Stuttgart und der totale Krieg

stuttgart21

Über die Politik des Bauchgefühls und warum Stuttgarts Bahnhof gleich komplett gesprengt werden sollte.

I. Einen Text einem Phänomen zu widmen, dass man für gänzlich überbewertet hält, ist zunächst einmal ein widersprüchliches Unterfangen. Doch gerade in der gesellschaftlichen Überbewertung eines Streits, diesmal um einen hässlichen Bahnhof, liegt ein Urteil über die Gesellschaft, die doch in mengenmäßig relevanten Teilen hier bejubelt, ‘dass endlich wieder mal jemand auf die Straße geht’.

 

Zudem lässt sich die Bewegung gegen Stuttgart 21 und die Reaktionen darauf exemplarisch für eine Reaktionsweise des ‘Volks’ auf die Politik analysieren, die in der Vergangenheit viele ähnliche Phänomene hervorgerufen hat und dies auch in Zukunft tun wird.

Die Politikverdrossenheit, die hierzulande so leidenschaftlich und mit großer Ausdauer allerorts bejammert wird, schien mit der Bewegung gegen die Umsetzung des Projekts Stuttgart 21 kurzzeitig verwunden, der sonst von politischen Fragen gänzlich unbeeindruckte, eher apathische Bürger zeigte auf einmal Interesse an dem, was da um ihn herum geschah. Die als bürgerfern empfundene Politik, die ja über die Köpfe der Menschen hinweg entscheide, müsse ja jetzt quasi in sich gehen, weil man sehen würde, dass die Bürger längst nicht mehr Alles mit sich machen ließen.

Allseits bejubelt gerierte sich hier eine Bewegung als Ausdruck authentischer Demokratie, als Volksbegehren.

Während Bundestagsdebatten weiter unbeachtet bleiben, weil sie als abstrakt, fern von den Bürgern, diese nicht betreffend wahrgenommen werden, wurde die Protestbewegung gegen Stuttgart 21 als eine Art demokratische Erneuerungsbewegung gefeiert, die ‘denen da oben’ zeigt ‘was eine Harke’ ist, den Eindruck gelebter, authentischer Demokratie vermittelte, in dem sie durch Kundgebungen und Demonstrationen sowie durch die Forderung nach einem Volksentscheid ihre Ziele durchzusetzen versuchte.

Seine Vorstellungen, wie das alles zu laufen hat, lautstark auf der Straße artikulieren zu können, möglichst noch in an Knittelverse erinnernde Parolen ist ja auch wesentlich befreiender als nur heimlich, still und leise sein Kreuz in der Wahlkabine zu machen.

 

II.

Schicksalsgemeinschaft statt Staatsbürgerschaft.

Auf die Abstraktion des demokratischen Entscheidungsprozesses, nämlich der repräsentativen Demokratie und noch tieferliegend, die Abstraktion vom Individuum zum Rechtssubjekt und Staatsbürger folgt die volkstümliche Reaktion, Unmittelbarkeit abseits demokratischer Vermitteltheit zu fordern, die Abkehr vom Ursprünglichen zu geißeln.

Dass das Projekt Stuttgart 21 den Weg demokratischer Entscheidungsfindung bereits vollzogen hatte, auf diesem Wege beschlossen wurde, interessiert freilich wenig, ist dies doch gerade Ausdruck der als abstrakt empfundenen, institutionalisierten Demokratie.

Bezeichnend ist dabei auch, dass die Entscheidung haptisch erfahrbar sein musste, damit auf sie reagiert wurde; der breite, wahrnembare Protest setzte erst ein, als die Veränderung durch die beginnenden Bauarbeiten sichtbar wurde, die Entscheidung sich real manifestierte.

Da die Abstraktion des politischen Prozesses gänzlich unverstanden bleibt, erscheint Politik als Fremdbestimmung durch eine politische Klasse, der kleine Mann der sich übergangen fühlt, als Opfer von Entscheidungsprozessen, die ohne ihn getroffen werden. Dementsprechend das Gefühl ‘wir als Volk gegen die da oben’.

Dass die Politik im Staat des Kapitals primär der Streit um die richtige Verwaltung bzw. Nichtverwaltung der Ökonomie sein muss, dringt nicht ins Bewusstsein, die ‘Kritik’ von Bewegungen, wie der gegen Stuttgart 21, bleibt in der Tradition der deutschen Ideologie das Ressentiment gegens Abstrakte.

Ebenso unverstanden bleibt, dass auch in einem ‘basisdemokratisch’ verfassten Staat Politik nicht anders verlaufen würde als oben beschrieben, hauptsächlich als Reaktion auf ökonomische Sachzwänge, nur dass eben jetzt jeder und jede seinen Senf via Volksentscheid dazu geben und sich wichtig vorkommen dürfte. Schlimmer noch, stellt man sich vor, Entscheidungen wie Flüchtlingspolitik, Verfolgung von Straftätern oder Ähnliches wären Sujets von Volksentscheiden, gerät das Szenario endgültig zur Katastrophe.

Die Frage, warum in einer Gesellschaft der Vereinzelten, in der Vernunft und Kritik Privilegien einer winzigen Minderheit darstellen, Aufklärung ein immer weiter reduziertes Abfallprodukt der Zurichtung des Subjekts ist, der Naturzusammenhang sich in der Gesellschaft unerkannt fortsetzt und die Mehrheit auch noch die schmerzenden Restbestände an Aufklärung und Freiheit am liebsten über Bord werfen würde, ausgerechnet der Gemeinwille, also das stumpfe Bauchgefühl der Massen Maßstab von Politik sein soll, bleibt unbeantwortet.

Die Vorstellung vom Volkswillen, der an sich ja schon das Beste für alle bedeuten soll, ist nicht naiv, sondern zeugt in Deutschland von so brutaler wie charakteristischer historischer Ignoranz.

Denn was unbewusst mit diesem Wunsch nach unmittelbarer, ‘volksnaher` Demokratie gemeint ist, ist Demokratie in das Unselige umzusetzen, das in der Übersetzung ins Deutsche schon mitschwingt und in Deutschland traditionell auch so verstanden wird: die Herrschaft des Volkes , sprich die Diktatur des autoritären, völkischen Kollektivs über alles Differente. Das in der Institutionalisierung von Entscheidungsprozessen tatsächlich einmal eine sinnvolle Schutzeinrichtung lag, nicht jedes Bauchgefühl, jedes Ressentiment politische Entscheidung werden zu lassen, wird nicht einmal im Ansatz reflektiert.

 

III.

Die Schlichtung. Zwischen Staatsgäubigkeit und Gegensouveränität

Dem Wunsch, sich zu einer Gegensouveränität zu formieren, scheint die zeitweilige treudoofe Staatsgläubigkeit, die die Stuttgart 21 Gegner an den Tag legten, entgegenzustehen, apellierten sie doch an diesen, wollten als Verhandlungspartner ernstgenommen werden.

So nahm dieses fade politische Schmierentheater, die mit großem tamtam betriebene Schlichtung, seinen Lauf; unter Regie des aus der politischen Leichenhalle zurückreanimierten Heiner Geißler, der sich endlich auch mal wieder wichtig fühlen durfte, so wie alle Teilnehmenden sich ernst und wichtig genommen fühlen durften: Jeder ein Experte. Was aber zunächst als Widerspruch erscheint, Wunsch nach Gegensouveränität auf der einen, Staatsgläubigkeit auf der anderen Seite, ist desselben Geistes Kind.

Den Wutbürgern erscheint der Staat als neutrales Instrument, -wenn er nicht gar mit dem Gemeinwohl identifiziert wird- dass sich nur in den falschen Händen befindet, denn wenn der Staat an sich gut ist, kann die Schuld an den schlechten Verhältnissen nur bei denen liegen, die ihn verwalten.

Die blinde, reflexhafte Abwehr des Abstrakten der gesellschaftlichen Verhältnisse verlagert sich somit vom unverstandenen Staat auf eine Clique von Politikern, Wirtschaftsbossen oder was auch immer als dunkle, alles kontrollierende Bedrohung herbeihalluziniert wird, die dann mit diesem -dem Abstrakten- identifiziert werden.

Das, als was Staat tatsächlich einmal gedacht wurde, ist in dieser Art seiner Verherrlichung längst schon beiseite gefegt, sein Zerrbild in der Idee von Volksgemeinschaft aufgegangen.

 

IV.

Tod des Geschmacks oder ein unheilvolles Comeback?

Bezeichnend ist auch, was für ein Bauwerk es hier den Herren und Damen Denkmalschützern der S21 Gegner zu erhalten gilt. Nicht nur, dass dieser Bahnhof einfach eine Beleidigung für jedes zumindest noch halbwegs vorhandene ästhetische Empfinden darstellt, hier wird ernsthaft für den Erhalt eines Nazimonumentalbaus gestritten, gebaut von einem überzeugten Antisemiten.

Zwar schon 1928 erbaut, manifestieren sich in der Architektur des Bahnhofs bereits die ästhetischen Merkmale der Naziarchitektur, die der Architekt Paul Bonatz dann später durch den Entwurf und die Realisierung diverser Reichsautobahnbrücken auch tatkräftig unterstützte. Dass ihm der Nationalsozialismus auch politisch nicht fremd war zeigte sich, als er in der Kochenhofsiedlung in Stuttgart, gedacht als Gegenentwurf zur vom Bauhaus geprägten Weißenhofsiedlung, das größte Gebäude entwerfen durfte, deren Eröffnung „mit einem dreifachen Sieg-Heil auf Hindenburg und Hitler, sowie mit dem gemeinsam gesungenen Deutschlandlied und Horst-Wessel-Lied“ vollzogen wurde. (‚Stuttgarter Neue Tagblatt‘, Abendausgabe vom 23. September 1933)1

Ob die Parteiname für einen Architekten, in dessen Ästhetik sich die Architektur des Nationalsozialismus ankündigte und die problemlos dann auch in dieser aufging, jetzt einfach aus völliger historischer Ignoranz und dem Stumpfsinn, der alle Neuerung als schlecht, alles Alte als gut sieht, oder aus einer tatsächlichen Parteiname für nationalsozialistische Architektur und Ästhetik heraus geschieht, ist wohl eine Frage, die ebenso offen bleibt; ebenso wie ein deutscher Politiker Goebbels zitieren kann, ohne es gemerkt haben zu wollen.

Dass letzten Endes hoffentlich die kapitalistische Logik des Profits dafür sorgt, dass der Stuttgarter Bahnhof durch etwas zumindest halbwegs Erträgliches ersetzt wird, zeigt, dass im Stande der Unfreiheit ideologiefreie Technokraten immer noch eher auszuhalten sind als die Querfront der Berufsnostalgiker.

Zum Weiterlesen:

  • Bahamas Nr. 61, Spielwiese der Gegensouveränität
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Dieser Diskussionsbeitrag ist wirklich unnötig. Ein paar Phrasen der Frankfurter Schule gepanscht mit ein bisschen Gedisse und dann noch eine sanfte Note Unwisenheit. Die Teppichaufkleber konnte man ja noch als zynischen, im Suff entstandenen, Gag interpretieren aber der Text ist wirklich schwach.

Klar kann man sich über angeblich "Demokratische Entscheidungsprozesse" auslassen, aber dann indirekt das bestehende Herrschaftssystem zu hipen und eine historische Notwendigkeit dessen zu unterstellen ist schon sehr strange.

Beeindruckend ist sicher auch die im Text vollzogene Bewertung der Bahnhofsarchitektur. Sicherlich war Bonatz ein Arschloch aber die Einordnung des Stuttgarter Bahnhofs in eine Anti-Bauhaus-Bewegung geht absolut fehl. Ganz im Gegenteil wurden hier entscheidende Stilelemente der Bauhaus-Architektur aufgegriffen. Ausserdem soll der Teil des Bahnhofs den die Verfasser_in des Textes wohl irgendwie Nazimäßig findet nicht abgerissen werden sondern ist in S21 integriert. Wenn man der Bewertung der Verfasser_innen folgen würde, könnte man daraus vielleicht einen Skandal machen.

Veblüffend ist, dass die Verfasser_innen sich keinerlei Mühe geben irgendeine zukunftsbezogene Aussage zu treffen. Man hätte ja wenigstens schreiben können "S21 muss gebaut werden" oder "die bestehende Parlamentarische Demokratie muss erhalten werden" aber nein, man belässt es bei paar Kritikpunkten die dann nicht einmal ausgeführt werden.

Ganz schwach sowas.

Schöner Artikel, nur wenn aus lauter Ressentiment gegen das Ressentiment vergessen wird, dass das Abstrakte sich auch konkret manifestieren kann, wird die gesamte Bewertung schief. Dazu passt besonders der letzte Abschnitt. Tatsächlich ist der Stuttgarter Bahnhof schrecklich hässlich, und verdient es besonders aufgrund des historischen Kontexts abgerissen zu werden. Trotzdem wird hier der Antisemitismus (mit samt seinem Rattenschwanz, dem Nationalsozialismus) zum Hauptwiderspruch erhoben, und vollkommen ausgeblendet, dass der Abriss/Neubau/Umbau des Bahnhofs eben auch Teil kapitalistischer Verwertungs- und Umstrukturierungsprozesse ist. Das Verhindern des Bahnhofumbaus würde zwar genau so wenig die Gentrifizierung Stuttgarts stoppen wie den Kapitalismus beenden oder zur Aufklärung der Menschen beitragen, doch genauso Antiaufklärerisch ist es die kapitalistische Logik als auf den Communismus zurasende Eisenbahn darzustellen, die ja nicht gestoppt werden darf. Die Sabotage der reibungslosen Normalität und die Aneignung des Alltäglichen ist durchaus wünschenswert.

in der Tat kommt der Artikel zu einem nicht wirklich nachvollziehbaren Schluss. Im Grunde teile ich viel an der in diesem Text geäusserten Kritik. Allerdings, so richtig ich es trotz allem finde gegen so ein Projekt vorzugehen, wird mir angesichts der Zusammensetzung des schwäbischen "wutbürger" Volksmops immer schlechter. Es ist eine Mischung aus kirchentag, Esofreaks und Verschwöhrungstheoretiker_innen. dazwischen tummeln sich dann ein paar (selbst)kritische Menschen. Allerdings stören auch diese sich nicht wirklich dran, dass kritik an der Bewegung als Häresie behandelt wird. Das ist schlimm und motiviert nicht zur Teilhabe an diesem Protest. Dieser Protest, der im übrigen explizit nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse an sich in Frage stellt und sich deshalb explizit auch nicht mit sozial marginalisierten Gruppen auseinandersetzen will (als Beispiel), und der auch nicht mal -obwohl am pathetisch aufgearbeiteten "schwarzen Donnerstag" selbst erlebt- das staatliche Gewaltmonopol als Werkzeug zur Durchsetzung kapitalistischer Interessen grundsätzlich in Frage stellen will.

Leider ist mit dem "Wutbürger" die Sabotage des alltäglichen nicht zu haben, sondern lediglich der Heimatschutz im Schlosspark.

Und so einer will einen Doktor in Politikwissenschaft haben?

der ist ja vollkommen unfähig. Der sollte erst mal ins Planungsrecht schauen bevor er irgendwas von außerinsitutionellen Volkswillen fantasiert.

Anschließend wäre eine Lektüre von Ernst Fraenkel anzuraten, damit er den Unterschied zwischen hypothetischen und empirische Volkswillen versteht.

 

Achja, vielleicht sollte er auch mal Hegel lesen und nicht nur mit Vulgärdialektik um sich werfen.

Was für ein Aufschneider.

Für diesen Artiekl muss man sich wirklich schon fremdschämen. Der/Die Verfasser/in des Artikels hat sich offensichtlich nicht mit der anti S21 Bewegung beschäftigt. Sonst hätte ein konstruktiefer kritischer Artikel dabei heruaskommen können. Aber das hier geschriebene ist mist.

Klar ist das die Anti S21 Bewegung ihre schwächen hat und sie gröstenteils Kleinbürgerlich ist. Wenn man aber ein wenig materialistisch dialketisch denken kann, dann ist dies klar. Dann sollte auch klar sein das diese Bewegung trotz ihren schwächen ein großer frotschritt für viele bewegungen sein wird die sich noch relativ unbewust gegen die logiken des Kapitalismus kämpf. Im Kampf hebt sich eben auch das bewustsein der Kämpfenden. Und viele dieser Kämpfenden haben sich Intensiver mit den Thematiken beschäftigt und haben eine fortschrittlichere und krtischiere haltung zu den angesprochenen Themen wie volksentscheide, oder Bonaz, wie diese/r Schreiber/in diese Artikels.