Kindheit am rechten Rand

Erstveröffentlicht: 
21.07.2011

Rechtsextreme Erziehung
Kindheit am rechten Rand
Von Maik Baumgärtner und Andrea Röpke

 

Kinderbücher aus der NS-Zeit, Puzzle mit den Grenzen von 1937, Ferien mit Volksgenossen: Im rechtsextremen Milieu gedeiht hinter bürgerlichen Fassaden eine ideologische Erziehungskultur. Der Nachwuchs wird zum politischen Instrument, warnen Experten.

Es geht in die Sommerferien. Für manche Kinder aus Neonazi-Familien bedeutet das: Die Eltern haben vorgesorgt, die Freizeit wird in den vermeintlichen Dienst für Volk und Vaterland gestellt. Nationale Erziehung abseits des Mainstreams ist das Ziel.

 


Auf dem Programm der braunen Erlebniswelt kann neben Zeltlagern oder Überlebenstraining auch ein gemeinsamer Reiterurlaub mit den Kindern von Kameraden stehen. Die bundesweite Neonazi-Szene widmet sich zunehmend auch der ideologienahen Ferien- und Freizeitgestaltung ihrer Familien.

 

Und mancherorts gibt es sogar Rabatt: So lockt ein Verein mit Vergünstigungen die Kinder der "Kameraden" auf einen Reiterhof bei Ahrensfelde in Brandenburg. Eine E-Mail, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, versprach im Mai dieses Jahres eine Woche Reitfreizeit mit Lagerfeuer und Nachtwanderungen für nur 150 Euro. Inklusive war die Aufteilung der Kinder nach Reitkenntnissen und "Weltanschauung". Auf Anfrage wollte sich der Betreiber dazu nicht äußern. Ebenso wie das heimelige Pferdeparadies gehört auch die Ferienwohnung in der Sächsischen Schweiz zum nationalen Angebot. Die Vermieterin, selbst NPD-Politikerin, warb selbstbewusst mit dem Slogan "21,1 Prozent für die NPD - hier macht man Urlaub" im NPD-Blatt "Deutsche Stimme", etwa im August 2010.

 

Und das "Niederschlesische Feriendorf" in der Oberlausitz bietet mit seinen 42 einfach eingerichteten Bungalows und dem Campingplatz direkt am Quitzdorfer See viel Platz und Ungestörtheit - auch für Neonazi-Familien. "Jeder ist mir willkommen, der sich benehmen kann und der gerne in dieser Gegend Urlaub machen will", teilt Änne Redeker von der Betreiberfamilie auf Anfrage mit. Bei der Anmeldung würden die Gäste "niemals nach ihrer politischen Einstellung befragt".

 

Pfingsten wollten sich im dazugehörigen Feriendorf Finnhütte wieder einmal viele ehemalige Erzieher der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) mit ihren jugendlichen Schützlingen zum abgelegenen "Großlager" auf dem Gelände treffen. Die Organisation wurde 2009 wegen ihrer aggressiv-kämpferischen Grundhaltung gegen die Verfassung verboten. Ihre Anhänger machen heimlich weiter. Die Polizei unterband das Ferienvorhaben, auch anreisende Kinder wurden fortgeschickt. Andere "nationale" Familien feierten derweil in zwei nahen Ferienhütten. Weder Feriendorfbetreiber noch andere Touristen schienen sich an der auffälligen Kleidung mancher Familienväter zu stören. Auf deren Shirts standen Parolen wie "Todesstrafe für Kinderschänder" oder "Nationaler Sozialist". Die Betreiber wollen davon nichts mitbekommen haben.

 

Brauner Kinderdrill


Je selbstbewusster die selbsternannte "NS-Bewegung" in den vergangenen Jahren hierzulande geworden ist, desto mehr wird der familiäre Nachwuchs instrumentalisiert. Mehrere tausend Kinder von Neonazis wachsen nach Schätzungen von Ermittlern mit Waffen, Gewalt, Hausdurchsuchungen, Nazi-Devotionalien, Liedern von Hitlerjugend und Waffen-SS sowie Götzen-Verehrung des "Dritten Reichs" auf. Ungefragt werden sie Teil einer eingeschworenen "Kampfgemeinschaft", die sich hinter einer bürgerlichen Fassade verbirgt.

 

 

Nicht nur ihre Eltern nehmen massiv Einfluss - oft sind es auch radikale Organisationen wie die mittlerweile verbotene Heimattreue Deutsche Jugend oder deren Nachfolgestrukturen. Kinder rechtsextremistischer Eltern wachsen im kameradschaftlichen Kollektiv auf. Väter und Mütter setzten auf "Volkstänze, Kinderfeste und die scheinbare Geborgenheit in Szenejugendlagern", schreibt der brandenburgische Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht, der sich explizit der Problematik "Kinder im Visier brandenburgischer Rechtsextremisten" widmet.

 

Die Folgen der Indoktrination scheinen grotesk: Ein Aussteiger berichtete SPIEGEL ONLINE, ein neunjähriges Mädchen aus Niedersachsen habe im Kreise von Erwachsenen aus Hitlers "Mein Kampf" zitiert, um den Vater stolz zu machen. Ein Foto vom Rechtsrockfestival "Fest der Völker" im thüringischen Pößneck im Jahr 2009 zeigt ein blondgelocktes Kleinkind mit der "28" auf dem kleinen Pullover, dem Code des in Deutschland verbotenen Neonazi-Netzwerks "Blood & Honour".

In der selbsternannten "nationalen Dorfgemeinschaft" Jamel , einer winzigen braunen Scholle in Mecklenburg-Vorpommern, treten Jung und Alt für das Gruppenbild im einheitlichen Shirt mit der Aufschrift "Jamel - Gau Mecklenburg" vor die Kamera. Im Januar 2011 waren in dem berüchtigten Dorf beim Oberhaupt der Neonazi-Clique eine funktionsfähige Maschinenpistole mit 200 Schuss Munition und Hehlerware beschlagnahmt worden.

 

Erziehung des Nachwuchses als "nationale Lebensaufgabe"

 

 

Dabei stammen die Aktivisten längst nicht mehr nur aus subkulturellen Milieus, die meisten haben sich ein Leben in der Mitte der Gesellschaft aufgebaut. Junge Paare mit großer Kinderschar verstecken NS-Ideologie und Vorstellungen von "soldatischer" Pädagogik hinter einem bürgerlichen Anstrich. Die Erziehung des Nachwuchses wird als "nationale Lebensaufgabe" angesehen, wie das NPD-Blatt "Deutsche Stimme" betont - das Private und Politische scheint untrennbar miteinander verwoben. "Vielerorts entstehen Alltagswelten, in denen die eigene Lebenswelt der menschenverachtenden Ideologie vollständig angepasst ist", warnt der Braunschweiger Präventionsexperte Reinhard Koch von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt. "Der Nachwuchs wird so zum politischen Instrument", sagt Koch.

 

Der "politische Missbrauch" beginnt nicht selten bereits bei der Namensgebung, stellt der Landesverfassungsschutz in Brandenburg fest. Nordisch klingende Namen wie Markward würden bevorzugt. "In solchen Fällen knüpfen rechtsextremistische Eltern an die Namensgebung des Nationalsozialismus an und formen letztendlich alltägliche Namen zu rassistischen Visitenkarten um."

 

Das Geschlecht entscheidet über die Position innerhalb der Gemeinschaft. Emanzipation und Gleichberechtigung werden abgelehnt, sie gelten szeneintern als Synonyme für eine von den Alliierten "umerzogene" Zivilgesellschaft.

 

Nach Angaben des Landesverfassungsschutzes wachsen die Kinder extrem rechter Eltern in Brandenburg mit zwei Szenarien auf: Demokratie und Bundesrepublik Deutschland seien dem Untergang geweiht - als heile Welt stelle sich dagegen das "Dritte Reich" und eine homogen nationalistische "Volksgemeinschaft" dar. Um die Kinder vor "schädlichen" Außeneinflüssen zu schützen, wählten Eltern nicht selten Isolation als ein Mittel.

 

Zur Gewährleistung einer besonders effizienten Lebensführung siedelten immer mehr Familien nah beieinander, ließen sich in gemeinsamen Regionen nieder, beobachten Sicherheitsbehörden in Ostdeutschland. Generationsübergreifend wirken Groß- oder Schwiegereltern in Großfamilien mit. Sozialarbeiter sehen die Tendenz, dass rechte Familien auch innerstädtisch, in Wohnblöcken oder Stadtteilen zusammenziehen, um "Gemeinschaften" zu bilden.

 

Sind Nazis per se schlechte Eltern?


"Erreicht der ideologische Einfluss solche Ausmaße, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt", warnt Präventionsexperte Günther Hoffmann aus Anklam, "dann sind staatliche oder soziale Stellen in der Pflicht, die Situation zu prüfen." Eine vom Kulturbüro Sachsen 2010 veröffentlichte Analyse mit dem Titel "Elternarbeit im Spannungsfeld Rechtsextremismus" geht der Frage nach, ob "Nazis per se schlechte Eltern" sind. Demnach komme eine Kindeswohlgefährdung aufgrund völkischer Erziehung in Betracht, wenn es zu körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen oder anderen entwürdigenden Maßnahmen kommt. Insbesondere "das Hervorrufen extremer Ängste, überzogene Verhaltensregeln und das Hineindrängen in eine Außenseiterrolle deuten auf eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge hin".

 

Völkische Neonazi-Pädagogik wird häufig geprägt von rassistischer Ideologie, Heidentum, NS-Kunst, Antisemitismus, unbedingtem Gehorsam, Kampfgeist und Elitegebaren. In einschlägigen Online-Shops angebotene Nachdrucke von Kinderbüchern aus dem "Dritten Reich", eigens erdachte Rätsel oder ein Puzzle mit den Grenzen von 1937 untermauern die Bemühungen. Auf der linken Plattform Indymedia beschrieb die "Autonome Antifa Freiburg" im Jahr 2010 eine Mutter, die angeblich mit ihren Kindern Torten mit SS-Symbolen backt oder gemeinsam eine Hakenkreuzfahne näht. Eine Erzieherin berichtete von einer Familie, in der Kinder ihre Eltern mit "Herr Vater" und "Frau Mutter" anreden.

 

Hakenkreuze malen im Kindergarten


An den Wochenenden und in den Ferien sind Kinder oft einfach nur kleine "Kameraden". Sie nehmen am nationalen Kulturprogramm der "Bewegung" teil. Bei NPD-Kinderfesten und Brauchtumsfeiern wird ihre Anwesenheit offenbar dazu benutzt, weitere Familien anzulocken.

 

Nur ungern überlassen völkische Paare den Nachwuchs staatlichen Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen. Denn hier können Einfluss und Kontrolle schwinden. Laut dem brandenburgischen Verfassungsschutz klagen Neonazis in Szeneforen, Kinder würden in Schulen und Kindergärten "richtig entarten". In verschiedenen Bundesländern in West und Ost berichteten Erzieher und Pädagogen in den Jahren 2009 und 2010 von Schwierigkeiten. So habe ein Junge im Kindergarten Hakenkreuze gemalt. Routiniert habe er seine Zeichnung sofort mit dem Satz verteidigt: "Das ist doch nur eine Rune." Ein anderer habe ein Migrantenkind mit Sprüchen wie "Du wirst auch noch vergast" beschimpft.

 

Disziplin, Gehorsam und Respekt gelten in erster Linie nur gegenüber den Eltern und "Kameraden". Außerhalb der Szene verweigerten sich die Kinder oft. Sie würden im Morgenkreis schweigen und wenig von zu Hause berichten. Manche reagierten verstört, auch überangepasst und andere besonders aggressiv, berichten betroffene Pädagogen aus Mecklenburg-Vorpommern. "Wir werden massive Probleme bekommen, wenn wir uns nicht intensiver mit diesem Problem auseinandersetzen", warnt Szenekenner Hoffmann aus Ostvorpommern.

 

Allein im mecklenburgischen Landkreis Güstrow gehen Experten von rund 60 Kindern aus über einem Dutzend nationaler Familien aus. Nicht nur deren Eltern zeigen bereits ein "geschlossenes rechtsextremes Weltbild".