommener Unglaubwürdigkeit ablehnen müßte.

Die erste heiße Spur brachte die Fahnder auf die Fährte einer mutmaßlichen Topverbrecherin, die im gesamten Bundesgebiet für etliche schwerste Straftaten verantwortlich gemacht wurde. Das sogenannte »Phantom von Heilbronn« sollte Jahre später enttarnt werden: Es handelte sich um eine harmlose Arbeiterin, die die Wattestäbchen, mit denen die Ermittler DNA-Spuren aufnehmen, mit ihrem eigenen Erbgut kontaminiert hatte. Als sich dann im November 2011 zwei Bankräuber in einem Wohnmobil in Eisenach erschossen, schien des Rätsels Lösung in Sicht: Im Wagen wurden die Dienstwaffen der Heilbronner Polizisten gefunden. Doch diese Bankräuber waren keine einfachen Schwerkriminellen: In der Ruine der konspirativen Wohnung des NSU in Zwickau fanden die Ermittler schließlich noch die Ceska-Pistole, mit der die neun Migrantenmorde begangen wurden, und obendrein die Tatwaffe des Polizistenmordes.

Vollkommen unklar ist bislang, warum die NSU-Terroristen bis nach Heilbronn gefahren sein sollen, nur um eine einfache Streifenpolizistin niederzuschießen. Verschiedene Erklärungen, die das Bundeskriminalamt vorlegte, um eine Verbindung der gebürtigen Thüringerin zum NSU zu beweisen, mußten später allesamt dementiert werden: Kiesewetter war nie politisch aktiv, seit Jahren aus ihrer Heimat weggezogen und zudem am Tag des Mordes im Urlaub – sie sprang spontan für einen erkrankten Kollegen ein. Auch die jüngst enthüllte Mitgliedschaft mehrerer Kollegen Kiesewetters im rassistischen Geheimbund »Ku-Klux-Klan« mag Bände über den Zustand der deutschen Polizei sprechen, die Tat von Heilbronn erklärt sie nicht. Doch es gibt eine Aussage, bereits acht Tage nach dem Mord an Kiesewetter getätigt, die Rätsel aufgibt: Der Patenonkel der jungen Frau, selber Polizeibeamter, sagte bei seiner ersten Befragung im Mai 2007 aus, daß ein Zusammenhang zwischen seinem getöteten Patenkind und den – damals der »Ausländerkriminalität« zugerechneten – »Türkenmorden« bestehe. Damals jagte die Polizei noch nach dem »Phantom von Heilbronn«. Das letzte Kapitel im Polizistenmord von Heilbronn ist immer noch nicht geschrieben.