Gericht : Anwalt hält Schöffen für befangen

Erstveröffentlicht: 
04.05.2011

Witten. Der Prozess um die Verhöhnung von Zwangsarbeitern nimmt kein Ende: André Picker, Anwalt des 28-jährigen Angeklagten, überraschte am Mittwoch vor dem Bochumer Landgericht mit einem Befangenheitsantrag gegen einen Schöffen.

 

In der Prozesspause hatte sich der Schöffe kurz mit Peter Liedtke, einem ehemaligen Zeugen, unterhalten. Liedtke war Initiator einer Gedenkveranstaltung in der Wittener Innenstadt, die vom Angeklagten mit Lachen bedacht worden sein soll. Das Amtsgericht hatte ihn zu sechs Monaten Haft verurteilt, er ging in Berufung. Der Schöffe sagte, er habe Liedtke nur darauf hingewiesen, dass er nichts zum Verfahren sagen könne. Doch Verteidiger Picker machte Ernst.

 

Er gab neben dem Befangenheitsantrag eine eidesstattliche Erklärung ab. Darin heißt es, der Schöffe könne eine zu große Nähe zu Liedtke haben, der als Ex-Zeuge direkt am Verfahren beteiligt sei.

 

Bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens am 16. Mai soll entschieden werden, wie es weitergeht: Wenn der Befangenheitsantrag angenommen wird, käme es zur Prozessneuauflage. Falls er durchfällt, wäre das Verfahren zumindest verzögert. Dem Angeklagten kommt beides entgegen.

 

Wie am Mittwoch bekannt wurde, war der 28-Jährige zur Zeit der Gedenkveranstaltung in Witten in Hafturlaub. Er saß eine Strafe wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung ab und ist derzeit immer noch inhaftiert. Falls der Angeklagte bei einem Urteil bereits frei wäre und etwa einen Bewährungshelfer hätte, ergäbe sich für das Gericht eine neue Situation - Strafmilderung nicht ausgeschlossen.

 

Auch inhaltlich gab es Neues. Eine Untersuchung, aus welchen Gründen die bei jener Gedenkveranstaltung im Kommunalwahlkampf 2009 von den NPD-Sympathisanten verhöhnten Zwangsarbeiter zu Tode kamen, wird es wohl nicht geben. Dies sei eine lange, aufwendige Suche, zitierte Richter Gerhard Riechert Dr. Martina Kliner-Fruck, Leiterin des Wittener Stadtarchivs.

 

Auf eine Untersuchung hatte Verteidiger Picker gedrängt: Nur wenn Zwangsarbeiter aus rassistischen, religiösen oder ethnischen Gründen umgekommen seien, könne man wegen Volksverhetzung verurteilt werden. Doch auch das sah das Gericht anders.

 

Nach Paragraf 130 Absatz vier Strafgesetzbuch könnte der Angeklagte wegen Volksverhetzung verurteilt werden. Danach kann bestraft werden, wer in einer Versammlung den öffentlichen Frieden stört und Opfer durch Rechtfertigung der Nazi-Herrschaft in ihrer Würde verletzt. Aus Sicht von Richter Riechert könnten die Voraussetzungen zutreffen, der Verteidiger ist skeptisch. Fortsetzung folgt – so oder so

 

Witten, 04.05.2011, Dennis Sohner