Antifa-Demo in Bad Reichenhall

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Am Samstag, den 21. 5. 2011 demonstrierten über 200 Menschen im oberbayrischen Kurort Bad Reichenhall für die Entnazifizierung und Entmilitarisierung des Ortes. Die Demonstration war der bisherige Höhepunkt einer Kampagne des Bündnis RABATZ, deren Ziel es ist, auf die geschichtsrevisionistische, militaristische und den Nationalsozialismus glorifizierende Grundstimmung in Bad Reichenhall und der Region aufmerksam zu machen und dagegen zu intervenieren. So ist die lokale Gebirgsjägerkaserne in Reichenhall noch immer nach dem Nazigeneral Konrad benannt, einem der maßgeblichen militärischen Verantwortlichen für den Vernichtungskrieg auf der Krim, alljährlich Mitte Mai gedenken Altnazikameradschaften, Neonazis, Bunderwehrsoldat_innen und lokale Politprominenz, wie der Reichenhaller Bürgermeister Herbert Lackner dem deutschen Überfall auf Kreta vom 20.5.1941, wo sich auch Reichenhaller Gebirgsjäger an den zahlreichen Massakern an der kretischen Bevölkerung beteiligten. So zum Beispiel auch die 5. Gebirgsjägerdivision aus Reichenhall, die am 1.August 1941 das Dorf Skines zerstörte und 148 kretische Zivilist_innen ermordete. Ein Gedenken an die Opfer der Nazis sucht mensch in Bad Reichenhall jedoch vergeblich.

 

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Gegen 14:00 versammelten sich über 200 Antifaschist_innen am Bahnhof Bad Reichenhall-Kirchberg. Die Polizei versuchte von Beginn an Menschen an der Teilnahme zu hindern und nahm unter fadenscheinigsten Vorwänden Antifaschist_innen in Gewahrsam. Nach der Auftaktkundgebung, mit mehreren Redebeiträgen, u.a. der antifa nt aus München zur deutschen Geschichtspolitik, des Antisexistischen Aktionsbündnis München zur Verknüpfung von Militarismus und patriachaler Gewalt und des AK Distomo aus Hamburg zum aktuellen Stand des Kampfes für Entschädigungszahlungen an griechische Opfer des Nationalsozialismus, setzte sich die Demonstration bei Sonnenschein und Alpenpanorama in Bewegung. Schon nach wenigen hundert Metern stoppte die Polizei die Demonstration wegen angeblicher Vermummung, da die Transparente höher gehalten worden seien, als dies nach Auflagenbescheid erlaubt sei. Die Demonstrant_innen ließen sich von dieser Provokation seitens der Bereitschaftspolizei und Dachauer USK-Einheiten jedoch nicht einschüchtern und bereits nach einigen Minuten lief die Demonstration weiter Richtung Kreta Brücke, wo das Gebirgsjägerdenkmal von einem massiven Polizeiaufgebot bewacht wurde. In einer ersten Presseerklärung hat das Bündnis RABATZ bereits angekündigt nachträglich gegen die repressiven und sicherlich illegalen Demonstrationsauflagen zu klagen.

 

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Die sog. Kretabrücke wurde 1966 eingeweiht. Der Name nimmt dabei verherrlichend Bezug auf den deutschen Angriffskrieg gegen die griechische Mittelmeerinsel. Die Antifaschist_innen verliehen an dieser Stelle ihrer Forderung nach einer Brückenumbenennung Ausdruck. Sie fordern die Kretabrücke in Winkler-Reischl-Brücke umzubenennen. Johann Winkler (Jahrgang 1908) und Gottfried Reischl (Jahrgang 1902) waren Antifaschisten aus Bad Reichenhall. Sie stellten während des Krieges unter anderem mit einem Gummibuchstaben-Druckkasten kleine antifaschistische Agitationszettel her, und steckten diese in Bad Reichenhaller Gaststätten in die Mäntel von Soldaten. Als Winkler und Reischl an Ostern 1936 versuchten in die Tschechoslowakei zu fliehen, wurden sie verhaftet und nach München zurückgebracht. Dort wurde Reischl so stark mißhandelt, „dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste und dort starb“ oder nach anderer Quelle „wurde er in seiner Zelle im Münchner Polizeipräsidium in der Ettsraße erschlagen“. Winkler starb 1942 im Konzentrationslager Ravensbrück.

 

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Bereits am Dienstag hatten Antifaschist_innen gegen die Gedenkveranstaltung der Gebirgsjägerkameradschaft Bad Reichenhall beim Denkmal auf der Kretabrücke demonstriert. Die Veranstaltung der Wehrmachtsveteranen, der Bundeswehr und Neonazis wurde dank der Lautstärke der Antifaschist_innen bereits nach einer knappen halben Stunde abgebrochen.

 

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Einige Einwohner_innen aus Bad Reichenhall begrüßen die Demonstration...

 

Von dort aus ging es in die „Innenstadt“ des Kurorts, wo zum ersten Mal Nazis offen auftraten und versuchten die Demonstration zu provozieren. Kleinstgruppen von Neonazis versuchten aus einigem Abstand heraus die Demonstration zu photographieren. Aber nicht nur die lokale Naziszene scheint die Demonstration getroffen zu haben, auch einige Anwohner_innen konnten ihren Hass auf emanzipatorische Linke nicht zurückhalten. Am Anfang der Fussgänger_innenzone stoppte die Demo erneut, da Nazis am Rande den Hitlergruß zeigten. Von den über 200 an der Demo eingesetzten Polizist_innen wollte dies allerdings kein_e einzige_r bemerkt haben und die Nazis konnten unter Schutz des USK weiterspazieren. Währenddessen appelierte die Polizei per Lautsprecherdurchsage an die „Fairness“ der Demonstrant_innen „die Kurgäste nicht zu stören.“ Viele besagter Kurgäste zeigten allerdings weit mehr inhaltliches Interesse am Anliegen der Demonstration als die Reichenhaller Bevölkerung selbst, die von einigen positiven Ausnahmen abgesehen, die antifaschistische Intervention als Invasion von außen wahrnahm. Einige hundert Meter weiter tauchten erneut lokale Neonazis auf, von denen ebenfalls einer den Hitlergruß zeigte. Dies hatte sogar die Polizei mitbekommen und nahm den Neonazi in Gewahrsam. Die Demonstration zog weiter Richtung Bahnhof, wo eine längere Abschlußkundgebung stattfand. In Redebeiträgen thematisierte das RABATZ Bündnis die Umtriebe der lokalen Neonaziszene, die zuletzt am 8. Mai eine Gedenkveranstaltung für die französische SS-Freiwilligendivision Charlemagne durchführte und deren Mitglieder regelmässig auch überregional in Nazikreisen auftreten. Proteste und kritische Berichterstattung wurden dabei von der Polizei, die Platzverweise gegen Antifaschist_innen aussprach, unterbunden. Eine Mitinitiatorin der Proteste gegen das Gebirgsjägergedenken in Mittenwald sprach zu den Kriegsverbrechen der Gebirgstruppen und abschließend berichtete ein ehemaliger Schüler des Reichenhaller Gymnasiums über die dortige geschichtsrevisionistische und rassistische Grundstimmung.

 

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Das RABATZ Bündnis wertet die Proteste als Erfolg. Sehr erfreulich war auch, dass einige Menschen aus Bad Reichenhall und der Umgebung an der Demonstration teilnahmen. Es bleibt abzuwarten, wie sich das politische Klima in Bad Reichenhall entwickeln wird und ob es zu einer breiteren gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem omnipräsenten Militarismus und Geschichtsrevisionismus kommen wird. Vieles im Ort, u.a. die Berichterstattung des Bad Reichenhaller Tagblatts lassen nicht unbedingt auf die Entstehung einer breiteren kritischen Öffentlichkeit hoffen, doch auch einige vereinzelte positive Stimmen können vielleicht auf Dauer auch in Bad Reichenhall etwas verändern. Doch wie es im letzten Redebeitrag hieß:

 

„(..) vielsagend und bezeichnend ist es, dass die bitter notwendige und lange überfällige Intervention gegen das SS- und das Kreta-Gedenken von außen kommt in Gestalt des Rabatz-Bündnisses, bei dem ich mich an dieser Stelle recht herzlich bedanken möchte. Spannend wird wiederum die Reaktion der Stadt sein: Wendet sie sich gegen die Antifaschisten als „Nestbeschmutzer“ oder räumt sie endlich einmal auf in ihrem Nest?“

Ob eine einmalige antifaschistische Intervention in Bad Reichenhall ausreichen wird, das gesellschaftliche Klima zu kippen darf also bezweifelt werden und so ist es nicht unwahrscheinlich, dass es auch im nächsten Jahr zu einem antifaschistischen Ausflug in die sommerlichen oberbayrischen Alpen kommen wird, um die trügerische Idylle zu stören.

 

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Hintergrundberichte, Aufrufe, einen Pressespiegel, Redebeiträge und alles Weitere zum Thema findet sich auf der Mobilisierungsseiteseite des RABATZ Bündnis: www.badreichenhall.org

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Bilder einiger Nazis, die am Samstag versuchten, die Antifa-Demo mit Pöbeleien, Hitlergrüßen und mehr zu provozieren...