Einige Gedanken zur Kritik am „Schwarzen Block“ in Strasbourg

Gegen 13 Uhr wurde ein verlassener Grenzposten auf Strasbourger Seite in Brand gesteckt.
Info | Ticker

Viel wurde seit den Anti-NATO Protesten über das angeblich neue Ausmaß der Gewalt geschrieben, das in Strasbourg vom „Schwarzen Block“ ausgegangen sei.

Immer wieder wurde daraus die Konsequenz gezogen, dass „friedliche DemonstrantInnenen“ sich in Zukunft genau überlegen sollten, ob und wie sie mit diesem „Schwarzen Block“ zusammenarbeiten wollen (1). Wir wollen diesen teils weltfremden, teils böswilligen, in fast allen Fällen zumindest überheblichen Texten (2) unsere Sicht der Dinge entgegen halten (3).

 

1.

Die gewaltfreien Organisationen und Menschen haben keinen Grund sich zu beklagen: ihre morgendlichen Blockaden blieben frei von jeglichen „störenden gewaltbereiten Elementen.“

Dennoch wurden diese gewaltfreien Blockaden – und nicht nur die Demo – mit Tränengas angegriffen. Ein schöner Beleg, dass es nicht der „Schwarze Block“ war, der Polizeigewalt provoziert hat. Die Bullen brauchen keine Legitimation um Gewalt anzuwenden. Ebensowenig brauchen sie Riots, um im Nachhinein ihren Überwachungs- und Kontrollapparat zu rechtfertigen (4). Friedliche Demos werden einfach als „erfolgreiche Polizeieinsätze“ verbucht.

 

2.

Wer glaubt, einen in elitären Vorbereitungstreffen gefundenen Konsens zur „Gewaltfreiheit“ an einer Großdemo umsetzen zu können, ist naiv. Das ICC traf sich einmal im Monat irgendwo in Europa: Mal in Brüssel, mal in Paris, mal in Straßburg, meist unter der Woche. Da nützt es dann wenig, wenn die Treffen offen für alle sind; kommen können immer nur Privilegierte.

 

3.

Ohne militante Gruppen hätte es wahrscheinlich nicht einmal eine Auftaktkundgebung gegeben. Bis 12:38 Uhr (5) blockierten die Bullen nämlich die beiden wichtigsten Brücken, die zur Insel führten. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte es wohl gar keine Demo gegeben.

 

Während die „gewaltfreien“ (in dieser Situation wäre vielleicht der Begriff „passiv“ angebracht) DemonstrantInnen ratlos herumstanden,versuchten Black-Block Leute, sich und allen anderen den Weg auf den Versammlungsort frei zu kämpfen.

 

Die „Schwarzen“ standen in dieser Situation ganz vorne und haben dort ihren Kampf selbst ausgetragen. Von hinten kamen permanent neue Leute und neues Material; wem die Situation zu viel war, konnte sich jederzeit aus dem direkten Gefahrenbereich zurück ziehen. Es gab genügend Zeit und Möglichkeiten, sich sein Eskalationslevel auszusuchen. Die „Friedlichen“ konnten im Endeffekt im Schatten der Militanten auf die Insel ziehen. Der „Schutzschild-Vorwurf“ ist deshalb völlig unangebracht.

 

4.

Zur Situation auf der Insel. Tatsache ist: Die ganzen „friedlichen“ Menschen sind da geblieben. Es gab keine Kritik vor Ort an den Aktionen des Schwarzen Blocks. Es war eine gute Situation: Die einen brieten Würstchen, die anderen warfen Steine. Wer den RednerInnen der Kundgebung zuhören wollte konnte das tun. Es gab für jedeN die Möglichkeit, sich dahin zu begeben wo er/sie wollte. Wir wundern uns, warum das jetzt zur Diskussion wird. Das Beispiel auf der Insel hat gezeigt, dass verschiedene Aktionsformen nebeneinander laufen können. Gute Bilanz! Sogar die AnwohnerInnen haben während den Riots Getränke an Vermummte verteilt.

 

5.

Es bringt uns nicht weiter, immer wieder den Bullen eine „Eskalationsstrategie“ und „unnötige Gewalt“ vorzuwerfen. Ebenso wenig hilft es, wenn man der Repression allzu viel Aufmerksamkeit schenkt, wie das auch in einigen radikaleren Rückblicken gerne getan wird (6). Natürlich kritisieren wir den Staat und die Polizeigewalt und müssen uns auch immer wieder neu darüber wundern, wie es sein kann, dass ein System, das von uns (durch Steuern und Arbeit) Unterstützung erzwingt, gleichzeitig mit Gewalt eine Herrschaftslegitimation – sogenannte Demokratie - erzwingt. Aber Bullen sind immer, per definitionem, gewalttätig, und immer für den status quo und das herrschende System. Die verschärfte Repression zeigt nur, dass sie uns nicht mehr ignorieren können, dass wir sie an einer empfindlichen Stelle zu treffen in der Lage sind. Und das ist doch wahrhaftig kein Grund zur Empörung!

 

6.

Stattdessen könnten wir die Diskussion strategisch führen: Aktionen lösen Reaktionen aus. Das gilt in beiden Richtungen. Wenn die Bullen die Brücken blockieren und niemanden rüber lassen, dann werden sie vertrieben, weil die Demo über die Brücken will. Das ist strategisch richtig. Wenn die Bullen die Leute auf einer Insel festhalten, dann werden sie und weitere Ziele angegriffen. Möglichst großer Sachschaden (an geeigneten Objekten) ist eine Möglichkeit ihnen zu zeigen, dass der Preis für eine solche „Einkesselung“ hoch ist.

 

7.

Dass dieser Sachschaden zum Grossteil gezielt verursacht wurde, ist darüber hinaus eine große politische Leistung. Was gibt es denn Symbolischeres als ein Zollhaus? Auch der politische Gehalt des Hotelbrandes ist offensichtlich, auch wenn er oft ignoriert wird: Ibis hatte einen Vertrag mit den Bullen, hat diese beherbergt. Zudem ist die ACCOR-Gruppe, zu der Ibis gehört, maßgeblich beteiligt am Aufbau eines Abschiebeknasts in Frankreich (7). Ganz abgesehen von der systematischen Ausbeutung von MigrantInnen (hierzu gab es in den letzten Jahren schon verschiedene MitarbeiterInnenstreiks, Direkte Aktionen und Kampagnen) (8).

 

8.

Die Frage nach PolizeiprovokateurInnen bei bestimmten Aktionen ist zweitrangig, solange deren Beteiligung nicht eindeutig beweisbar ist. Es ist klar und oft auch belegbar, dass diese immer wieder da sind. Bei allen militanten Aktionen aber gleich Provokateure zu vermuten, spricht dem Schwarzen Block eigenständiges Handeln ab. Zollstation und Ibis waren keine zufälligen Ziele. Alles Chaoten oder so genannten „unpolitischen Jugendlichen“ zuzuschreiben, vermeidet eine Auseinandersetzung mit deren Argumenten.

 

9.

Die Herausforderung für die Protestbewegung ist nach jedem Gipfel die selbe: Sich nicht durch das von Bullen und Medien gezeichnete Bild der Proteste so sehr verunsichern zu lassen, dass man an den eigenen Verbündeten zu zweifeln beginnt.

 

10.

Auf der anderen Seite würde es wohl auch dem radikalen, der Gewalt nicht abgeneigten Teil der Protestbewegung nicht schaden, wieder mal grundsätzlich über Vor- und Nachteile von Bündnissen mit Gruppen, mit denen man nichts als die Ablehnung eines Großevents gemein hat, nachzudenken. In der Vorbereitung dieser Proteste hat sich wieder einmal gezeigt, dass radikale Basisgruppen die mühselige Strukturarbeit (Campauf- und abbau, Convergence Center, usw) machen, während sich die großen, etablierten NGOs mit Plakatedrucken und Blockadevorbereitung beschäftigen können. Wären die Riots nicht gewesen, wären von den Protesten höchstens ein paar reformistische Forderungen übrig geblieben. Deshalb möchten wir uns an dieser Stelle bei all denen bedanken, die mit ihrer guten Arbeit im Camp, im Convergence Center Molodoi, im CC Freiburg, bei Indymedia Linksunten, beim Legal Team und an ganz vielen anderen Ecken und Enden diese Proteste erst ermöglicht haben.

 

Anmerkungen

 

1. So zB: Discussion following my report "NATO Demo in Strasbourg ends in disarray... By Elsa:

http://www.gipfelsoli.org/Home/Strasbourg_Baden-Baden_2009/6828.html

ebenso: Nach Strasbourg: Zum Umgang mit der Gewalt in den eigenen Reihen by Andreas Speck, WRI:

http://gipfelsoli.org/Home/Strasbourg_Baden-Baden_2009/NATO_2009_Evaluation/6851.html

 

2. Als Beispiel für einen besonders arroganten Artikel: Ingredients for a Disaster. NATO, Strasbourg and the Black Block, By DIANA JOHNSTONE: http://www.counterpunch.org/johnstone04072009.html

 

3. Um diesen Text nicht ausufern zu lassen, verzichten wir auf eigentlich dringend notwendige Definitionen von Begriffen wie „Gewalt - gewaltfrei“, „friedlich - „militant/gewaltbereit/„Schwarzer Block.“ Diese Begriffe stehen sich leider auch hier etwas diffus gegenüber.

 

4. Wie dies etwa in dem furchtbaren Interview der jungen welt mit einem Mitglied des ICC betont wird:

http://www.jungewelt.de/2009/04-11/023.php

 

5. Vgl. Ticker von indymedia linksunten:

http://linksunten.indymedia.org/de/ticker/nato09

 

6. So zB: Strasbourg should be a riot... By Anarchistische Gruppe Freiburg

http://www.ag-freiburg.org/News/Strasbourg-should-be-a-riot

 

7.

http://www.geocities.com/insurrectionary_anarchists/solidarityacrossborders.html

 

8. Stop the call for denunciation of the ICC for the Anti-NATO-demonstration in Strasbourg:

http://gipfelsoli.org/Home/Strasbourg_Baden-Baden_2009/NATO_2009_Evaluation/6773.html

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Passend dazu das vorab veröffentlichte Editotal der Stattzeitung für Südbaden Nr. 74

Titel: Aus der Niederlage lernen! Ein Vorschlag nach den enttäuschenden Protesten gegen den NATO-Gipfel

Link: http://www.stattweb.de/baseportal/ArchivDetail&db=Archiv&Id=1132

"wem die Situation zu viel war, konnte sich jederzeit aus dem direkten Gefahrenbereich zurück ziehen. Es gab genügend Zeit und Möglichkeiten, sich sein Eskalationslevel auszusuchen. Die „Friedlichen“ konnten im Endeffekt im Schatten der Militanten auf die Insel ziehen. Der „Schutzschild-Vorwurf“ ist deshalb völlig unangebracht." Meine Wahrnehmung ist eine andere. Ich sehe mit solchen Texten keine Perspektive der Zusammenarbeit. Ja, es sind strategische Fragen. Mal sehen, wie sich solche Debatten in München auswirken ...

zum ersten text:

es gab in strasbourg offenkundig noch ein paar andere 'ziele', nicht nur IBIS/ACCOR und der ehemalige zoll,

und sicherlich war es den durch die bullen auf die 'insel' beschränkten zielobjekten 'zu verdanken', dass es dort dann krachte

(ob das aber vorher eine idee war...?)

und es waren auch schon donnerstag und freitag ein paar dinge gelaufen, die nicht so ganz okay waren....

 

das thema ist tatsächlich nicht so einfach zu klären: die lage im stadtteil neuhof und die dortigen verhältnissen sind nicht unter die nato zu subsumieren (dafür nutzbar zu machen), sondern haben eine eigene (vor-)geschichte. daher wird auch die - von einigen grüppchen voreilig geäußerte/empfundene - solidarisierung nicht so einfach in die bilanz zu schreiben sein. zurück bleibt ein teil, der dort wohnen muss, für den die kiste mit den CRS oftmals (leider) alltag ist, aber auch eine auseinandersetzung mit der migration und den 'loosern' dieser entwicklung bedeutet.

 

interessant wäre in der diskussion, auch auf den beitrag der stattzeitung einzugehen, da dort eine andere richtung überlegt wird, die ggf. auch die verlagerung von den big events zu every-day-möglichkeiten anspricht.

richtig ist vermutlich auch, sich angesichts der geschichten mit der nato - die immerhin der militärische arm der globalen ordnung ist - nichts vorzumachen, sondern einigermassen realistisch zu einer bilanz zu kommen, die nicht in abstrakten fragen und bekenntnissen endet, sondern die verantwortlichkeit für die rolle von metropole und kapitalist. krise wahrnimmt. letzteres - nämlich die dominanz der ökonomie und versteckt hinter einer westlichen werteordnung (wie die nato vorgibt zu schützen)  - wird in der diskussion zu wenig berücksichtigt. wenn es um die nato geht, dann geht es um den profit. und wenn es um den widerstand dagegen geht, dann sollte  damit auch eine richtung verbunden sein (und nicht allein der protest, ohne ihn zu vergessen).

relevant ist in diesem zusammenhang ggf. auch die wachsende bedeutung der sogen. zivil-militärischen beziehungen, d.h. die militarisierung des alltags.